Der Polizeieinsatz in Ingelheim vergangenen Samstag gegen linke Demonstranten schlägt hohe Wellen: Immer mehr Teilnehmer bestätigen inzwischen das harte Vorgehen der Polizeikräfte. „Die Eskalation ging definitiv von der Polizei aus“, berichtet etwa Tim Dreyer von der hessischen Linken: „Wir haben drei Stunden lang in einem Polizeikessel gesessen, immer wieder gab es Angriffe mit Schlagstöcken und Pfefferspray.“ Grüne und Linkspartei fordern nun Aufklärung: Die Demonstrationen in Ingelheim seien immer friedlich gewesen, der Einsatz werfe Fragen auf. Eine Arbeitsgruppe der Mainzer Polizei soll nun aufklären.

Der Polizeieinsatz am Samstag gegen linke Gegendemonstranten eines rechten Aufmarschs stößt auf erhebliche Kritik. - Screenshot: gik
Der Polizeieinsatz am Samstag gegen linke Gegendemonstranten eines rechten Aufmarschs stößt auf erhebliche Kritik. – Screenshot: gik

Am Samstag hatten sich nach Angaben der Mainzer Polizei rund 400 Demonstranten aus dem linken Spektrum zu einer Gegendemonstration gegen den Aufmarsch einer rechten Gruppierung in Ingelheim eingefunden. Schon im Bahnhof Ingelheim sei es von 150 bis 170 Personen zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Die Demonstranten hätten „versucht, zu dem Aufstellort der Kundgebung der Rechten zu gelangen“, die Polizei habe „kurzzeitig auch Schlagstock und Pfefferspray eingesetzt“, um das zu verhindern. Die Demonstranten seien daraufhin zu ihrer Kundgebungsörtlichkeit, dem Kreisel am Ingelheimer Bahnhof, geleitet worden, man habe das Versammlungsrecht gewährleistet.

Dem widersprachen am Sonntag vehement mehrere linke Gruppierungen und reihenweise Augenzeugen, die Anmelder der Demonstration sowie eine ehrenamtlich tätige Sanitätsgruppe. Sie alle werfen der Polizei einhellig unverhältnismäßig brutales Vorgehen gegen die linken Demonstranten vor, von 116 Verletzten berichtete die Sanitätsgruppe, deshalb „eine hohe Zahl von Panikattacken“ wegen „der Brutalität“ der Einsatzkräfte gegeben.

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Polizeibeamte drängen Demonstranten in einem Tunnel am Ingelheimer Bahnhof zusammen und setzen Pfefferspray ein. - Screenshot: gik
Polizeibeamte drängen Demonstranten in einem Tunnel am Ingelheimer Bahnhof zusammen und setzen Pfefferspray ein. – Screenshot: gik

„Die Eskalation ging definitiv von den Polizeibeamten aus“, betont auch Tim Dreyer, der 27 Jahre alte Soziologe und Mitglied der hessischen Linken war am Samstag nach Ingelheim gekommen, um gegen den Aufmarsch der Rechten zu protestieren. „Wir hatten keine Chance, unserem eigentlichen Demonstrationsziel nachzukommen“, berichtet Dreyer gegenüber Mainz&, „wir fanden uns von Anfang an in einem Kessel.“ Gleich nach ihrer Ankunft am Ingelheimer Bahnhof habe sich die angekommene Gruppe von etwa 150 Personen einem massiven Polizeiaufgebot gegenüber gesehen.

„Wir waren ortsunkundig, es hat aus Kübeln geschüttet, und wir standen auf der falschen Seite des Bahnhofs, der Nordseite“, berichtete Dreyer, „also wollten wir zurück durch die Unterführung auf die Südseite, wo die Gegenkundgebung stattfinden sollte.“ Das sei aber von der Polizei „gewertet worden, als: die versuchen, Polizeiketten zu durchbrechen.“ Die Menge sei daraufhin in einen Tunnel gedrängt worden, „als der Tunnel voll war, haben die von beiden Seiten zugemacht, Helme aufgezogen und sind mit Schlagstöcken da rein“, berichtete Dreyer.

Ein Video auf Twitter zeigt, wie Polizisten Personen in den Tunnel drängen, Quelle im Text. - Screenshot: gik
Ein Video auf Twitter zeigt, wie Polizisten Personen in den Tunnel drängen, Quelle im Text. – Screenshot: gik

Videoaufnahmen von Demonstranten bestätigen diese Darstellung, auch zahlreiche Augenzeugen berichten von der Einsperrung in der Unterführung, die bei vielen ungute Erinnerungen an das Drama bei der „Loveparade“ in Düsseldorf weckte. Ein weiteres Video auf Twitter zeigt, wie Polizisten Personen in die Unterführung drücken. Personen werden auf der Treppe dorthin geschubst. Dreyer berichtete weiter, vom Bahnhof aus habe es „nur den Weg geradewegs in die Absperrung“ am Ingelheimer Kreisel gegeben, offenbar sei „von Anfang an geplant, uns da reinzupferchen“, kritisiert er. Zur Begründung habe es geheißen, die Polizei habe Aktionen von linksradikalen, gewaltbereiten Autonomen aus Frankfurt verhindern wollen. Gewalt gegen Polizeibeamte habe er persönlich nicht gesehen, sagte Dreyer. Auch er selbst lehne solche Gewalt ab.

„Wir haben drei Stunden lang in einem Polizeikessel gesessen, wir waren eingesperrt, das muss man klar so sagen“, berichtete Dreyer weiter, immer wieder habe es Angriffe der Polizeibeamten auf die Menge gegeben. „Es lagen Leute auf dem Boden und wurden von den Sanitätern verarztet“, erzählte er. Als eine Frau sich mit einem Plakat zwecks Sichtschutz davor gestellt habe, „bekam sie einen Faustschlag ins Gesicht.“ Vor allem in der ersten halben Stunde seien die Eingekesselten „massiv mit Pfefferspray angegriffen worden, dass alle Wasservorräte benutzt wurden, um Augen auszuspülen.“ Umstehende von außen hätten dann privat Wasser eingekauft und Einkaufswagen voll Wasserflaschen zu den Eingekesselten gebracht.

Demos gegen rechte Aufmärsche in Mainz verliefen bislang immer friedlich - hier ein Protest gegen ein rechtes Bündnis aus Kandel. - Foto: gik
Demos gegen rechte Aufmärsche in Mainz verliefen bislang immer friedlich – hier ein Protest gegen ein rechtes Bündnis aus Kandel. – Foto: gik

Die Linke im Kreis Mainz-Bingen forderte auf ihrem Parteitag am Samstag umgehend Aufklärung. Den Berichten über Einkesselung und das harte Vorgehen der Polizei müsse „dringend nachgegangen werden“, twitterte auch die Mainzer Bundestagsabgeordnete Tabera Rößner (Grüne): „Die Kundgebungen waren früher dort immer friedlich.“ Das betonte auch die parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen im Mainzer Landtag: „Mich haben zahlreiche Zuschriften erreicht, die das polizeiliche Vorgehen als unverhältnismäßig beschreiben, der Polizeieinsatz in Ingelheim wirft einige Fragen auf“, sagte Landtagsabgeordnete Pia Schellhammer am Montag: „Bislang sind die Demonstrationen in Ingelheim immer friedlich verlaufen, umso mehr irritiert die Eskalation am Wochenende.“

Sie habe sich deshalb in einem Schreiben an Innenminister Roger Lewentz (SPD) gewandt und eine umgehende Aufklärung gefordert. Im Innenministerium hieß es auf Mainz&-Anfrage, der Innenminister habe eine Bericht des Polizeipräsidiums Mainz angefordert. Die Mainzer Polizei teilte am Montag mit, die geäußerte Kritik werde „seitens des Polizeipräsidiums Mainz sehr ernst genommen und ist zentraler Betrachtungsgegenstand der polizeilichen Einsatznachbereitung.“ Das Polizeipräsidium habe eine zentrale Arbeitsgruppe eingerichtet, die nun die Aufklärung möglicher Mängel bei den Abläufen sowie mögliches individuelle Fehler von Polizeibediensteten aufklären solle.

Die Arbeitsgruppe bitte alle Personen, die am Samstag in Ingelheim selbst Beobachtungen gemacht hätten, sich per Mail an das Polizeipräsidium Mainz zu wenden und Fotos oder Videos auf dem Hinweisportal der Polizei Rheinland-Pfalz hochzuladen. Schellhammer betonte hingegen, sie rate Betroffenen, sich mit einer Beschwerde an die unabhängige Polizeibeauftragte des Landes zu wenden. „Wir Grüne haben für diese Stelle – gegen erhebliche Widerstände – gekämpft, damit polizeiliches Handeln reflektiert werden kann und Betroffene eine Anlaufstelle für ihre Kritik haben“, betonte Schellhammer. Es sei wichtig, dass der Polizeieinsatz vom Wochenende auch durch die Polizeibeauftragte nachbereitet werde – die Polizeibeauftragte ist gleichzeitig die Bürgerbeauftragte des Landes, die SPD-Politikerin Barbara Schleicher-Rothemund.

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht zu der Kritik gegen den Polizeieinsatz mit weiteren Details und Quellen sowie dem ausführlichen Polizeibericht lest Ihr hier auf Mainz&. Die Mainzer Polizei bittet um Hinweise unter der Emailadresse ppmainz@polizei.rlp.de, Fotos und Videos können auf dem Hinweisportal https://rlp.hinweisportal.de/ hochgeladen werden. Die ganze Pressemitteilung der Mainzer Polizei vom Montag findet Ihr hier im Internet. Die Bürger- und Polizeibeauftragte des Landes Rheinland-Pfalz findet Ihr hier im Netz mit allen Kontaktdaten.

 

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