Es wurde eng am Schillerplatz in Mainz, dicht an dicht drängten sich die Demonstranten, „Warnstreik“ prangte groß auf ihren Plakaten oder: „Bildung ist mehr Wert!“ 500 Streikende waren dem Aufruf der Gewerkschaft Bildung und Erziehung (GEW) am Dienstag zum Warnstreik in Mainz gefolgt – und doch wurde jede Corona-Regel penibel eingehalten: Denn die streikenden Kita-Mitarbeiterinnen waren nicht persönlich nach Mainz zum Streik geeilt – jede Streikperson ließ sich durch eine kleine Playmobilfigur vertreten.
Mit der ungewöhnlichen Aktion setzte die GEW am Dienstag auf dem Mainzer Schillerplatz ein Zeichen: „Tarifkampf und Gesundheitsschutz stehen heute gemeinsam an erster Stelle“, betonte der rheinland-pfälzische GEW-Vorsitzende Klaus-Peter Hammer: „Deshalb machen wir mit wenigen Menschen, aber mit einiger Symbolkraft auf unsere Forderungen in der laufenden Tarifrunde aufmerksam.“ Mit der Aktion wolle die Gewerkschaft im Vorfeld der dritten Verhandlungsrunde, die am 22. Oktober beginnt, Druck auf die Arbeitgeber aufbauen.
Der aktuelle Kampf um die Tarifanpassungen im öffentlichen Dienst findet unter erschwerten Bedingungen statt, denn die Corona-Pandemie verändert auch die aktuelle Tarifrunde zwischen den kommunalen Arbeitgebern und den Beschäftigten im öffentlichen Dienst. Bereits Ende September rief die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di zum bundesweiten Warnstreik bei Bussen und Bahnen auf, seither werden wechselweise ÖPNV und Müllabfuhren, Kitas oder sogar Krankenhäuser bestreikt – und das, obwohl gerade die zweite Coronawelle mit Macht durchs Land rollt.
Vielen Bürgern fehlt deshalb erstmals seit langer Zeit das Verständnis für die Streikniederlegungen: Im Öffentlichen Nahverkehr führe das nur dazu, dass sich jetzt die Pendler in den wenigen verbliebenen Bussen dicht an dicht quetschten, berichten Nutzer in den sozialen Medien: „Corona, war da was?“ Das sei unverantwortlich, schimpften viele, ebenso das Bestreiken von Kitas, nachdem die Eltern schon wochenlang im Frühjahr während des Corona-Lockdowns mit geschlossenen Einrichtungen klarkommen mussten. Die Gewerkschaft agiere abgehoben, schimpften gar manche – schließlich gebe es in der freien Wirtschaft genug Menschen, die entweder schon ihren Job durch die Coronakrise verloren hätten, oder noch um ihr Geschäft fürchten müssten.
Die GEW ging deshalb nun am Dienstag einen anderen Weg: Die streikbereiten GEW-Mitglieder in den Kitas kamen nicht persönlich zur Demo nach Mainz, sondern schickten als Stellvertreter jeder eine kleine Playmobilfigur. 500 Mini-Demonstranten drängten dich so auf dem Tisch der GEW auf dem Schillerplatz, so viele waren gekommen, dass mit Kisten zusätzliche Flächen geschaffen werden mussten. „Wir wussten, dass es schwierig wird, Coronabedingt zu streiken, auch befinden sich unsere Erzieherinnen im Zwiespalt“, erklärte Hammer im Gespräch mit Mainz&: „Einerseits wollen sie streiken, andererseits aber auch nicht die Kitas zumachen.“
Und so schickten sie stattdessen die Spielfiguren nach Mainz, mit eigens gebastelten Transparenten und Spruchbändern wie „Bildung verdient mehr“ oder „Wir sind es Wert.“ Die Gewerkschaft GEW fordert für ihre Mitglieder aktuell 4,8 Prozent mehr Geld, mindestens jedoch 150 Euro. Dem Bund und den kommunalen Arbeitgebern wirft sie vor zu „mauern“: Auch in der zweiten Verhandlungsrunde sei noch immer kein Angebot für eine Entgeltsteigerung vorgelegt worden. „Viele Erzieherinnen und Erzieher sind enttäuscht“, sagte Hammer, „sie empfinden das Verhalten der Arbeitgeber, die einen sehr niedrigen Abschluss bei gleichzeitig langer Laufzeit anstreben, als nicht wertschätzend oder gar respektlos.“
„Gerade jetzt in der Corona-Krise zeigen die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, dass sie und ihre qualifizierte Arbeit unverzichtbar sind“, betonte zudem Björn Köhler vom GEW-Hauptvorstand. Gerade die Erzieherinnen in den Kitas sorgten derzeit unter besonderen Gesundheitsrisiken dafür, dass Kinder auch während der Pandemie Betreuungs- und Bildungsangebote erhalten und berufstätige Eltern arbeiten gehen könnten. Die Bundespolitik habe zudem gerade einen milliardenschweren Rettungsschirm für die Kommunen aufgespannt, erinnerte Köhler – den Gewerkschaften wird vielfach entgegen gehalten, dass den Kommunen gerade jetzt durch die Coronakrise selbst die Einnahmen wegbrechen.
„Unsere Forderungen sind nicht überzogen“, betonte Hammer gegenüber Mainz&, jetzt seien die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes mit spürbaren Gehaltserhöhungen dran. Dadurch werde im Übrigen auch die Motivation und die Identifikation der Beschäftigten im Öffentlichen Dienst verbessert. Die Playmobil-Aktion sei denn auch durchaus „nicht als Spielerei gedacht, sondern als ernsthafte Auseinandersetzung“, fügte Hammer noch hinzu: „Jede Figur steht wirklich für eine Kollegin, die das berechtigte Anliegen hat, dass am Ende das Einkommen erhöht wird.“
Info& auf Mainz&: Mehr zur Debatte um die Warnstreiks, insbesondere der Gewerkschaft Ver.di, sowie die Kritik daran, lest Ihr hier bei Mainz&. Wegen des Streiks bei der Müllabfuhr vergangene Woche in Mainz blieben übrigens auch am Montag noch diverse Mülltonnen ungeleert am Straßenrand stehen, die Leerungen würden aber diese Woche nachgeholt, teilte die Stadt Mainz am Dienstag dann mal mit.
Kommentar& auf Mainz&: So cool geht Streik in Coronazeiten!
Mit Rücksicht auf die Bevölkerung trotzdem das Streikrecht hoch gehalten – Glückwunsch, GEW! Die kleine Bildungsgewerkschaft zeigt dem großen Tanker Ver.di, wie cool und gleichzeitig umsichtig Streik in Coronazeiten funktionieren kann. Denn während Ver.di derzeit regelrecht abgehoben agiert und den Eindruck vermittelt, man habe jeden Kontakt zur Realität verloren, hat man sich bei der GEW mit Gehirnschmalz und Kreativität Gedanken gemacht.
Keine Frage, das Streikrecht ist ein hohes Gut, und viele Beschäftigte im Öffentlichen Dienst sind stinksauer: Wochenlang gab es Lobeshymnen und warme Worte für die ach so systemrelevanten Berufe, dann mussten gerade Krankenschwestern, Müllmänner und Kita-Erzieherinnen feststellen: außer Klatschen kommt da nix. Die Landesregierung Rheinland-Pfalz weigerte sich im Sommer gar, die vom Bund versprochene Corona-Prämie für Pflegepersonal in Krankenhäusern im Land umzusetzen – ausgerechnet die Krankenhäuser sollten leer ausgehen. Nun kommt die Prämie doch, der Schaden ist indes längst angerichtet: Wut, Enttäuschung und Frust lassen sich nicht einfach so wegwischen.
Doch offenbar haben noch mehr Akteure da draußen von der Corona-Pandemie herzlich wenig mitbekommen: Die Gewerkschaft Ver.di agiert derzeit, als gäbe es Corona gar nicht. Ansteckungsgefahr in Bussen? Wochenlange Kita-Schließungen und völlig entnervte Eltern? Uns doch egal… Am Dienstag sollten zuerst nur Mitarbeiter in Worms streiken, dann kam auf einmal Mainz dazu – 25 städtische Kitas wurden kurzfristig dicht gemacht. Wie Eltern das stemmen sollen, die eh längst wegen Corona ihren Jahresurlaub aufbrauchen mussten, dass Oma und Opa vielleicht gerade jetzt NICHT bei der Kinderbetreuung einspringen sollten – der Gewerkschaft ist’s offenbar egal.
Die Arbeitgeber bieten Lohnsteigerungen von 3,5 Prozent über drei Jahre hinweg an – Ver.di reicht das nicht. Dass Zehntausende um ihre Jobs bangen oder sie sogar schon verloren haben, dass den Kommunen gerade massiv Gewerbesteuereinnahmen wegbrechen – Ver.di erhebt unbeirrt Maximalforderungen. Vielen Arbeitnehmern oder gar Solo-Selbstständigen fehlt dafür jedes Verständnis – sie verdienen oft deutlich weniger als Angestellte im Öffentlichen Dienst und machen trotzdem gerade vielfach Rückschritte beim Gehalt. Wie gut, dass es wenigstens einzelne Gewerkschaften gibt, die kreativ, aber mit Fingerspritzengefühl für die Belange ihrer Mitglieder eintreten.