Am heutigen 9. November 2017 gedenkt Mainz wieder der Reichskristallnacht der Nationalsozialisten und der Verfolgung jüdischer Mitbürger in Deutschland, auch in Mainz. Vergangenes Jahr war der Gedenktag vom Wahlsieg des US-Präsidenten Donald Trump geprägt, Redner aller Couleur erinnerten deshalb daran, dass der 9. November der Beginn der Hasswelle gegen Juden war, die letztlich im millionenfachen Mord des Holocausts mündete. Am 9. November 1938 zündeten nationalsozialistische Schlägertrupps in ganz Deutschland Synagogen und Häuser von Juden an, in Mainz brannte unter anderem die große Synagoge in der heutigen Hindenburgstraße komplett nieder. Genau an diesem Ort, wo heute die neue Synagoge steht, findet heute Abend das Mainzer Gedenken statt. Es geht auch um 75 Jahre Massendeportationen von Mainzer Juden in die Vernichtungslager der Nazis im Osten.
1.131 Mainzer Juden wurden von den Nationalsozialisten zwischen 1942 und 1944 deportiert und in Konzentrationslagern ermordet. Es begann am 20. März 1942, 470 Mainzer Juden mussten ihre Häuser verlassen, sich in der Feldbergschule einfinden und auf die Ungewissheit warten, in die die Nazis sie bringen wollten – am Ende war es das Ghetto Piaski bei Lublin. Ende September 1942, 1943 und Anfang 1944 folgten weitere Deportationen, Fahrten in den Tod. Bis Kriegsende wurden nahezu alle Mainzer Juden deportiert, die nicht vorher emigrieren konnten. Genau 75 Jahre ist der Beginn dieser Massenvernichtung her, im März fand deshalb bereits eine eindringliche Gedenkstunde auf dem Mainzer Markt an der Heunensäule statt – exakt zu der Stunde, als die Deportationen begannen.
Zwanzig Banner mit Namen erinnerten dabei an die Mainzer, die wegen ihres jüdischen Glaubens zur Vernichtung bestimmt wurden – aus Überheblichkeit, Hass und Rassenwahn. „Diese Menschen, die damals deportiert wurden, teilten den Alltag aller Mainzer“, sagte im März der rheinland-pfälzische Landtagspräsident Hendrik Hering (SPD) – und dorthin gehöre auch das Gedenken an sie: „Mitten in den Alltag.“
Genau zu diesem Zweck wurden am Mittwoch in Mainz neue Stolpersteine verlegt, jene kleinen, glänzenden Pflastersteine aus Bronze, die mitten auf Gehwegen vor Mainzer Häusern daran erinnern, wer hier einst gelebt hat: Juden, Widerständler, Homosexuelle, Behinderte, Sinti & Roma – Menschen, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden, weil sie „anders“ waren und nicht in ein bestimmtes Weltbild passten. Seit dem Jahr 2000 verlegt der Kölner Künstler Günter Demnig die kleinen Erinnerungssteine, über die man „stolpern“ soll, mehr als 60.000 sind es inzwischen in über 20 europäischen Ländern. Damit sind die Stolpersteine das größte dezentrale Denkmal weltweit.
Die Steine tragen Namen, Geburtsjahr, Datum der Verhaftung und das der Deportation und Ermordung und werden im Bürgersteig vor dem Haus verlegt, das die Opfer als letzten Wohnsitz frei gewählt hatten. Wer die kleinen Inschriften auf dem Gehweg lesen will, muss sich bücken – und macht so mit dem Neigen des Kopfes eine Verbeugung vor dem Opfer. Rund 170 Stolpersteine wurden in Mainz bisher verlegt – inklusive Mainz-Kastel – am Mittwoch kamen 15 neue Steine an sieben Stellen in der Innenstadt hinzu. Darunter sind Stolpersteine für die Mainzer Kinderärztin Berta Erlanger (Große Bleiche 12), die an den Folgen eines Selbstmordversuchs aus Verzweiflung starb, für den Arzt Siegmund Levi (Uferstraße 57) und für die Familie Weiss, die einst in der Leibnizstraße 24 lebte und komplett von den Nazis ausgelöscht wurde.
Ihnen und den mehr als 1.100 weiteren Mainzer Juden gedenkt die Stadt heute in einer offiziellen Gedenkveranstaltung um 16.00 Uhr in der neuen Mainzer Synagoge. Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) und die neue Vorsitzende der jüdischen Gemeinde, Anna Kischner, gestalten das Gedenken, das von Yael Tevet, Stipendiatin der Anni-Eisler-Lehmann-Stiftung, musikalisch umrahmt wird. “ Wie konnte jeglicher Maßstab für Recht und Unrecht verloren gehen? Wie konnten Unmenschlichkeit und Terror auf so beispiellose Weise die Oberhand gewinnen?“ fragte Ebling am 9. November vor einem Jahr. Und die bittere Wahrheit sei: Auch in unserer Zeit gebe es wieder eine rapide steigende Zahl von Hasskriminalität, Straftaten, die sich gegen politische Einstellungen, Nationalitäten, Hautfarben oder Religionen richten.
„Rechtsextremistisches, fremdenfeindliches Gedankengut“, sagte der OB, „ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen – in allen Schichten, in allen Bundesländern, in allen Generationen.“ Und deshalb sei der 9. November nicht weit weg, sondern wichtiger denn je als Tag des Gedenkens: „Gerade das Wissen um die Gräueltaten der Vergangenheit kann uns dabei als Frühwarnsystem für das eigene Handeln helfen“, mahnte Ebling: „Es kann uns helfen zu erkennen, wie schnell aus einzelnen Stimmen ein Chor des Hasses entstehen kann.“
Info& auf Mainz&: Donnerstag, 9. November 2017, 16.00 Uhr, Gedenken an die Pogromnacht der Nationalsozialisten und die Massendeportation Mainzer Juden, Ort: Neue Synagoge, Synagogenplatz 1. Unseren Text über die Gedenkveranstaltung an die Massendeportationen im März 2017 findet Ihr hier, den Artikel über den 9. November 2016 und Donald Trumps Wahl hier. Mehr zum Projekt der Stolpersteine in Mainz mit einer Liste aller in Mainz verlegten Gedenksteine gibt es hier bei der Stadt Mainz.