Eine Meldepflicht für Fälle von sexuellem Missbrauch für Kleriker und Ordensleute – erstmals seit dem Bekanntwerden des großen Umfangs der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche zieht Papst Franziskus konkrete Konsequenzen. Der Papst erließ nun eine Meldepflicht für die gesamte katholische Kirche ab Juni für Missbrauch und Vertuschung, allerdings gilt diese Meldepflicht nur kirchenintern – und nicht für staatliche Verfolgungsstellen. Die stellen inzwischen fest, dass ihnen so einige Fälle in der Vergangenheit vorenthalten wurden: 91 noch nicht bekannte Missbrauchsfälle fanden die Staatsanwaltschaften in Rheinland-Pfalz in den Listen, die ihnen die Bistümer seit Januar 2019 überließen. Die allermeisten Fälle sind allerdings verjährt – oder so vage, dass sie kaum Anhaltspunkte für Verfolgung liefern. Die Missbrauchsstudie hat inzwischen heftige Reaktionen ausgelöst: Am Samstag startete ein Kirchenstreik von Frauen unter dem Motto „Maria 2.0“, auch im Bistum Mainz.
Die Prüffälle sind eine Folge der im September 2018 vorgestellten sogenannten MGH-Studie über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche. 3.677 Kinder und Jugendliche wurden demnach in einem Zeitraum von 1946 bis 2014 bundesweit missbraucht, die Taten durch 1.760 Kleriker begangen – im Bistum Mainz wurden etwa 200 Fälle mit 169 Opfern und 53 Tätern aus dem Klerikerbereich gezählt. Den Forschern wurde zur Erstellung der Studie allerdings kein Einblick in Originalakten gewährt. Experten gehen deshalb davon aus, dass die wahren Zahlen um ein Vielfaches höher sein könnten.
Der neue Mainzer Bischof Peter Kohlgraf zeigte sich nach Bekanntwerden der Studie tief erschüttert und kündigte umfassende Aufklärung an. Kohlgraf bat die Opfer um Vergebung – und er ordnete an, alle bekannten Fälle im Bistum Mainz noch einmal zu durchforsten, ob auch wirklich alle Täter verfolgt wurden. Im März 2019 berichtete Kohlgraf, er habe eine Expertengruppe eingesetzt, allen Opfern ein Gesprächsangebot gemacht – und dass das Bistum eng mit der Staatsanwaltschaft zusammenarbeite. Eine Liste mit 199 Fällen übergaben die Mainzer den Strafverfolgungsbehörden, seither läuft dort die Aufarbeitung.
Allein auf der Grundlage der MGH-Studie hätten die Staatsanwaltschaften keine Anknüpfungspunkte für Ermittlungen zu möglicherweise nicht verjährten Straftaten gehabt, informierte Justizminister Herbert Mertin (FDP) nun im Rechtsausschuss des Mainzer Landtags. Doch im Oktober 2018 stellten sechs Strafrechtsprofessoren Anzeige wegen möglicherweise nicht verjährter Fälle, daraufhin wandten sich die Staatsanwaltschaften an die Bistümer in Rheinland-Pfalz, die ihnen Listen mit Verdachtsfällen zur Verfügung stellten.
Seither habe die Staatsanwaltschaft in Koblenz die Listen der Bistümer mit den bereits bekannten Vorgängen oder Verfahren bei den Behörden abgeglichen, sagte Mertin. Bei bisher unbekannten Verdachtsfällen wurden Prüfvorgänge angelegt und Unterlagen angefordert – in 91 Fällen war dies der Fall, 91 Fälle, die den staatlichen Behörden nicht gemeldet wurden. Das meiste seien allerdings lange zurückliegende Vorfälle oder solche, zu denen nur vage Informationen vorlägen, sagte der Justizminister weiter. Die Fälle beträfen nicht nur Geistliche, sondern auch Erzieher in kirchlichen Einrichtungen.
Nach den bisherigen Prüfungen waren 27 Fälle bereits verjährt, in 21 Fällen der oder die Tatverdächtige bereits verstorben, und in 32 Fällen fehlte es an konkreten Anhaltspunkten für eine Straftat. Diese Fälle wurden zwar als Missbrauch erfasst, erfüllten aber zum damaligen Tatzeitpunkt keinen Straftatbestand, betonte der Minister – das Strafrecht wurde seither geändert. Die Aufarbeitung sei aber noch nicht abgeschlossen, betonte Mertin. Aktuell seien noch elf Prüfvorgänge oder Ermittlungsverfahren anhängig. Die Bistümer hätten im Übrigen umfangreich kooperiert, betonte der Minister, die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle sei „auf einem strafrechtlich geordneten Weg.“
Im Bistum Mainz werden derzeit auf Kohlgrafs Veranlassung hin „qualifizierte Standards der Präventionsmaßnahmen und der Interventionsprozesse“ entwickelt, der Bischof will diese Maßnahmen regelmäßig von externen Experten evaluieren lassen. Seit 1. April ist der Psychotherapeut Peter Schult aus Ginsheim neuer Ansprechpartner des Bistums für Betroffene. Kohlgraf selbst scheute sich im Zuge der Aufarbeitung auch nicht davor, Fragen an das System Kirche zu stellen – insbesondere über den Zölibat.
In Nieder-Olm und vielen anderen Kirchen im Land traten Frauen am Samstag in eine Kirchenstreik, eine Woche lang wollen in der Kirche engagierte Frauen in den Streik treten. Unter dem Stichwort „Maria 2.0“ fordern sie eine Erneuerung der Kirche, die Abschaffung des Pflichtzölibats, die Zulassung von Frauen zu Weiheämtern und eine veränderte Haltung der Kirche zur Sexualmoral. Der Kirchenstreik ist eine direkte Folge des Missbrauchsskandals, als Konsequenz fordern die Frauen nun nichts weniger als „die Abschaffung bestehender männerbündischer Machtstrukturen“.
Bis zum 18. Mai werde man keine Kirche mehr betreten und keinen Dienst in den Gemeinden tun, sondern vor den Kirchen Gottesdienste feiern und Klagen und Forderungen nachdrücklich zum Ausdruck bringen. Gott habe Männer und Frauen gleich geschaffen, argumentieren die Frauen: „Wir werden deutlich machen, dass jetzt die Zeit ist und die Stunde, um zu handeln.“
Bischof Kohlgraf schrieb den streikenden Kirchenfrauen übrigens, er habe Verständnis für die Anliegen, halte den Streik selbst aber „für nicht hilfreich“: Die fertigen Lösungen seien ihm zu plakativ, mit einfachen Schlagworten seien die Probleme aber nicht zu lösen, schrieb Kohlgraf – und fügte hinzu: „Ich bin da offenbar ratloser als Sie. Ich weiß noch nicht, was der Geist Gottes am Ende von uns will.“
Info& auf Mainz&: Mehr zur Missbrauchsstudie der katholischen Kirche lest Ihr hier bei Mainz&, welche Konsequenzen Bischof Peter Kohlgraf daraus zieht unter anderem hier bei Mainz&. Mehr zum Kirchenstreik „Maria 2.0“ findet Ihr hier bei der Pfarrei in Nieder-Olm oder auf dieser zentralen Internetseite.