In zwei Tagen ist es so weit, am Freitag öffnet das jugendpolitische Kulturfestival „Open Ohr“ seine Tore auf der Zitadelle in Mainz. Und das diesjährige Festivalthema könnte aktueller nun wirklich nicht sein: „Partei ergreifen“ lautet das Motto – das Open Ohr stellt in diesem Jahr die Sinnfrage nach der Rolle der politischen Parteien. In Tagen, in denen die alte Volkspartei SPD auf dem Rand zum Abgrund tanzt, bietet das Festival Raum für die Frage: Wie zeitgemäß sind politische Parteien noch und welche andere Formen von Beteiligung könnte es geben? Im Unterscheid zur Parteienlandschaft wird auf dem Open Ohr aber auch jede Menge gefeiert: 81 Programmpunkte gibt es an den vier Pfingsttagen in diesem Jahr insgesamt, davon sind 22 Musikacts und sechs Theaterperformances.

Seit 1975 gibt es das politische Jugendkulturfestival nun schon, und fast immer hat das Open Ohr es geschafft, sein Ohr genau am Puls der Zeit zu haben. Das ist zumindest vom Thema her auch in diesem Jahr definitiv wieder so: Diskutiert werden solle, „ob Parteien noch geeignete oder die einzigen Orte von Visionen und Konzepte sind“, sagte Jochen Lamp von der Freien Projektgruppe im Vorfeld. Die Frage sei doch, welche Lösungen politische Parteien noch anzubieten hätten und welche Rolle sie für die Teilhabe in der Demokratie spielen.

Das Open Ohr legt damit die Diskussionsaxt an nicht weniger als das Fundament unserer Demokratie. Denn in Artikel 21 des Grundgesetzes hießt es: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ In der parlamentarischen Demokratie sind sie die Träger des Willen des Volkes, sie sollen alle Gesellschaftsschichten abbilden und den Willen der Menschen in den Parlamenten in Gesetze und Regierungshandeln umsetzen. Die junge Projektgruppe hingegen stellt die Frage, wie viele der aktuellen Probleme im politische Parteiensystem begründet sind – und welchem Machteinfluss die Parteien unterliegen. „Wir wollen einen politischen Diskurs darüber führe, wie unsere Gesellschaft eigentlich strukturiert ist“, sagte Lang.

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Eröffnungspodium beim Open Ohr 2017 am Drussusstein. - Foto: gik
Diskutieren, Spaß haben, abfeiern – das Open Ohr vereint alles, was ein Festival braucht. 2019 geht es ums Thema „Partei ergreifen!“ – Foto: gik

Spannend wird sein zu sehen, in wiefern das dem Open Ohr gelingt. Gut zehn Gesprächspodien, Diskussionformate oder Interviews gibt es zum Titelthema, diejenigen, die Parteien lenken und mit Leben erfüllen. bleiben dabei allerdings weitgehend draußen: Politiker kommen so gut wie keine zu dem Thema. Das bedauere man auch sehr, hieß es von der Freien Projektgruppe dazu im Vorfeld, und man habe sich auch sehr bemüht, Politiker zu bekommen – aber der Termin kurz nach den Wahlen habe den Planern „einen Strich durch die Rechnung gemacht.“ So diskutieren vorwiegend Politik- und Medienwissenschaftler, Journalisten und Soziologen miteinander.

Plakate der Mainzer FDP im Kommunalwahlkampf 2019. - Foto: gik
Personen statt Programm? Das Open Ohr stellt auch die Frage nach Personenkult und Inhaltsleere der Parteien. – Foto: gik

Eine der bekanntesten Teilnehmerinnen dürfte so im Bereich Politik Jutta Ditfurth sein, die Soziologin aus Frankfurt gründete einst die hessischen Grünen mit un vertritt heute die Wählervereinigung ÖkoLinX im Frankfurter Stadtrat. Am Sonntag ist sie ab 11.30 Uhr auf dem Drususstein zu Gast, bei dem Podium „Viele Gesichter – wenig Inhalt.“ Das Podium will sich dem Thema Personalisierung versus Sachthemen in den Parteien widmen und fragt, ob die Parteien mit dem Fokus auf Personen den Bezug zu den politischen Sachthemen verloren haben, oder ob die Personalisierung gar eine bewusste Ablenkungsstrategie von inhaltlichen Schwächen einer Partei ist. Oder vielleicht ist alles ganz anders und die Personalisierung „gar eine Bereicherung für die Mobilisation von Wählern und zur Politikvermittlung?“

Bei anderen Podien geht es um Lobbyismus in den Parteien, um Jugendparteien und Privilegien. Dazu sollen die Besucher beim Demokratie-Speeddating sich selbst daten und ins Gespräch über die Demokratie kommen – und eine Klanginstallation erinnert an die legendäre Rede des SPD-Vorsitzenden Willy Brandt von 1969: „Mehr Demokratie wagen!“ Zu Gast ist außerdem die frühere hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilanti, die – einst als Hoffnungsträgerin angetreten – heute Bücher über linkes Politikverständnis schreibt. Auf dem Open Ohr liest und diskutiert sie über genau das am Sonntag um 13.00 Uhr.

Straßentheater "Convoi" auf dem Open Ohr 2017 mit Riesenvögeln und Stelzenläufern. - Foto: gik
Grandiose Platzbespielungen wie hier 2017 mit Riesenvögeln sind schon Tradition beim Open Ohr und Garant für Gänsehaut-Stimmung. – Foto: gik

Traditionell beleuchten zudem die Theaterstücke auf dem Open Ohr das Festivalthema von ihrer Seite, in diesem Jahr werden fünf Stücke geboten. Das Lichthof Theater Hamburg kommt mit „Staging Democracy“, das Bürgertheaterprojekt beleuchtet die Frage, wie sollen wir in Demokratie leben – die Bühne wird dabei selbst zur Demokratie-Fabrik, zum Denkraum, zum demokratischen Bühnenexperiment. Ein Muss am Pfingstsonntag um 12.00 Uhr und um 15.30 Uhr im Großen Zelt. Dazu kommt fas Hessische Landestheater Marburg mit „Fear“, eine weitere Produktion beleuchtet Rosa Luxemburg und die Frage nach dem eigenen Engagement.

Ein Highlight wird in jedem Fall auch wieder die große Platzbespielung am Sonntagabend auf der Hauptwiese. In diesem Jahr kommt die Polnische Gruppe Theatr Osmego Dnia mit ihrem „Summit 2.0“: Die Gruppe gehöre zu den Urgesteinen des Straßentheaters und war schon dreimal auf dem Open Ohr zu Gast. In diesem Jahr setze man sich mit den Mächtigen und Herrschenden auseinander und verhandele die Welt, in der wir leben und die, in der wir leben wollen, so die Freie Projektgruppe – das Ganze mit großen Gefährten, Licht und Schauspielkunst.

Geniale Bühnenshow… – Foto: gik

Das Open Ohr wäre aber nicht das Open Ohr, wenn nicht auch kräftig gefeiert und getanzt würde. Das Musikprogramm eröffnen am Freitag Fellaws Kingdom als Local Opener, die Band aus Frankfurt kommt mit einem Mix aus Ska, Punk, Hihphop und Elektro samt gesellschaftskritischen Texten daher. Danach heizen „The Grand East“ aus den Niederlanden der Hauptbühne ein, ihr „energiegeladener, bluesdurchtränkter Rock verbindet den Southern Groove der Allman Brothers mit dem hypnotischen Sound der Doors und dem Storytelling eines Captain Beefheart oder Tom Waits“, heißt es im Programmheft – wissta Bescheid. Den Abschluss am ersten Abend machen „Black Mirrors“ mit einem Mix aus psychedelischem Blues und Rock-Dampfwalzen-Sound.

Am Samstag gibt es bereits Mittags jungen deutschen Jazz von und mit Erna Rot, um 17.30 Uhr gibt sich Rapperin Sookee die Ehre und hält unter anderem der Musikindustrie den Spiegel vor. Abends erwarten Euch quirliger Indie-Tropi-Pop mit Cassia, exotic Soul mit Shirley Davis and The Silverbacks und punkig-poppigen Indiesound mit der Band „Black Honey“.

Magische Momente beim Open Ohr Festival 2018. - Foto: gik
Magische Momente beim Open Ohr Festival 2018. – Foto: gik

Am Sonntagabend könnt Ihr Euch auf den Elektric Swing Circus aus Birmingham freuen, am Montag auf die kolumbianisch-argentinische Band Che Sudaka, die Ska, Kumba und lateinamerikanische Folklore mit einer schweißtreibenden Bühnenshow verbinden. Den Ab schluss am Montag machen „Error 404 Band Not Found feat. La Nefera“ mit sieben Hörner, zwei Schlagwerken, einer dominikanischen Rapperin und einer geballten Ladung Balkan, Funk und Hip-Hop.

Daneben gibt es natürlich wieder Filme und Mitmachaktionen, Walking Acts auf dem Gelände – und Kabarett, unter anderem mit Jess Jochimsen und Sarah Bosetti. Unverändert sind in diesem Jahr die Eintrittspreise, die Organisatoren versichern zudem, dass trotz Baustellen ausreichend Zeltplätze vorhanden sind. Auch der Wohnmobilstellplatz habe sich bewährt und werde wieder angeboten, sagte Oliver Valentin. Sehr gut läuft auch bereits der Vorverkauf, mit den Tageskarten könnte es also wieder einmal knapp werden: 9.100 Besucher dürfen maximal gleichzeitig auf das Zitadellen-Gelände, bei knapp 6.000 Dauerkarten, plus Freikartengäste und Kinder bleiben gerade rund 700 Tageskarten pro Tag. Die gute Nachricht dabei: Das Open Ohr wurde in den vergangenen Jahren so gut angenommen, dass das Festival sogar ein Plus einspielt – der städtische Etat wurde deshalb mittlerweile auf 380.000 Euro angehoben. Das Geld wird komplett wieder eingespielt.

Info& auf Mainz&: 45. Open Ohr vom 7. bis 10. Juni 2019 auf der Zitadelle in Mainz zum Thema „Partei ergreifen!“ Eine Dauerkarte für alle vier Tage kostet 36,20 Euro im Vorverkauf oder 40,- Euro an der Tages- und Abendkasse. Dauerkarte mit Zeltplatz: 56,- Euro im Vorverkauf, 58,- Euro vor Ort. Tageskarten für Freitag, Samstag oder Sonntag gibt es jeweils ab 9.00 Uhr morgens bzw. ab 1..00 Uhr am Freitag für 23,- Euro. Die Tageskarte für Montag kostet 11,- Euro. Alle Infos zum 45. Open Ohr findet Ihr hier auf dieser Internetseite, noch viel mehr Gedanken zum Festivalthema hier bei Mainz&.

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