Als vor einem Jahr Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Jahresempfang der Wirtschaft nach Mainz kam, schlug ihm rauschende Begeisterung entgegen. In diesem Jahr war Friedrich Merz der Ehrengast des Abends: Geladen als CDU-Chef, gekommen als Kanzlerkandidat, redete Merz Klartext vor gut 3.000 Gästen – was nicht jedem gefiel. Doch Merz Botschaften waren klar, sein Fokus: vor allem die Wirtschaft, dazu aber eine Sicht auf Europa – und auf die Machtverschiebungen in der Welt. Seine Ideen: Ein eigenes Digitalisierungsministerium, ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr, perspektivisch sinkende Steuern – und eine eigene Agenda von „Let’s Make Europe Great Again“.

Volles Haus beim Jahresempfang der Wirtschaft in Mainz, hier mit der rede von Handwerkskammerpräsident Friese. - Foto: gik
Volles Haus beim Jahresempfang der Wirtschaft in Mainz, hier mit der rede von Handwerkskammerpräsident Friese. – Foto: gik

Der Jahresempfang der Wirtschaft in Mainz ist das Großereignis der rheinland-pfälzischen Wirtschaft zum Jahresbeginn: Mehrere Tausend Gäste in der Rheingoldhalle, geladen von 15 Kammern und Institutionen aus allen Bereichen der Wirtschaft, dazu die Chance, der Politik endlich einmal zu sagen, wo der Schuh drückt. Als Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor fast genau einem Jahr zum Jahresempfang kam, protestierten die Landwirte vor der Tür und die Handwerker im Saal.

„Der Frust ist groß, und er steigt immer mehr an“, klagte da der Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen, Hans-Jörg Friese, und warnte den Minister aus Berlin: „Ich habe das Gefühl: Es hört mir keiner zu, gelinde gesagt: Ich fühle mich verascht.“ Ein Jahr danach hub Friese wieder zur Begrüßungsrede an, und seine Bilanz viel nicht viel besser aus: „Leider haben wir von der Politik außer zustimmendem Nicken bisher keine Verbesserungen erfahren“, sagte Friese trocken, und mahnte: „In den letzten drei Jahren haben viele Menschen ihr Vertrauen in die Problemlösungsfähigkeit der Politik verloren.“

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Friese: „Das Land braucht jetzt eine Kehrtwende“

Das Land brauche „genau jetzt eine Kehrtwende“, mahnte Friese weiter – die Herausforderungen in Deutschland seien „enorm“, das internationale Umfeld schwierig. Die meisten im Saal seien Vertreter des Mittelstandes, und die wollten ihre Firmen eben nicht ins Ausland verlagern wie die Großen. „Wir brauchen eine positive Zukunftsvision und Zuversicht, um in den Standort Deutschland zu investieren“, betonte Friese. Und dafür müsse die Politik in Berlin aufhören zu streiten, ihre Kraft zur Lösung von Problemen einsetzen, und „vom Reden ins Handeln kommen, und das schnell: Unser Land hat keine Zeit mehr zu verlieren!“

Podiumsdiskussion beim Jahresempfang der Wirtschaft mit Ministerpräsident Alexander Schweitzer (2. von links). - Foto: Landesregierung RLP
Podiumsdiskussion beim Jahresempfang der Wirtschaft mit Ministerpräsident Alexander Schweitzer (2. von links). – Foto: Landesregierung RLP

„Die Stimmung ist nicht zum Feiern“, ergänzte auch der Präsident der Industrie- und Handelskammer Mainz-Rheinhessen, Marcus Walden, in der anschließenden Podiumsrunde: „Was wir jetzt schnell brauchen ist ein klares Bekenntnis zur Wirtschaft.“ Allein der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) betonte lieber, sein Bundesland sei immer noch ein starkes Industrieland mit einem guten Arbeitsmarkt und einer starken Exportwirtschaft. „Ich glaube, wir haben eine Riesenstärke und ein Riesenpotenzial, aber wir müssen aufpassen, dass uns das in den nächsten Jahren nicht kaputt geht.“

Mut mache ihm, dass es ein großes Interesse der Menschen an der vorgezogenen Bundestagswahl gebe, betonte Schweitzer zudem – das sei doch ein gutes Zeichen und mache Mut, „damit wir nicht einfach nur in Molltönen miteinander reden.“ Woraufhin die Moderatorin des Abends, die freie Journalistin Tanja Samrotzki, trocken anmerkte: Musik werde ja dann meist besonders spannend, „wenn sich Dur und Moll mal miteinander begegnen.“

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Merz: Geschäftsmodell der Republik ist endgültig am Ende

Was zum Auftritt von Friedrich Merz überleitete – und der CDU-Kanzlerkandidat ging auch gleich in die Vollen. „Das Geschäftsmodell der Bundesrepublik Deutschland ist nun endgültig am Ende“, konstatierte Merz schonungslos und vor allem auch mit Blick auf die gerade begonnene zweite Amtszeit von Donald Trump. „Die Wahrnehmung dieses Regierungswechsels fällt auf der Welt höchst unterschiedlich aus“, betonte der CDU-Mann: Nur 22 Prozent der Europäer begrüßten den Wechsel zu Trump, aber 84 Prozent der Menschen in Indien und 46 Prozent der Menschen in China – und sogar in Russland seien es noch 49 Prozent.

CDU-Kanzlerkandidat Friedrich merz hielt die Keynote des Abends - angefragt worden war er bereits ein Jahr zuvor,. - Foto: gik
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich merz hielt die Keynote des Abends – angefragt worden war er bereits ein Jahr zuvor,. – Foto: gik

Europa hingegen kämpfe mit sich selbst, Frankreich, Österreich und Belgien seien ohne funktionierende Regierung, Deutschland stehe vor einer Bundestagswahl „mit ungewissem Ausgang“, sagte Merz – und stehe mit einem Geschäftsmodell da, das nicht mehr funktioniere: „Billiges Gas aus Russland – wissen wir. Billige Vorprodukte aus China – wissen wir. Veredelte Produkte in alle Welt exportieren – das ahnen wir“, analysierte Merz: Die Grundlagen, auf denen Deutschland bisher seinen enormen Wohlstand erwirtschaftet habe, sie seien bereits weggebrochen oder drohten genau das zu tun.

Donald Trump aber habe in all den Jahren immer mehrere Konstanten in seiner Politik gezeigt: „Unfairer Handel, vor allem mit Deutschland, Trittbrettfahrer in der Nato – vor allem Deutschland“, zählte Merz trocken auf. Gleichzeitig stehe Deutschland am Beginn eines möglichen dritten Jahres einer Rezession, das gab es seit dem zweiten Weltkrieg noch nie. Nur einmal habe Ähnliches gedroht, damals habe der SPD-Kanzler Gerhard Schröder mit seiner Agenda 2010 das Ruder herumgerissen und dem Land wirtschaftlich „eines der besten Jahrzehnte beschert, die wir je hatten.“

Seither hingegen habe Deutschland „seit etwa 15 Jahren industrielle Wettbewerbsfähigkeit auf der Welt verloren“, konstatierte Merz weiter, dazu sei die Produktivität pro Kopf stark gesunken und betrage inzwischen 30 Prozent Unterschied zu den USA. Dazu verliere Deutschland vor allem Industriearbeitsplätze, während „der größte Aufwuchs im öffentlichen Dienst stattfindet –  das ist die falsche Reihenfolge“, sagte Merz unter lautem Beifall im Saal.

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„America first? Warum machen wir nicht Europe Great Again!“

Das Credo des CDU-Chefs: „Dieses Land muss Industrieland bleiben, produzierende Industrie“, denn das sei die Grundlage des Wohlstandes. „Und wir müssen sehr viel genauer hinschaue, was in anderen Ländern passiert, insbesondere mit dem globalen Wettbewerb“, forderte Merz: „America First heißt nämlich nicht: America Alone.“ Trump setze mit seiner Politik schlicht die Interessen seines Landes an allererste Stelle, „aber wir Europäer müssen darauf eine Antwort haben“, forderte Merz, und warnte: „Wir sind heute Zeitzeugen einer geradezu tektonischen Verschiebung der politischen und ökonomischen Machtzentren der Welt.“

Friedrich Merz bei einem Besuch eines Industrieunternehmens in Kiel vor wenigen Tagen . - Foto: CDU
Friedrich Merz bei einem Besuch eines Industrieunternehmens in Kiel vor wenigen Tagen . – Foto: CDU

Trump werde Europa Ernst nehmen, „wenn wir mit einer Stimme sprechen, wenn wir die Kräfte bündeln“, betonte Merz. Wenn Trump also sage „Make America Great Again“, warum sage Europa dann nicht selbstbewusst „We Make Europe Great Again?“ Damit spann der CDU-Kandidat den ganz großen Bogen eines stark Wirtschafts-zentrierten Blicks auf die Welt, und man spürte: Hier sprach jemand aus Erfahrung. Er werde sich „nicht dafür entschuldigen, einige Jahre im Kapitalmarkt verbracht zu haben“, merkte Merz an einer Stelle trocken an, das bezog sich natürlich auf seine Zeit als Aufsichtsratschef des Finanzinvestors Blackrock.

Dass Merz ebenfalls seinen gerade am Vortag absolvierten Auftritt auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos mit nicht gerade kleinem Ego einfließen ließ, verstärkte den Eindruck nur noch: Mit Merz bekäme Deutschland einen Kanzler, der auf Du mit der Wirtschaftselite der Welt agiert, und dessen Horizont weit über Europa hinausreicht.

Agenda für Europa: Bürokratierückbau, Grenzen sichern, Stärke

Was Merz nicht davon abhielt, gleich auch eine neue Agenda für Europa aufzufächern: „Ich bin ein zutiefst überzeugteer Europäer“, betonte Merz eingangs, und forderte dann dennoch Kontrolle an den Binnengrenzen, bis die Außengrenzen besser geschützt werden können.  „Es fällt mir außergewöhnlich schwer, aber es geht nicht anders“, betonte Merz. Die irreguläre Migration müsse „in den Griff bekommen werden“, auch um die Städte und Gemeinden im Land „wieder handlungsfähig zu bekommen.“

Traktoren auf dem Messegelände in Mainz vor Windrädern während einer Demo von Landwirten im Januar 2024.- Foto: gik
Traktoren auf dem Messegelände in Mainz vor Windrädern während einer Demo von Landwirten im Januar 2024.- Foto: gik

Und es brauche einen regelrechten Bürokratierückbau in Europa, gerade auch in der Landwirtschaft, betonte Merz zudem – und wieder deutlich mehr Zusammenarbeit zwischen Deutschland und seinen Nachbarn, allen voran Frankreich. „Ihr könnt unter meiner Führung damit rechnen: Wir werden in Europa wieder präsent sein und wir werden wieder mitwirken an den Entscheidungen in Europa“, sagte Merz, und verteilte noch schnell einen Seitenhieb in Richtung SPD und Grüne: „Ich werde nicht zulassen, dass ein Bundeswirtschaftsminister 2,5 Jahre an den Sitzungen des Binnenwirtschaftsmarktes nicht ein einziges Mal teilnimmt.“

In hohem Tempo ging es so weiter mit der Bestandsaufnahme in Sachen Wirtschaft und Lage des Landes. Merz redete fast genau 45 Minuten lang frei – zumindest war kein Redemanuskript sichtbar – und das gespickt mit Zahlen, Daten und Ankündigungen. Erneuerbare Energien? „Ich bekenne mich ohne Wenn und Aber zum Ausbau“, betonte Merz, aber einen „Wildwuchs“ von Windkraftanlagen dürfe es auch nicht geben – und vor allem einen Plan gegen Dunkelflauten und für grundlastfähige Energie. „Unter meiner Führung wird in diesem Land nirgendwo mehr ausgestiegen, bevor nicht klar ist, wo wir einsteigen – und die grundlastfähigen Kraftwerke genehmigt sind“, versprach Merz.

Verpflichtendes Gesellschaftsjahr, Ministerium für Digitalisierung

Ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für junge Menschen war ein weiterer Punkt auf der Agenda des CDU-Chefs, und das verband er mit deutlicher Kritik an der Abschaffung des Wettkampfcharakters bei den Bundesjugendspielen in den Grundschulen: „Junge Menschen müssen mal gefordert werden, die müssen mal gewinnen und mal verlieren“, rief Merz in den Saal – und bekam für sein Bekenntnis zum Leistungsprinzip den lautesten Beifall des Abends: „Wir müssen endlich mal wieder anpacken und etwas leisten“, forderte Merz, diesen „Spirit“ brauche es wieder mehr in der Gesellschaft.

Klare Sprache, selbstbewusster Auftritt: Friedrich merz bei seiner Rede auf dem jahresempfang der Wirtschaft in Mainz. - Foto: gik
Klare Sprache, selbstbewusster Auftritt: Friedrich merz bei seiner Rede auf dem jahresempfang der Wirtschaft in Mainz. – Foto: gik

Und schließlich kündigte Merz an, im Falle eines Wahlsiegs wolle er ein eigenes Ministerium für Digitalisierung schaffen. 500 Milliarden US-Dollar habe Trump gerade am Vortag für KI-generierte Forschung und Entwicklung in den USA versprochen. „Wenn wir dem ein eigenes europäisches Projekt entgegen halten wollen, dann müssen wir über eines reden: den Datenschutz“, betonte Merz: „Wir übertreiben es mit diesem Thema in Deutschland, wir reden viel zu viel über Datenschutz und viel zu wenig über Datensicherheit.“

All das waren Punkte aus Merz eigener „Agenda 2030“, die von der CDU erst vor wenigen Tagen vorgestellt wurde. Das Programm sieht auch Steuersenkungen für die Wirtschaft vor, Merz machte aber auch klar: Schnell werde das nicht kommen. „Das geht nicht am 1. Januar 2026, das werden wir uns hart erarbeiten müssen“, betonte er. Die deutsche Volkswirtschaft könne wieder ein Wachstum von zwei Prozent erreichen, dann flössen 20 Milliarden Euro an Steuern mehr in die Kasse – und bevor er an der Schuldenbremse rüttele – „Ich sage nie NIE“ -, werde er auf Wachstum und Einsparungen im Haushalt setzen.

Demokratie, Frauen, die besten Köpfe – und Julia Klöckner

Und auch Merz warnte am Ende seiner Rede: Es stehe bei dieser Wahl ungeheuer viel auf dem Spiel: Wenn Deutschland es in der nächsten Legislaturperiode nicht schaffe, das Ruder herumzureißen, dann stehe 2029 nicht irgendein beliebiger Regierungswechsel bevor – sondern ein Sieg der Populisten. Das gelte es zu verhindern, denn dann stünden seinen Wohlstand und der Sozialstaat auf dem Spiel. „Das sollte uns jenseits aller Parteipolitik verbinden“, mahnte Merz: „Zu verhindern, dass dieses Land in die Hände von Populisten gerät, und das verliert, was wir uns über 75 Jahre aufgebaut haben.“

Moderatorin Samrotzki bohrte im Anschluss noch nach, sowohl bei den Finanzen als auch bei der Frage nach der Gleichberechtigung von Frauen und Männern in einem Kabinett Merz. Der aber ließ sich nicht aus der Ruhe bringen: „Ich bleibe bei meinem Diktum, dass wir die beste Qualität für die nächste Bundesregierung brauchen, die besten Köpfe ohne Ansehen des Geschlechts“, betonte der CDU-Chef. Dass er dann aber mit Blick in den Saal Ex-Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner nannte, führte zu einem entsetzten Aufstöhnen bei den Gästen…

Doch als Merz dann einwarf: „Haben wir nicht vielleicht ein paar Probleme, die größer sind als dies?“ wurde er mit lautem Beifall belohnt. Und schließlich müsse sich die CDU nun wirklich nicht entschuldigen, merkte Merz noch süffisant an: „Wir sind die einzige Partei, die mehr als 16 Jahre eine BundeskanzlerIN gestellt hat.“ Nur als Merz dann die Moderatorin fragte, „bin ich jetzt in Ihren Augen rehabilitiert?“ konterte die: „Da ist noch  Luft nach oben.“ Bleibt festzustellen: Langweilig würden vier Jahre mit einem Bundeskanzler Friedrich Merz sicher nicht. Und nach Mainz komme er auch nur noch gerne, verriet Merz schließlich noch – schließlich sei er an einem 11.11. im Jahr 1955 geboren.

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Steuerplänen der CDU und ihrer „Agenda 2030“ könnt Ihr zum Beispiel hier bei Tagesschau.de nachlesen. Was Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck bei seinem Auftritt am 12. Januar in Mainz sagte, das lest Ihr hier bei Mainz&. Am heutigen Donnerstag steht zudem ein großer Wahlkampfauftritt von FDP-Chef Christian Lindner an – los geht’s um 18.15 Uhr in der Pyramide in Mainz-Hechtsheim. Bericht dazu folgt dann ebenfalls bei Mainz&.