KORREKTUR — Die Impfkampagne soll nun endlich Fahrt aufnehmen, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kündigte Anfang der Woche an, Deutschland werde die Impfpriorisierung voraussichtlich im Juni aufheben können. Doch Rheinland-Pfalz schiebt offenbar einen großen Berg an noch ausstehenden Impfungen der Priorisierungsgruppe 2 vor sich her: Rund 280.000 Menschen über 70 Jahren hätten immer noch nicht ihre Erstimpfung erhalten, sagte ein Sprecher der Ministeriums am Mittwoch gegenüber Mainz& – am Donnerstag korrigierte das Land die Zahlen: 100.000 Personen über 70 hätten einen Impftermin, seien aber noch nicht geimpft. Dazu warten aber auch 140.000 Menschen mit Vorerkrankungen der Priogruppe 2 noch immer auf einen Termin und werden voraussichtlich nicht vor Ende Mai eine Impfung erhalten. Gleichzeitig werden Menschen der Priogruppe 3 bereits geimpft – sogar Hessen mit Arbeitsplatz in Mainz.

Wer bekommt die begehrte Corona-Impfung, und wie gerecht geht es dabei noch zu? - Foto: Biontech
Wer bekommt die begehrte Corona-Impfung, und wie gerecht geht es dabei noch zu? – Foto: Biontech

Deutschland hinkt beim Impfen im weltweiten Vergleich weiter hinterher, Experten betonten deshalb wieder und wieder: Jede Impfdose in Arm ist eine gute Impfdose und hilft zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Die Politik hatte jedoch gleichzeitig streng auf eine Priorisierung der besonders gefährdeten Gruppen gesetzt, und sie hatte ein Versprechen abgegeben: Die Priorisierungsreihenfolge solle dafür sorgen, dass es gerecht zugehe – und dass besonders vulnerable Personen vorrangig geimpft werden.

Doch von der Gerechtigkeit in Sachen Impfen ist in Rheinland-Pfalz nicht mehr viel übrig. Am Mittwoch betonte Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) erneut, die Impfreihenfolge der Priorisierung werden eingehalten. „Wir folgen der Bundesimpfordnung“, die Prioritätengruppe 2 werde vor der Priogruppe 3 geimpft, betonte die Ministerin, und versprach erneut ausdrücklich: „Es wird niemand aus der Prio3 vorgezogen.“ Die einzige Ausnahme seien die Lehrer: Rund 20.000 Lehrkräfte an weiterführenden Schulen würden in den ersten beiden Maiwochen geimpft.

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Die Älteren und Gefährdeten zuerst - das sah eigentlich die Impfreihenfolge in Deutschland vor. - Foto: Stadt Wiesbaden
Die Älteren und Gefährdeten zuerst – das sah eigentlich die Impfreihenfolge in Deutschland vor. – Foto: Stadt Wiesbaden

Doch die Realität ist eine völlig andere: Seit Wochen warten Tausende Menschen über 70 Jahren auf ihre Impftermine, gleichzeitig häufen sich Berichte von Menschen der Priorisierungsgruppe 3, die bereits geimpft sind oder binnen Tagen ihre Termine bekamen. Da ist etwa der gesunde ehrenamtliche Feuerwehrmann, der IT-ler in relevanter Infrastruktur, der gesunde 52-jährige Rechtsanwalt oder die Lebensmittelverkäuferin – alle in die Prioritätengruppe 3 eingestuft, alle bereits geimpft. Da ist die junge 20-Jährige, die bereits ihre Spritze erhalten hat, während aber gleichzeitig eine Asthmapatientin Mitte 70 seit Anfang März vergeblich auf ihren Impftermin wartet – ebenso ihr schwerkranker Mann.

Rheinland-Pfalz hatte bereits kurz vor der Landtagswahl Mitte März die Registrierung für die Prioritätengruppe 2 geöffnet deutlich früher als andere Bundesländer. Registrieren konnten sich Menschen zwischen 70 und 79 Jahren sowie Menschen mit schweren Vorerkrankungen – also genau die vulnerable Gruppe, die nach den Senioren über 80 als hochgefährdet und als besonders schützenswert gilt. Doch für die meisten von ihnen tat sich danach – nichts. Sie habe sich am 11. März registriert, und warte jetzt seit sieben Wochen auf ihre Impftermine, schreibt da etwa eine Twitter-Nutzerin, Bekannte hingegen hätten kurz nach ihrer Anmeldung schon einen Termin erhalten.

Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) auf einer Pressekonferenz im April. - Foto: gik
Gesundheitsministerin Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) auf einer Pressekonferenz im April. – Foto: gik

Anfang April dann hatte Bätzing-Lichtenthäler verkündet, spätestens bis Mitte Mai seien die Impfungen der Priogruppe 2 abgeschlossen – Rheinland-Pfalz öffnete zu diesem Zeitpunkt bereits die Registrierung für die Prioritätengruppe 3, damit konnten sich ab dann auch Menschen zwischen 60 und 69 für eine Impfung anmelden, das waren weitere 500.000 Personen. Seither wurden bereits Tausende Menschen über 60 Jahre in Rheinland-Pfalz geimpft – während die Klagen von Menschen über 70, die noch immer vergeblich auf eine Impftermin warteten, nicht abreißen. Auch Menschen mit schweren Vorerkrankungen der Prio2 wunderten sich nicht wenig: Auch bei ihnen kamen einfach kaum Impftermine an.

Am Dienstag hieß es nun am Rande der Pressekonferenz von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zum Impfgipfel, „alle Registrierten der Priogruppe 2“ würden noch in dieser Woche ihren Impftermin zugeschickt bekommen – die Landesregierung selbst verbreitete diese Aussage selbst über Twitter auf ihrem Twitteraccount „@rlpnews“, noch während der Pressekonferenz. Die Aussage wurde seit Tagen mehrfach von Seiten des Landes in den sozialen Netzwerken wiederholt, auch auf Facebook, am 21. April etwa twitterte „@rlpnews“ einer Userin: „Alle bereits registrierten Personen aus der Priogruppe 2 sollen bis Mitte Mai ihre Erstimpfung erhalten haben, hierzu zählen auch die Kontaktpersonen.“ Auch am Dienstag hieß es dann wörtlich: „Bereits registrierte Personen aus der Priogruppe 2 sollten diese Woche ihre Terminzusage erhalten.“

Tweet der Landesregierung auf @rlpnews zu Impfungen der Priogruppe 2 am 27.04.2021. - Screenshot: gik
Tweet der Landesregierung auf @rlpnews zu Impfungen der Priogruppe 2 am 27.04.2021. – Screenshot: gik

Doch am Mittwoch hieß es nun auf einmal: Nein, gemeint gewesen sei nicht die gesamte Priogruppe 2 – sondern nur die über 70-Jährigen. Diese sollten diese Woche ihren Impftermin erhalten, das Ziel sei weiter, die über 70-Jährigen bis Mitte Mai einmal geimpft zu haben. Allerdings würden nun registrierte Lehrkräfte der weiterführenden Schulen bevorzugt geimpft, schrieb @rlpnews weiter – damit erhalten rund 20.000 Menschen bevorzugt einen Impftermin. Der Grund: Die Lehrer müssen nun in den Schulen die Corona-Tests mit den Schülern durchführen, wegen des erhöhten Risikos würden sie nun vorrangig geimpft, heißt es beim Land weiter.

Damit aber verschieben sich die Impftermine der bisher schon Wartenden weiter – und der Stau der verschobenen Termine wächst weiter: Rund 280.000 Menschen über 70 Jahren seien in Rheinland-Pfalz noch immer nicht geimpft, räumte ein Ministeriumssprecher am Mittwoch auf Mainz&-Anfrage ein. Diese Gruppe habe aber zum Großteil nun ihre Impftermine erhalten, rund 11.000 über 70-Jährigen warteten aber noch immer im Terminpool des Landes. Etwa 110.000 Impfstoffdosen bekommt Rheinland-Pfalz derzeit pro Woche, Erstimpfungen könne man aber derzeit nur rund 50.000 pro Woche durchführen, sagte der Ministeriumssprecher weiter – der Rest sind Zweitimpfungen.

Tweets der Landesregierung auf @rlpnews zu Impfungen der Priogruppe 2 am 28.04.2021. - Screenshot: gik
Tweets der Landesregierung auf @rlpnews zu Impfungen der Priogruppe 2 am 28.04.2021. – Screenshot: gik

KORREKTUR: Am Donnerstag korrigierte das Ministerium diese Zahlen jedoch wieder: Gut 170.000 Personen über 70 Jahren hätten bereits ihre Impfung erhalten, gut 100.000 hätten einen Impftermin, seien aber noch nicht geimpft, teilte das Ministerium nun mit. Weitere rund 10.000 Personen über 70 Jahre warten noch auf einen Termin. Stand 27. April habe es in Rheinland-Pfalz insgesamt 1.323.822 Impfungen gegeben, davon hätten mehr als eine Million ihre erste Impfung erhalten, mehr als 300.000 seien zweitgeimpft. Von den mehr als eine Million Erstimpfungen wurden 841.391 über die Wege des Landes durchgeführt, darunter seien auch rund 18.000 Personen der Priogruppe3, das entspreche nur 2,1 Prozent. „Somit wurden über die Wege des Landes etwa 98 Prozent aller Impfungen in den Priogruppen 1 und 2 durchgeführt“, betonte das Land weiter.

Rheinland-Pfalz hatte Anfang des Jahres vor allem auf Erstimpfungen gesetzt und hinkte daraufhin bei den Zweitimpfungen hinterher, nun muss man hier aufholen – das aber geht zulasten derer, die seit Wochen auf einen Impftermin warten. Dazu gehören in der Prio2 zusätzlich zu den – nun neu angegebenen – rund 110.000 Menschen über 70 Jahren auch noch 140.000 Menschen mit schweren Vorerkrankungen, räumte Bätzing-Lichtenthäler am Mittwoch ein, und kündigte an: „Einem Großteil der Gruppe wollen wir noch im Mai ein Impfangebot machen.“ Das aber würde heißen: Einen Impftermin werden diese Personen frühestens Ende Mai, eher wohl im Juni erhalten.

Das Warten auf die rettende Spritze ist für viele Menschen zermürbend. - Foto: BKK Mobil Oil/Sven Hoppe, ©Thinkstock
Das Warten auf die rettende Spritze ist für viele Menschen zermürbend. – Foto: BKK Mobil Oil/Sven Hoppe, ©Thinkstock

„Ich bin sprachlos“, reagierte darauf ein Twitter-Nutzer: „Meine Frau ist Prio2 und schon sieben Wochen registriert – warum muss man denn so mit den Gefühlen und den Hoffnungen der Menschen spielen?“ Man fühle sich als Prio2 „mittlerweile als Mensch zweiter Klasse mir Aussichtlosigkeit auf einen Impftermin“, klagte eine andere Twitter-Nutzerin. Sie und ihr Mann seien 49 und 57 Jahre alt – ihr Mann leide unter einem Gehirntumor, sie selbst sei schwerbehindert. Vor Wochen hätten sie sich bereits registriert, aber Impftermine bis heute keine. Gleichzeitig aber hätten sich Bekannte der Prio 3 – keine Lehrer – am Freitag bei Öffnung der Anmeldung registriert und schon diese Woche ihre Impfung. „Es ist nicht gewollt, U60 der Prio2 zu impfen“, schreibt sie frustriert: „Es ist hoffnungslos. Irgendwann ist die Kraft weg.“

Beim Land Rheinland-Pfalz heißt es zu solchen Schilderungen, das seien „Einzelfälle“, zu denen man so konkret nichts sagen könne. Impfkoordinator Alexander Wilhelm betonte am Mittwoch, die Priorisierungsreihenfolge werde „weiter abgearbeitet, wir wollen noch einmal um Geduld werben.“ Doch die ist offenbar bei vielen aufgebraucht: „Die Prio2 habe gar keine Chance mehr im Mai“, klagte eine Leserin, genau das habe ihr die Impfhotline auch gerade mitgeteilt. Und sie benennt die Ängste, die das auslöst: „Heißt das, wenn im Juni die Priorisierung fällt, die mit Prio2, die übrig sind, dann im großen Pulk sind und somit trotz Prio2 keine vorgezogenen Termine bekommen, sondern wie alle anderen behandelt werden?“

Dazu kommt: in Nachbarländern wie Hessen werden bereits Termine an die Prio3 vergeben, auch Hausärzte in Rheinland-Pfalz impfen bereits die Gruppe Prio3 – während aber immer noch mit rund 250.000 Menschen ein großer Teil der Prio2 ungeimpft ist. „Die Terminvergabe ist abhängig von Impfzentrum, Priorisierung und der Verfügbarkeit des Impfstoffs“, sagte Wilhelm und betonte: „Wir haben ein, wie wir finden, wirklich gut funktionierendes System.“ Es könne aber „zu regionalen Unterschieden kommen.“ So könne in einem Impfzentrum die Gruppe der Prio2 bereits durchgeimpft sein, dann könne man da dann auch mit Prio3 beginnen, woanders sei man vielleicht noch nicht so weit. Bätzing-Lichtenthäler deutete daraufhin an, man überlege nun: „Wenn wir Regionen haben, die noch mehr Prio2 haben, dass wir dort auch mehr Impfstoff hinliefern.“

In Rheinland-Pfalz werden auch Arbeitnehmer aus Hessen geimpft, umgekehrt aber nicht. - Foto: gik
In Rheinland-Pfalz werden auch Arbeitnehmer aus Hessen geimpft, umgekehrt aber nicht. – Foto: gik

Wie die regionalen Unterschiede auch aussehen können, zeigt sich in Mainz: Hier gebe es „eine andere Berufsstruktur“, sagte ein Ministeriumssprecher auf Mainz&-Anfrage, das könne zu Verzögerungen führen. Im Klartext: Mainz als Landeshauptstadt ist der Sitz zahlreicher Sozialorganisationen, deren Mitarbeiter ebenso vorrangig geimpft wurden wie Personen, die mit Flüchtlingen arbeiten oder Klinikpersonal – auch davon hat Mainz mit der großen Universitätsmedizin sowie weiteren Kliniken mehr als andere Regionen. Dazu kommt eines der größten Polizeipräsidien des Landes, auch Polizisten wurden bereits vorrangig geimpft.

Zu der „anderen Berufsstruktur“ gehört aber offenbar auch eine weitere rheinland-pfälzische Besonderheit: Personen der Prio1 und 2 könnten sich in Rheinland-Pfalz auch mit der Adresse des Arbeitgebers registrieren und impfen lassen, auch wenn ihr Wohnsitz außerhalb des Landes liege, bestätigte das Ministerium gegenüber Mainz& – so werden in Rheinland-Pfalz derzeit auch Hessen geimpft. Umgekehrt gelte das aber nicht, berichtete eine Mainz&-Leserin: Als Mainzerin bekomme sie in Hessen auch über ihren Arbeitgeber keinen Impftermin. Wie viele Personen aus anderen Bundesländern man in Rheinland-Pfalz bereits geimpft habe, könne man nicht sagen, hieß es im Ministerium.

Info& auf Mainz&: Mehr zum Impfchaos in Rheinland-Pfalz lest Ihr auch hier auf Mainz&.

Korrektur& auf Mainz&: Nach unserer Berichterstattung hat sich das Mainzer Gesundheitsministerium gemeldet, und uns die (hoffentlich nun) korrekten Zahlen zur Priogruppe2 mitgeteilt. Es bleibt eine Tatsache, dass ein Ministeriumssprecher am Mittwoch gegenüber Mainz& die Zahl der 280.000 nicht-geimpften Ü70-Jährigen herausgab, und diese Zahl auch auf mehrfache Nachfrage hin bestätigte – wir haben sogar noch den genauen Wortlaut des Satzes mit dem Sprecher abgestimmt. Wir haben uns darauf verlassen, dass die Ansage korrekt war, sie war es offenbar aber nicht. Wir haben die uns mitgeteilten korrigierten Zahlen nun im Text eingefügt. Wir berichten weiter.

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