Es ist ja normalerweise ein zeimlich verschlafenes Wohngebiet in der Oberstadt hinter der Uniklinik, doch am Donnerstagabend war alles anders: Grelles Scheinwerferlicht, laute Rockmusik und rund 700 Menschen auf der Straße – die Stahlbergstraße war plötzlich der Mittelpunkt von Mainz. Der Grund: In der Hausnummer 33 hat die Burschenschaft Germania Halle ihren Sitz, und dort war Donnerstagabend Tatjana Festerling zu Gast. Festerling ist eine der Anführerinnen der Dresdener Pegida-Bewegung – und die Mainzer zeigten, was sie davon hielten: nichts.

Volle Stahlbergstraße mit Schild Nö
Stahlbergstraße voller Demonstranten gegen Pegida und braune Hetze – Foto: gik

„Nazis raus!“ schallte es ab 19.00 Uhr durch die Stahlbergstraße, „Mainz gibt Nazis keine Chance“, stand auf einem Transparent zu lesen. Doch die meisten waren einfach so gekommen, in warmen Jacken, umherstehend, Da-seiend. „Ich bin gegen Pegida und gegen rechtes Gedankengut, dagegen muss man aufstehen“, sagte die Oberstadter Ortsvorsteherin Ursula Beyer stellvertretend für viele: „Wehret den Anfängen!“

Kritik: Pegida befeuert Rassismus und Übergriffe auf Flüchtlinge

Die rechte Pegida-Bewegung aus Dresden befeuere Rassismus und Angriffe gegen Wohnheime für Asylsuchende, kritisierte David Häußer vom Organisatorenteam in einer kleinen Rede: „Wir sagen diese Anschläge seit Monaten voraus!“ Das Ignorieren von Problemen und Rassismus befeuere beides nur, Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte stiegen derzeit dramatisch an. „Wir haben keine Flüchtlingskrise, wir haben eine Nazikrise!“ rief Häußer.

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Breyer Brede-Hofmann und Jung mit Goethe gegen Nazis
Mit Goethe gegen Nazis: Die Sozialdemokraten Ursula Beyer, Ulla Brede-Hofmann und Wilfried Jung – Foto: gik

Aus der Mordserie des rechtsextremen NSU seien keine Konsequenzen gezogen worden, kritisierte Häußer weiter: „Man kann etwas dagegen tun, man muss es auch wollen!“, forderte er, und fügte hinzu: „Es wäre wünschenswert, wenn auch das Bürgertum dagegen aufstehen würde.“ Nun, zumindest in Mainz tut es das sehr regelmäßig – so auch am Donnerstagabend wieder. Sämtliche politische Parteien, ob CDU, SPD, Grüne oder Linke, standen einhellig in der Stahlbergstraße beim Protest nebeneinander. Dazu Menschen aller Altersgruppen, querbeet.

Martialischer Polizeiaufmarsch – Einsatzleiter Zahn wehrt sich

Eigentlich unverständlich, dass sich die Polizei angesichts des so typisch Mainzerischen Aufmarschs so martialisch gerierte: Polizisten in Kampfmontur sperrten das Haus der Burschenschaft großräumig ab, ein hoher Scheinwerfermast tauchte die Szenerie in grelles Licht. Alle Zufahrtsstraßen waren abgeriegelt, selbst die Obere Zahlbacher Straße, wichtige Verbindungslinie hinter der Uniklinik, wurde noch gesperrt.

Plakat gemeinsam gegen Rassismus hinter martialischen Polizisten
Friedliche Demonstranten, martialischer Polizei-Aufmarsch – Foto: gik

„Es waren Antifa-Gruppen aus Frankfurt und Mainz/Wiesbaden angekündigt“, wehrte sich am späten Abend Polizei-Einsatzleiter Achim Zahn im Gespräch mit Mainz&. Die seien „normalerweise gut…“ – für was genau, wollte er lieber nicht sagen -, dagegen habe man sich wappnen müssen. „Wir wollten das hell erleuchtet haben“, sagte Zahn zum Thema Scheinwerfer, „wenn da etwas passiert wäre, hätten wir Licht gehabt.“ Und natürlich hat die Polizei so auch verhindert, dass sich in den sonst eher romantisch erleuchteten Straßen der Gegend Linke und Burschenschaftler zu nahe kommen 😉

Obere Zahlbacher Straße wegen Antifa-Blockade gesperrt

Tatsächlich agierten die Beamten an den Absperrungen für Mainzer Verhältnisse ungewöhnlich nervös – offenbar war die Angst vor einer Straßenschlacht enorm. Zu sehen war davon nichts: Die Demonstranten standen friedlich herum, die Burschenschaftler bekam man ebenso wenig zu Gesicht wie die Pegida-Frau Festerling. Die Obere Zahlbacher Straße habe aber gesperrt werden müssen, weil Antifa-Zugehörige an der Busampel zur Schillampel die Straße blockiert hätten, berichtete Zahn.

Offenbar wollten die Linken die Abreise Festerlings verhindern und behinderten dabei auch den normalen Verkehr mit Bussen und Pkw. „Da war uns das Risiko zu groß, dass da etwas passiert“, sagte Zahn, deshalb habe man die Obere Zahlbacher gesperrt und zwei Buslinien umgeleitet. Woanders räumen sie stattdessen übrigens die Demonstranten von der Straße… Auch als die letzten Protestierenden gegen 22.00 Uhr noch versuchten, die Stahlbergstraße sitzend zu blockieren, blieb die Polizei gelassen – und saß die Sache aus, bis es den Protestlern zu kalt wurde. Man habe dann noch einen kleinen Demonstrationszug zum Hauptbahnhof eskortiert, sagte Zahn.

Abgeriegeltes Haus der Burschenschaft Germania Halle
Wie im Kinofilm: Abgeriegeltes Haus der Burschenschaft Germania Halle in der Mainzer Oberstadt – Foto: gik

Zahn: Demo-Organisatoren haben sich an nichts gehalten

Umso mehr ärgerte sich der Leiter der Polizeidirektion Mainz über das Verhalten von Teilen der Versammlungsleitung: „Die haben sich leider an nichts gehalten“, kritisierte Zahn. Die Musik habe in der Spitze bis zu 103 Dezibel erreicht, viele Anwohner hätten sich wegen der hohen Lautstärke über mehrere Stunden hinweg beschwert. „Am Lautsprecher wurde Stimmung gegen die Polizei gemacht“, ärgerte sich Zahn weiter – was stimmte: Da wurde von einem „Kessel“ der Polizei am Bahnhof berichtet, ein am Bahnhof gezeigter Hitlergruß sei nicht geahndet worden: „Auch in Mainz weht ein Pegida-Geist“, behauptete Häußer – im Zusammenhang mit der Polizei, wohlgemerkt.

Zahn: Kein Polizeikessel und keine Duldung von Hitlergruß

„Ein Kessel? Das ist falsch“, reagierte Zahn. Ja, es seien am Nachmittag Menschen am Bahnhof kontrolliert worden, die zur Demo wollten, dabei sei es aber um Alkohol gegangen – eine Auflage der Demo war absolutes Alkoholverbot. Woran sich auch gehalten wurde. Die Gruppe am Bahnhof sei „etwas länger“ aufgehalten worden, bestätigte Polizeisprecherin Heidi Nägel Mainz&. Das habe aber vor allem daran gelegen, dass die Demonstranten heftig diskutiert hätten.

Koalition Kein Bier für Nazis mit Erik Donner
Kein Bier für Nazis – Friedlicher und kreativer Protest gegen braune Soße – Foto: gik

Dass die Polizei einen Hitlergruß stillschweigend dulde, dem wiederum widersprach Zahn energisch: „Das wird selbstverständlich geahndet“, betonte er, „wir wollen das nicht wieder haben.“ Und im Übrigen sei die Demo in Mainz „absolut friedlich“ gewesen: „Es war laut und es war friedlich.“ Mainz eben: Keine Chance für braunes Gedankengut, dafür ein friedliches Happening auf der Straße – so steht Mainz auf gegen jeden zaghaften Versuch, rassistisches Gedankengut zu verbreiten.

Der Mainz&-Kommentar: Die Mainzer sind doch wirklich verlässlich: Da lädt eine obskure Burschenschaft eine hier weitgehend unbekannte Stimmungsmacherin aus dem Osten nach Mainz zu einem Vortrag, und was passiert? Bis zu 700 Menschen stehen vor der Haustür und sagen: Nö. Wollen wir nicht. Dabei handelte es sich noch nicht einmal um eine große Veranstaltung, ist Mainz sicher kein Hotspot braunen Gedankenguts. Der Demo-Redner hat schon Recht: Wenn das Bürgertum aufsteht, haben rechte Hetzer verloren – deswegen ist es so wichtig, DASS das Bürgertum an so einem Abend bei so einer popeligen Veranstaltung auf der Straße und dagegen aufsteht.

Volle Stahlbergstraße im Spiegel
Volle Straße, voller Protest: die Stahlbergstraße in einem Verkehrsspiegel – Foto: gik

Umso unverständlicher ist es dann aber, wenn der Mann am Mikrofon anfängt, Stimmung gegen die Polizeikräfte zu machen. Ein „Kessel“ am Hauptbahnhof, weil einige Demonstranten kontrolliert wurden? Und nach 20 Minuten unbehelligt abziehen durften? Pegida-artiges Weggucken bei rechtem Hitlergruß? Nein, wir beschönigen hier kein polizeiliches Vorgehen, oder gar Polizeigewalt, sollte es sie geben. Und ja, auch wir waren mal jung, rebellisch und sehr, sehr misstrauisch gegenüber dem Staat.

Misstrauisch sind wir heute auch noch, keine Sorge – aber wir kennen auch seit vielen Jahren die Mainzer Polizei. Und wenn Ihr die in einer ruhigen Minute abseits von Mikrofonen erwischt, werden sie deutliche Worte finden – gegen Rechte. Gegen braunes Gedankengut. Gegen Rassismus. Sehr deutliche Worte, glaubt uns. Nur: die Jungens und Mädchen müssen eben auch die Versammlungsfreiheit gewährleisten, und sie müssen Krawalle und Gewalt verhindern.

Das hat die Mainzer Polizei am Donnerstagabend sehr effektiv getan. Mag man auch den Aufwand als übertrieben kritisieren – es ist friedlich geblieben. Vielleicht auch, weil die Polizei deutlich Präsenz zeigte. Mainz bleibt ein Pflaster fernab von Straßenschlachten und Frankfurt-typischen Krawallen – gut so. Die Polizei aber mit völlig überzogenen Vorwürfen provozieren zu wollen, ist schlicht dumm. Auch die Polizisten sind Mainzer – und sie sind nicht „der Feind“. Das sind die Verbreiter von Rassismus, Hass und rechten Parolen.

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