Schon wieder Personalrochaden bei den Grünen in Rheinland-Pfalz: Die Mainzer Klimaschutzministerin Anne Spiegel (Grüne) soll neue Bundesfamilienministerin in der Berliner Ampel-Koalition werden, das gaben die Grünen in Berlin überraschend am Donnerstagabend bekannt. Ihre Nachfolgerin in Mainz soll nun wiederum ihre Staatssekretärin werden: Katrin Eder, langjährige grüne Verkehrsdezernentin in Mainz und erst im Mai in die Landesregierung gewechselt. Eder habe „Biss, Energie und eine Vision für konsequenten Klima- und Umweltschutz sowie die Modernisierung der Mobilität in Rheinland-Pfalz“, lobte die neue Mainzer Grünen-Vorsitzende Christin Sauer – viele Mainzer haben indes deutlich kritischere Erinnerungen an die Ex-Dezernentin.

Die Mainzer Klimaschutzministerin Anne Spiegel (Grüne) soll neue Bundesfamilienministerin werden. - Foto: Grüne RLP
Die Mainzer Klimaschutzministerin Anne Spiegel (Grüne) soll neue Bundesfamilienministerin werden. – Foto: Grüne RLP

Die Nominierung der Mainzer Ministerin Anne Spiegel für eines der fünf Bundesministerien in der neuen Ampel-Regierung in Berlin kam selbst für Parteifreunde in Rheinland-Pfalz überraschend: Spiegel war ursprünglich gar nicht als Ministerin gesetzt, doch dann brach in Berlin bei den grünen ein Machtkampf um die Ministerposten aus. Statt dem Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter setzte die Partei plötzlich den Baden-Württemberger Cem Özdemir als neuen Bundesagrarminister durch – Özdemir ist jedoch ein Mann und zudem ein Vertreter des Realo-Flügels, das warf die austarierte Arithmetik der Ministerposten über den Haufen.

Die Konsequenz: Die Partei braucht nun plötzlich eine Frau vom Fundi-Flügel, die Wahl fiel auf Anne Spiegel. Die Rheinland-Pfälzerin hatte bereits in den gesamten Koalitionsverhandlungen auf Seiten der Grünen mitgewirkt, und vor allem den Bereich der Familienpolitik maßgeblich mitverhandelt – offenbar gab sie dabei eine politische Visitenkarte ab. Spiegel war von 2016 bis 2021 Ministerin für Familie, Jugend und Integration in Rheinland-Pfalz, die Pfälzerin mit Wurzeln in Italien und schottischem Ehemann hat eine steile Karriere hinter sich: 2011 wurde sie in den Mainzer Landtag gewählt, nur fünf Jahre später Ministerin – mitten in den Folgen der Flüchtlingskrise.

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Anne Spiegel 2020 bei einem Klimakongress. - Foto: Spiegel via Instagram
Anne Spiegel 2020 bei einem Klimakongress. – Foto: Spiegel via Instagram

Spiegel steht dabei für eine dezidiert linke Flüchtlingspolitik, immer wieder forderte sie die Aufnahme von Asylbewerbern, unter anderem nach dem Brand des Flüchtlingslagers Moria in Lesbos. Trotzdem stieß ihre Flüchtlingspolitik auch bei Organisationen aus dem linken Spektrum immer wieder auf scharfe Kritik: Flüchtlingsorganisationen kritisierten sie für Abschiebungen und für Massenunterkünfte für Asylbewerber, die auch in der Corona-Pandemie beibehalten wurden – und mancherorts zu Corona-Hotspots wurden.

Umgekehrt wurde Spiegel mit ihrer eher liberalen Flüchtlingspolitik zur Zielscheibe rechter Extremisten – die Ministerin steht seit 2018 unter Polizeischutz, weil Spiegel sich massiven  Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen ausgesetzt sah. Allerdings warf ihr im Januar 2018 niemand Geringeres als der Präsident des rheinland-pfälzischen Verfassungsgerichtshofs, Lars Brocker, wiederum mangelnden Respekt vor der Autorität der Gerichte und Probleme mit der Gewaltenteilung vor – Spiegel hatte ein Gerichtsurteil zur Abschiebung einer libanesischen Familie schlicht überstimmt.

Wahlplakat der Grünen mit Frontfrau Anne Spiegel. - Foto: Grüne RLP
Wahlplakat der Grünen mit Frontfrau Anne Spiegel. – Foto: Grüne RLP

Ende 2020 übernahm Spiegel dann nach dem Rücktritt von Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) wegen der Affäre um 160 Fälle von rechtswidrigen Beförderungen in ihrem Ministeriums kommissarisch auch das Umweltministerium und trat im März 2021 als Spitzenkandidatin der Grünen bei der Landtagswahl an – die Grünen landeten am Ende mit 9,3 Prozent zwar beim besten Ergebnis ihrer Landesgeschichte, aber dennoch weit unter den Erwartungen.

Spiegel wurde stellvertretende Ministerpräsidentin und Ministerin für Klimaschutz und Umwelt, als Chefin des Landesamtes für Umwelt steht sie nun aber auch im Fokus des Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der Flutkatastrophe im Ahrtal am 14. Juli: Obwohl ihr eigenes Landesamt vor Regenfluten warnte, ließ Spiegel noch am Nachmittag des 14. Juli eine Pressemitteilung verbreiten, in der es hieß, ein Extremhochwasser sei nicht zu erwarten – im oberen Ahrtal versank da bereits ganze Dörfer in den Fluten. Inzwischen hat die Opposition dezidiert Fragen auch zu möglichen Versäumnissen der Ministerin, Spiegel reagierte hochgradig aufgeschreckt, ihre Juristen rieten ihr gar, sich zu dem Thema gar nicht mehr zu äußern – die Opposition protestierte mit Erfolg, weil die Ministerin nicht einmal mehr zu harmlosen Themen im Umweltausschuss Auskunft geben wollte.

Die Wiederöffnung der Spielplätze forderte Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) schon im April 2020 - unter heftiger Kritik der Opposition. - Foto: gik
Die Wiederöffnung der Spielplätze forderte Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) schon im April 2020 – unter heftiger Kritik der Opposition. – Foto: gik

Nun soll Spiegel also im Bund das Familienministerium leiten, die Speyrerin sei „eine hervorragende Wahl“, betonte am Freitag Grünen-Fraktionschef Bernhard Braun, der als langjähriger Förderer der Pfälzerin gilt und ihre Karriere massiv unterstützt hat: „Frau Spiegel brennt für die Familienpolitik, sie hat das in schwierigen Zeitung gut gemacht“, sagte Braun. In der Corona-Pandemie war von der Familienministerin Spiegel zwar monatelang wenig zu sehen, Braun betonte jedoch, Spiegel habe sich in der Mainzer Ampel-Koalition sehr für Maskenpflichten, Impfzentren und Corona-Vorsichtsmaßnahmen eingesetzt – oft gegen den Widerstand der FDP.

Öffentlich setzte sich Spiegel vor allem für eine sehr frühe Wiederöffnung der Spielplätze mitten im Lockdown im April 2020 ein – gegen heftige Kritik der Opposition -, im Sommer 2020 schnürte sie Hilfspakete für Familien, nun soll sie in der neuen Ampel-Koalition die Kindergrundsicherung für die Grünen umsetzen. Zudem habe Spiegel mit die längste Regierungserfahrung in den Reihen der Grünen, „man braucht auch jemanden, der weiß, wie es geht“, unterstrich Braun: Spiegel werde „auch in Berlin bestehen, da bin ich fest von überzeugt.“

Den rheinland-pfälzischen Grünen bescherte das derweil das Problem, so kurz nach der Landtagswahl die zentrale Ministerfunktion in der Mainzer Regierung neu besetzen zu müssen. Zur Wahl hätten dafür auch durchaus langjährige erfahrene Polit-Profis gestanden, etwa der bisherige Grünen-Landeschef und langjährige Bundestagsabgeordnete Josef Winkler oder auch Bernhard Braun selbst: Der Fraktionschef räumte im Gespräch mit Mainz& offen ein, dass auch er gerne Minister geworden wäre. „Ich will keinen Hehl draus machen, es wäre eine schöne Geschichte gewesen“, sagte Braun – jetzt sei es aber anders gekommen.

Von der Dezernentin zur Klimaschutzministerin in nur einem Jahr: die Mainzer Grüne Katrin Eder. - Foto: Grüne Mainz
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Denn der Landesvorstand entschied sich am Freitag für eine Frau, die zudem erneut aus Mainz kommt: Katrin Eder. „Als langjährige Umwelt- und Verkehrsdezernentin in der Landeshauptstadt Mainz und derzeitige Staatssekretärin ist sie inhaltlich wie politisch bestens für diese neue Aufgabe geeignet“, teilte die Partei am Abend mit. Der Vorschlag sie mit dem erweiterten Landesvorstand und der Landtagsfraktion abgestimmt und habe in den Gremien „breite Zustimmung erfahren“ hieß es weiter. Überraschend dabei: damit wären alle beiden Ministerinnen der Grünen in Rheinland-Pfalz Frauen aus Mainz, da das zweite grüne Ministerium von der Mainzerin Katharina Binz geleitet wird. Alle übrigens Regionen gehen leer aus – ein ungewöhnlicher Schritt.

In Mainz ist der Jubel derweil groß: „Wir freuen uns sehr, dass Katrin Eder als neue Klimaschutzministerin für Rheinland-Pfalz das Votum erhalten hat“, sagte die frisch gewählte Mainzer Grünen-Vorsitzende Christin Sauer. Eder bringe „nicht nur eine viel beachtete Bilanz als Umwelt- und Verkehrsdezernentin der Landeshauptstadt Mainz mit, sie hat die Landeshauptstadt geprägt und ist dann nahtlos als Staatssekretärin in einem der größten Ministerien im Land angekommen und hat dort angepackt“, betonte Grünen-Ko-Vorsitzender Jonas König. Eder erfülle „alle Voraussetzungen, um dieses zentrale Ministerium erfolgreich weiterzuführen“, betonten die beiden Kreischefs.

In Mainz hat man derweil eher genmischte Erinnerungen an Eder: 2011 war die gebürtige Mainzerin mit gerade einmal 34 Jahren Dezernentin für Umwelt und Verkehr geworden, als sie im Mai 2021 Staatssekretärin im Klimaschutzministerium wurde, war sie die wohl umstrittenste Dezernentin der Mainzer Stadtgeschichte. Eder wurde mit ihrem konsequenten Eintreten für eine Verkehrswende mit mehr Radverkehr schnell zu einer Reizfigur, bis heute werfen ihr ihre Kritiker eine hochgradig ideologisierte Verkehrspolitik vor. Tatsächlich hat die Landeshauptstadt Mainz bis heute keinen Masterplan in Sachen Verkehr, Park & Ride-Plätze kündigte Eder zwar wiederholt an, umgesetzt wurden sie aber nie. Rheinbrücken erteilte Eder regelmäßig eine Absage, ebenso dem Ausbau der A643 in der Verlängerung der Schiersteiner Brücke.

Eder bei der Eröffnung der Mainzelbahn. - Foto: Eder, Screenshot gik
Eder bei der Eröffnung der Mainzelbahn. – Foto: Eder, Screenshot gik

Als größten Erfolg sah sie selbst stets den Bau der „Mainzelbahn“, doch die Ausdünnung des Busverkehrs zugunsten der Straßenbahnlinie reparierte sie nie, die Endabrechnung samt Kostensteigerung blieb die Dezernentin bis zu ihrem Ausscheiden schuldig. Bis heute vermissen die Mainzer einen attraktiven Ausbau des ÖPNV-Netzes in Mainz, eine Ringlinie, die ihren Namen verträgt, gibt es weiter nicht, die Preise für Busse und Bahnen stiegen mit großer Regelmäßigkeit weiter.

Eder setzte in ihrer Politik ganz auf das Fahrrad, unter ihr stieg der Anteil der regelmäßigen Fahrradnutzer von 12 Prozent auf mehr als 20 Prozent. Eder eröffnete die erste Fahrradstraße von Mainz, etablierte das Mietradelsystem MVGmeinRad und baute neue Fahrradabstellplätze – neue Fahrradwege baute sie nicht. Stattdessen schickte die Dezernentin bis zuletzt Radfahrer konsequent auf die Straße, allen Forderungen nach sicheren Radwegen zum Trotz – Eders Markenzeichen wurde das Herausdrängen der Autos aus der Innenstadt.

Im Frühjahr 2020 setzte sie gar beim Kampf gegen das Dieselfahrverbot Tempo 30 auch auf wichtigen Durchgangsstraßen in Mainz durch – bis heute ein Reizthema: Die Opposition wirft der Dezernentin vor, den Autoverkehr massiv auszubremsen, aber gleichzeitig keine Lösungen für Pendler, Handwerker, Anwohner und Einkaufswillige zu haben. Die Wirtschaft warnt, Mainz schrecke Einkaufswillige aus dem Umland ab und schade so dem Einzelhandel. Legendär ist das Mainzer Baustellenchaos, das unter Eder im Sommer 2017 solche Ausmaße annahm, dass die CDU die Abberufung der Dezernentin forderte – die Mainzer Baustellen-Hindernisläufe waren sogar überregional zur Lachnummer geworden.

Die erste und lange Zeit einzige Fahrradstraße in Mainz, eröffnet im April 2019. - Foto: Eder
Die erste und lange Zeit einzige Fahrradstraße in Mainz, eröffnet im April 2019. – Foto: Eder

Scharfe Kritik gab es auch immer wieder an Eders Umgang mit Bürgerwünschen und Interessen von Anwohnern, die Dezernentin setzte zuletzt Radfahrstraßen und Radwege ohne jede Absprache mit Ortsbeiräten oder Anwohnern durch. Gleichzeitig wirft ihr die CDU-Opposition bis heute vor, mehr Bäume gefällt als gepflanzt zu haben, die ÖDP fordert seit Jahren einen Masterplan gegen die Aufheizung der Innenstadt und mehr Grünflächen – vergeblich.

Eder selbst galt stets als durchsetzungsfähige Kämpferin für ihre Themen, aus ihren Ambitionen auf ein Ministeramt machte sie schon länger kein Geheimnis mehr. Im Herbst 2020 wäre sie gerne bereits nach dem Rücktritt Höfkens in der Beförderungsaffäre ins Ministeramt gewechselt – stattdessen wurde es nach der Landtagswahl der Posten der Staatssekretärin im Klimaschutzministerium. Nun rückt die Mutter von Zwillingen ganz nach oben auf und soll damit die zentralen grünen Kernthemen Umwelt und Verkehrswende verantworten – ruhiger wird das Leben der 45-Jährigen mit Sicherheit nicht.

Die Grüne Personalrochade steht allerdings noch unter dem Vorbehalt der Basis: Spiegels Wechsel nach Berlin ist Teil des Koalitionsvertrags der Berliner Ampel – und darüber muss nun die grüne Basis abstimmen. Die Urabstimmung wurde mit einem Tag Verspätung am Freitag gestartet, zehn Tage Zeit hat die Basis nun für ihr Votum – am 6. Dezember soll die Entscheidung fallen.

Info& auf Mainz&: Mehr zur Bilanz von Katrin Eder als Mainzer Verkehrsdezernentin lest Ihr hier bei Mainz&. Mehr zum Thema Anne Spiegel könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen.

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