Ihr erinnert Euch vielleicht noch an Tabeas Tasche – Tabeas schwarze Handtasche, die vergangenes Jahr erst die Republik erschütterte, dann auf Ebay versteigert wurde, bei den Montagsdemos in Terminal 1 landete? Nun, genau diese Tasche landet jetzt im Museum. Heute, am Dienstag, wird die Tasche ans Deutsche Ledermuseum in Offenbach übergeben. Dort wird sie stehen als ein Symbol, aufgeladen mit allem, was die Republik zu bieten hat: Politikerschelte, Vorurteilen, Vor-Verurteilungen, Empfindlichkeiten, wichtigen Debatten. Mit Moral, Empörung und sehr viel Medien-Hype unserer schönen neuen Internetwelt. Wer oder was genau gemeint ist? Lest selbst – es ist ein Lehrstück über unsere Medien-Demokratie.

Handtasche Tabea Rößner - Video Rößner Es war der 13. Januar 2014, als Tabea ihre Tasche vergaß. Es war eine ganz normale, schwarze Damenhandtasche, Leder, mehrere Fächer, nichts Besonderes. Darin ein Ipad, ein paar Taschentücher und der Geldbeutel mit Geld und Papieren. Und nun stand diese Tasche irgendwo im Terminal des Frankfurter Flughafens. Mist.

Doch die Lufthansa-Maschine steht noch, es gibt Verzögerungen wegen Nebels. Also die Chance, der Crew das Taschen-Problem zu berichten. Dafür zu sorgen, dass nirgendwo eine herrenlose Tasche für Unruhe sorgt. Dafür, dass die Tasche und ihr Inhalt sicher gestellt werden – zur Beruhigung. Die nette Crew kann tatsächlich die Tasche orten, das gute Stück wird sogar direkt an die Maschine gebracht – gerettet!

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15. Januar 2015. „Grünen-Politikerin: Ihre Handtasche stoppt Airbus“, titelt der Berliner Kurier. Tabea heißt mit Nachnamen Rößner und ist Politikerin, Bundestagsabgeordnete der Grünen, lebt in Mainz. Am Montag war sie auf dem Weg zu ihrer Arbeitsstelle, dem Deutschen Bundestag, viele Berliner Politiker saßen wie sie in der Maschine aus Frankfurt. Auch ein Reporter des Berliner Kuriers saß in der Maschine. Flughafen Gewirr Maschinen Vorfeld - Foto Fraport

Die öffentliche Meinung steht sofort fest: Die Tasche wurde mit einem Steiger ans Flugzeug geliefert, dort, wo sonst das Essen hineingereicht wird – Sonderbehandlung, ganz klar. BILD steigt ein: „Grünen-Politikerin stoppt Lufthansa-Flieger.“ Nun rollt die Geschichte quer durch die Blätter der Republik, in den Internet-Foren schlägt die Empörung hohe Wellen. „Das Selbstverständnis dieser Frau sagt ja schon viel aus über die Politkaste“, schreibt einer. Politiker: unnütz, egoistisch, überheblich, „da geht es zu wie beim Sonnenkönig.“

Dann fällt jemandem auf, dass Rößner aktiv gegen Fluglärm ist. „Ich wusste gar nicht, zu welchen Mitteln die Grünen alles greifen, um den Flugverkehr am Frankfurter Flughafen lahmzulegen“, spottet einer. „Warum fährt sie die Strecke nicht mit der Bahn?“, fragt prompt der nächste: „Dafür sollte es Spott und Häme geben.“ Nun ist Tabea also auch noch eine bigotte Heuchlerin. „Fahrräder fürs Volk, Hummerhäppchen in der BusinessClass für die Führungskaste…“, heißt es.

Plakate 100. Montagsdemo - Foto gikTabea wohnt in der Mainzer Oberstadt, die Gegend ist seit Eröffnung der Nordwestlandebahn in Frankfurt eine der am schlimmsten von Fluglärm betroffenen Stadtteile von Mainz. Bei Ostwind reißen morgens um 5.00 Uhr die ersten Flieger die Bewohner aus dem Schlaf. Tabea kämpft politisch gegen den Fluglärm, geht regelmäßig zu den Fluglärm-Montagsdemos im Terminal 1. Zu ihren Terminen in ganz Deutschland fährt sie hauptsächlich mit der Bahn.

An diesem Sonntag widmete sich Tabea ihrer aufgeregten Tochter, die am Montag ihre erste Abiklausur schreibt. Am Montagmorgen steht noch ein Handwerker vor der Tür, um 10.45 muss sie am Flieger sein, in Berlin warten Termine: Medien-Ausschuss, Internet-Enquete. Mit dem Zug wäre das nicht zu schaffen gewesen.

15. Januar, mittags. „Weder ich noch meine Handtasche können ein Flugzeug stoppen“, schreibt Tabea Rößner in einer persönlichen Erklärung, und erklärt den Vorfall: Fehlende Starterlaubnis, Tasche sicher stellen. „Dass ich Bundestagsabgeordnete bin, habe ich übrigens nicht erwähnt. Die Sache war so schon unangenehm genug“, schreibt Rößner weiter. Und dass sie „jedes Mal aufs Neue abwägt, ob ich die Bahn nehmen kann oder den Flieger nehmen muss.“ Tabea Rößner mit Handtasche - Ausschnitt Video Ebay Verkauf

Jetzt hat die Republik eine Diskussion über die Nutzung von Verkehrsmitteln bei Bundestagsabgeordneten: Darf es der Flieger sein? Ist die Bahn nicht viel ethisch korrekter weil umweltfreundlicher? Welchem Stress ist ein Abgeordneter ausgesetzt? Oder haben die sich nicht alle nur? Die Handtasche ist inzwischen berühmt.

Damit das „Handtaschen-Gate“ wenigstens ein Gutes hat, versteigert Rößner die Tasche für 223,78 Euro bei Ebay, den Zuschlag erhält der Mainzer FDP-Lokalpolitiker Tobias Huch. Rößner rundet auf 500,- Euro auf, das Geld geht an die Fluglärmmessstation auf dem Mainzer Lerchenberg. Tabea trennt sich nur schwer von ihrer langjährigen Begleiterin. Ihre Tasche sieht sie jetzt Montags auf der Fluglärm-Demo – Tobias Mutter Maria ist engagierte Fluglärm-Gegnerin.

Vogelscheuche Handtasche Tabea Rößner - Foto privat April 2015. „Was das für eine Tasche ist, spielt eigentlich gar keine Rolle, sondern was sie ausgelöst hat“, sagt Rosita Nenno, Chefkuratorin und stellvertretende Leiterin des Deutschen Ledermuseums in Offenbach. Das Museum beruht auf der Lederwarenindustrie in Offenbach, Millionen von Taschen wurden hier hergestellt, besondere Taschen sind ein Schwerpunkt der Museumssammlung.

„Die Tasche ist eine Skandaltasche“, sagt Nenno, was sie interessant mache, sei dies: „Es ist die Verquickung eines Alltagsgegenstandes mit der hohen Politik – und noch dazu mit der Fragestellung: was darf ein Politiker tun?“ Da gehe es auch um moralische Erwägungen, um Vorurteile gegenüber Politikern, um ein Grundmisstrauen: Was erlauben die sich? „Das steckt jetzt alles in diesem einen Stück Tasche drin“, sagt Nenno, „das sollte man für die Zukunft aufbewahren.“

Heute wird die Tasche ans Deutsche Ledermuseum übergeben, dauerhaft. Dort wird sie nun neben den Turnschuhen von Joschka Fischer stehen, jenen weißen Tretern mit denen der spätere grüne Außenminister bei seiner ersten Vereidigung als Minister im Hessischen Landtag einen Skandal auslöste. „Jetzt kommt das weibliche Gegenstück dazu“, sagt Nenno schmunzelnd. Er steht dann im Museum, ein Gegenstand bundesdeutscher Zeitgeschichte – Tabeas Tasche.

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