Eine Karte für die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“? Der Traum jedes eingefleischten Mainzer Fastnachtsfans. Doch Karten für die Sitzung im Schloss sind rar und teuer obendrein, da machte es Mainz& eine ganz besondere Freude, einen Mainz&-Leser der ersten Stunde mit einer ebensolchen zu beglücken. Marco Silbernagel ist Wahl-Mainzer und wohnt lange genug im goldigen Mainz, um als Määnzer durchzugehen (und nicht mehr bloß als Mainzer). Bisher kannte er die Fernsehsitzung nur als Zuschauer auf der Fernsehcouch, am Mittwoch tauschte er die ein gegen einen Zuschauerstuhl in der ersten Reihe des Kurfürstlichen Schlosses zu Mainz. Die Sitzung live, wenn auch „nur“ bei der Generalprobe, jedoch in voller Länge, Farbe und Lautstärke – ein besonderes Erlebnis. Seine Eindrücke hat er für uns verarbeitet – wir teilen sie natürlich gerne mit Euch. Ein dreifach donnerndes…. H E L A U !!!
Nicht nur, aber insbesondere für Mainzer, Määnzer und vor allem Meenzer, ist „die Fernsehsitzung“ das Hochamt der Fassenacht. Der Höhepunkt der Kampagne. Dein Heimatgefühl im Fünf-Jahreszeitenturnus. Auch für mich. Für den Rest: Irgendwas zwischen reaktionärem „Lachen auf Knopfdruck“, Klischees und „Kann das weg?“. Macht nix. Mucker und Philister! Schnudetunker, Schobbepetzer, Scheierborzeler: Wer hier auf den Duden hofft, der kennt die Mainzer (Saal-)Fassenacht allein vom Hörensagen. Keine andere Institution hat Mainzer Lebensfreude und rheingelegenen Humor im deutschsprachigen Raum besser transportiert und attraktiv gemacht als die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“. Außer einer anderen Institution vielleicht, doch dazu später mehr.
Wo die Mehrheit der Glotze-Guckenden sich an Kinder-Samstage im Wohnzimmer, frisch gebadet und schon im Schlafanzug, zweck Guckens der Hitparade mit Dieter Thomas Heck entsinnen kann, gesellt sich bei Zeitgenossen wie mir eine zweite, prägende TV-Erinnerung hinzu: Die „Fernsehsitzung“. Und wer dazu mit fassenachts-verücktem Elternhaus gesegnet, bei den Rosenmontagszügen im Dorf mitgelaufen und gar schon selbst als Aktiver auf der närrischen Rostra gewirkt, der ist dem Virus unheilbar verfallen. Gläubig oder nicht: Vor der Fastenzeit, da steht die Fastnacht. Carne vale – Steakliebhaber und Veganer fröhlich feiernd vereint. Auch für mich.
Die „Fernsehsitzung“ kulminiert und komprimiert – mal weniger, zumeist perfekt – die Lebensart, den geradlinigen Herz-Humor und die (politische) Freiheitsliebe derer, die im Einflussbereich Mogontiacums leben. Einst aus „Mainz wie es singt und lacht“ (ARD/SWF) und „Mainz bleibt Mainz“ (ZDF) fusioniert, ist’s vor allem eins: Ein Querschnitt aus der Mainzer Saalfassenacht – mit kindischem Kokolores und feinziseliertem Florett. Lokales Best-Of auf Bundesliga-Niveau. Jeder Aktive, der ab Sommer schon mit Vortragsideen schwanger ging, das Schreiben und Reimen als Qual und Labsal zugleich empfand und die lampenfiebrige, eigene „Performance“ auf der Narrenbühne detailgenau erinnert, der weiß: Herzblut ist das Elixier – ein Tusch und der Applaus das Endorphin der aktiv Vortragenden. Auch für mich.
Fast forward ins Jahr 2018: Kurfürstliches Schloss. Die Meenzer „Gut’ Stubb“, die schon so viel gesehen hat (und erzählen könnte), ist vom Gebührenzahler aufgebretzelt (Wortspiel!). Nichts weniger als Inthronisierung, Papstweihe und Justin Bieber-Konzert in einem stehen an. Vorfreudig-vorglühendes Gewimmel im Treppenhaus. Bekannte Gesichter und normale Leit. Flintrieme und goldische Schätzjer allerorten. Alle(s) kostümiert. Bescherung für brave Narrenkinder. Film ab: Die Kamerafahrt hinein in den Saal, das bist Du selbst: Vierfarbbuntes Leben in HD. Script-Girls und Kamera-Männer im Gang, Honorationen und de Günther aus Finthe auf dem gleichen Level. Prost!
Und kaum hast du Bretzel, Spundekäs’ und Schobbe probiert erklingt schon der Narhallamarsch: Weckruf ans Sitzfleisch für die Eingefleischten. Einzug der Garden. Nur im Stehen. Mimosen fangen die ihnen zugedachten, gleichnamigen Sträußchen. Sitzungspräsident und Fastnachts-Furioso Andreas Schmitt schellen-schwingend in seinem Element. Und Rolf Braun lächelt auf seiner Wolke – stolz ob des Anblicks seines würdigen Enkels. Präsident und Redner: Traditions-Personalunion auf meenzerisch. Oliver Mager, die alternativlose „Helene Fischer“ der Saalfassenacht, ist Eisbrecher und Hochleistungs-Heizer. Wir sind (alle) Mainzer. Die ersten Nasen werden rot.
Der schönste Tag, der Bundestag, der kündigt’s an – jetzt wird’s ernst. Fassenacht ist kein Spaß – schon gar nicht hinter den Kulissen. Friedrich Hofmann hält der Politik den Spiegel vor. Florett statt Schwert, Redefreiheit statt Zensur – heute wie (vor-)gestern. Stehender Applaus für den Till. Mit was? Mit Recht.
Und „Zack“, die 180 Grad-Wende im Programmablauf: Zeitlebens Zeichen Mainzer Dramaturgen, gekonnt zelebriert. Dort, wo früher Norbert Roth handschuhbewehrt wetterte, kokolort Alexander Leber sich als Polizist durch die Altstadt. Statt plumper Dummheit regiert beim Humor in Mainz die Absicht. Nichtsdestowenigertrotz, „Mainz bleibt Mainz“ ist schon auch ein bisschen Merkel: Gemächlichkeit ist das Gegenteil von Revolution. Doch wenn das Neue, Frische, Junge (Wortspiel!) aufblitzt, dann merkst du es sofort. So wie bei „Handkäs un sei Mussig“. Funken springen über – musikalische Tradition und moderne Töne in einem Song.
Bedienung kommt! „Das war dann der Riesling und zwei Mal Spundekäs“ trällert es in deinem Ohr und du meinst, du zahlst jetzt die Südseekreuzfahrt, so hoch ist der Preis. Definitiv Außenkabine. Handkäsmafia und Hottwollée haben ihren Preis. Auch für mich.
Tempo, Tempo! Television verzeiht keine Hänger. Markenzeichen Mundwinkel (hängend): Merkel kann Dr. Florian Sitte. Stellenweise besser als die Vorlage. Auch die Altrheinstromer sind „Echte Meenzer“. Wie wir alle. Nur halt mit Quetschkommod, Gitarre und Kontrabass. Trotzdem Respekt: Weil Text und Musik ist eben auch doppelt Arbeit. Und da ist es – das erste Wiesbaden-Bashing des Abends! Durch Sabine Pelz als Chefhostess vom Rathaus: „Mir habbe nix gege Wiesbadener – jedenfalls nix, was hilft“. Konstanten im Fastnachtsleben. Finther und die „hässlichen“ Nachbarn aus der anderen Landeshauptstadt. Köln gegen Düsseldorf, Schalke gegen Dortmund. Ohne das wär’s halb so schön. Andersrum: Bretzel mit Spundekäs! Auch für mich. Normalerweise wär’ jetzt X Mal 11 Minuten Pause. Halte mer’s halt ein und rauchen später. Bedienung! „Jo, bring noch e Flasch“. Da fragt man sich: Hab’ ich genug Geld dabei?
Schnorreswackeln, die Disziplin seit Jahrzehnten, kommt im modernen Gewand daher. Stehender Applaus für den Gesangsvortrag? Das musst du dir erarbeiten. Nach Detlev Schönauer mit in die Jahre gekommenem Bio-Lehrer Hut ab für Hutträger Jürgen Wiesmann. Auch hier: Konstanz ist die hohe Kunst der ernst-lustigen Figuren. Wein im Glas, Klos im Hals: Margit Sponheimer ist mit 75 Jährchen (endlich) Ehrenbürgerin, doch kein bisschen leise. Sie hat viel gemein mit der Fernsehsitzung, die sich gegenseitig so viel gegeben haben: Institution wird Ikone.
Lars Reichow, als geborener Finther nach Gonsenheim „aufgestiegen“, liefert ab: Inhaltlich, pointiert und über die Jahre im Fastnachts-Journal konstant. Profis in der Fassenacht? Egal, solange es Lars Reichow ist. Und doch (Achtung, Reim!)
Nach diesem Vortrag
da wird schmerzlich klar,
Jürgen Dietz fehlt allen hier,
und das nun schon im vierten Jahr.
Ballett: Muss sein. Synchrone Augenweide für den Bischof (der im Saal sitzt), goldische Böppcher für den Rest. Wer jetzt noch zweifelt: Martin Heininger und Christian Schier schaffen den Spagat. Seit Jahren. Kräftiger Kokolores auf höchstem Niveau, ansteckende Anarcho-Fassenacht. Danach wird die Mess’ gelese: Urgestein Andreas Schmitt, der Präsident aller Präsidenten, als Obermessdiener. Nicht nur wer vorne sitzt spürt seine Wucht. Und wer jemals in lauschiger Nacht auf einer Fastnachtsbühne stand, fühlt mit: „Die Kampagne, sie tobt, die Tage werrn länger, nur die Scheiß Bütte, werrn alle Jahr’ enger“. Da ist sie, die ur-mainzerische Art: Gottesfürchtig ohne bigott zu sein, das Wahre von Herzen auszusprechen.
Was bleibt: Ein Stück aus der Fastnacht wie „So ein Tag“ zu deutschem Liedgut werden zu lassen, das haben nur die Hofsänger geschafft. In stürmischer See, aber der Kapitän immer an Deck. Stimmgewaltig, ob Chor oder im Solo sind sie der Fixpunkt und du weißt seit Kindesbeinen: Finale! „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ – verändert hat sich das in all den Jahren nur bedächtig, meist nur zum Guten. Doch eines, das ist seit deiner Kindheit immer noch da: Wenn du nach der Fernsehsitzung – aus dem Saal oder vom Sofa kommend – ins Bett gehst, dann freust du dich auf den Rosenmontag. Am besten in Mainz.
Info& auf Mainz&: Marco Silbernagel (@m_silbernagel) ist Wahl-Mainzer, wohnt lange genug im Stadtgebiet, um als Määnzer durchzugehen (und nicht mehr bloß als Mainzer). Zum Berufseinstieg im Journalismus gesellten sich ein Mal 11 Jahre als aktiver Redner und Sitzungspräsident. Mittlerweile hat es ihn ins Marketing für Technologieunternehmen geführt, den aktiven Part auf der Bühne hat er mit dem Stuhl im Publikum der Saalfastnacht getauscht. Und wenn er nicht gerade neue Softwareprodukte zu Markte trägt, arbeitet er an seiner Rückkehr auf die närrische Rostra. Den Bericht der Mainz&-Schreiberin (das war die mit dem Eulenspiegel-Hut) über Mainz bleibt Mainz 2018 findet Ihr genau hier.