Er war der französischste Meenzer oder der Mainzerischste aller Franzosen, und er hat ganzen Generationen von Mainzern den Genuss der französischen Küche beigebracht: Pierre Stadelmann, Kult-Gastronom aus Mainz, starb nun völlig überraschend mit nur 74 Jahren. Seine Tochter Murielle machte die Nachricht am Sonntagabend via Facebook öffentlich, Vater und Tochter führten zuletzt gemeinsam das Weinhaus Bluhm in der Altstadt. In Mainz sind Schock und Trauer groß.
Sein Coq au Vin war ein Traum, seine Fischsuppe ist legendär, und über Austern konnte er wahre Elegien halten: Pierre Stadelmann, den meisten Mainzern einfach nur als „Pierre“ bekannt, gehörte zur Mainzer Gastronomieszene wie der Schoppe und die Altstadt. Wer ihn sah, dachte unwillkürlich an den legendären Gallier Obelix, dabei stammte Pierre von der Atlantikküste Nähe La Rochelle, dort wurde er am 24. Mai 1950 geboren. Nach Mainz kam er 1968, weiß man beim Sensor, der Liebe wegen, und weil seine Angebetete einen Job im französischen Konsulat in Mainz bekam.
Bis zum Schluss blieben ihm sein schwerer französischer Akzent und seine raue Art, wenn Pierre mit Schwung und „Allez!“ aus der Küche stürmte, war eine Naturgewalt am Werk. Wer Pierre je in der Mini-Küche des „Templers“ in der Altstadt wirbeln sah, staunte ohnehin, wie der Mann in dieser Enge so unfassbare kulinarische Genüsse zaubern konnte. Zuvor hatte Pierre unter anderem das legendäre „Caveau“ mit Leben gefüllt, doch im Templer wurde er erst zum Geheimtipp und dann zum Kult-Gastronom: Hier kreierte Pierre seine französisch-Meenzerische Küche mit Hingabe, Liebe und Können.
Pierre, der Gastrosoph: Ein Teil der Mainzer Altstadt
2012 kam der Bruch: Der Vermieter erhöhte die Miete so drastisch, dass Pierre streikte, dicht machte – und in Klein-Winternheim das „Chez Pierre“ eröffnete. Schon da war seine Tochter Murielle an seiner Seite, die ausgebildete Opernsängerin sang in Wien an der Kammeroper, im Burgtheater und für die bayerischen Opernfestspiele. Murielle arbeitete unter anderem mit dem legendären Regisseur Christoph mit Schlingensief, und tritt bis heute als „Singende Köchin“ auf, immer wieder auch in der Meenzer Fastnacht.
Doch Pierre und das rheinhessische Landleben – das passte einfach nicht: 2015 übernahmen die Stadelmanns das „Weinhaus Bluhm“ in der Mainzer Altstadt, nicht ohne auf scharfe Kritik zu stoßen. Die legendäre Rustikal-Weinstube als vermeintlich piekfeiner französischer Gastroladen – das konnten sich viele nicht vorstellen. Doch wer so redete, kannte Pierre schlecht: Die einfache Pinte „Chez Pierre“ war sein erstes Lokal, und wenn der Mann aus Frankreich eines nie hatte, dann dies: Dünkel.
Pierre hatte ein feines Gespür für Menschen, eitle Selbstdarsteller liefen bei ihm gegen eine Wand aus Klartext – wie gerne erklärte er seinen Gästen zu später Stunde bei einem guten Glas Wein oder auch einem feinen Schnaps Gott, Welt und Menschsein. „Ich bin Gastrosoph“, sagte Pierre dann, und holte mit Worten und gestikulierenden Armen aus zum Rundumschlag. Wein war für ihn Lebenselixier, Genuss einfach unverzichtbar, die große Geste genauso sein Markenzeichen wie die feine Herzlichkeit. In den letzten Jahren schwächelten seine Gesundheit, sein Rücken und sein Herz immer wieder einmal, aber irgendwie schien der französische Meenzer unverwüstlich.
Haase: „Verlieren ein echtes Original mit großem Herz“
Noch vor drei Wochen saß er vor der Caponniere am Rheinufer, eine Weinschorle in der Hand. Er trete kürzer, koche nur noch mittags ein wenig, erzählte er – den Hauptbetrieb am Abend überließ er schon länger seiner Murielle. Die schrieb am Sonntagabend völlig überraschend: „Mein Herz ist gebrochen… Baruch dayan ha‘emet, mon Papa cheri! Du wirst mir fehlen, du wirst in Mainz fehlen …. MON PAPA, mein Partner in Crime, meine grösste Nervensäge und mein liebster Lachpartner… Du wolltest uns doch zu deinem 100sten Geburtstag einladen, jetzt bist du leider viel zu plötzlich, viel zu schnell von uns gegangen! Jje t‘aime.“
Ganz Mainz trauert mit, der Schock sitzt tief. Zahlreiche Gastronome und Freunde posten inzwischen ihre Trauer und ihren Schrecken in den sozialen Netzwerken. „Mach’s gut, Pierre, Du warst so etwas Besonderes“, schreibt da ein Freund, eine andere: „Unsere Gespräche werden mir fehlen.“ Und Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos), selbst Stammgast im Weinhaus Bluhm, reagierte via Instagram: „Liebste Mu, es tut uns so leid! Mit Pierre verlieren wir unwiederbringlich ein echtes Original mit großem Herz. Bleib bitte tapfer. Wir denken an Dich!“
Ein „Original“, ein „charmantes Unikat“, eine „Institution der Mainzer Lebensart“ – so erinnern sich die Mainzer an den „Gastrosophen“. „Mainz ohne Pierre ist nicht vollkommen“, kommentiert jemand auf Instagram. und Alexander Körner, ein Freund, erinnert an den Franco-Rheinhessen: „Es gibt wohl kaum Jemanden der wie Du ein eigenes Dictionary hatte – Pierre/Deutsch, Deutsch/Pierre. Mit dir haben wir ein Original verloren, das wie wenige andere die Seele der Altstadt verkörperte.“
Info& auf Mainz&: Das öffentliche Facebook-Profil von Pierre Stadelmann mit den Nachrichten findet Ihr hier.