Die Reaktionen auf die geplante neue „Kenia-Koalition“ im Mainzer Stadtrat fallen harsch aus, die AfD spricht von „einem bunten Haufen“, der lediglich Dezernentenwahlen im Sinn habe, die Linke gar von einer „Rückwärtskoalition“. SPD und Grüne verschenkten eine mögliche linke Mehrheit, die für faires Wohnen, eine Mobilitätswende und den Kampf gegen Kinderarmut hätte kämpfen können, klagt die Linke. Die ÖDP mahnt eine künftige sachliche Zusammenarbeit im Stadtrat an, die Umweltinitiative Mainz Zero fordert die Umsetzung des „Masterplans 100% Klimaschutz“ – und hat dafür eine Monitoringseite ins Netz gestellt.

Trägt die Koalition im Mainzer Stadtrat künftig die Farben der Nationalflagge von Kenia? Wir haben da schon mal was antizipiert... - Foto: Mainz&
Trägt die Koalition im Mainzer Stadtrat künftig die Farben der Nationalflagge von Kenia? Wir haben da schon mal was antizipiert… – Foto: Mainz&

Vergangenen Donnerstag hatten sich Grüne, SPD und CDU in verschiedenen Parteigremien für die Aufnahme gemeinsamer Koalitionsverhandlungen ausgesprochen, der Mainzer Stadtrat bekäme damit eine Mega-Koalition, die mehr als zwei Drittel der Stimmen halten würde. Ausschlaggebend für die Zusammenarbeit war offenbar genau dies: eine stabile Mehrheit, die sich nicht vor einzelnen Stimmabweichlern oder fehlenden Stadtratsmitgliedern fürchten muss.

„Wir wollen den Schwung mitnehmen, um den großen Herausforderungen, die auf unsere Stadt in den nächsten Jahren zukommen, gerecht zu werden“, teilten die drei potenziellen Koalitionspartner mit, und nannten als Hauptziele Klimaresilienz, bezahlbarer Wohnraum und eine Verkehrspolitik für alle Verkehrsträger. Weitere Themen sollen der Ausbau der Kitaversorgung und die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung in den Grundschulen, die Verbesserung von Sicherheit und Sauberkeit in der Stadt sowie die Schaffung von mehr Grün- und Naherholungsflächen sein – mehr dazu lest Ihr ausführlich hier bei Mainz&.

- Werbung -
Werben auf Mainz&

Linke: „Rückwärtskoalition“ statt linker Mehrheit

Die ganze große „Kenia-Koalition“ wäre indes nicht die einzige Möglichkeit für eine Koalitionsbildung gewesen, die bisherige Ampel-Koalition aus Grünen, SPD und FDP hätte auch mit Volt oder den Linken zusammengehen können. Volt sagte allerdings den Eintritt in Koalitionsverhandlungen am Donnerstag ab, mit der Linken kam es offenbar ebenfalls zu keiner Einigung – beide Konstellationen hätten allerdings auch nur zwei oder drei Stimmen Mehrheit im Stadtrat gehabt.

Sommerfest der Mainzer Linken im Wahlkampfendspurt 2024. - Foto: gik
Sommerfest der Mainzer Linken im Wahlkampfendspurt 2024. – Foto: gik

Die Linke reagierte nun enttäuscht bis wütend: „Sollte es tatsächlich zu dieser Koalition kommen, ist das ein Schritt zurück für Mainz“, schimpfte die Ko-Vorsitzende der Linken im Stadtrat, Carmen Mauerer: „SPD und Grüne waren nicht in der Lage, ihre Wahlversprechen mit der FDP umzusetzen – wie das nun mit einer CDU-Fraktion, die stärker als die SPD ist und nur ein Mandat weniger als die Grünen hat, besser werden soll, werden Rot und Grün ihren Wählern erklären müssen.“

Andere Mehrheiten „wären möglich gewesen“, schimpfte die Linke weiter – und meint damit vor allem sich selbst: In den Wahlprogrammen von SPD, Grünen und der Linken habe es „große Überschneidungen und auch eine gemeinsame Mehrheit“ gegeben, trotzdem „paktieren Grüne und SPD lieber mit den Konservativen“, kritisierte Mauerer weiter. „Die Linke hat immer signalisiert: Wir sind bereit, progressive Mehrheiten zu organisieren“, betonte auch Linken-Stadtrat Martin Malcherek.

AfD: „Bunter Haufen“, motiviert von künftigen Dezernentenwahlen

Die Linke habe ihre „Bereitschaft zu Verhandlungen klar formuliert und sind mit großer Offenheit in die Gespräche mit den anderen Fraktionen gegangen“, unterstriche Malcherek weiter: „Wenn die nächste Amtszeit des Mainzer Stadtrates wieder von halbherzigen Entscheidungen, steigenden Mieten, weniger Bäumen und weiterhin fehlenden Radinfrastruktur geprägt ist – an uns liegt es nicht.“ Komme die neue Konstellation, werde die Linke als viertstärkste Kraft im Rat „die Rolle der Oppositionsführung aufnehmen und weiterhin mit vollem Einsatz für sozialökologische Politik streiten.“

Die Sitzverteilung im neuen Mainzer Stadtrat. - Grafik: Stadt Mainz
Die Sitzverteilung im neuen Mainzer Stadtrat. – Grafik: Stadt Mainz

Teilen müsste sich die Linke die Rolle der Oppositionsführung allerdings mit der AfD: Beide Fraktionen halten im neuen Stadtrat vier Sitze, und sind damit die stärksten Fraktionen jenseits der potenziellen neuen Koalition. Da komme „ein bunter Haufen zusammen“, spottete AfD-Fraktionschef Arne Kuster, er traue einer solchen Koalition nicht zu, die wichtigen Probleme in Mainz wie Haushaltsdefizit, Verkehrschaos oder Wohnungsmisere zu lösen.

„Wie Rot-Grün auf der einen Seite, und die CDU auf der anderen Seite in Fragen zusammen kommen wollen, in denen sie bisher völlig gegensätzliche Positionen hatten, ist mir zudem schleierhaft“, sagte Kuster weiter, und nannte als Beispiel das Thema einer autofreien Innenstadt. „Was die Kenia-Koalition wohl hauptsächlich zusammenführt ist, dass es in der aktuellen Wahlperiode fünf Dezernentenposten neu zu besetzen gilt“, lästerte Kuster.

ÖDP mahnt sachliche Zusammenarbeit im Stadtrat an

Tatsächlich dürfte die Tatsache, dass in den kommenden fünf Jahren wohl alle Dezernenten neu gewählt werden, zu der Bildung der Groß-Koalition beigetragen haben – derzeit werden die Dezernentenposten in Mainz von Grünen, SPD und CDU besetzt. Die Grünen halten dabei die zentralen Ressorts Finanzen/Sport sowie Verkehr/Umwelt, die SPD die Ressorts Bauen/Kultur und Soziales/Schule, die CDU indes das Wirtschaftsressort. Bereits 2025 stehen die Wahlen zum Finanzdezernat sowie zum Sozialdezernat an, wo möglich auch für den Bereiche Bauen – diese Dezernate wären also als erste neu zu besetzen.

Die ÖDP im Mainzer Stadtrat mit ihren beiden Stadträten Dagmar Wolf-Rammensee und Claudius Moseler, sowie Fraktionsgeschäftsführerin Rebecca Möhle (Mitte). - Foto: ÖDP Mainz
Die ÖDP im Mainzer Stadtrat mit ihren beiden Stadträten Dagmar Wolf-Rammensee und Claudius Moseler, sowie Fraktionsgeschäftsführerin Rebecca Möhle (Mitte). – Foto: ÖDP Mainz

Die ÖDP mahnte derweil, die potenziellen Partner dürften nicht einfach durchregieren: „Diese übergroße Koalition wird mit ihrer Mehrheit von 41 von 60 Stadträten nicht auf die Stimmen der restlichen Parteien angewiesen sein“, warnte ÖDP-Fraktionschef Claudius Moseler: „Wünschenswert wäre eine konstruktive Politik im Sinne der Mainzer Bürger.“ Vor allem aber werde „ein sachlicher Umgang mit den Anträgen der restlichen demokratischen Parteien im Stadtrat ein Prüfstein für diese neue Koalition sein“, mahnte er: „Reflexartiges Ablehnen von guten Vorschlägen, Rücktrittsforderungen von Dezernenten und Polemik sollten einfach weglassen werden.“

Derweil forderte das Klimabündnis Mainz Zero den Stadtrat vor seiner konstituierenden Sitzung vergangene Woche auf, endlich den selbst aufgesetzten „Masterplan 100% Klimaschutz umzusetzen“ – und übte damit indirekt deutliche Kritik an der bisherigen Politik der Ampel-Koalition. Der Masterplan wurde bereits 2017 aufgesetzt, 2022 überarbeitet und im November 2022 mit der Mehrheit von Grünen, SPD und FDP im Stadtrat verabschiedet – doch getan habe sich seither viel zu wenig, kritisiert Mainz Zero.

Mainz Zero fordert Vorrang für Klima und startet Monitoring-Plattform

Es fehlten „entsprechende Ressourcen und vor allem Tempo bei der Umsetzung“, klagt das Bündnis: „Wie soll Mainz bis 2035 klimaneutral werden, wenn es beispielsweise keine verstetigte Photovoltaik-Förderung gibt, keine Strom-Spar-Fonds für Menschen mit geringem Einkommen geschaffen werden und die Rad-Infrastruktur auf unbedeutenden
Wohnstraßen statt auf Hauptachsen wie der Verbindung zur Universität verbessert wird“,
kritisierte Mainz Zero-Sprecher Michael Lengersdorff.

Vision des Klimabündnisses "Mainz Zero" für Grünstreifen und Radwege in allen Mainzer Stadtteilen. - Grafik: Mainz Zero
Vision des Klimabündnisses „Mainz Zero“ für Grünstreifen und Radwege in allen Mainzer Stadtteilen. – Grafik: Mainz Zero

Auch fehle es in Mainz grundlegend an der Nachvollziehbarkeit von Maßnahmen und ihrer Wirkung, die Stadt wolle etwa nur alle fünf Jahre eine Treibhausgas-Bilanz erstellen. Mainz Zero habe deshalb eine neue Online-Monitoring-Plattform für den masterplan und seine Umsetzung ins Leben gerufen: So wolle man Transparenz für alle Mainzer, aber auch für die
politisch Handelnden selbst auf dem Weg zur Klimaneutralität herstellen. Tatsächlich weist die Monitoring-Plattform wenig Fortschritt aus: 98 Prozent der geplanten Maßnahmen seien bislang nicht umgesetzt, eine Nachhaltigkeitsstruktur in der Verwaltung nicht gegeben.

„Wenn den Stadtrats-Fraktionen die Zukunft von Mainz und der Mainzern am Herzen liegt, so müssen die Sofortmaßnahmen für sozialverträglichen Klimaschutz in den Koalitionsvereinbarung enthalten sein und zeitnah umgesetzt werden“, mahnt Lengersdorff.: „Das Umsetzen der zahlreichen guten und im Stadtrat verabschiedeten Papieren – allen voran der Masterplan – muss jetzt Fahrt aufnehmen.“ Alle Fraktionen müssten Klimaschutz und Klimawandelanpassung zur obersten Priorität erklären, bei allen Beschlüssen und Verhandlungen, schließlich laute die Vision, ein sozialverträgliches, klimaneutrales Mainz zu schaffen – bis 2035.

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht über die Beschlüsse zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen, SPD und CDU lest Ihr hier bei Mainz&. Die Monitoring-Plattform von Mainz Zero findet Ihr hier im Internet.