Eine Gruppe höchst einflussreicher Mainzer Entscheidungsträger hat bereits im August zur Unterstützung für die Wiederwahl des Mainzer Oberbürgermeisters Michael Ebling (SPD) aufgerufen: Man unterstütze die Kandidatur zum „ersten Bürger unserer Stadt“, bei den Herausforderungen der kommenden Jahre brauche es „eine starke Persönlichkeit an der Spitze“, man wolle Ebling deshalb mit aller Kraft unterstützen. Pikant dabei: Der Aufruf stammt aus dem Essenheimer Kreis, einer vertraulichen Gruppierung, die sich in regelmäßigen Abständen trifft. Mitglieder des Kreises: Vertreter der Mainzer Stadtspitze, leitende Entscheidungsträger praktisch aller stadtnaher Gesellschaften – aber auch mit der Stadt verbundene Unternehmer sowie Vertreter von Banken in Mainz. Über den „Essenheimer Kreis“ berichtete am Dienstag erstmals der Radiosender „Antenne Mainz“ – Mainz& ist der Sache nachgegangen. (Update am Ende des Textes)

Homepage des Essenheimer Kreises. - Screenshot: gik
Homepage des Essenheimer Kreises. – Screenshot: gik

Der Essenheimer Kreis sei „ein Zusammenschluss von Mainzern aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur“, berichtete am Dienstag der Radiosender „Antenne Mainz“. Dem Kreis gehörten mehr als 100 Personen an, ausschließlich Männer, es gebe „regelmäßige Treffen“ und es werde „von angeblichen Geschäften unter den Mitgliedern“ gemunkelt, so der Radiosender weiter. Was genau in dem Kreis geschehe, darüber aber werde strengstes Stillschweigen bewahrt: Auch auf mehrmalige Nachfragen habe es keine Reaktion der leitenden Mitglieder gegeben, im Netz sei kaum etwas zu finden, Mitglieder wollten sich nicht äußern.

Zusammenschlüsse einflussreicher Persönlichkeiten in einer Stadt sind nicht neu und auch nicht ehrenrührig, seit vielen Jahrhunderten existieren Clubs, Vereine oder Bruderschaften wie etwa Rotary und Lions Club oder Weinbruderschaften, auch in Mainz. Diese Gesellschaftskreise oder Service Clubs – meist reine Männerclubs – veranstalten meist Benefizevents, engagieren sich in Service-Projekten und sammeln Gelder für karitative Zwecke. Aus ihren Aktivitäten machen sie in aller Regel kein Geheimnis – im Gegenteil: regelmäßige Pressearbeit soll ihre Aktivitäten nach außen dokumentieren. Anders beim Essenheimer Kreis: Über seine Aktivitäten wird strengstes Stillschweigen bewahrt. „Es scheint, als scheue man sich in Mainz, offen über diese Gruppe zu sprechen“, heißt es bei Antenne Mainz.

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Mainz&-Recherchen bestätigen das: Offen mag kaum jemand über den Kreis, seine Mitglieder und seine Unternehmungen reden, zitiert werden will erst recht niemand – offenbar befürchtet man negative Konsequenzen. Gegründet wurde die informelle Gruppierung Berichten zufolge aus Kreisen des Fernsehsenders ZDF im Jahr 1982, die Zahl steht auch im Logo des Essenheimer Kreises. Prominentestes Mitglied damals: der damalige Oberbürgermeister Jockel Fuchs (SPD).

Todesanzeige für den Mainzer Alt-OB Jens Beutel vom Essenheimer Kreis. - Foto: gik
Todesanzeige für den Mainzer Alt-OB Jens Beutel vom Essenheimer Kreis. – Foto: gik

Seither waren offenbar stets die Mainzer Oberbürgermeister Präsidenten des Kreises: Zum Tode des Alt-OB Jens Beutel (SPD) im Mai dieses Jahres erschien eine Traueranzeige, in der es heißt: „Er war viele Jahre Präsident unseres Kreises und nahm stets aktiv an unseren Begegnungen teil.“ Aufgegeben wurde die Anzeige im Namen des „Essenheimer Kreises“, unterzeichnet ist sie von dessen „Vizepräsidenten“: Richard Patzke, früherer Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Mainz und früherer Wirtschaftsdezernent in Mainz für die FDP. Erschienen ist die Anzeige am 18. Mai in der Allgemeinen Zeitung, im Online-Trauer-Portal der Zeitung findet man sie jedoch nicht.

Außer Patzke waren und sind nach Mainz&-Informationen auch seither alle Mainzer Wirtschaftsdezernenten bis hin zum Ende 2018 ausgeschiedenen Christopher Sitte (FDP) Mitglieder im Essenheimer Kreis gewesen. Dem Kreis gehören ferner, so berichten es mehrere Quellen übereinstimmend, Vertreter praktisch aller stadtnaher Gesellschaften an, dazu Unternehmer aus den Bereichen Bauen, Tiefbau, Sanitär, Landschaftsbau und weiterer Firmen. Auch Spitzen der Sparkasse Mainz seien dabei, versichern Insider: Ein „Gesellschaftskreis“, der sich regelmäßig ein Mal im Monat zu zwanglosen Essen treffe, „eines der wichtigsten Mainzer Netzwerke“, sagt ein Insider. Und „natürlich“ werde bei den Treffen auch über „Probleme“ der Stadt Mainz gesprochen. Verwerflich sei das nicht, betonen alle Informanten einhellig – so lange sich alle an die Regeln hielten.

Der frühere Stadtwerke-Vorstand Detlev Höhne 2016 bei der Vorstellung seines Nachfolgers Daniel Gahr. - Foto: gik
Der frühere Stadtwerke-Vorstand Detlev Höhne 2016 bei der Vorstellung seines Nachfolgers Daniel Gahr. – Foto: gik

Heutiger Präsident des Essenheimer Kreises: Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD). Und zu dessen Unterstützung bei der anstehenden Wiederwahl riefen im August Mitglieder des Essenheimer Kreises auf. „Wir wollen gerne Michael Ebling zeigen, dass er Unterstützer hat“, heißt es in einer Email an die Mitglieder des Essenheimer Kreises, die Mainz& vorliegt – zuerst hatte „Antenne Mainz“ darüber berichtet. Mainz brauche eine „starke Persönlichkeit“ an der Spitze, die Mitbewerber bei der OB-Wahl hingegen hätten „nie unter Beweis stellen müssen, dass sie eine Verwaltung und stadtnahe Betriebe erfolgreich führen können“, heißt es in der Email weiter.

Man wolle Ebling deshalb einen persönlichen Brief schreiben, darin solle stehen: „Wir, die Unterzeichner stehen für jegliche Unterstützung zur Verfügung. Wenn wir gebraucht werden, sind wir da!“ Unterzeichnet ist die Email von Richard Patzke sowie von Detlev Höhne, dem langjährigen Chef der Mainzer Stadtwerke und heutigen Aufsichtsratsvorsitzenden des Bundesligaclubs Mainz 05. Ob der Brief jemals verschickt wurde, ist unklar.

Der Vorgang weckt indes Erinnerungen an die legendäre „Handkäs-Mafia“: Im Zuge der Wohnbau-Affäre 2009 wurde ein umfangreiches Geflecht von leitenden städtischen Angestellten, stadtnahen Gesellschaften und Unternehmen bekannt, es ging um gegenseitige Einladungen, bezahlte Reisen und Vergünstigungen. Im Herbst 2011 musste Oberbürgermeister Jens Beutel (SPD) zurücktreten, nachdem Einladungen zu Reisen auf Kosten von Unternehmern, Vorteilsnahmen beim Bau seines Hauses sowie eine unbezahlte Weinrechnung in Ruanda bekannt wurden. Im Januar dieses Jahres verkündete überraschend der Wiesbadener Oberbürgermeister Sven Gerich (SPD) seinen Rückzug aus dem Amt, nachdem massive Vorwürfe von Vorteilsnahmen im Amt, Vetternwirtschaft und die Bevorzugung von Freunden bekannt geworden waren – dabei ging es auch um das Zuschanzen von städtischen Aufträgen an befreundete Unternehmer.

"Stoppt die Handkäs-Mafia" - Plakat der Mainzer Grünen im Kommunalwahlkampf 2009. - Foto: gik
„Stoppt die Handkäs-Mafia“ – Plakat der Mainzer Grünen im Kommunalwahlkampf 2009. – Foto: gik

In Mainz war es zehn Jahre lang ruhig geblieben – bis im März dieses Jahres die Verfasser eines anonymen Briefes massive Vorwürfe über Vetternwirtschaft und gegenseitige Vergünstigungen zwischen Vertretern der Stadtspitze in Mainz, stadtnahen Gesellschaften und Handwerksunternehmen erhoben. Die Verfasser sprachen von „einem Geflecht aus Korruption und Intransparenz“, es herrsche ein Geflecht von gegenseitigen Leistungen, die Stadt mit ihrem „undurchsichtigen Geflecht an Gesellschaften“ sei „zu einem Selbstbedienungsladen mit Vollversorgung mutiert.“

Die Stadtspitze und alle weiteren Akteure wiesen damals alle Vorwürfe kategorisch zurück, Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) selbst öffentlich in einer Pressekonferenz die auch gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Angeblich entlastende Unterlagen stadtnaher Unternehmen wie etwa der Mainzer Wohnbau wurden allerdings nur der „Allgemeinen Zeitung“ vorgelegt – Mainz& wird die Einsicht in dieselben Akten bis heute verweigert.

2009, nach der Pleite der Mainzer Wohnbau, holten die Mainzer Grünen bei der Kommunalwahl nach der Wohnbau-Affäre das damals sensationelle Ergebnis von 21,9 Prozent. Die Ökopartei hatte stadtweite Plakate gehängt, und auf ihnen die „Handkäs-Mafia“ angeprangert, eben jenes intransparente Netzwerk von Vergünstigungen und Gefälligkeiten. Gefragt, was denn ihre Horrorvision für die kommenden Jahre sei, antwortete die Partei damals: „Eine Rückkehr zur intransparenten Politik der Mauschelei früherer Jahre.“

Update&: Am Mittwochabend äußerte sich auch Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) erstmals öffentlich zu dem Essenheimer Kreis und bestätigte, dass er der Vorsitzende sei. Der Essenheimer Kreis sei „gut zum Netzwerken, so wie es andere Kreise auch gibt“, sagte Ebling auf einem Wahlforum der „Allgemeinen Zeitung“ im Schloss, und fügte hinzu: „Das in den Ruch zu  bringen, da würden Geschäfte gemacht, ist infam.“ Im Übrigen sei der Kreis kein reiner Männerclub mehr: Seit er Vorsitzender sei, seien auch Frauen zugelassen.

Info& auf Mainz&: Den Bericht von Antenne Mainz zum Essenheimer Kreis findet Ihr hier im Internet, alle weiteren Verweise und Links stehen im Text – lest sie! Mainz& arbeitet nur mit nachprüfbaren Informationen und Belegen, im Falle dieses Textes wurden alle genannten Informationen von mindestens zwei Quellen unabhängig voneinander bestätigt – so schreibt es der Pressecodex vor. Die Namen sind Mainz& selbstverständlich bekannt, wir wurden aber ausdrücklich gebeten, sie nicht zu nennen. Dem kommen wir selbstverständlich nach – Journalisten haben einen gerichtlich verbrieften Informantenschutz.

 

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