„Demokratie wird sooo überschätzt“, sagte Peter Underwutz, jetzt brauche es dringend jemanden, der die Dinge in die Hand nimmt, „das Notwendige tut.“ Die Sau wurde schon überfahren, eine Journalistin stürzt vom Stadtwerke-Hochhaus – es geht um alles oder nichts in Mainz. „Die Macht in dieser Stadt liegt im Stadtwerketurm“, bekräftigt Underwutz, „und die Ruine des Rathauses ist Symbol seiner Machtlosigkeit.“ In ihrem 23. Jahr spielen die Meenzer Drecksäck 2018 „House of Drecksäck“ – und heraus kommen ein sensationeller Eröffnungsfilm, eine heiße Sitzung und tiefböse Anspielungen auf Intrigen, Politik, (Bau-)Gruben und das Mainzer Marktfrühstück. Keine Frage: Der Kampf um die Macht in der Stadt hat begonnen, und die Drecksäck gehören wahrlich nicht zu den Verlierern…

Sensationelle Filmreihe der Meenzer Drecksäck 2018: House of Drecksäck mit Günter Beck und Birgit Schütz. – Foto: gik

„House of Cards“ heißt die überaus erfolgreiche US-Serie rund um das Intrigenspiel der Macht im amerikanischen Washington, die Drecksäck machen daraus in ihrem 23. Jahr „House of Drecksäck“ – ein furioses Intrigenspiel um die Macht in Mainz. Und das kommt nicht nur stilgetreu als dreiteilige Serie daher, sondern auch unglaublich originalgetreu zur Vorlage: Stil, Farben, Dialoge, Settings, alles, wirklich alles spiegelt das US-Vorbild aufs feinste. Der Vorspann ahmt das große US-Vorbild detailgetreu nach, die Kameraeinstellungen folgen ganz dem Zuschnitt auf Gesichter und Settings, a „Asides“ dürfen natürlich nicht fehlen. Und selbst einen Kneipentreff gibt es – es ist natürlich die Mainzer Kultkneipe Andau.

Nur wer sich selbst zum Narren macht, feiert echte Fassenacht, hieß es mal… Isso: Günter Beck. – Foto: gik

Und so entfaltet sich vor den staunenden Augen der Zuschauer im Saal im Haus der Jugend ein wahnwitziges Panorama aus Intrigen, Machtsumpf und Politschach, das den Zuschauer gleichwohl fragen lässt, ob er nicht gerade einen tiefen Blick hinter die Fassaden der Meenzer Handkäsmafia wirft… In „House of Drecksäck“ jedenfalls mutieren Margit und Peter Becker zum Geschwisterpaar Underwutz, das die Macht in Mainz zu übernehmen versucht, obligatorische Affäre mit einer ehrgeizigen Journalistin inklusive. Und so kommt es zu Erpressung und Mord, und nach der Journalistin landet auch die Verkehrsdezernentin erschlagen in einer Baugrube – vor die Straßenbahn konnte sie Underwutz nicht werfen, denn es herrschte mal wieder Schienenersatzverkehr…

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„House of Drecksäck“ spielt munter mit der Mainzer Stadtpolitik, es hagelt Anspielungen und Seitenhiebe auf Baustellen, die Mainzelbahn, das desolate Rathaus und das völlig marode Taubertsbergbad. Dessen Renovierung wird von Peter Underwutz feste sabotiert, und natürlich ist der Gag dabei, dass der im richtigen Leben grüner Bürgermeister und Sportdezernent von Mainz ist und gerade verzweifelt versucht, eben jenes Schwimmbad vor dem Zusammenbruch zu retten. Günter Beck liefert als Peter Underwutz sein Meisterstück als intriganter Strippenzieher, feste unterstützt von einer grandiosen Riege weiterer Laiendarsteller – und so mancher Figur aus dem wahren Mainzer Leben. Fastnacht ist eben, wenn Oberbürgermeister und Verkehrsdezernentin sich selbst spielen in Rollen, die sie gleichzeitig fleißig karikieren.

„Himmel, Arsch und Arne Jacobsen, ICH hab doch das Ding nicht verkommen lassen“, flucht da der OB alias Michael Ebling (SPD) haltlos über das Rathaus. Doppelbödig (mindestens), rasant und unglaublich gut gemacht, übertreffen sich die Drecksäck in ihrem 23. Jahr filmisch um Längen selbst. Überhaupt dreht sich in dieser Kampagne der Alternativfastnachter vieles um Macht, Politik und die Katastrophen in Deutschland und in der Welt – gut so! Die Drecksäck legen den Finger tief in die verschiedenen politischen Wunden – Anzüge spielen dabei erstaunlicherweise eine Hauptrolle – , und kehren damit auch ein Stück weit zu ihren Wurzeln zurück.

Rocken den Saal: die Junggesellinnen vom A-Cappella-Chor. – Foto: gik

Und politische Wunden gab es im vergangenen Jahr ja wahrlich genug: „Alle elf Minuten verliebt sich jemand in eine neue Koalition“, spottet der „Parteishipper“ Joachim Knapp – Deutschland hängt in einer Zeitschleife fest, Murmeltiertag in Berlin… Der Protokoller der Drecksäck kehrt nach einem Jahr Pause zurück und seziert mit feinen Wortspielen den GroKolores der Berliner Politik. Völlig zu Recht erhält er für seinen eher leisen Vortrag die erste Standing Ovation des Abends – und natürlich tanzt gleich mal die große rosa Sau ausgelassen über die Köpfe im Saal.

In der Drecksau-Kapsel zurück zur Erde: Die Laienspielgruppe mit tollen Einfällen und vielen Seitenhieben auf die Stadtpolitik. – Foto: gik

Für den ersten ausgelassenen Höhepunkt sorgt danach der A-Capella-Chor. Der Junggesellinnenabschied im gereiften Alter zieht urkomisch auf der Suche nach dem verschwundenen Marktfrühstück in Mainz und gibt dabei der Stadtpolitik kräftig einiges mit – vor allem in Sachen Luxuswohngebiet Zollhafen. „Es ist vorbei, bye, bye Nordmole“, singen die Damen (und der eine Herr): „Hier ist es nicht schee, Mainzer Szene adé.“ Auch das zum französischen Restaurant mutierte Weinhaus Bluhm kriegt sein Fett weg, die Junggesellinnen irren „schoppenlos durch die Nacht“. Ihr „eisgekühlter Rieslingschoppen“ aber verzückt den Saal so sehr, dass der minutenlang gar nicht mehr aufhören mag zu singen – die Menge tobt fast wie weiland bei Ernst Neger und seiner „Humba“…

Mit verschwundenem Riesling und einem fünf Millionen Liter Depot unter dem Weinhaus Bluhm kämpft auch die Crew der USS Drecksack, deren Weintank – von langer Reise aus den unendlichen Weiten des Alls zurückgekehrt – restlos leer ist. Die großartige Laienspieltruppe um Hermann Junglas landet erstmal in Nordkorea und dann auf Jamaika, bevor sie mit bitterbösen Anspielungen auf die Stadtpolitik gespickt die geschlossene Grenze zu Wiesbaden – Obergrenze: 200 Mann Tageskontingent – überwinden muss. Eine zutiefst närrische Reise in andere Dimensionen mit großartiger Schauspielerei – allen voran Birgit Schütz – und sogar einem tollen Rap zum Schluss.

Melia Pace liest wieder einmal ihrem Vater Günter Beck die Leviten – großartig! – Foto: gik

Apropos Schauspielerei: Zum heimlichen Star reift da gerade der jüngste Drecksack heran. Melia Pace brilliert nicht nur als Assistentin in „House of Drecksäck“, sondern hat auch wieder einmal ihren Vater Günter Beck voll im Griff: “ Du musst ein Arschloch sein, die bestimmen die Welt“, erklärt sie ganz unverblümt ihrem Herrn Vater: „Nichts tut dir leid, das Wort „Ehrlich“ streichst Du am besten komplett aus deinem Wortschatz – und genau das macht einen erfolgreichen Politiker aus.“ Ob die verzweifelte Suche nach einem Redetext beim Kaninchenzüchterverein die Leiden eines Bürgermeisters verarbeiten? „Das Schwein bestimmt das Bewusstsein“, sagt Beck so treffend in einer dieser herrlichen Zwischenmoderationen, in denen er und seine kongeniale Partnerin Birgit Schütz mal als Essig Essenz-Werbeduo, mal als Kleingartenvereinsvorsitzende im Vorbereitungsstress glänzen.

Schattenmann Markus Höffer-Mehlmer kämpft mit närrischen Verschwörungstheorien. – Foto: gik

Das ist großes Kleinkunstkino mit viel hintergründigem Humor, vor allem wenn die Drecksäck mal schnell eine Saalbefragung in Sachen Eintrittskarten starten und der Kommentar dazu lautet: „Ich hätte nicht geglaubt, dass das so ausfällt…“ In Mainz wird jetzt eben alles per Bürgerentscheid geklärt, während der OB das „Partymonster“ gibt, lästern die Drecksäck – Bibelturm und Rathaus lassen grüßen.

Die Steigerung von böse aber heißt auch in diesem Jahr wieder: Prediger. Peter Herbert Eisenhut nimmt wieder einmal kein Blatt vor den Mund und beerdigt mit tiefschwarzem Humor Starkoch Paul Bocuse, Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, Playboy Hugh Hefner und Ex-Kanzler Helmut Kohl. Eisenhut redet Klartext über Trump und Co, besingt „das kranke Hirn vom Bosporus“, den „Verpisser“ von der FDP ebenso wie die versunkene SPD und die für den Endsieg kämpfende AfD… Da tobt der Saal und fordert – nein, nicht die Sau, sondern eine Zugabe. Die kommt mit der „Mainzelbahn nachts um halb eins“ daher, aber die Sau tobt danach natürlich trotzdem durch den Saal.

Bleibt noch der Mann für alle Verschwörungstheorien: Markus Höffer-Mehlmer konspiriert sich durch diabolische Dreiecke und die Vollmondnächte, in denen im alten Weinkeller im Rathaus Alt-OB Jockel Fuchs umgeht – großartig! Mixer Sirius macht auf Zuruf das Omelett, ist aber dummerweise auf Facebook mit dem EKD-Gerät des Hausarztes befreundet… Die rasante Schussfahrt durch verschwörerische Narretei absolviert auch Höffer-Mehlmer – genau – im grauen Anzug, „House of Drecksäck“ lebt ganz fraglos. Und so gebührt es auch dem Eulenspiegeligsten aller Drecksäcke, den wahrsten aller Sätze des Abends zu sagen: „Der größte Feind der Wahrheit ist doch unsere Faulheit.“

Geniale Hausband: Toni, Ernst und die Hämmerle. – Foto: gik

Der schwul-lesbische Chor macht schließlich noch als wunderbare Warnbaken Mainz unsicher, die Texte aber sind leider viel zu oft zu schlecht zu verstehen, sonst würden wir gerne mehr davon hier wiedergeben. In jedem Fall machen die „King of the Roads“ nicht nur ganz Mainz, sondern auch den Altstadt-Ortsvorsteher Brian Huck (Grüne) verrückt, bevor der Spuk zum Glück nach Wiesbaden entschwindet – da werden die Baken demnächst dringend für den Bau der Citybahn gebraucht…

Fast fünf Stunden lang feiern sich die Drecksäck und ihr Publikum so durch die Nacht, und wo andere Vereine musikalische Zwischennummern haben, sorgt hier die Drecksack-Band „Toni, Ernst und die Hämmerle“ rund um Sänger Hans „Ernst“ Becker für echtes Rock-Konzert-Feeling. Bei den fantastischen Musikern mit den umgedichteten Texten bekommt in diesem Jahr unter anderem Martin Schulz den Blues, die SPD geht „down, down, down“, doch die Sau tanzt und der Saal rockt zur Drecksack-Hymne und der ersten Fleischwurst. Und die Drecksäck sind weiter die einzigen in der Mainzer Fastnacht (so weit wir wissen), die ihre Helfer hinter und neben der Bühne mit einem eigenen Helferlied ehren – Hut ab.

Und apropos erste: Das Männerballett der Mainzer Prinzengarde sorgt zwar in diesem Jahr für Begeisterungsstürme im Saal, aber Jungs, wenn Ihr mal sehen wollt, wie Ihr einen Saal wirklich rockt – kommt bei der Männertanzgruppe der Drecksäck vorbei. Die fünf Herren liefern zwei volle Tanz-Choreographien ab, die nach zwanzig Jahren sogar fast synchron sind… eine absolute Kultnummer mit genialer Lightshow und viel sichtbaren Männermuskeln. Und apropos Lightshow: So toll waren die Meenzer Drecksäck lichttechnisch noch nie in Szene gesetzt.

Info& auf Mainz&: Am heutigen Rosenmontag rollen die Meenzer Drecksäck zudem erstmals mit einem Wagen im Rosenmontagszug mit – haltet mal unter Zugnummer 46 Ausschau nach der großen rosa Sau! Das Helferlied der Meenzer Drecksäck sowie das grandiose Männerballett könnt Ihr übrigens auf dem Mainz&-Youtubel-Kanal anschauen – bitte hier entlang. Viel Spaß! Und wie immer kommt hier noch unsere Fotogalerie. Seht es uns nach, dass wir nicht alle Akteure mit Namen nennen – wir wollen gleich noch zum Rosenmontagszug…

 

 

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