Am Ende der ersten Antragswoche für die Soforthilfen des Bundes für Kleinunternehmer und Freiberufler herrscht in der Szene Frust und tiefe Enttäuschung: Die Corona-Soforthilfen kommen in einer breiten Schicht von Solo-Selbstständigen überhaupt nicht an. Eine breite Schicht von Musikern, Dozenten, Künstlern, Fotografen, Freiberuflern und Solo-Selbstständigen droht durch das von der Politik aufgespannte Raster zu fallen – die Soforthilfen, sagen viele, „sind ein Witz“. Das Problem: Bei den Hilfen werden wegbrechende Honorare und Gagen überhaupt nicht berücksichtigt, sondern nur Betriebsausgaben – die die meisten gar nicht haben. Gleich mehrere Verbände schlagen inzwischen Alarm und fordern vehement Nachbesserungen. Die Wut auf die Politik wächst.

Hilfe und Rettung für alle versprach Wirtschaftsminister Wissing in der Coronakrise - Stand heute fallen Millionen durchs Raster. - Foto: gik
Hilfe und Rettung für alle versprach Wirtschaftsminister Wissing in der Coronakrise – Stand heute fallen Millionen durchs Raster. – Foto: gik

49.000 Anträge gingen in der ersten Woche bei der Investitions- und Strukturbank des Landes (ISB) an, die Hoffnung der Kleinunternehmer, Freiberufler und Solo-Selbstständigen: 9.000 Euro Zuschuss des Bundes erhalten, um den unverschuldeten Ausfall der eigenen Lebensgrundlage wenigstens bis zur Zeit nach dem Shutdown überbrücken zu können. Die Nachfrage nach den Bundesmitteln sei enorm, hieß es am Freitag aus der ISB. „Die Abwicklung der Anträge läuft auf Hochtouren, um den Selbstständigen, Freiberuflern und Kleinunternehmen so schnell wie möglich die nötigen Liquiditätshilfen bereitstellen zu können“, betonte Wirtschaftsminister Volker Wissing (FDP). Die ersten Auszahlungen seien bereits durch die ISB vorgenommen worden.

„Die meisten, die ich kenne, fallen durchs Raster“, berichtet ein Musiker der Internetzeitung Mainz&, der Mann ist seit knapp zehn Jahren Bassist, spielt in großen Popbands der Republik. 60 bis 70 Konzerte spielt er im Jahr, rund 12.000 Euro hat er schon jetzt durch die Absage von Konzerte und Tourneen verloren, erzählt er – doch die Soforthilfe des Bundes, sie erreicht ihn nicht und viele seiner Kollegen nicht: Die meisten Anträge aus seinem Umfeld würden abgelehnt, berichtet der Mann.

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Der Grund: Die Soforthilfe darf nur und ausschließlich für betriebliche Ausgaben verwendet werden, also für Sachkosten, Mieten, Leasingraten und Kredite. Doch genau solche Betriebsausgaben haben die meisten Freiberufler und Solo-Selbständigen überhaupt nicht oder nur in geringem Ausmaß. Die meisten haben kein eigenes Büro gemietet, nutzen ihren Privatwagen für die Fahrt zur Arbeit, besitzen Laptop und Arbeitsinstrumente, die aber gekauft und in den wenigsten Fällen geleast sind. Ob Musiker, Schauspieler oder Promoter, Vertreter, Dolmetscher oder Tontechniker – die meisten Freiberufler arbeiten vom heimischen Wohnzimmer aus und fahren zu ihren Terminen, das war’s. Bezahlt werden sie aber nur, wenn sie arbeiten, Verträge mit Absicherung oder Lohnfortzahlungen gibt es in aller Regel nicht.

Tiefrote Zeiten für Künstler und Solo-Selbstständige - die Soforthilfen in der Coronakrise kommen nicht an. - Foto: gik
Tiefrote Zeiten für Künstler und Solo-Selbstständige – die Soforthilfen in der Coronakrise kommen nicht an. – Foto: gik

„Eine freiberuflich tätige Künstlerin oder ein Freiberufler hat in aller Regel weder ein Ladengeschäft oder Büroräume angemietet, noch ein Firmenfahrzeug geleast“, sagt auch der hessische Verdi-Chef Volker Koehnen – damit schlössen die Soforthilfen den Kreis von Solo-Selbstständigen im Haupterwerb aus der Förderung faktisch aus. Denn bei dem Programm wurden ausgerechnet Zuschüsse zum Lebensunterhalt oder Entschädigungen für Verdienstausfall ausgeschlossen. „Gerade das wäre aber nun notwendig“, betonte Koehnen – die Soforthilfen würden „deshalb in der Realität ins Leere laufen.“

„In nahezu allen Wirtschaftsbereichen sehen sich Solo-Selbstständige, Unternehmen und Angehörige der Freien Berufe mit gravierenden, die private Existenz bedrohenden Ausfällen ihres eigenen Einkommens, des sogenannten Unternehmerlohns, konfrontiert“, warnt auch Ver.di Rheinland-Pfalz in einem Appell an Wirtschaftsminister Wissing. Menschen in Musikschulen, Journalismus, Medien, Gestaltung, dem Erwachsenen-Bildungssektor, im Bereich Sport, und nicht zuletzt im gesamten Kultur- und Kunstbereich – sie alle drohten bei den Hilfsprogrammen nun unberücksichtigt zu bleiben.

Denn bei den Selbstständigen werde der „Unternehmerlohn“ eben nicht als „Liquidität“ oder „Betriebsmittelkosten“ veranschlagt, der 100-prozentige Verdienstausfall werde bei ihnen gar nicht berücksichtigt, kritisiert die Gewerkschaft, das Land müsse hier umgehend nachsteuern. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern hat Rheinland-Pfalz auch kein eigenes Zuschussprogramm zur Unterstützung der Wirtschaft aufgelegt. So bot Berlin etwa ein eigenes Hilfsprogramm für seine vielen Freiberufler und kleinen Selbstständigen an, dort durften mit den 5.000 Euro auch die eigenen Lohnausfälle ausgeglichen werden – das Geld für das Unterstützungsprogramm war bereits nach zwei Tagen alle.

Auch Schriftsteller und andere Autoren haben das Nachsehen. - Foto: gik
Auch Schriftsteller und andere Autoren haben das Nachsehen. – Foto: gik

Rheinland-Pfalz bietet hingegen als Zuschuss nur die Bundeshilfen und als eigene Landeshilfe lediglich einen Kredit in Höhe von 10.000 Euro an. Die Kreditvergaben laufen aber über die Hausbanken – und die sperren sich derzeit erheblich gegen jedwede Kreditvergabe. „Die Kriterien für Kredite sind heute die gleichen wie vor der Krise, und zwar für die gesamte Summe“, warnte am Donnerstagabend der Unternehmensberater Walter Kohl in der ZDF-Talkshow „Lanz“. Damit müssten die Unternehmen, die jetzt Kredite beantragten, die gleiche Liquidität und positive Geschäftsentwicklung nachweisen, wie vor der Krise, sagte Kohl, das könne derzeit aber kein Mittelständler. Das Ergebnis: „Die werden keine Kredite bekommen“, warnte Kohl, „es wird zu einem Ausverkauf des Mittelstandes kommen.“

Das Problem betrifft kleine Unternehmen aber noch einmal schlimmer – wie sollen sie eine positive Gewinnerwartung für die kommenden Monate nachweisen, wenn niemand weiß, wann Theater wieder öffnen und Konzerte wieder gespielt werden können? Der Staats hatte nach der Finanzkrise 2008 die Bedingungen für Kreditvergaben erheblich verschärft, seither ist es für Freiberufler schier unmöglich, Kredite zu erhalten – die Banken verlangen viel zu hohe Sicherheiten. Der Bund sprach zwar nun umfangreiche Bürgschaften in der Coronakrise aus, doch die EU-Richtlinien erlauben nur eine Bürgschaft in Höhe von 90 Prozent – vielen Banken reicht das aber nicht: Für sie sind die 10 Prozent bereits zu viel Eigenrisiko.

Auch Sprayer oder bildende Künstler leben von Aufträgen und Honoraren, die jetzt wegbrechen. - Foto: gik
Auch Sprayer oder andere Künstler leben von Aufträgen und Honoraren – vielfach auf Festivals -, die jetzt wegbrechen. – Foto: gik

Durch Darlehen würden die Liquiditätsengpässe und der fehlende Lebensunterhalt bei den Freiberuflern nicht abgefangen, sondern lediglich aufgeschoben und zudem noch potenziell vergrößert, warnt auch Verdi – hier drohten wichtige Strukturen in den Bereichen Bildung, Medien und Kultur zerschlagen zu werden. Die in diesen Bereichen tätigen Menschen „sollten hier nicht im Regen stehengelassen werden“, die Soforthilfe müsse hier auch dazu dienen, den eigenen Lebensunterhalt finanzieren zu können, ohne auf Hartz-IV angewiesen zu sein, fordert die Gewerkschaft.

Doch das sieht das Land Rheinland-Pfalz anders: „Die Kulturschaffenden in Rheinland-Pfalz sind selbstverständlich bei den neu geschaffenen wirtschaftlichen Hilfen mitbedacht worden“ und erhielten „eine umfassende Unterstützung“, unterstrichen Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Kulturminister Konrad Wolf (beide SPD) am Freitag just noch einmal: „Wir haben die spezifischen Bedürfnisse der Kulturschaffenden im Blick.“ Die bestehenden Regelungen „sichern ihren Lebensunterhalt, ihre Wohnung sowie ihre Betriebsräume wie Ateliers, Werkstätten und Proberäume, sie stärken ihre Liquidität und unterstützen sie bei der Zahlung ihrer laufenden Betriebskosten.“

„Die Hilfen orientieren sich in keinerlei Weise am tatsächlich vorhandenen Lebensumfeld“, berichten hingegen Freiberufler, die versuchten, Anträge zu stellen: Krankenversicherung oder private Rentenversicherung, der private Stromverbrauch oder die Heizkosten, selbst der Internetanschluss kann als Betriebskosten nicht voll geltend gemacht werden – die private Miete ebenfalls nicht.

Das Land verweist dafür auf die Arbeitsagenturen: Für Hilfen zum Lebensunterhalt könne man die Grundsicherung beantragen, „die coronabedingten Leistungen gehen deutlich über die normalerweise im Rahmen der Grundsicherung gewährten Leistungen hinaus und sind deshalb nicht mit der üblichen Grundsicherung gleichzusetzen“, betonte Dreyer explizit.

Auch Gaukler, Feuerschlucker oder Straßenlkünstler wie diese Streetperformancegruppe auf dem Open Ohr, sie alle sind Freiberufler. - Foto: gik
Auch Gaukler, Feuerschlucker oder Straßenlkünstler wie diese Streetperformancegruppe auf dem Open Ohr, sie alle sind Freiberufler. – Foto: gik

Doch das erleben Betroffene anders: „Wir kommen gar nicht in den Hartz IV-Satz rein, denn das Gehalt meiner Frau wird voll angerechnet“, berichtete ein Freiberufler. Und das Gehalt der Frau sei für die Arbeitsagentur viel zu hoch – trotz Kurzarbeit. Und auch im Hartz IV-Satz werden weder Stromkosten noch Internet berücksichtigt, Sozialverbände kritisieren das seit Jahren. All diese Kosten laufen aber ja weiter – wovon die Freiberufler und kleinen Selbstständigen sie decken sollen – sie wissen es nicht.

„Bleibt nur Hartz IV für die Musik“, fragt auch der Landesmusikrat Rheinland-Pfalz, und kritisiert: Da es in Rheinland-Pfalz kein eigenes Programm zur Unterstützung freier Kulturschaffender gebe, sei die einzige Hilfestellung das Corono-Soforthilfe-Programm des Bundes. Und dabei könnten eben nur laufende Betriebskosten, nicht aber die Einnahme-Ausfälle geltend gemacht werden, die aber die existenzielle Basis dieser Berufsgruppe seien. Diese Menschen nun alle die Grundsicherung zu schicken, zeige eine „fehlende Wertschätzung für tausende Menschen in Rheinland-Pfalz“, der „dringend Einhalt geboten werden“ müsse.

„Die Haltung der Landesregierung, diese Berufsgruppe auf Hartz 4 zu verweisen, ist ein Schlag ins Gesicht eines jeden Freiberuflers“, schimpft Landesmusikrats-Präsident Peter Stieber. Ohne die vielen Honorarkräfte an Musikschulen, ohne selbständigen Musiker, Bands, DJs, Ensembles, Dirigenten und vielen mehr „wäre unser Land musikkulturell nicht nur ärmer, sondern arm.“

Brandbrief von sieben Kulturverbänden zu Nachbesserungen bei den Soforthilfen. - Foto: gik
Brandbrief von sieben Kulturverbänden zu Nachbesserungen bei den Soforthilfen. – Foto: gik

„Wir bitten bei den Soforthilfen dringend um Nachbesserung“, fordert deshalb inzwischen auch ein Bündnis von sieben Kulturverbänden in einem Offenen Brief an Minister Wissing, der dieser Zeitung vorliegt: Die ausschließliche Bemessungsgrundlage anhand der Betriebskosten greife zu kurz, der Verweis auf die Grundsicherung „sendet ein verheerendes Signal in eine Kulturszene, die gerade in einem Flächenland wie Rheinland-Pfalz dringend gebraucht wird.“

Den Brief unterzeichneten der Landesmusikrat, der Berufsverband Bildender Künstler, der Bund Deutscher Kunsterzieher, der Museumsverband, der Verband Deutscher Schriftsteller, der Landesverband professioneller freier Theater und die LAG Soziokultur und Kulturpädagogik.

Info& auf Mainz&: Mainz& hat schon am 31. März über das Problem der nicht helfenden Soforthilfen berichtet – unseren Bericht dazu könnt Ihr hier noch einmal nachlesen. Update: Das Thema entwickelt sich derzeit rasant weiter – leider nur mit immer neuen Beschwerden und Brandbriefen, wo die Hilfen überall nicht ankommen. Bitte beachtet dazu auch diesen Artikel bei Mainz&: „Unternehmer zweiter Klasse“.

Kommentar& auf Mainz&:

Die Hilfen sind ein Witz – und aus Witz wird Wut

Was hatte die Politik doch das Blaue vom Himmel versprochen: Niemand werde im Regen stehen gelassen, Geld spiele keine Rolle. Man packe das „ganz große Besteck“ aus, jedem, der unverschuldet in Not geraten sei, werde geholfen. Und nun? Die Versprechungen sind keine zwei Wochen alt, da stellt sich heraus: Es waren leere Worte.

Ihr wollt künftig noch einen Fotografen auf der Hochzeit haben? Dem coolen Jammer im Pub lauschen? Kurse in der Volkshochschule besuchen? Vergesst es. Die Politik lässt gerade erbarmungslos alle die durchs Raster der Hilfspakete fallen, die mit hohem Einsatz und sehr viel Idealismus Tag für Tag ihrem Job nachgehen. Die für Entspannung und Freude sorgen. Für Kommunikation und Bildung. Für Aufklärung, Hörerlebnis, Spiel und Spaß – die fünf Millionen Solo-Selbstständigen und Freiberufler, sie werden im Regen stehen gelassen.

Die Wut wächst, und sie kann zur Welle werden - denn das Boot der vielen Freien sinkt. - Foto: gik
Die Wut wächst, und sie kann zur Welle werden – denn das Boot der vielen Freien sinkt. – Foto: gik

Dabei wäre es doch so einfach gewesen: Warum zahlt der Bund die 9.000 Euro nicht einfach pauschal und bedingungslos an jeden aus, der nachweisen kann, dass er durch den Shutdown in der Coronapandemie ohne Einkommen dasteht? Wo wäre denn das Problem – abgerechnet wird doch ohnehin später bei der Steuererklärung! Dann würde auch auffallen, ob jemand die Hilfen unrechtmäßig einstrich, und wer danach ein grandioses Jahr hinlegt, fein: zahlt er halt mehr Steuern zurück. Noch einmal: Wo wäre das Problem? Warum diese völlig unsinnige Begrenzung auf „Betriebskosten“?

Das kann nur Leuten einfallen, die nur in großen Unternehmensbilanzen denken – denn dort ist das Gehalt des CEO oder des Firmenchefs Teil der Betriebskosten. Nicht so bei Ein-Mann-Betrieben, Freiberuflern, kleinen Selbstständigen. Dort funktioniert die Rechnung völlig anders, dort ist das Honorar der Topf, aus dem Leben und Beruf finanziert werden – und zwar in dieser Reihenfolge. „Die wissen da oben überhaupt nicht, wie unser Leben funktioniert, welchen Einsatz wir bringen, und wie wir rechnen“, sagte uns ein Freiberufler in einem der vielen Gesprächen der vergangenen Tage. Es ist so wahr.

Die Soforthilfen des Bundes helfen vielleicht dem kleinen Handwerker, aber sie werden keinen einzigen Künstler, Freiberufler oder Solo-Selbstständigen retten. „Sollen sie doch Hartz IV beantragen“, sagte der Staat nur – das ist ist eine Ohrfeige und eine Unverschämtheit. So viel ist die engagierte Arbeit der Solo-Selbstständigen und Freiberufler also dem Staat Wert. Dazu lehnen die Arbeitsagenturen viele, die anklopfen, sowieso gleich mal ab – geprüft wird nämlich nach den alten Regeln. Und wie sollen in den nächsten Monaten nun Mieten, Telefonkosten, Strom und der Lebensunterhalt finanziert werden?

Die Politik macht seit Wochen einen unglaublichen Job, das steht außer Frage. Noch nie sind Hilfsprogramme so schnell aufgelegt worden, noch nie war dieses Land so flexibel und kompromisslos bereit zu helfen. Doch jetzt gilt es, den Worten auch Taten folgen zu lassen. Bessert die Politik hier nicht sofort nach, mit bedingungslosen Hilfen – dann droht eine Katastrophe. Millionen von Privatinsolvenzen, eine völlige Zerschlagung der Kulturlandschaft, ein Wegbrechen von Dienstleistungen, Bildungsangeboten, Sportprogrammen und und und.

Die Hilfen, wie sie jetzt sind, sie sind ein Witz. Wenn die Politik vermeiden will, dass dieser Witz in Wut umschlägt, gibt es nur einen Ausweg: Nachbessern. Sofort.

 

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