Rund 500 bis 600 Menschen haben am Mittwochabend auf dem Mainzer Schillerplatz ihre Bestürzung über den Großbrand im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos zum Ausdruck gebracht – und in das Entsetzen mischte sich durchaus auch Wut: „Ich bin seit 2015 wütend, ich bin ohnmächtig“, sagte der Mainzer Vorsitzende der Linken, Hendrik Barka Laufer. Camp Moria sei menschenunwürdig, die Politik habe sich aber jahrelang geweigert, zu handeln. In Sprechchören und auf Plakaten forderte die Menge, sofort Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen. „Wir haben Platz, Mainz hat Platz“, rief eine Rednerin.

Großbrand im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos. - Handyvideo: privat, Screenshot: gik
Großbrand im Flüchtlingscamp Moria auf Lesbos. – Handyvideo: privat, Screenshot: gik

In der Nacht zum Mittwoch war in dem großen Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ein Großbrand ausgebrochen, Medienberichten zufolge wurde das Lager zu 80 Prozent zerstört – am Mittwochabend brachen erneut Brände aus. Als Ursache wird unter anderem vermutet, dass Flüchtlinge selbst Feuer gelegt haben, die Lage in Moria sei völlig desolat und verzweifelt gewesen, berichteten zahlreiche Helfer – insbesondere nachdem die griechische Regierung das Camp nach der Entdeckung der ersten Fälle von Coronavirus-Infektionen abgeriegelt hatte.

Der Mainzer Arzt Gerhard Trabert, der das Camp noch vor zweieinhalb Wochen besucht hatte, berichtete gegenüber Mainz& von desaströsen Zuständen, von fehlendem Wasser und Duschen, von Ratten und Kakerlaken überall. „Die Bedingungen waren dramatisch schlecht“, berichtete Trabert, der seit Jahrzehnten Flüchtlingslager in Krisenregionen bereist.  Nach dem Brand herrsche in Moria das völlige Chaos, die Menschen säßen auf der Straße, ihre Unterbringung und Zukunft sei völlig unklar.

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Die Bilder des brennenden Camps hatten am Mittwochabend auch viele Mainzer aufgerüttelt und dazu bewegt, zu einer spontan angemeldeten Kundgebung auf dem Schillerplatz zu kommen. „Wir sind hier, weil wir wütend sind, und weil wir nicht mehr weiter wissen“, sagte Linkenchef Laufer als erster Redner, „wir können hier jede Woche stehen, mit fünf Leuten oder 5000 – ich habe das Gefühl, es bringt nicht viel.“ Camp Moria sei für 2.800 Menschen konzipiert, aber mehr als 12.500 lebten dort. „Dieses Camp ist unmenschlich“, sagte Laufer, „aber es ist auf europäischem Boden, das ist Verletzung der Menschenwürde.“

500 bis 600 kamen zu der Kundgebung auf den Mainzer Schillerplatz - vor dem Innenministerium. - Foto: gik
500 bis 600 kamen zu der Kundgebung auf den Mainzer Schillerplatz – vor dem Innenministerium. – Foto: gik

Viele Redner forderten im Anschluss, die Bundesregierung müsse nun umgehend reagieren, Flüchtlinge müssten aus dem Camp evakuiert und auch in Deutschland aufgenommen werden. Vor allem Bundesinnenminister Horst Seehofer (CDU) stand in der Kritik, er blockiere sämtliche Aufnahmeprogramme von Ländern und Kommunen. Die Katastrophe von Moria sei die Folge der menschenverachtenden europäischen Flüchtlingspolitik, kritisierte die Organisation pro Asyl am Mittwoch per Mitteilung.

Auch die Katholische Bischofskonferenz ließ am Nachmittag verlauten, „die mit dem Flüchtlingslager Moria verfolgte Politik der Abschreckung geht auf Kosten der Menschlichkeit.“ Die bisherigen politischen Blockaden müssten jetzt überwunden werden, notfalls „eine humanitäre Koalition der Willigen“ in Europa vorangehen.

Die Demonstranten auf dem Schillerplatz forderten die sofortige Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria. - Foto: gik
Die Demonstranten auf dem Schillerplatz forderten die sofortige Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria. – Foto: gik

Auf dem Schillerplatz forderten Redner und Demonstranten auf Plakaten sofortiges Handeln von Bund und Land. „Wir haben Platz, Deutschland hat Platz, Mainz hat Platz“, rief eine Rednerin in die stetig anwachsende Menge. „Wir fordern von der Landesregierung, weiterhin Druck auf den Bund auszuüben, eine feste Zusage für die Aufnahme von jährlich 200 Flüchtlingen von den EU-Außengrenzen zu machen“, teilte der Arbeitskreis Asyl am Abend mit. Die rheinland-pfälzische Integrationsministerin Anne Spiegel (Grüne) forderte die Bundesregierung auf, sofort 1000 Geflüchtete aus Moria nach Deutschland zu holen.

„Das Lager in Moria muss umgehend aufgelöst und die Geflüchteten innerhalb der EU verteilt werden“, forderte Spiegel, „das sind wir diesen Menschen schuldig.“ Auch Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) betonte auf ihrem Facebook-Profil, Rheinland-Pfalz sei bereit, zusätzliche Flüchtlinge aufzunehmen, die SPD-Fraktion im Landtag verwies darauf, man habe bereits vor dem Brand zugesagt, 50 Flüchtlinge aus Moria aufzunehmen.

Frieden und Flüchtlingsaufnahme jetzt - Demonstranten auf dem Mainzer Schillerplatz. - Foto: gik
Frieden und Flüchtlingsaufnahme jetzt – Demonstranten auf dem Mainzer Schillerplatz. – Foto: gik

Den Demonstranten auf dem Schillerplatz reichte das indes nicht: Damit biete Rheinland-Pfalz de facto lediglich die Menge an, die nach dem üblichen Königsteiner Schlüssel ohnehin auf das land verteilt würde, kritisierte Thomas Jäger vom Initiativausschuss Migration. „Wir brauchen eine überproportionale Aufnahme“, forderte er, Rheinland-Pfalz müsse wie andere Länder ebenfalls ein Landesaufnahmeprogramm auflegen.

Die Mainzer Grünen-Chefin Katharina Binz fordert gar, Deutschland sei „jetzt gefordert, mit einer Aufnahme von mindestens 5000 Menschen dazu beizutragen, dass das Lager gänzlich evakuiert und geschlossen werden kann.“ Deutschland solle vulnerable Personen aufnehmen, um ein positives Zeichen zu setzen, sagte am Abend auch der Leiter des Migrationsbüros der Malteser Werke in Rheinland-Pfalz und Hessen, Behrouz Asadi, gegenüber Mainz&: 13.000 Menschen, das sei doch zu schaffen, ihre Aufnahme eine Aufgabe von Menschlichkeit und Humanität. „Moria gehört in der Geschichte, die Frage ist doch, wo bleibt unsere Verantwortung“, sagte Asadi – er halte es da mit der Kanzlerin von 2015: „Wir schaffen das.“

Mehr als 500 Teilnehmer auf dem Schillerplatz bei der Kundgebung zum Brand in Camp Moria. - Foto: gik
Mehr als 500 Teilnehmer auf dem Schillerplatz bei der Kundgebung zum Brand in Camp Moria. – Foto: gik

Der Mainzer SPD-Landtagsabgeordnete Johannes Klomann betonte in einer Mitteilung, die humanitäre Notlage der Geflüchteten auf Lesbos habe „nicht erst seit heute ein nicht hinnehmbares Maß angenommen.“ Nun müsse „auch jedem Zweifler klar sein, dass das Flüchtlingslager Moria evakuiert werden muss.“

Doch das war offenbar nicht der Fall: Die AfD im Landtag forderte hingegen, Deutschland dürfe sich „weder von Asylzuwanderern noch von Regierungen erpressen lassen, die eine Notsituation herbeigeführt oder billigend in Kauf genommen“ hätten. Die Aufnahme aller in Moria gestrandeten Asylbegehrenden wäre „ein fatales Zeichen nach Außen und wohl erst der Anfang weiterer Aufnahmewellen.“ Ministerin Spiegel wolle „unter dem Deckmantel von ‚Humanität und Solidarität‘ Deutschland endgültig zum Sehnsuchtsort von Wirtschafts- und Armutsmigranten machen.“

Bewegende Rede, eindringlicher Appell: der Mainzer Arzt Gerhard Trabert berichtete von der Situation in Moria. - Foto: gik
Bewegende Rede, eindringlicher Appell: der Mainzer Arzt Gerhard Trabert berichtete von der Situation in Moria. – Foto: gik

„Die Situation in Moria ist einfach hoffnungslos“, berichtete hingegen Gerhard Trabert auf der Kundgebung: „Man wird das auf Lesbos jetzt nicht mehr handeln können, die einzige Hilfe ist jetzt, dass wir die Menschen evakuieren.“ Deutschland müsse dabei vorangehen und dürfe nicht länger auf Europa warten, forderte Trabert. „Wenn wir dies nicht tun, verraten wir die Menschenrechte“, sagte er, und warnte, es könne doch wohl nicht sein, dass Deutschland aus Angst vor rechten Populisten die Menschenrechte verletze. “

„Wenn wir in Deutschland aus der Geschichte etwas gelernt haben müssen, dann ist es doch kein: Millimeter nach Rechts“, sagte Trabert, der für seine Rede sehr viel Beifall und Zustimmung bekam. „Ich habe heute von vielen Seiten einen Hilferuf bekommen“, fügte der Arzt hinzu, sehr viele Flüchtlinge und Helfer aus Moria hätten sich an ihn gewandt. „Bitte sei Du unser Sprachrohr“, habe die Botschaft gelautet, berichtete Trabert: „Wir können nicht mehr.“

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Schilderungen Traberts aus dem Camp Moria sowie weitere Forderungen und Aussagen zu den Konsequenzen aus dem Brand lest Ihr hier bei Mainz&.

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