Es war ein bisschen ein mühsamer Termin da am Montagabend: Das rheinland-pfälzische Integrationsministerium informierte am Montagabend über die neue Erstaufnahmeeinrichtung in der alten Kommissbrotbäckerei in der Mainzer Neustadt. Doch viele Informationen mussten sich die Teilnehmer recht mühsam zusammensammeln. Die Wichtigste: Schon am Freitag kommen die ersten Flüchtlinge. Etwa 140 sollen es werden, sagte nach der Veranstaltung Einrichtungschef Stefan Mollner Mainz& – in der Veranstaltung war von 375 die Rede gewesen. Auch die sollen kommen – wohl bis Jahresende. Wohnen werden sie noch in einem Provisorium.

Screenshot Kommissbrotbäckerei Initiative Kulturbäckerei
Das Gelände der Kommissbrotbäckerei in der Mainzer Neustadt von oben – Foto: Initiative Kulturbäckerei

Das Land hatte vor einigen Wochen völlig überraschend angekündigt, die alte Kommissbrotbäckerei in der Mainzer Neustadt werde zu einer weiteren Erstaufnahme für Flüchtlinge umgerüstete, eine Nebenstelle der Ingelheimer Aufnahmestelle. Das große Gelände mit den vier großen Altbauten direkt gegenüber vom Mainzer Zollhafen gehört der Bundeswehr, die will das alte Militärgelände bis Ende des Jahres räumen – endlich. Die Neustadt wartet seit Jahren auf die Räumung, denn eigentlich sollte die Kommissbrotbäckerei zu einem Kulturzentrum in der Neustadt werden, zur Kulturbäckerei.

Klomann: Kulturbäckerei nicht gestorben

Das sei mit der Erstaufnahmeeinrichtung auch beileibe nicht gestorben, beruhigte Neustadt-Ortsvorsteher Johannes Klomann. Die neue Belegung durch das Land sei sogar gar nicht schlecht, gebe sie doch der Stadt und der Neustadt „Zeit, ganz genau zu überlegen, wie wir weiter vorgehen“, sagte Klomann. Denn die Stadt wäre derzeit auf eine Übernahme der Kommissbrotbäckerei wohl gar nicht vorbereitet.

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Dass sich allerdings das Land die alten Gebäude als Flüchtlingsunterkunft sicherte, kam für die Stadt völlig überraschend – man hatte selbst ein Auge darauf geworfen. „Wir haben als Stadt schon große Probleme, Kapazitäten zur Unterbringung zu realisieren, die Bäckerei wäre ja auch für die Stadt interessant gewesen“, merkte Karsten Lange, CDU-Mitglied im Ortsbeirat Neustadt, denn auch an. Warum nur, wollte er wissen, „geht das Land in so einen Ballungsraum, der schon genügend Schwierigkeiten hat, Unterbringungsmöglichkeiten zu finden?“

Land nimmt alles, um Zelte räumen zu können

Zelt in Flüchtlingsunterkunft in Gießen - Foto gik
Zelte wie hier in einer Flüchtlingsunterkunft in Gießen sind im Winter wirklich kein Vergnügen – Foto gik

Weil das Land derzeit alles nimmt, was es kriegen kann, machte Integrationsstaatsekretärin Margit Gottstein (Grüne) machte klar: „Wir brauchen Einrichtungen, die mehrere Hundert Menschen fassen können, weil sonst die Versorgung ein ungeheurer Aufwand wäre“, sagte Gottstein. Vorrangiges Ziel des Landes sei „die Vermeidung von Obdachlosigkeit“, es gehe schlicht darum, Menschen unterzubringen. Und da sei „Eile geboten.“

Das Problem des Landes: Noch immer kommen pro Tag Hunderte von Flüchtlingen nach Rheinland-Pfalz, nie reichen die in aller Eile geschaffenen neuen Kapazitäten. Und das Land hatte versprochen, kein Flüchtling müsse den Winter in ungeheizten Zelten verbringen – doch genau so sind noch immer Menschen in Rheinland-Pfalz untergebracht, trotz der zwischenzeitlich eisigen Temperaturen.

Zelt-Flüchtlinge aus Alzey ziehen nach Mainz um

Zu den Ersten, die kommen werden, gehören denn auch rund 70 bis 80 Flüchtlinge aus der Nähe von Alzey, die derzeit in genau solch unbeheizten Zelten schlafen. Etwa 20 von ihnen sind Kinder, das gesamte Camp zieht nun samt Mitarbeiter in die Kommissbrotbäckerei um. „Wir kommen aus einem Zeltbetrieb, das ist für uns und die Bewohner erst einmal sehr komfortabel“, machte Frank Panschar, Geschäftsführer des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Mainz-Bingen klar, und schwärmte: „Sanitärräume, ein Dach über’m Kopf, so viele Lagerräume, das ist dort wirklich großzügig.“

Betten in Schlafkabine in Turnhalle
Betten in einer Schlafkabine in der Notunterkunft der Stadt Mainz in der Turnhalle der Peter-Jordan-Schule – Foto: gik

Luxuriös darf man sich die Unterbringung deshalb aber nicht vorstellen: Die Menschen werden in Gruppen von 15 Personen in dem weitläufigen Gebäude untergebracht, ihre Quartiere sind wohl nicht durch Türen abgegrenzt, eher durch Raum. Bis zu 800 Flüchtlinge sollen hier insgesamt untergebracht werden können, dafür muss allerdings erst die Bundeswehr noch komplett ausziehen.

Sanitärcontainer im Hof, Großküche von Boehringer kocht

Ja, räumte Panschar ein, es müsse auch noch ein wenig umgebaut werden, das halte sich aber in Grenzen. 5 bis 6 Duschen seien da, dazu 7 bis 8 Toiletten, zusätzliche Sanitäreinrichtungen müssten noch gebaut werden. Für die ersten Wochen werde es noch zusätzliche Sanitärcontainer mit Toilettenräumen, Waschräumen und Duschen geben. Küchen wird es wohl erst einmal nicht geben, die Flüchtlinge per Caterer versorgt. „Im Moment hilft uns die Firma Boehringer Ingelheim mit ihrer Großküche aus und kocht für uns“, sagte Panschar. Das Land hat einen landesweiten Cateringbetrieb für alle Flüchtlingsunterkünfte gerade ausgeschrieben.

Ob man denn nicht den Caterer der Stadt Mainz für deren Unterkünfte nehmen könnte, fragte Mainz&? „Könnte man auch machen“, sagte Panschar etwas überrascht – und offenbarte damit das Dilemma des Abends: Die ganze Veranstaltung mit ihren Verantwortlichen wirkte so, als hätte man von den Mainzer Gegebenheiten wenig Ahnung und hätte sich auch gar nicht erst groß erkundigt.

Neustadtbewohner mahnen bessere Informationen an

„Wer koordiniert denn die Ehrenamtlichen? Brauchen Sie Spenden? Betreuung?“, fragte ein Neustadtbewohner. „Für die Tagesstruktur ist eine ehrenamtliche Struktur unabdingbar“, lautete Panschars Antwort, am Anfang werde es aber „noch ganz viele Kleinigkeiten geben, die noch nicht rund sind.“ Und wenn Ehrenamtliche kämen, „sind wir Anfang noch struwwelig“, sagte Panschar.

Mainzer Neustadt mit Stadtwerke-Hochhaus - Foto: gik
Blick über die Mainzer Neustadt, hinter dem Stadtwerke-Hochhaus rechts ist der Zollhafen, dort ist ungefähr auch die Kommissbrotbäckerei – Foto: gik

„Ganz wichtig ist eine gute Informationspolitik“, mahnte der Neustadtbewohner daraufhin an, eine Anlaufstelle, am besten im Internet, sei wichtig. „In der Neustadt wollen sicher viele helfen, auch mit Zeitspenden“, betonte er. Man habe versucht, das vorzubereiten, lautete die Antwort, Kontakt zur Flüchtlingshilfe aufgenommen, bisher seien „die Erfahrungen sehr positiv.“

Land: Erst mal ankommen, Integration später

In seiner Forschungsarbeit über innerstädtische Leerstände habe sich gezeigt, „dass wir gemischte Orte brauchen“, berichtete ein gerade promovierender Geograph, ob es denn Werkstätten geben werde für Malen oder Fahrräder reparieren? „Wir sind in der Erstaufnahmeeinrichtung in einer relativ kurzen Übergangssituation, die Menschen bleiben in der Regel 6 bis 8 Wochen“, entgegenete ihm Gottstein: „Sie müssen mit einer hohen Fluktuation rechnen.“

Das Land sei erst einmal darauf angewiesen, „den Menschen dort das Ankommen zu erleichtern“, betonte die Staatssekretärin. Einbindung, Integration, das sei dann eher Aufgabe der Kommunen, wo die Flüchtlinge dauerhaft blieben. Aber gebe es denn Sprachkurse? Lagerräume für Spenden? hakten andere Teilnehmer nach. Ob denn Freiwillige für Essensausgabe, Kleiderausgabe, oder „Stadt zeigen“ benötigt würden, fragte der Behindertenbeauftragte des Landes, Matthias Rösch – die Verwirrung blieb groß.

Kleiderspenden für Flüchtlinge beim ASB - Foto Flüchtlingshilfe Mainz
Kleiderspenden für Flüchtlinge beim Arbeiter Samariter Bund ASB – Foto Flüchtlingshilfe Mainz

So berichtete Ulla Brede-Hofmann, Ex-Landtagsabgeordnete und inzwischen Ehrenamts-Koordinatorin bei den Maltesern, von einer neuen Einrichtung: Eine gemeinsame Kleiderkammer für alle Mainzer Flüchtlingseinrichtungen werde derzeit aufgebaut, es sei doch sinnvoll, sich hier zu vernetzen, mahnte sie. Die Mainzer Pläne sollen kommende Woche vorgestellt werden, das Land blieb seltsam distanziert.

Betreuungsräume, Fahrradwerkstatt – Ehrenamtliche Willkommen

„Wir werden von Anfang an Betreuungsräume für Kinder haben“, verriet schließlich Panschar, es werde ärztliche Sprechstunden und Sprechstunden des Gesundheitsamtes geben, auch eine sozialpädagogische Betreuung mit Sprachkursen. Und ja, auch eine Fahrradwerkstatt werde es geben, sagte Panschar dann irgendwann später – warum diese Pläne nicht strukturiert und klar für alle präsentiert wurden, blieb ein Rätsel.

So sagte Panschar zwar in der Veranstaltung, ein Sozialpädagoge werde wohl für mehr als 100 Menschen zuständig sein. Hinterher aber verriet er auf Mainz&-Nachfrage noch, 20 bis 25 Hauptamtliche würden auf 10 bis 12 Vollzeitstellen des DRK in der Kommissbrotbäckerei arbeiten. Und auch was die Ehrenamtlichen angehe, „wir haben da alle Kanäle offen“, versicherte Panschar Mainz& – nach der Veranstaltung.

„Schlecht kommuniziert“, „wenig Plakate“ – wenig Besucher

Synagoge Mainz
Polizei schützt ab 1. Dezember gefährdete Gebäude mit Sonderstreifen – auch die Mainzer Synagoge – Foto: gik

„Das war alles sehr schlecht kommuniziert“, ärgerte sich denn auch ein direkter Anwohner der Kommissbrotbäckerei über die Informationspolitik. Für die Veranstaltung am Montagabend sei mit wenigen, kleinen Plakaten geworben worden, „das war zu wenig“, kritisierte er. Auch Informationen im Internet am Veranstaltungstag – Fehlanzeige. „Das ist schon ärgerlich, sonst wären mehr Beteiligte hier, um sich zu informieren“, kritisierte der Neustadtbewohner. Tatsächlich war die Mensa des Frauenlob-Gymnasiums nur mäßig gefüllt.

Der Zugang zum Gelände wird übrigens streng geregelt sein mit Berechtigtenlisten und Security, wer rein will, braucht eine Berechtigung der Behörden. Gottstein versicherte zudem, das Land durchleuchte inzwischen alle Security-Mitarbeiter in Flüchtlingscamps auf rechtsextreme Vergangeheit hin – in mehreren Einrichtungen des Landes hatten allen Ernstes Mitarbeiter mit einschlägig rechter Vergangenheit gearbeitet. „Wir machen jetzt eine Abfrage beim Landeskriminalamt, um sicher zu gehen, dass da keine Kontakte in rechtsextreme Kreise vorhanden sind“, betonte die Staatssekretärin.

Polizei-Sonderstreifen schützen ab 1. Dezember gefährderte Objekte

Der Leiter der Polizeiinspektion Mainz in der Neustadt, Martin Kuntze, berichtete zudem, ab dem 1. Dezember gebe es ein neues Raumsicherheitskonzept des Landes, in dessen Zuge rund 250 Polizeibeamte landesweit speziell für den Schutz gefährdeter Objekte eingesetzt würden. Dazu gehörten Synagogen – aber eben auch die Flüchtlingseinrichtungen. Drei Streifen würden ab heute in Mainz rund um die Uhr die gefährdeten Objekte schützen. „Wir müssen sehr viel mehr auf aktuelle Lagen eingehen“, sagte Kuntze.

Auf Nachfrage räumte er ein, ja die Beamten kämen aus dem regulären Streifendienst, seien aber keine Schwächung der Sicherheit – mit ihrer Präsenz seien sie auch gegen Einbrüche ein wirksamer Schutz. Informationen zur Kriminalitätslage rund um Flüchtlingeunterkünfte – die nämlich keineswegs steigt – gab es seltsamerweise nicht.

Plakat Kulturbäckerei
Die Kulturbäckerei für die Neustadt – irgendwann soll sie kommen

Perspektive? Vielleicht zwei bis fünf Jahre

Und dann war da noch der Neustadtbewohner, der grummelte, „wie viele deutsche Kinder wären froh, wenn sie mittags ein bisschen geholfen bekämen.“ Offenbar sei „der neue Slogan, wir helfen den anderen, aber nicht den Eigenen“, ärgerte er sich – es war eine einzelne Stimme im Saal. „Der Sozialstaat geht weiter, da muss keiner Sorge haben“, hielt Ortsvorsteher Klomann dagegen. Die Flüchtlinge stünden zwar im Augenblick im medialen Fokus, aber deshalb arbeiteten die ganz regulären Sozialdienste ja weiter – weggenommen würde niemandem etwas.

Blieb noch die Frage: Wie lange bleibt die Erstaufnahmeeinrichtung denn nun in der Kommissbrotbäckerei? „Ich würde Ihnen gerne ein Datum gehen, ich kann es nicht“, sagte Gottstein offen. An anderen Standorten im Land laute die Perspektive zwei bis fünf Jahre. „Wenn ich wüsste, wie es mit den Flüchtlingen weiter geht, würde ich es ihnen sagen“, fügte sie hinzu. Und verriet Mainz& nach der Veranstaltung: „Natürlich“ bekomme die Neustadt die Kommissbrotbäckerei zurück, irgendwann: „Wir haben nicht vor, das bis in alle Ewigkeit als Landeseinrichtung zu betreiben.“ Beruhigend 😉

Info& auf Mainz&: Informationen zur neuen Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in der Kommissbrotbäckerei in der Mainzer Neustadt im Internet sind noch spärlich. Das Land informiert über seine Flüchtlingspolitik hier, die Seite des DRK in Mainz findet Ihr hier. Wenn Ihr Spenden wollt oder Eure Mitarbeit anbieten, schickt bitte eine Email an unterkunft@drk-mainz.de. Eine Linkseite zum Thema Spenden findet Ihr hier. Am Besten und am Einfachsten wendet Euch mit Eurem Engagement an die Flüchtlingshilfe Mainz, hier findet Ihr Bedarfslisten für Sach- und Zeitspenden sowie weitere Infos.

 

 

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