Vergangene Woche war es so weit: Die Corona-Warn-App feierte 100 Tage Existenz. Die Bundesregierung jubelte prompt, die App sei nachgefragt, sie funktioniere und sie helfe bei der Nachverfolgung der Infektionsketten – die App also eine Erfolgsgeschichte? „Wir haben noch nicht erlebt, dass die App gewarnt hat“, sagte hingegen Ernst-Dieter Lichtenberg, Leiter des Gesundheitsamtes Bad Kreuznach im Gespräch mit Mainz& – und auch im rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerium heißt es: Die App habe bisher ihre beabsichtigte Wirkung noch nicht richtig entfaltet. Probleme bereiten dabei vor allem ihre viel gepriesenen Errungenschaften: Anonymität, Freiwilligkeit und dezentrale Datenspeicherung verhindern einen wirksamen Einsatz gegen die Coronainfektionen.

Die Corona-Warn-App des Bundes hat bisher kaum Wirkung entfaltet. - Screenshot: gik
Die Corona-Warn-App des Bundes hat bisher kaum Wirkung entfaltet. – Screenshot: gik

Im Juni wurde das kleine Smartphone-Programm nach mehrfachen Anläufen endlich vorgestellt, das Programm soll dabei helfen, Corona-Infektionsketten aufzudecken. Wer die App installiert hat und sich in der Nähe eines mit dem Coronavirus Infizierten aufgehalten hat, soll durch die App gewarnt werden – falls der Infizierte denn auch seinen positiven Coronatest in die App eingibt. Und hier beginnen die Probleme in der Praxis: Lediglich 5.000 Benutzer haben bisher lediglich ihren positiven Coronatest über die App kommuniziert und so andere Nutzer gewarnt – ein Bruchteil der tatsächlichen Infizierten und den Bevölkerung. So kommt es, dass in der Realität praktisch niemand jemanden kennt, der mal über die App tatsächlich gewarnt wurde – die Zweifel an der Wirksamkeit des kleinen Programms steigen.

Die App sei „nachgefragt, sie funktioniert, sie hilft, Infektionen zu vermeiden“, betonte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) vergangene Woche – die Corona-Warn-App sei der erfolgreichsten Apps weltweit. Tatsächlich wurde die App in Deutschland seit ihrem Start rund 18,4 Millionen Mal heruntergeladen, das gilt weltweit als großer Erfolg. Doch Zahlen, wie viele Nutzer das Programm auch aktiv nutzen oder wieder deinstalliert haben, gibt es nicht. Experten schätzen, für eine hohe Wirksamkeit müssten mehr als 60 Prozent der Bevölkerung die App nutzen, davon ist die App noch weit entfernt.

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Wirbt weiter für die Corona-App des Bundes: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). - Screenshot: gik
Wirbt weiter für die Corona-App des Bundes: Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU). – Screenshot: gik

Die App sei ein „wichtiger Baustein“ zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, betonte das Robert-Koch-Institut (RKI) bei der Vorstellung, und unterstreicht das auch bis heute. Die App könne einen „wichtigen Beitrag“ leisten, weil sie Infektionsketten unterbreche und die Arbeit der Gesundheitsämter unterstütze, heißt es beim RKI. „Wir haben noch nicht erlebt, dass die App gewarnt hat“, sagt hingegen Ernst-Dieter Lichtenberg, Leiter des Gesundheitsamtes Bad Kreuznach. Lichtenberg ist auch Vorsitzender des Verbandes der Ärztinnen und Ärzte im Öffentlichen Gesundheitsdienst Rheinland-Pfalz, seine Bilanz der Corona-Warn-App: „Bei uns in der aktuellen Ermittlungsarbeit spielt diese App überhaupt noch keine Rolle.“

Die App soll ihre Nutzer warnen, wenn sie sich für eine bestimmte Zeit nahen Kontakt mit einer Corona-positiven Person hatten, so sollen Infektionsketten schnell unterbrochen und auch anonyme Kontaktpersonen gewarnt werden können – in der Praxis ist davon allerdings bisher wenig zu sehen: Echte Warnungen kommen kaum vor, viele Nutzer wurden dagegen von Warnmeldungen verunsichert, man habe Kontakt gehabt, sei aber dennoch nicht gefährdet – die Meldungen werden generiert, wenn der Kontakt nicht lange oder nicht nah genug stattfand.

Standardanzeige der Corona-Warn-App: niedriges Risiko. - Screenshot: gik
Standardanzeige der Corona-Warn-App: niedriges Risiko. – Screenshot: gik

Wie viele echte Warnmeldungen die App verschickt hat, und ob dadurch Infektionsketten unterbrochen wurden, ist jedoch unklar. Weil die Daten der App nicht zentral gespeichert werden, kann das RKI diese Fragen nicht beantworten. Dazu ist die Eingabe eines positiven Tests und die Warnung von Kontakten freiwillig. 4.373 sogenannte Teletans wurden in 100 Tagen ausgegeben, die elektronischen Codes dienen zur Verifizierung positiver Testergebnisse – ob diese auch in die App eingespeist wurden, wird nicht kontrolliert.

Freiwilligkeit und dezentrale Datenspeicherung galten als wichtige Voraussetzungen für die Akzeptanz der App, nun konstatierte die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) in einer schriftlichen Antwort an den Gesundheitsausschuss: In genau dieser Freiwilligkeit „liegt die Schwäche der App“, weil es eben „in das Belieben der Nutzer gestellt“ sei, ob sie ein positives Ergebnis auch kommunizierten. „Man geht inzwischen davon aus, dass zirka vier Prozent der Neuinfektionen auch über die App kommuniziert worden sind“, informierte die Ministerin.

Auch die völlige Anonymität der Daten sei eine Schwäche, denn dadurch gebe es keine Möglichkeit, Kontaktpersonen zu identifizieren, Befunde namentlich zuzuordnen oder Standorte zu erfahren, kritisierte die Ministerin: Eine Schnittstelle zwischen der App und den Gesundheitsämtern gebe es bis heute nicht, die App „erspart den Gesundheitsbehörden keine Arbeit.“ Lichtenberg kann das bestätigen: Positive Tests würden dem Gesundheitsamt nach wie vor durch die Labore gemeldet, „wir kriegen dann ein Fax“, berichtete er im Gespräch mit Mainz&.

Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Die Corona-Warn-App erfüllt bislang ihre Funktion nur wenig. - Foto: gik
Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Die Corona-Warn-App erfüllt bislang ihre Funktion nur wenig. – Foto: gik

Das Gesundheitsamt ermittele dann die Kontaktpersonen des Infizierten, informiere diese und stelle sie unter Quarantäne gestellt – mündlich. „Die Kommunikation läuft übers Telefon“, berichtet Lichtenberg. Die Containmentstrategie der Ämter sei im Übrigen in Rheinland-Pfalz sehr erfolgreich, betonte er, die App hingegen scheine hingegen in der Bevölkerung „nicht so ganz angekommen zu sein.“ Schließlich habe gerade in eher ländlich geprägten Regionen nicht jeder ein Smartphone, fügte Lichtenberg hinzu. Dazu läuft das kleine Programm auf älteren Smartphones gar nicht.

Spahn betonte hingegen, bisher seien mehr als 1,2 Millionen Testergebnisse direkt von den Laboren in die Apps der Getesteten übermittelt worden – in Rheinland-Pfalz heißt es hingegen: nur ein gewisser Prozentsatz der Labore sei bisher an die App angeschlossen. Eine Verknüpfung mit der Arbeit der Gesundheitsämter findet bisher gar nicht statt. Die Corona-Warn-App „kann ihre beabsichtigte Wirkung noch zu wenig entfalten“, bilanzierte deshalb Bätzing-Lichtenthäler nun im Gesundheitsausschuss des Landtags.

Experten fordern deshalb, die Bundesregierung müsse wieder mehr für die App werben und sie weiter entwickeln – etwa mit Möglichkeiten zur freiwilligen Weitergabe der Nutzerdaten. So könne evaluiert werden, ob die App überhaupt wirke – und in welchem Umfang. Beim RKI heißt es derweil, die Möglichkeit der Evaluation werde erst in einer der nachfolgenden Ausbaustufen der App verfügbar sein. Experten kritisieren zudem, dass beim Coronatest ein Häkchen auf dem Formular angekreuzt werden muss, ob di9e Ergebnisse per App übermittelt werden dürfen – vergisst das der Proband in der Hektik, geht nix.

Der Berufsverband Deutscher Laborärzte (BDL) schlägt deshalb angesichts wieder steigender Corona-Fallzahlen in Deutschland die Umstellung auf ein Opt-Out-Verfahren vor: Demnach würde der Download der App als Zustimmung gelten, dass Kontaktpersonen positiv getesteter Menschen benachrichtigt werden. Wer das nicht möchte, muss ein entsprechendes Kontrollfeld ankreuzen. „Das derzeitige Zustimmungsverfahren ist zu umständlich, wie die große Diskrepanz zwischen App-Nutzern und übermittelten Testergebnissen zeigt“, sagte der Vorsitzende des BDL, Andreas Bobrowski.

Auch die Anbindung der medizinischen Labore an die Gesundheitsämter sei unbefriedigend, mehr als ein halbes Jahr nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie in Deutschland finde „eine direkte elektronische Kommunikation zwischen den medizinischen Laboren und dem öffentlichen Gesundheitsdienst so gut wie nicht statt“, kritisierte Bobrowski. Dies sei für ein hochentwickeltes Land wie Deutschland unwürdig.

Info& auf Mainz&: Mehr zur aktuellen Lage der Corona-Pandemie und der Frage, ob es eine „zweite Welle“ gibt und wenn ja, wie diese ausfällt, lest Ihr hier auf Mainz&: „Wir drohen die Kontrolle zu verlieren.“ 

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