Die Stadt Mainz hat am Freitagabend wie angekündigt die Rheinwiesen am Winterhafen, aber auch die Freifläche am Fort Malakoff nachdrücklich räumen lassen, im Einsatz waren Ordnungsamt, THW, aber auch rund 30 Polizeibeamte und ein Boot der Wasserschutzpolizei. Versammelt hatte sich eine ruhige Menge von wenigen Hundert Personen, die vor allem auf den Treppen vor dem Hyatt-Hotel saßen. Pünktlich um Mitternacht wurden sie zum Gehen aufgefordert, viele zeigten sich enttäuscht – ein Touristenpaar aus Hamburg war regelrecht entsetzt. „Das ist völlig überzogen“, sagte ein junger Mainzer, „das Mainz-Gefühl gibt es nicht mehr.“

Die Mainzer Polizei räumt mit Großaufgebot samt Polizeiboot auf dem Rhein die Terrassen am Fort Malakoff. - Foto: gik
Die Mainzer Polizei räumt mit Großaufgebot samt Polizeiboot auf dem Rhein die Terrassen am Fort Malakoff. – Foto: gik

Kurz vor Mitternacht am Fort Malakoff, es ist Freitagabend, und auf den Treppenstufen zum Rhein sitzt eine größere Menge Menschen, meist jüngeren Alters. Man schwätzt, man trinkt gemeinsam Bier oder Sekt, sitzt zu zweit oder in kleinen Gruppen. Die Stimmung ist friedlich, der Geräuschpegel gering – grölende Jugendliche oder laute Bumm-Bumm-Musik sucht man vergeblich. Da dröhnt auf einmal scheppernde Musik aus dem Lautsprecherwagen: „Liebe Besucher“, verkündet die Ansage: „Mittlerweile ist es fast Mitternacht, und es gibt Leute, die um diese Uhrzeit schlafen möchten. Deshalb bitten wir Euch jetzt, um 24.00 Uhr, den Bereich Winterhafen zu verlassen.“

Am Donnerstag hatte die Stadt Mainz überraschend angekündigt, gegen partymachende Jugendliche im Bereich des Winterhafens nicht nur mit Kontrollen von Polizei und Ordnungsamt vorgehen zu wollen, sondern mit deutlich rigideren Maßnahmen: Ab Mitternacht werde man mit grellem Scheinwerferlicht und Lautsprecherdurchsagen zum Verlassen der Rheinwiesen auffordern, teilte die Stadt Mainz mit. Es gebe Beschwerden von Anwohnern entlang des gesamten Rheinufers vom Winterhafen bis zum Zollhafen wegen Ruhestörungen, begründete Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) die drastischen Maßnahmen: „Spielregeln und Grenzen sind zu akzeptieren und der Bogen darf nicht überspannt werden, wie dies teils schon durch Lärm und Müll geschehen ist.“

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Terrasse am Fort Malakoff mit Treppenstufen zum Rhein: Friedliches Stadtflair. - Foto: gik
Terrasse am Fort Malakoff mit Treppenstufen zum Rhein: Friedliches Stadtflair. – Foto: gik

An diesem Abend ist von lauter Party oder gar „Ballermann“-Atmosphäre“ nichts zu spüren. Die Wiesen am Rheinufer sind leer, die Gewitter des Tages haben die Rasenflächen durchfeuchtet, hier sitzt heute niemand. 200, vielleicht 300 Menschen haben sich auf den Treppenstufen am Hyatt-Hotel eingefunden, sie reden, sie lachen, sie genießen den Abend. Drei Mannschaftsbusse mit Polizei sind aufgefahren, rund 30 Polizisten haben sich rund um die Treppen positioniert. Ein Boot der Wasserschutzpolizei fährt vor der Promenade auf und leuchtet mit grellem Licht in die Menge.

Als die Lautsprecherdurchsage verklungen ist, stehen die Gruppen langsam auf, räumen ihre Sachen zusammen und verschwinden allmählich in der Nacht, gut 90 Prozent nehmen ihren Müll dabei mit. „Wir hätten gerne noch was getrunken hier“, sagt ein Mann mittleren Alters seufzend, „es ist warm, wir haben morgen alle frei.“ Aber gut, sagt er noch, wegen Corona habe er Verständnis: „Es waren wirklich viele Menschen hier“, sagte er noch, „und es gibt immer solche und solche“ – Menschen, die sich an die Regeln hielten, und andere.

Räumungsaktion von Stadt Mainz und Ordnungsamt am Freitagabend am Fort Malakoff. - Foto: gik
Räumungsaktion von Stadt Mainz und Ordnungsamt am Freitagabend am Fort Malakoff. – Foto: gik

Doch mit den Corona-Regeln begründet das Mainzer Rechts- und Ordnungsamt die Räumung gar nicht. Nein, Verstöße gegen die Corona-Verordnungen habe er nicht feststellen können, sagte der Leiter des Mainzer Rechtsamtes, Ulrich Helleberg, gegenüber Mainz&, die Gruppen seien nicht zu groß gewesen, Abstände seien eingehalten worden. Rechtsgrundlage für die Räumung seien „die Gefahrenabwehrverordnung und die Grünsatzung“, sagt er: Es gehe „wirklich nicht darum, den Leuten den Spaß zu verderben“, betonte Helleberg, „aber man darf nicht so viel Lärm machen, dass andere nicht schlafen können.“

Inzwischen haben die meisten Gruppen friedlich den Platz verlassen, bis auf ein, zwei Gruppen haben alle ihren Müll mitgenommen. Einige wenige diskutieren noch mit den Polizisten über den Sinn der Räumung – darunter sind auch Ina und Uwe. Die beiden Touristen kommen aus Hamburg, beide sind über 70 und wollen ein schönes Wochenende in Mainz verbringen. „Ich bin enttäuscht“, sagt Uwe, „wir haben beim Hyatt gesessen und wollten noch entspannt einen Drink am Rhein nehmen – und jetzt werden wir hier so vertrieben.“

Hinterlassener Partymüll auf den Treppenstufen am Fort Malakoff am Mainzer Rheinufer - 90 Prozent nahmen ihren Müll aber wieder mit. - Foto: gik
Hinterlassener Partymüll auf den Treppenstufen am Fort Malakoff am Mainzer Rheinufer – 90 Prozent nahmen ihren Müll aber wieder mit. – Foto: gik

Als sie erfahren, dass die Räumung mit Ruhestörung begründet wird, sind sie überrascht: „Hier war doch nix, es war ganz ruhig“, wundert sich seine Frau Ina, „die Leute waren doch sehr diszipliniert, da kann man doch nicht meckern.“ Sie beide seien an Covid-19 erkrankt gewesen, erzählen sie, die Krankheit sei heftig gewesen, noch Wochen danach hätten sie mit Spätfolgen zu kämpfen gehabt. „Ich kann keinen verstehen, der das Virus leichtfertig nimmt“, sagt Uwe. „Wie man hier vertrieben wird, das ist unmöglich“, sagt Ina mit Blick auf den Lautsprecherwagen, „das könnte man wirklich in einem anderen Ton rüberbringen.“ Kopfschüttelnd ziehen sie von dannen. „Mein Eindruck von Mainz“, sagt Uwe noch, „der ist jetzt schon getrübt.“

Zerstreut haben sich inzwischen auch die Gruppen, die vorher auf den Treppenstufen saßen. Einige sind in die Altstadt gezogen, an vielen Ecken verteilt stehen jetzt Gruppen Jugendlicher, die lachen, sich unterhalten, manche sogar pfeifen. „Rheinwiesen, Leute!“, ruft einer im Aufbruch, „da geht es jetzt weiter!“ Tatsächlich verteilen sich nun Gruppen Jugendlicher entlang des gesamten Rheinufers, am Fischtorplatz, am Kaisertor, auf den Wiesen vor der Neustadt – überall finden sich nun feiernde Gruppen, vor dem Schloss wird lauthals gesungen. Das Lauteste an diesem Abend sind allerdings zwei Müllsammler, die mit ihren Karren voller leerer Flaschen laut klirrend über das Kopfsteinpflaster rattern.

Rheinwiesen am Mainzer Winterhafen vergangenen Freitagabend gegen 21.30 Uhr. - Foto: gik
Rheinwiesen am Mainzer Winterhafen vergangenen Freitagabend gegen 21.30 Uhr. – Foto: gik

„Wir überlegen noch, wo wir jetzt hinkönnen“, sagte eine Gruppe junger Männer am Fort Malakoff, „es gibt ja nichts mehr.“ Das Marktfrühstück gebe es nicht, die Clubs sind zu – „das hier war der letzte Ort, wo man hinkonnte“, sagt einer. Studenten sind sie oder junge berufstätige Mainzer, seit Jahren hätten sie sich auf den Wiesen am Winterhafen getroffen, erzählen sie. „Wir kennen das noch, bevor die Häuser hier waren“, sagt der junge Mann, und zeigt auf die Luxusbebauung am Winterhafen, „und jetzt wird man hier vertrieben – und das auch noch vor ’nem Hotel.“ An anderen Stellen habe er ja Verständnis für solche Maßnahmen, betont der junge Mann: „Aber hier? Das ist völlig überzogen.“

Vertrieben werden, unerwünscht sein, das haben sie schon oft erlebt, erzählen sie. Früher hätten sie sich in den Parks in Gonsenheim getroffen, heute stehe da um 22.00 Uhr das Ordnungsamt und vertreibe jeden. Dann feierten sie im „Viva Moguntia“ in der Mainzer Altstadt, auch das habe schließen müssen, weil einzelne Anwohner sich beschwert hätten, „selbst an Tagen, als die Kneipe gar nicht aufhatte“, berichten sie. In Düsseldorf seien sie neulich gewesen, da hätten sie bis morgens um vier Uhr ungestört und entspannt am Rheinufer gesessen. „Wir haben da noch nette Leute kennengelernt“, schwärmt der junge Mann. Die Situation in Mainz, die sei inzwischen nur noch „traurig“, sagt er noch, „das Mainz-Gefühl gibt es nicht mehr.“

Info& auf Mainz&: Die Räumungsaktion um Mitternacht soll auch heute Abend, am Samstag, stattfinden, eine ausführliche Begründung der Stadt Mainz dazu lest Ihr hier bei Mainz&. Mainz& war vor einer Woche mit einer Streife des Mainzer Ordnungsamtes am Winterhafen unterwegs, auch an diesem Abend haben wir weder Randalierer noch Ballermann-Parties erlebt – was genau wir erlebt haben, könnt Ihr hier nachlesen. Unseren Kommentar zu Rheinwiesen, Aufenthaltsflächen und Versäumnissen in der Coronazeit findet Ihr hier, der Kommentar wurde übrigens vor gut einer Woche verfasst. Unser aktueller Kommentar zu der Räumungsaktion hier:

Mainz&-Kommentar: Überzogen

„Mainz lebt auf seinen Plätzen“, schwärmte der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) bei der Einweihung der Südmole im Mainzer Zollhafen – die Fläche mit großzügigen Treppenstufen am Rhein solle zum Verweilen einladen. Die Fläche entstand direkt vor den Fenstern der Anwohner, und man fragte sich unwillkürlich: Was passiert, wenn da tatsächlich Menschen verweilen? Und seltsamerweise nicht stumm da sitzen, sondern sich unterhalten, vielleicht gar lachen? Wenn Gläser klirren und leichte Musik erklingt?

Mit Räumung gegen friedliche Bürger am Rheinufer? Mainz geht massiv gegen Jugendgruppen am Rhein vor. - Foto: gik
Mit Räumung gegen friedliche Bürger am Rheinufer? Mainz geht massiv gegen Jugendgruppen am Rhein vor. – Foto: gik

Was passiert, wenn Mainz tatsächlich mal lebt, kann man nun erleben: Die Stadt Mainz räumt mit grellem Schweinwerferlicht, Lautsprecheransagen und einem Großaufgebot an Polizei einen urbanen Platz, auf dem friedlich sich unterhaltende Menschen einen warmen Sommerabend genießen – und das keineswegs dicht vor einer Wohnbebauung. Mag sein, dass hier vor ein paar Wochen Ballermann-Atmosphäre herrschte mit lauter Musik und Partystimmung – ich war in den vergangenen zwei Wochen mehrfach da unten am Rheinufer unterwegs, immer um Mitternacht herum: Von Remmidemmi war weit und breit nichts zu sehen und zu hören.

Ganz offensichtlich hat man es bei der Stadt mit Hilfe der Polizei ja geschafft, die Auswüchse weitgehend in den Griff zu bekommen – wozu also dann jetzt diese völlig unverhältnismäßige Aktion? „Eine Machtdemonstration“, hat es ein junger Mann gestern Abend genannt – genau so wirkte das auch. Das aber wirft die Frage auf: Was ist das für eine Stadt, die gegen völlig friedliche Einwohner, die einen lauen Sommerabend genießen wollen, derart vorgeht? Wem genau gehört diese Stadt?

Polizeiaufgebot am Mainzer Winterhafen am Freitagnacht. - Foto: gik
Polizeiaufgebot am Mainzer Winterhafen am Freitagnacht. – Foto: gik

Wohlgemerkt: Hier geht es um friedliche Mainzer, die keine Randale machen, niemanden stören, sondern lediglich einen schönen Abend mit Freunden verbringen wollen. Ist deren Recht auf Rhein, auf Erholung und Entspannung, auf geselliges Miteinander weniger Wert? Was rechtfertigt, diese Menschen mit Polizeimacht zu vertreiben, wenn sie niemanden stören? In Mainz gab es keinerlei Randale à la Opernplatz, keine Ausschreitungen wie in Stuttgart, lediglich Gruppen junger Mainzer, die nach harten Coronawochen Luft, Ausgang und nächtliches Vergnügen suchen – wie unerwartet…

Mainz rühmt sich, eine Großstadt zu sein, urbanes Leben aber bedeutet, dass sich des nachts die Bürgersteige eben nicht um 22.00 Uhr hochklappen. Urbanes Leben bedeutet, Stadt, Plätze und Rheinufer bis früh in den Morgen noch entspannt genießen zu können – in Mainz nannte man das mal: Leben und Leben lassen. Das scheint vorbei zu sein: Ja, Rücksicht aufeinander ist wichtig, hier allerdings entsteht der Eindruck – Rücksicht nehmen müssen nur die einen.

Die Wiese am Winterhafen ist seit Jahrzehnten einer der wichtigsten Treffpunkte junger Menschen – lange, bevor man dort Luxusappartments hochzog. Auf die daraus resultierenden Probleme und Konflikte reagiert die Stadt Mainz auf genau eine Art: Vertreiben, verbieten – und nun auch noch räumen. Welches Bild hinterlässt eine solche Stadt bei ihren Bürgern? Die auswärtigen Touristen jedenfalls reagierten entsetzt – ihr Mainz-Bild ist erheblich getrübt, die Lust auf einen Drink am Rhein dürfte ihnen nachhaltig vergangen sein. Eine ausufernde Ballermann-Party hätte jede harte Reaktion gerechtfertigt – aber das hier? Miteinander, Zusammenhalt, Flair – kurz: Mainz-Gefühl, war da mal was?

 

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