Die Identität des Toten aus dem Sarkophag der Mainzer Johanniskirche wird immer mysteriöser: Auch zehn Tage nach der Öffnung des 1.000 Jahre alten Sarkophags bestehe weiter Ungewissheit über die Identität des darin gefundenen Toten, teilte Grabungsleiter Guido Faccani am Donnerstag mit. Das Problem: In dem Sarkophag wurden weder ein Ring noch ein Bischofsstab gefunden, auch ein sonst durchaus übliches Bleiplättchen mit dem Namen des Verstorbenen fehlt. Stattdessen stellten die Forscher fest: Der Sarkophag wurde verkehrt herum eingebaut und musste in aller Eile für den Toten angepasst werden. Damit bleibt weiter unklar, ob der Tote der frühere Erzbischof Erkanbald war. Derweil weist die Evangelische Kirche darauf hin, dass die Ruhe des Toten nicht über Gebühr gestört wurde – und die Johanniskirche bekommt eine Finanzspritze von 250.000 Euro.
Am 4. Juni hatte ein internationales Forscherteam den Deckel des 1.000 Jahre alten Steinsarkophags gelüftet. Der Sarkophag war 2017 bei Ausgrabungsarbeiten in der Mainzer Johanniskirche gefunden und Ende 2018 freigelegt worden. Von Anfang an vermuteten die Forscher darin eine hochstehende Persönlichkeit: Der Sarkophag fand sich prominent auf der Mittelachse direkt vor dem Ostchor des damalige Alten Doms von Mainz, die Gestaltung des Sargdeckels wies die typischen Merkmale eines hochrangigen Klerikergrabes auf.
Nach der Öffnung der Sarkophags allerdings breitete sich erst einmal Verwirrung aus: Der Tote im Sarg war stark zersetzt, nicht einmal ganze Knochen des Skeletts waren übrig. Das Forscherteam stellte noch in den ersten Stunden fest: Der Tote war mit Ätzkalk bestreut worden, eine Methode, um das Ausbreiten von Gerüchen oder Krankheiten vorzubeugen – und das führte zu der ungewöhnlich starken Zersetzung.
Seit der Öffnung werden der Sarkophag und sein Inhalt von einem 14-köpfigen Forscherteam untersucht, und das stellte inzwischen fest: Der Tote war mindestens 175 Zentimeter groß und starb im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. „Die Reste einer Kasel, eines liturgischen Gewands, sind ebenso gut sichtbar wie auch Schuhe“, berichtete Grabungsleiter Faccani nun. Entgegen ersten Vermutungen seien die Schuhe allerdings nicht aus Stoff, sondern aus Ziegenleder. Gut sichtbar war direkt nach der Öffnung des Sarkophags auch eine Goldborte in der Region des Kopfes, Experten hatten vermutet, diese könne den unteren Rand einer Bischofsmütze, einer Mitra, gebildet haben.
Das bestätigte sich indes nicht: „Die Deutung der Goldborte über dem Kopf ist noch nicht abschließend möglich“, betonte Faccani. Es sei allerdings ausgeschlossen, dass sie zu einer Mitra gehöre – es fanden sich bislang keinerlei weiteren Stoffreste, die darauf hindeuten würden. So ist die Identität des Toten weiterhin rätselhaft, mysteriös ist nämlich: „Wir haben auch keine Beigaben gefunden, die auf einen Bischof schließen lassen – weder Ring, noch Bischofsstab oder Bleiplättchen mit Namen waren zu finden“, sagte Faccani. Vor allem das Fehlen des Bischofsrings ist überraschend, zudem war es üblich, den Toten Bleiplättchen mit ihrem Namen mit ins Grab zu legen. Das Fehlen jeglicher Grabbeigaben ist ausgesprochen überraschend und unüblich, und erschwert die Identifizierung des Toten erheblich.
Dazu kommt noch eine weitere überraschende Erkenntnis der Forscher: Der Sarkophag wurde verkehrt herum in den Boden eingelassen. Der aus rotem Sandstein gefertigte Sarkophag sei wiederverwendet worden, also nicht für den bestatteten Kleriker neu hergestellt, teilten die Forscher mit. An den Schmalseiten innen sei die Wanne zudem überarbeitet worden, seitlich der Füße seien „Eckpolster“ abgeschlagen worden. „Diese bildeten ursprünglich eine Nische, in die eigentlich der Kopf des Verstorbenen hätte gebettet werden sollen“, so die Informationen, und weiter: „Anders gesagt: Die in die Kirche transportierte, rund zwei Tonnen schwere Sarkophagwanne wurde falsch ausgerichtet in die ausgeschachtete Grube gelassen.“
Nach dem Bemerken des Fehlers habe man die Wanne in aller Eile umgestaltet und für den Verstorbenen hergerichtet. So wurde der eigentliche Fußbereich nun für die Kopfpartie des Toten gestaltet, dafür baute man hier drei Tonplatten ein, auf denen man den Kopf des Verstorbenen auf einem Kissen bettete. Diese Funde gebe weitere Rätsel auf: Wieso wurde der Tote offenbar in solcher Eile bestattet, dass man nicht einmal Zeit hatte, einen Sarkophag für ihn anzufertigen? Denn gleichzeitig spricht die Lage des Grabes – im Mittelgang, direkt vor dem Altar – dafür, dass hier ein sehr hochrangiger Toter begraben worden sein muss. Die Forscher vermuteten deshalb, hier müsse der 1021 gestorbene Erzbischof Erkanbald begraben liegen – bestätigt werden kann das aber mit diesen Funden weiterhin nicht.
Die weiteren Untersuchungen liefen aber auf Hochtouren, sagt Faccani weiter. Dazu gehörten Analysen zu Sterbezeitpunkt, DNA, Stoffen, organischen Materialien sowie Metallen aus dem Sarkophag. Das werde noch einige Wochen in Anspruch nehmen, erst danach könne eine erste Gesamtbeurteilung stattfinden.
Die Evangelische Kirche äußerte sich derweil auch zu der Frage der Totenruhe: Es sei vereinzelt die Frage aufgekommen, warum man die Ruhe der 1.000 Jahre alten Bestattung stören müsse, sagte der Mainzer Dekan Andreas Klodt. Die Öffnung des zentral gelegenen Sarkophags im Alten Dom St. Johannis sei aber „aus meiner Sicht in der Abwägung durch ein übergeordnetes, allgemeines Interesse an der Erforschung der ältesten Kirche der Stadt zu rechtfertigen“, betonte der Dekan. Das sei im Übrigen sehr pietätvoll erfolgt, auch werde die Totenruhe nach Abschluss der Untersuchungen weider hergestellt: „Die sterblichen Überreste und der Sarkophag sollen an Ort und Stelle verbleiben, der Sarkophag wird nach der Arbeit des wissenschaftlichen Teams wieder verschlossen“, sagte Klodt noch einmal.
Die EKHN wies zudem darauf hin, dass die Ruhefrist für Verstorbene in Deutschland bei einer Erdbestattung durchschnittlich 25 Jahre beträgt, bei einer sogenannten „Gruftbestattung“ durchschnittlich 50 Jahre. „In der Regel ist in Deutschland die Totenruhe endlich“, fügten die Kirchenvertreter hinzu.
Derweil darf sich das Team der Johanniskirche über einen Geldsegen freuen: Der Bund stelle für die Arbeiten in der Kirche 250.000 Euro aus dem Denkmalpflegeprogramm „National wertvolle Kulturdenkmäler“ 2019 zu Verfügung, teilte die Mainzer Bundestagsabgeordnete Ursula Groden-Kranich (CDU) am Mittwoch mit. Darüber habe sie Staatsministerin Monika Grütters (CDU) informiert. „Das ist ein tolles Zeichen für unsere kulturellen Schätze“, freute sich Groden-Kranich. Mit diesen Geldern sei es möglich, einen wirksamen Beitrag zum langfristigen Erhalt dieses nationalen Baudenkmals zu leisten. Schließlich sei St. Johannis „die älteste Kirche in Mainz und nach dem Trierer Dom die zweitälteste Bischofskirche in ganz Rheinland-Pfalz“, erinnerte die Bundestagsabgeordnete. Die Förderzusage sei „ein wichtiges und richtiges Zeichen“ für den Erhalt dieses Denkmals.
Info& auf Mainz&: Unseren ausführlichen Bericht von der Öffnung des 1.000 Jahre alten Sarkophags findet Ihr hier bei Mainz&.