Am Donnerstag soll die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung das geplante neue Stadtquartier Ostfeld/Kalkofe auf den Weg bringen, doch den Stadträten sind nach Ansicht von Michael Dirting längst nicht alle Fakten bekannt. Der pensionierte Flugkapitän hat ein Fluglärmgutachten erstellt lassen, das Ergebnis sei eindeutig, sagte Dirting im Interview mit Mainz&: Wegen des Fluglärms des amerikanischen Flugplatzes Erbenheim dürften rund 35 Prozent des Ostfelds gar nicht bebaut werden. Sein Gutachten seien Stadtspitze und Stadtentwicklungsgesellschaft bekannt, sagt Dirting – und auch die Bedenken der US-Streitkräfte.

Das Wiesbadener Ostfeld - umrahmter Bereich - ist ein wichtiges Kaltluftentstehungsgebiet für Wiesbaden und Mainz. - Karte: Ökoplana, Foto: gik
Das Wiesbadener Ostfeld – umrahmter Bereich – ist ein wichtiges Kaltluftentstehungsgebiet für Wiesbaden und Mainz. – Karte: Ökoplana, Foto: gik

Die Stadt Wiesbaden will auf dem Wiesbadener Ostfeld, einer 490 Hektar großen Grün- und Ackerlandfläche zwischen Wiesbaden-Erbenheim, der Bundesstraße B455 und der Deponie Dyckerhoffbruch einen neuen Stadtteil errichten. Rund um die bestehende kleine Siedlung Fort Biehler sollen zwischen 4.000 und 6.000 neue Wohnungen in einem Mix aus Miet- und Eigentumswohnungen entstehen, 8.000 bis 12.000 Menschen sollen hier einmal eine neue Heimat finden.

An dem Vorhaben gibt es jedoch scharfe Kritik, vor allem, weil das Ostfeld das zweitwichtigste Kaltluftentstehungsgebiet der hessischen Landeshauptstadt ist. Doch auch für die Nachbarstadt Mainz ist das Ostfeld von wichtiger klimatischer Bedeutung: Der Kaltluftsee des Ostfeldes speist einen wichtigen Kaltluftstrom, der des Nachts in Richtung Rheinufer fließt und den Stadtteilen Amöneburg, Kastel und Kostheim, aber auch der Mainzer Neustadt und der Mainzer Altstadt wichtige Abkühlung bringt.

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Kaltluftanalyse des Klimaprojektes Klimprax, deutlich sichtbar: der lilafarbene Kaltluftstrom vom Ostfeld Richtung Rhein. - Karte: Klimprax
Kaltluftanalyse des Klimaprojektes Klimprax, deutlich sichtbar: der lilafarbene Kaltluftstrom vom Ostfeld Richtung Rhein. – Karte: Klimprax

Eine Bebauung des Ostfeldes werde gerade für Mainz und die AKK-Gemeinden klimatisch verheerend, warnt deshalb die Bürgerinitiative „Hände weg von Os/Ka“, entlang des Rheinufers könnte das einen Temperaturanstieg von bis zu vier Grad bedeuten. Die Kritik verhallte bislang jedoch ungehört, am 8. September beschloss der Magistrat der Stadt Wiesbaden die Entwicklungssatzung zum städtebaulichen Entwicklungsbereich „Ostfeld“, es ist der offizielle Startschuss für die konkrete Entwicklungsplanung. Stadtentwicklungsdezernent Hans-Martin Kessler (CDU) sprach von einem „Meilenstein“ für die Stadtentwicklung und für den Weg zu einem neuen Stadtteil.

Am Donnerstag soll nun der Wiesbadener Stadtrat die Entwicklungssatzung ebenfalls beschließen, doch den Stadtverordneten würden wichtige Informationen vorenthalten, kritisiert Michael Dirting. Dirting ist ehemaliger Flugkapitän, seit acht Jahren im Ruhestand und lebt im Nordosten Wiesbadens – von der Bebauung des Ostfeldes wäre er selbst unmittelbar gar nicht betroffen. „Mich stört, dass ein Ostfeld so unprofessionell geplant wird“, sagte Dirting im Interview mit Mainz& am Rande einer Veranstaltung im Bürgerhaus Kastel zur Ostfeld-Bebauung. Die Stadt Wiesbaden müsse ein Lärmgutachten zum Flugplatz Erbenheim in Auftrage geben, fordert er – doch genau das sei bisher nicht geschehen.

Luftaufnahme des Flugplatzes Wiesbaden-Erbenheim, oben der Rhein und Mainz. - Foto via Wikipedia von TA Düsseldorf
Luftaufnahme des Flugplatzes Wiesbaden-Erbenheim, oben der Rhein und Mainz. – Foto via Wikipedia von TA Düsseldorf

Dabei hätten die Stadtverordneten selbst am 12. Dezember 2019 die Prüfung von Lärmschutzbereichen entsprechend des Lärmschutzgesetzes für das Airfield Erbenheim gefordert, sagt Dirting – das sei im Übrigen vorgeschrieben: „Es ist ein Lärmgutachten anzufertigen, das ist die Gesetzeslage“, betont Dirting, „es muss ermittelt werden, ob dort Lärmschutzzonen zu errichten sind.“ Der Flugplatz Wiesbaden-Erbenheim ist ein US-Militärflugplatz, der seit mehr als 100 Jahren besteht, während der Berliner Luftbrücke flogen von hier die sogenannten „Rosinenbomber“ nach Berlin. Seit 2012 ist hier das Hauptquartier für die gesamte europäische US Army angesiedelt.

Auf der 2.150 Meter langen Start- und Landebahn könnten im Prinzip auch Airbus-Maschinen landen, sagt Dirting, derzeit werde das Airfield vorwiegend für Hubschrauberflüge und kleinere Jets genutzt. Das müsse aber nicht so bleiben, warnt er: Erbenheim diene auch als Ausweichflughafen für die große US-Airbase Ramstein, „die Stadt vergisst, dass auch andere dahinfliegen dürfen“, sagt Dirting. Die Start- und Landebahn ist in Ost-West-Richtung gebaut, ihre Anflugschneise aus Richtung Westen führt genau über das Ostfeld. „Die Flugzeuge werden etwa in 120 bis 170 Meter Höhe das Gebiet überfliegen“, betont Dirting.

Ex-Flugkapitän Michael Dirting mit dem Ergebnis seiner Untersuchung zum Lärmschutz am Ostfeld. - Foto: gik
Ex-Flugkapitän Michael Dirting mit dem Ergebnis seiner Untersuchung zum Lärmschutz am Ostfeld. – Foto: gik

Werde dort ein neues Wohngebiet gebaut, sei die Erstellung eines Lärmgutachtens zwingend vorgeschrieben, erklärt Dirting, doch die Stadt Wiesbaden und die Stadtentwicklungsgesellschaft SEG versuchten derzeit, ein solches Lärmgutachten zu vermeiden. Dirting beschloss deshalb, eine solche Untersuchung auf eigene Rechnung in Auftrag zu geben. Das Gutachten sei mit der offiziell dafür vorgesehenen Software erstellt worden, es folge den offiziellen Richtlinien für solche Gutachten, betont Dirting. „Man berechnet einen Prognosezeitraum, kalkuliert, wie viele Flugzeuge dort stationiert sind und den Flughafen anfliegen, und dann wieviel Lärm entsteht“, erläutert er. Gerechnet worden sei mit 20.000 Flugereignissen im Jahr, aufgeteilt auf An- und Abflüge in Richtung Westen und Osten.

Das Ergebnis sei eindeutig, sagt Dirting: Auf einem insgesamt 250 Meter breiten Streifen seitlich der direkten Anflugschneise sei die Lärmbelastung so hoch, das dort nicht gebaut werden dürfe. „Nach meinen Untersuchungen unterliegen 13,5 bis 18 Hektar des Ostfelds einem Bauverbot, weitere 5,45 Hektar einer Siedlungsbeschränkung“, sagt Dirting. Damit dürften 23,45 Hektar des Ostfelds nicht oder nur sehr beschränkt bebaut werden, weil sie in Lärmschutzzonen lägen – das aber seien 35 Prozent des geplanten Stadtquartiers. Das Ostfeld sei in dieser Form „eine Fehlplanung, es muss jetzt um ein Drittel verkleinert werden“, betont Dirting.

Laut Dirtings Lärmschutzgutachten darf in den gestrichelten Zonen keine Bebauung des Ostfelds stattfinden. - Foto: Dirting
Laut Dirtings Lärmschutzgutachten darf in den gestrichelten Zonen keine Bebauung des Ostfelds stattfinden. – Foto: Dirting

Die Stadt argumentiere, man verhandele bereits mit den Amerikanern über eine Verlagerung der Anflugrouten, doch das habe er in seinem Gutachten bereits eingerechnet, sagt Dirting weiter: „In meinem Gutachten sind die Flugstrecken bereits verlegt, um dem Argument entgegen zu treten, es würde leiser, wenn die Flugrouten verlegt seien“ – das sei nämlich nicht der Fall. Ihn ärgere, dass die Projektverantwortlichen für das Ostfeld, inklusive Oberbürgermeister und Magistrat, diese Fluglärmuntersuchung nicht längst gemäß ihres Auftrags einer sorgfältigen Voruntersuchung vorgelegt hätten, sagt Dirting weiter: „Eine städtebauliche Entwicklungsmaßnahme hat strenge Anforderungen, diese nicht zu erfüllen, ist unprofessionell“, kritisiert er.

Dazu sei die Problematik Fluglärm der Stadt und der SEG lange bekannt: Bereits am 14. Februar 2019 sei die SEG im Rahmen der Anhörung der Träger der öffentlichen Belange von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben über Bedenken der US-Streitkräfte informiert worden. Die Amerikaner machten sich Sorgen über eine mögliche Einschränkungen für ihren Flugbetrieb, sagt Dirting, und hätten ebenfalls ein Lärmschutzgutachten angeregt. „Nach Dafürhalten der US-Streitkräfte würde ein solches Gutachten klar die Unvereinbarkeit der geplanten Wohn- und Gewerbebebauung mit dem Flugbetrieb verdeutlichen“, habe es in der Anhörung wörtlich geheißen.

Ergebnis Fluglärmgutachten Dirting, projiziert auf das Gelände des Ostfelds, unten Fort Biehler. - Foto: Dirting
Ergebnis Fluglärmgutachten Dirting, projiziert auf das Gelände des Ostfelds, unten Fort Biehler. – Foto: Dirting

Im Februar 2020 habe das Hessische Verkehrsministerium noch Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD) gewarnt: Nach abschätzenden Berechnungen des Ministeriums würden sich bereits im heutigen Flugbetrieb signifikante Fluglärmwerte im Baugebiet Ostfeld ergeben, berichtet Dirting weiter. Trotzdem sei bis heute nichts geschehen. „Die Verantwortlichen in Politik, Magistrat und Verwaltung verschleppen, verschweigen, ignorieren und verharmlosen das“, kritisiert Dirting, man wolle die Stadtverordneten „in die Falle einer Abstimmung über die Satzung einer SEM laufen lassen.“

Dirting schickte die Ergebnisse seiner Untersuchung am 24. August auch an Oberbürgermeister Mende persönlich, eine Antwort habe er nicht erhalten, sagt er: „Ich möchte die Verantwortlichen zwingen, ein eigenes Lärmgutachten zu machen, sie müssen sich jetzt damit beschäftigen.“

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Plänen für das Stadtquartier Ostfeld/Kalkofe sowie über die Kritik daran insbesondere auf klimatischen Gründen lest Ihr hier bei Mainz&. Mehr zu den Ergebnissen der Klimafolgenstudie Klimprax könnt Ihr hier bei Mainz& nachlesen.

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