Vor knapp sechs Wochen musste die Stadt Mainz die Anordnung von Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen in der Innenstadt wegen Rechtswidrigkeit aussetzen, nun führt sie die Regelung wieder ein: Bereits ab dem morgigen Dienstag soll auf der Achse Parcusstraße-Kaiserstraße, sowie auf der Rheinachse wieder Tempo 30 gelten, verkündete Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) am Montag in Mainz. Die Begründung dieses Mal: Lärmschutz dort, wo es Wohnbebauung gibt. Wo es die nicht gibt, greift man zum Argument der Verkehrssicherheit.

Auf der Rheinachse soll bereits ab Dienstag wieder Tempo 30 gelten. - Foto: gik
Auf der Rheinachse soll bereits ab Dienstag wieder Tempo 30 gelten. – Foto: gik

Am 9. April hatte der Stadtrechtsausschuss mit sofortiger Wirkung die Tempo 30-Regelung auf den Hauptverkehrsachsen Parcusstraße-Kaiserstraße sowie auf der Rheinachse gekippt: Die Anordnung sei rechtswidrig gewesen, und das schon seit mehr als zwei Jahren, urteilte der Vorsitzende Rolf Merk, und gab damit dem Einspruch des Mainzer Juristen Friedemann Kobusch Recht. Die Stadt Mainz hatte zum 1. Juli 2020 trotz Bundesstraßen-Status Tempo 30 auf den beiden Hauptverkehrsachsen verhängt, um die Schadstoffgrenzwerte beim Stickoxid-Ausstoß einhalten und so einem Dieselfahrverbot entgehen zu können.

Tatsache war allerdings: Der Schadstoff-Grenzwert von 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft wurde aber bereits seit Anfang des Jahres 2020 an keiner einzigen Messstelle in Mainz mehr überschritten. Das belegt ein Gutachten im Auftrag der Stadt Mainz, das zudem belegte: Auch mit einer Rückkehr zu Tempo 50 würden keine neuen Grenzwertüberschreitungen drohen, die Stickoxide liegen auch mit Tempo 50 mit großem Abstand unterhalb des Grenzwertes – und das würde auch für die kommenden Jahre gelten.

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Bislang keine Konsequenzen für rechtswidriges Tempo 30

Das Verkehrsdezernat der Stadt Mainz hätte spätestens 2023 ein neues Gutachten zur Prüfung der Grenzwertüberschreitung in Auftrag geben müssen, doch genau das geschah nicht. Selbst als die Ergebnisse des neuen Gutachtens Ende Februar vorlagen, weigerte sich Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne), die sofort fällige Aufhebung der Tempo 30-Anordnung zu vollziehen, wie Merk ausdrücklich rügte. Stattdessen stellte die Dezernentin einen neuen Antrag beim zuständigen Landesbetrieb Mobilität (LBM), um Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen umgehend wieder einzuführen – dieses Mal mit der Begründung Lärm.

Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) führt nun Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen in Mainz wieder ein - mit neuer Begründung. - Foto: gik
Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) führt nun Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen in Mainz wieder ein – mit neuer Begründung. – Foto: gik

In der Folge hagelte es Kritik, von einem „verkehrspolitischen Super-GAU“ und eine „Ohrfeige für die Verwaltung“ war die Rede. Die FDP forderte Konsequenzen für die verhängten Bußgelder, die AfD forderte gar den Rücktritt der Verkehrsdezernentin: Steinkrüger habe „allein aus politisch-ideologischen Gründen an Tempo 30 festgehalten, auch dann, als es keine Rechtsgrundlage mehr dafür gab“, kritisierte die AfD-Stadtratsfraktion. Die ÖDP schimpfte, Steinkrüger schade mit ihrem Vorgehen gar der notwendigen Verkehrswende, sogar eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Steinkrüger wurde eingereicht – Konsequenzen bisher: keine.

Am Montag nun kündigte Steinkrüger auf einer sehr kurzfristig angesetzten Pressekonferenz an: Tempo 30 werde erneut auf den beiden Hauptverkehrsachsen angeordnet, und das schon ab dem morgigen Dienstag. Grundlage hierfür sei  der Lärmaktionsplan der Landeshauptstadt Mainz, „der nachweislich belegt, dass Tempo 30 ein wirksames Instrument zur Reduzierung der Lärmbelastung und zum Schutz der Gesundheit der Anwohner darstellt“, betonte Steinkrüger. Man schöpfe damit die Spielräume der Straßenverkehrsordnung im Sinne der Bevölkerung aus, und zwar rechtskonform.

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Neue Tempo 30-Anordnung: Lärmschutz und Verkehrssicherheit

Die Verkehrsdezernentin beruft sich dabei nun auf Paragraph 45 der Straßenverkehrsordnung, nach dem „die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs“ beschränkt werden kann – in diesem Fall „zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm und Abgasen.“  In Verbindung mit dem Lärmaktionsplan der Stadt Mainz bilde dies den Rechtsrahmen für die Ausweisung von 30 km/h auf der Rheinachse für Rheinallee und Rheinstraße, sowie die Kaiser- und Parcusstraße, so die Stadt weiter. Aktuelle Lärmmessungen zur Unterfütterung ihrer Argumentation legte die Stadt dabei nicht vor.

Die Rheinstraße in Höhe Stadtbibliothek: Keine enge Wohnbebauung zu beiden Seiten. - Foto: gik
Die Rheinstraße in Höhe Stadtbibliothek: Keine enge Wohnbebauung zu beiden Seiten. – Foto: gik

Das Problem dabei: Die Begründung des Lärmschutzes greift nicht auf allen Teilen der Strecken, denn gerade vor dem Bereich der Stadtbibliothek und entlang der Rheingoldhalle gibt es gar keine anliegende Wohnbebauung, damit greift hier das Argument des Lärmschutzes nicht. Stattdessen greift man beim Verkehrsdezernat hier nun zur Begründung „Verkehrssicherheit“: Diese sei die Anordnungsgrundlage für Tempo 30 auf der Schiene Peter-Altmeier-Allee zwischen der Kaiserstraße und der Quintinstraße, so die Dezernentin, die betont: „Die Unfallzahlen haben sich nach Einführung von Tempo 30 halbiert, die Zahl der Schwerverletzten ist deutlich gesunken.“ Tempo 30 erhöhe die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer, insbesondere für Kinder und ältere Menschen.

„Die schnelle Wiedereinführung der Tempo 30-Regelung ist mir ein persönliches Anliegen und es ist ein wichtiges Signal für diese Stadt, um die allgemeine Lebensqualität sowie die Verkehrssicherheit dauerhaft zu steigern“, betonte Steinkrüger zudem: „Durch die Anordnung können wir den Lärm deutlich reduzieren und langfristig die Einhaltung der Luftqualität auch für die Zukunft sichern.“ Sie habe zudem in den vergangene Wochen „vermehrt Zuspruch zur Einhaltung von Tempo 30 durch Anwohner sowie der angrenzenden Schulen erfahren.“

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Kritik von Mainzern: Tempo 30 lauter, mehr Stopp & Go an Ampeln

Dazu liege nun nach der Anhörung des Landesbetriebs Mobilität Rheinland-Pfalz (LBM) auch die Zustimmung der obersten Landesbehörde vor, sodass die Straßenverkehrsbehörde bereits am Dienstag mit der Umsetzung der neuerlichen Anordnung begonnen könne. Tatsächlich berichten Anwohner der Rheinachse aber auch von anderen Erfahrungen: Sie habe ihr Büro direkt an der Rheinallee, schrieb eine Mainzerin auf Facebook, und sie habe den Lärm bei Tempo 30 zum Teil als viel schlimmer erlebt als bei Tempo 50. „Viele Bekannte, die an Rhein- und Kaiserstraße wohnen haben keine Lärmerhöhung mit Aufhebung der 30 km/h feststellen können“, bestätigte ein weiterer Leser.

Staus in der Mainzer Kaiserstraße im Herbst 2020 nach der Einführung von Tempo 30: Die grüne Welle gibt es bis heute nicht. - Foto: gik
Staus in der Mainzer Kaiserstraße im Herbst 2020 nach der Einführung von Tempo 30: Die grüne Welle gibt es bis heute nicht. – Foto: gik

Der Verkehr habe mit Tempo 50 endlich wieder fließen können, klagten andere, das werde jetzt wieder „aus rein ideologischen Gründen“ unterbunden. Kritik wird wiederholt auch daran geäußert, dass die Stadt Mainz nicht einmal eine Regelung wie Tempo 40 erwogen hat, wie sie die Stadt Wiesbaden im August 2024 auf ihren Hauptverkehrsachsen eingeführt hatte. Wiesbaden hatte damals unter anderem argumentiert, mit Tempo 30 drohten „unerwünschte Ausweichverkehre in Nebenstraßen“, deshalb greife man zu Tempo 40. Auf dem 2. Ring wurde zudem Tempo 50 beibehalten.

Auf Mainz&-Nachfrage hieß es zudem am Montag bei der Stadt Mainz, die angeblich gesunkenen Unfallzahlen bezögen sich nicht direkt auf die Tempo 30-Strecken – die Unfälle würden nicht straßengenau erhoben. Die Zahlen bei Unfällen und Schwerverletzten hätten sich in den Innenstadt insgesamt „deutlich reduziert“. Man setze „auf eine Kombination aus rechtlicher Absicherung über den Lärmaktionsplan sowie belegter Verbesserung der Verkehrssicherheit und enger Abstimmung mit den zuständigen Landesbehörden, um Tempo 30 auf den Hauptachsen der Innenstadt dauerhaft zu sichern.“

Stadt Mainz: Reduzierte Unfallzahlen „in der Innenstadt“

Von der Mainzer SPD kam postwendend Zustimmung: Man sehe darin „einen wichtigen  Schritt zur nachhaltigen und menschenfreundlichen Stadtentwicklung“, teilte die SPD-Stadtratsfraktion mit. „Tempo 30 wurde auf der Kaiserstraße und der Rheinachse eingeführt, um das Dieselfahrverbot in Mainz zu verhindern“, sagte SPD-Verkehrsexperte Erik Donner, der Erfolg sei aber „weitaus größer gewesen: bessere Luft, mehr Verkehrssicherheit, weniger Lärm und eine höhere Aufenthaltsqualität.“

Allerdings hatte das Gutachten der Stadt Mainz klar ergeben, dass die Senkung der Stickoxide bereits vor der Einführung von Tempo 30 begonnen hatte – Ursachen dafür waren nach Ansicht von Experten vor allem reduzierter Verkehr, eine moderne Fahrzeugflotte bei Pkws sowie die Umrüstung der Dieselbusflotte der Mainzer Mobilität. Der Stickoxid-Grenzwert wurde damit bereits vor Einführung von Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen eingehalten. Zudem schlägt die Luftqualitäts-App des Bundesumweltamtes gerade für die Parcusstraße regelmäßig Alarm wegen erhöhter Stickoxidwerte – meist übrigens in den Nachtstunden.

Info& auf Mainz&: Unseren ausführlichen Bericht über die Ergebnisse des Gutachtens in Sachen Luftqualität und Tempo 30 findet ihr hier bei Mainz&.