„Den Toten zum Gedenken/ Den Lebenden zur Mahnung“ – so lautet die Gedenktafel, die in der Ruine der Kirche St. Christoph in Mainz eingelassen ist. Es ist der Kern dessen, was die Kirchenruine am Karmeliterplatz in der Nähe von Kaufhof und Volkshochschule heute ist: eine der ältesten Pfarrkirchen von Mainz, Taufkirche Johannes Gutenbergs – und ein Mahnmal gegen die Schrecken des Krieges. Am 27. Februar 1945 wurde St. Christoph zur Ruine gebombt, am 27. Februar 1945 wird ihre neu gestaltete Funktion als Mahnmal übergeben.

St Christoph Mainz Kirchenschiff mit Foyer - Foto Wikimedia Immanuel Giel
Die Ruine von St. Christoph mit offenem Kirchenschiff und Foyer-Einbau – Foto Wikimedia Immanuel Giel

Wenn heute Vormittag, 11.00 Uhr, wieder einmal eine Gedenkveranstaltung zur Zerstörung der Stadt Mainz an jenem 27. Februar 1945 in St. Christoph stattfindet, ist es dennoch ein besonderer Moment. Nicht nur, dass Mainz an diesem Tag vor 70 Jahren zum Grab am Rhein wurde, nein, es ist auch die Eröffnung des neu gestalteten Mahnmals von St. Christoph.

Die Kirchenruine im Herzen von Mainz war nach dem Zweiten Weltkrieg baufällig, immer wieder konnten ihr Turm und ihre Mauern nur kurz vor dem Zusammenfall gerade noch gerettet werden. 2012 musste die Kirchenruine gesperrt werden – akute Einsturzgefahr. Doch die Diagnose hatte auch ein Gutes: Es bildete sich ein Kreis solventer Mainzer Bürger um den Mäzen Stefan Schmitz, die Gruppe sammelte Gelder – auch von Stadt und Land – und sorgte dafür, dass eine Neugestaltung des Mahnmals endlich Realität wurde.

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St. Christoph – Brennglas Mainzer Geschichte

Irgendwie ist es ja passend, denn in St. Christoph vereinigt sich die Geschichte von Mainz wie in einem Brennglas: Die kleine Kirche nur wenige Schritte von Dom und St. Quintin entfernt, ist eine der ältesten Kirchen in Mainz. Um 1140 wird sie erstmals urkundlich erwähnt, um 1240 der Nordturm gebaut. Um 1280 herum wird mit dem Bau des Langhauses begonnen, der Bau dauerte 50 Jahre. So spiegelt St. Christoph auch den Wandel der Baugeschichte: der Turm noch romanisch mit runden Formen, das Kirchenschiff bereits früh-gotisch mit spitzen Bögen.

36 Meter lang war die Kirche gerade einmal, ihr Grundriss nicht einmal geradlinig. St. Christoph war eine eng umbaute Kirche, lag mitten im mittelalterlichen Häusergewirr. Doch die Kirche war eine der vier Mainzer Pfarrkirchen, ihr Bereich reichte wohl vom Flachsmarkt bis hinunter an den Rhein. Es war kein schlechte Wohngegend: Im Umfeld der Kirche standen Stadthäuser großer Mainzer Patriziergeschlechter wie der Algesheimer Hof.

Eisernes Gutenbergstandbild neben St Christoph - Foto: Kastrioti / Wikimedia
Eisernes Gutenbergstandbild neben St Christoph – Foto: Kastrioti / Wikimedia

Um 1400 wird hier Johannes Gensfleisch getauft

Ganz in der Nähe: der „Hof zum Gutenberg“. Hier wird 1397 ein Junge namens Johannes geboren, Nachname Gensfleisch, genannt zu Gutenberg. Das Baby, aus dem einmal der berühmte Buchdruck-Erfinder Gutenberg werden sollte, wurde wohl um 1400 in der Kirche St. Christoph getauft, da ist sich die Wissenschaft ziemlich sicher. Eine Eisenplastik des Mainzer Künstlers Karlheinz Oswald – aufgestellt im Gutenberg-Jahr 2000 – erinnert daran. Die Plastik zeigt „Gutenberg an der Presse“, in moderner Fassung.

Die Gegend um die Christophskirche wurde ein Opfer der Mainzer Stiftsfehde von 1461/62. Bei der Auseinandersetzung um den Mainzer Erzbischof Diether von Isenburg wurde Mainz von den Truppen Adolfs II. von Nassau erobert. Mainz verlor seine Stadtrechte, und rund 800 meist reiche Adlige flohen aus Mainz, etwa die Hälfte kehrte nie zurück.

St. Christoph wird Universitätskirche

Die Folge: gerade um St. Christoph herum standen viele Gebäude leer, sie wurden nun zum Zentrum der neuen Universität, die Diether von Isenburg – nach Mainz zurückgekehrt – 1477 errichtete. Das Viertel um St. Christoph herum wurde nun Universitätsviertel., St. Christoph selbst Kirche der bis 1823 bestehenden Universität.

Die Reformation stieß in Mainz auf großes Echo, auch und gerade wegen des Buchdrucks Gutenbergs. Die richtete sich auch gegen den massenhaften Ablasshandel, und gerade in St. Christoph hatte es solche Ablasshandel zur Finanzierung der Kirche wiederholt gegeben. Im Bauernaufstand von 1525 forderten die Mainzer Bürger auch, dass die Pfarrer der Kirchengemeinden direkt von den Kirchengeschworenen gewählt werden sollten – nur in St. Christoph wurde das später auch umgesetzt.

Die Jesuiten und Gegenreformator Pater Canisius

Foto St. Christoph - Foto Roland Struwe Wikipedia
Mitten im Häusermeer stand einst die Kirche von St. Christoph – Foto: Roland Struwe Wikipedia

Mit der Gegenreformation kamen 1542 die Jesuiten nach Mainz, und erhielten St. Christoph für ihre Exerzitien für den Klerus. 1543 trat hier niemand Geringeres als Petrus Canisius in den Jesuitenorden ein. Der spätere Heilige und Kirchenlehrer und Vorkämpfer der Gegenreformation legte als gerade einmal achtes Mitglied des Jesuitenordens im Pfarrhaus von St. Christoph seine Gelübde ab.

In den folgenden Jahrhunderten wurde St. Christoph wiederholt um- und ausgebaut, noch 1929 wurden umfangreiche Renovierungsarbeiten durchgeführt. Es sollte nicht lange währen: Bei der ersten Bombennacht von Mainz am 12. August 1942 wurde St. Christoph bereits schwer getroffen: Turm, Sakristei und Pfarrhaus brennen aus, das Langhaus verliert sein Dach.

Am 27. Februar 1945 wird auch St. Christoph zerstört

Doch es war erst ein Vorgeschmack: Am Nachmittag des 27. Februar 1945 versank mit Mainz auch St. Christoph in Schutt und Asche. Sprengbomben treffen das Gebäude, das Gewölbe des Langhauses bricht zusammen, die Mauern nehmen massiv Schaden. Kurz nach den Angriffen stürzt auch die Nordwest-Ecke des Turms ein – St. Christoph ist zerstört.

Blick vom Dom über das zerstörte Mainz nach dem 27. Februar 1945, die Kirche ist St. Quintin - Foto: Stadtarchiv Mainz
Blick vom Dom über das zerstörte Mainz nach dem 27. Februar 1945, die Kirche ist St. Quintin – Foto: Stadtarchiv Mainz

Dass die Kirche nicht umgehend wiederaufgebaut wurde, lag wohl an mehreren Faktoren. Zum einen verlief der Wiederaufbau in Mainz ohnehin schleppend und wird vielfach als unkoordiniert beschrieben. Während Frankfurt bereits aufgebaut wurde, fanden sich in Mainz noch viele Trümmerberge. Dazu ging Wohnraum eindeutig vor – und irgendwie war St. Christoph als Pfarrkirche auch überflüssig. Erst 1959 (!) wurden die Schuttberge rund um die Kirche beseitigt.

Abriss? Rekonstruktion? Mahnmal!

Zwischen 1945 und 1960 tauchte deshalb die Idee eines Abrisses der Kirchenruine immer wieder auf, aber nicht einmal diese Lösung wurde konsequent verfolgt. So machte schließlich der Mainzer Historiker und Konservator Wilhelm Jung – der auch als Retter der Mainzer Altstadt gilt – 1957 den Vorschlag, die Stadt solle die Ruine übernehmen und ein Mahnmal daraus machen. Die Diskussion war eröffnet.

Ruine St. Christoph mit Bilderfries - Foto Kamée Wikimedia
Ruine St. Christoph mit Bilderfries – Foto: Kamée Wikimedia

1960 konterte der Mainzer Architekt Henkes mit Plänen für eine umfassende Rekonstruktion der Kirche, doch auch daraus wurde nichts. 1961 dann legte die Stadt endlich Pläne vor, nach denen im Chor eine Gedächtniskapelle entstehen, das südliche Seitenschiff überdacht werden und das nördliche Seitenschiff durch eine offene Halle ersetzt werden sollte. Am 4. April 1962 erhielt der Bildhauer Heinz Hemrich den Zuschlag für einen reliefartigen Fries. Am 24. November 1963 wurde das Mahnmal, am 3. Mai 1964 die Chorkapelle eingeweiht.

Das vergessene und verkommene Mahnmal

Doch irgendwie geriet St. Christoph dann schon wieder in Vergessenheit. Die Ruine im Herzen von Mainz wirkte meist seltsam unbelebt, ein Fremdkörper dessen Bedeutung sich Neu-Mainzern nicht auf den ersten Blick erschloss. Zeitweise verkam das Bauwerk zu einer Pinkelecke, Wohnsitzlose hausten in den Ecken. „Ein Mahnmal gegen das Vergessen, das selbst vergessen wurde“, nannte es Matthias Jaenicke 2010 in seinem Beitrag auf 360grad-mainz.de – einem Projekt des Journalistischen Seminars der Uni Mainz –, in dem er den Verfall dokumentierte – Taubendreck inklusive.

2007 legte das Stadtplanungsamt zwar einen Gestaltungsentwurf für Platz und Kirche vor, doch es fehlte die Finanzierung. 2012 dann stellte sich bei Voruntersuchungen heraus, dass Turm und Chorkapelle einsturzgefährdet waren – St. Christoph wurde umgehend gesperrt. Daraufhin bildete sich die „Initiative St. Christoph“, die insgesamt 275.000 Euro an Spenden ermöglichte.

Auferstandene Ruinen

Neue Broschüre St. Christoph kompakt zur Geschichte der Ruinenkirche
Neue Broschüre St. Christoph kompakt zur Geschichte der Ruinenkirche

Heute nun wird die Neugestaltung des Mahnmals und ihres Umfeldes eingeweiht. Der Platz vor der Kirche wurde vom Lerchenberger Landschaftsarchitekturbüro Raible neu gestaltet, in der Kirchenruine wurde eine Foto-Dauerausstellung des Ausstellungsgestalters Jens Nitschke der Hamburger Leisure-Work-Group errichtet.

Bleibt zu hoffen, dass St. Christoph durch die Neugestaltung wieder Leben erfährt, als Mahnmal gegen das Grauen des Krieges, das wir Nachgeborene so dringend brauchen. 70 Jahre hat der Frieden gehalten, doch nun, plötzlich tauchen Kriege wieder mitten in Europa auf, vernichten Bomben und Granaten wieder Städte, Häuser, Kirchen. Ein Mahnmal, das an das Grauen erinnert, es ist bitter nötig in einer Zeit, die die Schrecken des Krieges zu vergessen beginnt. St. Christoph sagte es laut, und es sagt es deutlich: „Nie wieder Krieg!“

Info& auf Mainz&: Heute, am 27. Februar 2015, findet um 11.00 Uhr in St. Christoph am Karmeliterplatz ein offizielles Gedenken der Stadt Mainz an die Zerstörung von Mainz vor 70 Jahren statt. Dabei wird auch die neue Gedenkstätte vorgestellt. Die Veranstaltung ist für alle offen. Die Geschichte von St. Christoph erzählt eine neue Broschüre: „St. Christoph kompakt. Auf 48 Seiten. Kleiner Kirchenführer – Inklusive Lageplan und Zeittafel.“ Erschienen im Bonewitz-Verlag, Preis 5,- Euro. Kaufen könnt Ihr ihn im Mainzer Buchhandel oder direkt auf www.bonewitz.de.

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