Wer hätte das noch vor wenigen Wochen gedacht? Die SPD gewinnt die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz, in Mainz sogar mit großem Abstand vor der CDU. 39,6 Prozent für die SPD nach dem vorläufigen amtlichen Ergebnis in der Landeshautpstadt, das sind 5,7 Prozentpunkte mehr als vor fünf Jahren. Die CDU kommt nur auf 27,6 Prozent, minus 3 Prozentpunkte. Der große Verlierer in der Stadt Mainz (und im Land) aber sind die Grünen: Minus 11,6 Prozentpunkte machten am Ende 10,2 Prozent in Mainz. Landesweit war die Tendenz ähnlich: Die SPD holte mit Malu Dreyer und 36,2 Prozent klar den Sieg vor der CDU mit 31,8 Prozent – so das vorläufige amtliche Endergebnis. Die Grünen zitterten sich mit 5,3 Prozent gerade noch in den Landtag, die FDP landet mit 6,2 Prozent wieder sicher im Parlament – und die AfD landete bei 12,6 Prozent.

Ergebnis Landtagswahl in MainzDas starke Abschneiden der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) sorgte am Wahlabend bei den Landtagsparteien für Entsetzen. 12,6 Prozent – das war dann doch so schlimm wie erwartet. Und das, obwohl die Rheinland-Pfälzer fleißig zur Wahl gegangen waren: 70,4 Prozent Wahlbeteiligung landesweit, das war richtig gut. In Mainz gingen sogar 73,5 Prozent der Wähler zur Stimmabgabe – super!

AfD: 8,1% in Mainz, 19,9% in Ludwigshafen

Und Mainz zeigte der AfD im Vergleich zum Landesschnitt die kalte Schulter: Auf 8,1 Prozent kamen die Rechtspopulisten bei uns – das war der schlechteste Wert von ganz Rheinland-Pfalz. Ihr bestes Ergebnis holte die AfD in Ludwigshafen mit 19.9 Prozent. Überhaupt holte die AfD die meisten Stimmen in den Städten an der Rheinschiene – nur die Unistädte Mainz, Koblenz und Trier stemmten sich gegen die braune Welle. Viel half es nicht: Fünf Jahre lang werden die Rechtspopulisten nun im Mainzer Landtag sitzen – als drittstärkste Partei mit 14 Köpfen.

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Kein Programm, keine Inhalte und Unterstützung der erchtsextremen NPD – den Wählern war es egal. 75 Prozent der AfD-Wähler wählten die neuen Rechtspopulisten aus Protest. AfD-Wähler waren eher protestantisch als katholisch, hauptsächlich männlich, arbeitslos oder verschuldet. Das geht aus Analysen des Statistischen Landesamtes in Bad Ems der Wählerstrukturen hervor. Demnach wählten landesweit 267.813 Rheinland-Pfälzer die AfD – bei der Bundestagswahl 2013 waren es übrigens 106.414 gewesen.

FDP im Glückstaumel: „Der Volker hat’s gemacht“

Volker Wissing vor Bild Clint Eastwood
Ein Mann, ein Kampf: FDP-Landeschef Volker Wissing macht den Clint Eastwood… – Foto: gik

Und so sieht das Ergebnis der Landtagswahl landesweit aus: SPD 36,2 Prozent, CDU 31,8 Prozent, Grüne 5,3 Prozent, FDP 6,2 Prozent, Linke 2,8 Prozent und AfD 12,6 Prozent. Die Schwäche der CDU auf den letzten Metern nutzte der AfD, auch die FDP konnte von den CDU-Enttäuschten profitieren. Bei den Liberalen herrschte am Abend eitel Sonnenschein. „Wir sind drin!!!“ schallte der Schrei um 18.00 Uhr durch die Tanzschule Willius-Senzer – die Liberalen sind nach fünf Jahren Abstinenz zurück im Mainzer Landtag.

„Cool“, strahlt Franz Ringhoffer, früherer Wirtschaftsdezernent von Mainz. „Ein Brett“, sagt sein Nachfolger Christopher Sitte, „es gibt doch noch Gerechtigkeit.“ So sehen die Liberalen das hier. „Ich brauch‘ ein Glas“, sagt der frühere FDP-Wirtschaftsminister Herbert Mertin, und schiebt sich durch die Menge zum Buffet. Woran es gelegen hat? „Der Volker hat’s gemacht“ sagt Ringhoffer.

Volker – das ist Volker Wissing, der Spitzenkandiat. Der lässt sich nicht lange bitten, schon um 18.05 Uhr tritt er vor seine Leute: „Liebe Freunde das ist ein bewegender Augenblick“, sagt Wissing, sichtlich gerührt: „Die Freien Demokraten in Rheinland-Pfalz sind zurück!“ Profitiert habe die FDP von einem Wahlkampf, der auf Inhalte gesetzt habe, sagt Wissing – nun winkt der FDP unter Umständen sogar die Regierungsbeteiligung in einer Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP.

SPD feiert „So einen Tag, so wunderschön wie heute“

Bei der SPD herrscht unterdessen eitel Eurphorie. „So ein Tag, so wunderschön wie heute“, stimmt einer nach der Rede von Malu Dreyer an. „Oh Mann, singen können sie auch nicht“, sagt einer bei der CDU, gefrustet. Sonst konnten die Sozialdemokraten an diesem Abend allerdings ziemlich viel. Nach wochenlangenem Rückstand auf die CDU unter Julia Klöckner starteten die Sozialdemokraten eine furiose Aufholjagd. Zwei Tage vor der Wahl dann lag die SPD auf einmal in den Umfragen einen Prozentpunkt vor der CDU – die Sensation war zum Greifen nah.

Collage Plakate Dreyer Klöckner LTW 2016
An Ende siegte Verlässlichkeit über mediale Dauerpräsenz, Malu Dreyer hatte die Nase vorn – Foto: gik

Am Wahlabend dann der Triumph: 36,2 Prozent, leicht mehr als vor fünf Jahren – und deutlich vor der CDU. Am Ende wollten die Rheinland-Pfälzer nicht Julia Klöckner, sondern offenbar doch lieber Malu Dreyer als Ministerpräsidentin behalten. Bei der CDU Frust pur: „Es war die Großwetterlage“, sagt einer. „Die Flüchtlingsthematik“, sagt ein anderer. Als hätte nicht ausgerechnet Klöckner die Flüchtlingsfrage gespielt, wie keine zweite. Wochenlang dominierte sie die Schlagzeilen, trieb Rot-Grün mit Flüchtlingsgipfeln und Integrationsgesetz vor sich her.

Klöckner: Lavieren in der Flüchtlingspolitik, tief konservative Inhalte

Doch dann der Schwenk: Bundeskanzlerin Angela Merkels (CDU) Linie einer europäischen Lösung drohte zu Scheitern, die Werte der Kanzlerin sanken – und Klöckner änderte den Kurs. Einen Plan „A2“ brachte sie Mitte Januar aufs Tapet, darin alle die Lösungen, die Merkel explizit ablehnte: Geschlossene Grenzen, Zentren an der Grenze, Tageskontingente. Merkel sagte dazu nichts – und Klöckner stand da wie jemand, die der Kanzlerin in den Rücken fällt. Als Klöckner sich dann noch mit dem Baden-Württemberger Guido Wolf einließ, CSU-Chef Horst Seehofer hofierte und den österreichischen Außenminister zu Gast hatte, stand für viele Wähler fest, was Malu Dreyer im Fernsehduell sagte: „Ich stehe an der Seite der Kanzlerin – Sie fallen ihr in den Rücken.“

Großplakate LTW RLP Rheinufer
Vorfahrt gab’s am Ende für Malu Dreyer und Johannes Klomann in Mainz – Foto: gik

Und noch eine Schlüsselszene lieferte das Fernsehduell im historisch ersten Kampf zweier Frauen ums Ministerpräsidentenamt: „Manchmal frage ich mich schon, Frau Klöckner: Wohnen Sie eigentlich in Rheinland-Pfalz?“, fragte Malu Dreyer. Denn tatsächlich machte die CDU mit Schlagzeilen und Themen Wahlkampf, deren konservative Ausrichtugn einen verwundert die Augen reiben ließ: Ein Landeselterngeld wollte die CDU einführen – nach dem Scheitern der Herdprämie im Bund. Kita-Gebühren wieder einführen – da zuckten die Eltern zusammen, auch wenn die CDU beteuerte, das gelte nur für Reiche.

Es gab keine Wechselstimmung – und die Wähler wollten Malu

Schließlich präsentierte Klöckner für ihr Schattenkabinett ausgerechnet Michael Fuchs, den Ex-Wirtschaftsexperten der CDU aus Koblenz – doch Fuchs steht für massive Ablehnung des Mindestlohns und für eine Rückkehr zur Atomkraft. Für die Rheinland-Pfälzer war das offenbar keine attraktive Alternative, dazu konnte die CDU bis zum Schluss nicht klarmachen, warum es denn einen Regierungswechsel geben sollte – und das trotz maroder Straßen, Unterrichtsausfall und Problemen am Flughafen Hahn. Wer mit diesen Themen unzufrieden war, ging eher zur FDP – oder gleich zur AfD.

„Uns schlug so viel Frust der Bürger über Rot-Grün entgegen – wo sind die jetzt alle?“, fragte eine völlig gefrustete Sabine Flegel am Sonntagabend angesichts des CDU-Ergebnisses: „Ich bin fertig mit der Welt.“ Und CDU-Fraktionschef Hannsgeorg Schönig verstand überhaupt nicht, „dass die Wähler die Fehler und Pannen von Rot-Grün völlig vergessen.“ Doch eine Wechselstimmung gab es nie, sogar 47 Prozent der CDU-Wähler waren mit der Arbeit von Rot-Grün zufrieden. Und so gab am Ende wohl eines den Ausschlag: Auf die Frage, wer soll Rheinland-Pfalz regieren – Julia Klöckner oder Malu Dreyer – antworteten die Rheinland-Pfälzer ganz klar: Malu Dreyer.

Mainz: Reichel verliert Sitz im Landtag, SPD räumt ab

Für die Landeshauptstadt Mainz galt das umso mehr: Gab es 2011 noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU und SPD, war die Lage dieses Mal ganz klar. Im Wahlkreis 28 siegte Doris Ahnen von der SPD mit 38,9 Prozent klar vor CDU-Mann Wolfgang Reichel mit 30,6 Prozent, der Grüne Gunther Heinisch kam hier auf 8,1 Prozent, der FDP-Kandidat Hans auf 6,1 Prozent. 8,9 Prozent stimmten für den AfD-Kandidaten. Finanzministerin Ahnen holte damit den Wahlkreis – und Reichel, der auf der Landesliste der CDU weit hinten stand, verliert sogar seinen Sitz im Landtag.

Wahlplakat Grüne Daniel Köbler
Klatsche für Daniel Köbler in Mainz – Foto: gik

Im Wahlkreis 27 räumte SPD-Landtagsabgeordneter Johannes Klomann mit 40,3 Prozent ab, vor Landtagskollege Gerd Schreiner (CDU) mit 24,8 Prozent. Grünen-Fraktionschef Daniel Köbler kam nur auf 13,8 Prozent – weit weg von einem Ziel, den Wahlkreis vielleicht sogar gewinnen zu können. Für die FDP-Frau Cornelia Willius-Senzer stimmten hier 4,9 Prozent, für den Kandidaten der AfD 6,5 Prozent.

Grüne: Wahlkampf verhauen, Wähler mit Flüchtlingspapier verschreckt

Die Grünen zahlten die Zeche für einen völlig verhauenen Wahlkampf, in dem die Ökopartei in der Debatte um das Thema Flüchtlinge überhaupt nicht vorkam. Der Fukushima-Effekt von 2011 – verpufft. Und in fünf Jahren Regierungsarbeit schaffte die Partei es nicht, sich Hausmachten zu schaffen, wie es etwa die Kollegen in Baden-Württemberg taten. Als dann noch zwei Wochen vor der Wahl ein Papier durchsickerte, in dem die Grünen-Spitze einen grundlegenden Wechsel in der Flüchtlingspolitik anstrebte – unabgestimmt mit der Partei! – da war der Abwärtstrend nicht mehr aufzuhalten.

Nun stellt sich im Mainzer Landtag die Frage: Wer kann mit wem überhaupt regieren? Die starke AfD lässt wohl nur zwei Koalitionsoptionen zu: Eine Große Koalition aus SPD und CDU – oder eine Ampel-Koalition aus SPD, FDP und Grünen. Das wird spannend in den kommenden Wochen – das große Pokerspiel um die Macht hat gerade erst begonnen.

Info& auf Mainz&: Alle Ergebnisse zur Landtagswahl findet Ihr beim Landeswahlleiter unter www.wahlen.rlp.de, genau hier. Die Mainzer Ergebnisse findet Ihr hier.

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