Die gestoppte Tempo 30-Regel in Mainz wirft weiter hohe Wellen: Wie die Internetzeitung Mainz& erfuhr, gibt es inzwischen eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Mainzer Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) – wegen jahrelangen Rechtsbruchs, Verfahrensverschleppung und bewusster Missachtung der Anordnungen des LBM. Zudem wird die Überprüfung der seit Juli 2021 verhängten Bußgelder gefordert – tatsächlich gibt es im Gesetz die Möglichkeit zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte. Derweil stellt der Landesbetrieb Mobilität keine schnelle Entscheidung in Sachen Tempo 30 in Aussicht.

Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen Parcusstraße-Kaiserstraße und der Rheinachse ist vorerst Geschichte. - Foto: gik
Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen Parcusstraße-Kaiserstraße und der Rheinachse ist vorerst Geschichte. – Foto: gik

Am 9. April war die Anordnung von Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen Parcusstraße-Kaiserstraße sowie Rheinstraße-Rheinallee in Mainz mit sofortiger Wirkung gekippt worden: Der Stadtrechtsausschuss hatte das reduzierte Tempolimit für rechtswidrig erklärt – bereits seit Ende 2022 bestehe keine rechtlich wirksame Regelung mehr, urteilte der Ausschussvorsitzende. Auf Hauptverkehrsachsen, insbesondere Bundesstra0en, lässt die Straßenverkehrsordnung eigentlich keine Tempo 30 zu, Tempo 50 ist hier Regelgeschwindigkeit, das soll den Verkehrsfluss auf den Hauptachsen sicher stellen.

Die Stadt Mainz hatte das reduzierte Tempo 30 zum 1. Juli 2020 als Sonderregel eingeführt, um damit einem Dieselfahrverbot zu umgehen: Das reduzierte Tempo sollte bei der Luftreinhaltung und der Einhaltung des Schadstoffgrenzwertes von 40 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft helfen. Tatsächlich ergab inzwischen ein Gutachten im Auftrag der Stadt Mainz: Die Stadt hält bereits seit Anfang 2020 den Grenzwert ein, und das inzwischen deutlich. Mehr noch: Laut der Prognosen der Experten gelingt das auch bei Tempo 50, und zwar mit deutlichem Abstand zum Grenzwert.

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Tempo 30 wegen Lärm? – Keine schnelle Entscheidung des LBM

Gegen die Tempo 30-Regelung hatte der Mainzer Jurist Friedemann Kobusch bereits Ende Juni 2021 Einspruch wegen zweifelhafter Rechtsgrundlage erhoben, dem Stadtrechtsausschuss zugeleitet wurde der Einspruch aber erst End 2023 – nachdem Kobusch sich in mehreren Schreiben beim damals neuen Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) wegen Nichtbehandlung seines Einspruchs beschwert hatte. Erst 2024 erreichte der Stadtrechtsausschuss, dass die Stadt Mainz ein neuerliches Gutachten zu den Grenzwerten in Auftrag gab – mit dem Ergebnis: Spätestens seit 2023 war die Anordnung von tempo 30 rechtswidrig.

Rheinallee mit Tempo 30 und temporärer Busspur im August 2023: Die eigenmächtige Einrichtung der Busspur durch Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) stieß auf heftige kritik. - Foto: gik
Rheinallee mit Tempo 30 und temporärer Busspur im August 2023: Die eigenmächtige Einrichtung der Busspur durch Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) stieß auf heftige kritik. – Foto: gik

Zudem hätte die Stadt Mainz mit dem Vorliegen des neuen Gutachtens Ende Februar 2025 sofort die Anordnung von Tempo 30 aufheben müssen – auch das geschah indes nicht. Stattdessen beantragte das Verkehrsdezernat in aller Eile eine neue Genehmigung für Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen, dieses Mal auf der Basis des Lärmaktionsplans der Stadt Mainz. Den Antrag muss der Landesbetrieb Mobilität (LBM) genehmigen, der aber will das Verfahren offenbar nicht einfach durchwinken, und sieht auch keinen Anlass zur Eile.

„Die Stadt Mainz beabsichtigt, die bisherigen Beschränkungen der zulässigen Höchstgeschwindigkeit aus Gründen der Luftreinhaltung durch eine Anordnung von Tempo 30 aus Lärmschutzgründen nach Paragraph 45, Absatz 1 der Straßenverkehrsordnung zu ersetzen“, teilte der LBM auf Mainz&-Anfrage mit. Die Zustimmung des LBM sei von der Stadt Mainz am 04. April 2025 beantragt worden. „Die Stadt Mainz hat hierzu umfangreiche Unterlagen eingereicht, welche derzeit vom LBM geprüft werden“, heißt es weiter: „Eine Einschätzung, ob der von der Stadt Mainz beabsichtigten Maßnahme zugestimmt werden kann, ist derzeit nicht möglich.“

FDP-Stadtrat Dietz zweifelt Eignung Steinkrügers für ihr Amt an

Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) hatte hingegen auf einer Pressekonferenz am 9. April gesagt, sie sei sehr zuversichtlich, dass Tempo 30 aufgrund der neuen Lärmschutzmaßnahmen komme – schon „in wenigen Wochen“. Dass Temporeduzierung in der Stadt Mainz seit mehr als zwei Jahren rechtswidrig war, will man indes beim Land nicht gemerkt haben: Der LBM sei „für die Überwachung der Rechtmäßigkeit und Fortschreibung von Luftreinhalteplänen nicht zuständig“, teilte die Behörde mit, die das reduzierte Tempo 30 jedoch 2020 hatte genehmigen müssen: Man könne „hierzu keine Bewertung abgegeben.“

FDP-Verkehrsexperte David Dietz 2019 an der Luftmessstation in der Mainzer Parcusstraße. - Foto: FDP Mainz
FDP-Verkehrsexperte David Dietz 2019 an der Luftmessstation in der Mainzer Parcusstraße. – Foto: FDP Mainz

Der Verkehrsexperte der Mainzer FDP, David Dietz, bezeichnete das Agieren der Verkehrsdezernentin derweil als „absolutes Trauerspiel“, wollte sich Rücktrittsforderungen gegen die Dezernentin aber nicht anschließen. Dietz forderte aber gleichwohl „mehr Professionalität“ von Steinkrüger: „Nach den Jahren eines gut bezahlten Praktikums sollte die Dezernentin im Gegenteil beginnen, ihr Amt vollumfänglich auszuüben“, forderte er – und zweifelte die Eignung der Grünen für ihr Amt offen an.

„Der Kommunikations-GAU rund um die Busspur in der Rheinstraße, die massive Erhöhung der Gebühren für Anwohnerparken auch für Familienautos und ganz aktuell die vergurkte Herangehensweise um das Gehwegparken unter anderem in der Wallstraße und die mehr als krude Rechtsauslegung bei der Diskussion um Tempo 30 in der Kaiserstraße und der Rheinachse – alleine diese Beispiele lassen zumindest an der fachlichen Eignung für die Ausübung des Amtes Zweifel offen“, schimpfte Dietz. Steinkrügers Agieren erinnere an „ein Stück aus dem Tollhaus“, ordentliches Verwaltungshandeln sehe anders aus.

Gleichzeitig argumentiere dieselbe Verwaltung beim Thema „Gehwegparken“ mit der Rechtslage, die einzuhalten sei. „Ich hoffe sehr, dass man sich im Verkehrsdezernat ob dieser offensichtlichen Narretei schlicht in der Jahreszeit vertan hat“, kritisierte Dietz: „Auch nur den Verdacht aufkommen zu lassen, die Verwaltung handele aus parteipolitisch motivierter Einstellung heraus, wenn es gilt, Rechtsgrundlagen sauber abzuarbeiten, ist politisches Gift.“

Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Dezernentin Steinkrüger

Doch das könnte noch nicht alles an Ärger für die Dezernentin sein: Mainz& liegt eine Dienstaufsichtsbeschwerde eines Mainzer Bürgers gegen Steinkrüger vor, die an Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) als Chef der Verwaltung gerichtet wurde. Mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde können sich Bürger „gegen Fehlverhalten von Amtsträgern und Angestellten des öffentlichen Dienstes wehren“, erklärt etwa der Anwalt Matthias Wiese auf seiner Homepage: Eine solche Beschwerde könne grundsätzlich jeder einreichen, auch wenn er nicht unmittelbar von einer behördlichen Entscheidung betroffen sei, wenn er wolle, dass die Amtshandlung eines Amtsträgers dienstaufsichtsrechtlich geprüft werden solle.

Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) und Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) bei einer Pressekonferenz im Mainzer Stadthaus. - Foto: gik
Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) und Verkehrsdezernentin Janina Steinkrüger (Grüne) bei einer Pressekonferenz im Mainzer Stadthaus. – Foto: gik

Und genau das fordert nun die Beschwerde: Oberbürgermeister Haase solle eine disziplinarische Prüfung des Verhaltens von Dezernentin Steinkrüger durchführen, „wegen Missachtung rechtlicher Vorgaben, der jahrelangen Verfahrensverschleppung und der bewussten Missachtung behördlicher Anordnungen.“ Konkret gehe es um „die fortgesetzte und mutmaßlich rechtswidrige Aufrechterhaltung von Tempo-30-Regelungen auf den Hauptverkehrsachsen Rheinallee, Kaiserstraße und Parcusstraße“ und die jahrelange Verschleppung des Einspruchsverfahrens.

„Besonders schwerwiegend ist die Tatsache, dass die Verkehrsdezernentin und die zuständigen Stellen über einen Zeitraum von fast vier Jahren keinerlei wirksame Schritte zur rechtlichen Klärung unternommen haben“, heißt es in der Beschwerde weiter. Die Problematik s4ei bereits nach Ablauf der Pilotphase zum 30. Juni 2021 bekannt gewesen und sei sowohl öffentlich als auch intern mehrfach thematisiert worden. „Dennoch wurde eine juristisch zweifelhafte Praxis fortgesetzt, ohne dass es zu einer offiziellen Neubewertung oder Korrektur kam“, kritisiert der Beschwerdeführer weiter, der übrigens nicht mit dem Einspruchsführer Kobusch identisch ist.

Fahrrad-Piktogramme: Bis heute Entfernung verweigert

„Diese Verzögerungstaktik erweckt den Eindruck einer vorsätzlichen Umgehung rechtlicher Standards und untergräbt das Vertrauen in die kommunale Verwaltungspraxis“, heißt es in der Beschwerde weiter, die zusätzlich auch die anhaltende Weigerung der Verkehrsdezernentin rügt, die vom LKBM verfügte Entfernung der Fahrradpiktogramme auf den Mainzer Straßen umzusetzen. Der LBM hatte im Januar 2024 die weißen Fahrrad-Symbole als rechtswidrig gerügt, mit denen das Verkehrsdezernat auf Fahrradverkehr auf der Straße hinweisen will – und ihre Entfernung gefordert.

Auch diese Fahrrad-Piktogramme auf der Straße sind laut Straßenverkehrsordnung rechtswidrig, der Landesbetrieb Mobilität fordert ihre Entfernung - Mainz weigert sich. - Foto: gik
Auch diese Fahrrad-Piktogramme auf der Straße sind laut Straßenverkehrsordnung rechtswidrig, der Landesbetrieb Mobilität fordert ihre Entfernung – Mainz weigert sich. – Foto: gik

Doch Verkehrsdezernentin Steinkrüger verweigert die Entfernung der Piktogramme bis heute, der LBM teilte dazu nun auf Mainz&-Anfrage mit: Der LBM habe alle Kommunen in Rheinland-Pfalz letztmalig mit Schreiben vom 22.11.2024 auf die mangelnde StVO-Konformität dieser Markierungen hingewiesen und um Entfernung gebeten. Man „gehe davon aus“, dass keine künftig keine derartigen Fahrrad-Piktogrammketten „mehr auf die allgemeine Fahrbahn aufgebracht werden und bestehende Markierungen dieser Art nach und nach beseitigt werden.“

„Das Verhalten der zuständigen Dezernentin wirft grundlegende Fragen zur Achtung rechtsstaatlicher Prinzipien und zur Funktionsweise der städtischen Verwaltung auf, und beschädigt nachhaltig das Vertrauen in die kommunale Selbstverwaltung“, kritisiert die Dienstaufsichtsbeschwerde nun. Damit muss nun der Oberbürgermeister zu den Vorgängen Stellung nehmen – auch zu Punkt 4 der Beschwerde: Der Forderung, die Rechtmäßigkeit der seit dem 1. Juli 2021 verhängten Bußgelder in den Tempo 30-Zonen zu überprüfen und „gegebenenfalls deren Rückerstattung“ in Auftrag zu geben.

Könnten Bußgelder doch zurückerstattet werden?

Zwar hatte Steinkrüger am 9. April auch erklärt, die Bußgelder wegen Tempo 30 stünden nicht in Frage: „Man kann nicht rückwärts Recht sprechen“, sagte die Dezernentin wörtlich. Doch ganz so einfach könnte die Sache am Ende nicht sein: Ein Verwaltungsakt kann nämlich auch im Nachhinein zurückgenommen werden, wenn er rechtswidrig war. Das sieht der Paragraph 48 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vor (VwVfG), darin heißt es: „Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.“

Die Stadt Mainz hatte unter anderem mit solchen "Enforcement-Blitzern" die Einhaltung von Tempo 30 stark kontrolliert, wie hier auf der Rheinallee. - Foto: gik
Die Stadt Mainz hatte unter anderem mit solchen „Enforcement-Blitzern“ die Einhaltung von Tempo 30 stark kontrolliert, wie hier auf der Rheinallee. – Foto: gik

Das gilt insbesondere, wenn der Verwaltungsakt „durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung“ zustande kam, der Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt wurde, „die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren“ oder aber die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bekannt war oder aber infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt wurde. Gerade mit Blick in letztes sieht das Gesetz ausdrücklich auch die Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit vor – und einen „Ausgleich von Vermögensnachteilen“. Allerdings erklärt der Paragraph auch: „Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig.“

Die entscheidende Frage könnte also sein: Wann genau wusste die Mainzer Verkehrsdezernentin oder ihre Verkehrsdezernat, dass die Anordnung von Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen in Mainz auf keiner gültigen Rechtsgrundlage mehr stand – und was tat sie mit dem Wissen? In den sozialen Netzwerken merkten seit vergangenem Mittwoch zahlreiche Mainzer im Übrigen an: Seit Tempo 30 auf den Hauptverkehrsachsen aufgehoben sei, fließe der Verkehr wieder deutlich besser als zuvor – und es gebe weniger Stopp & Go an den Ampeln.

Info& auf Mainz&: Einen ausführlichen Bericht zum jüngsten Gutachten zum Vergleich Tempo 30-Tempo 50 könnt Ihr hier bei Mainz& lesen. Mehr zum rechtsärger um die Fahrrad-Piktogramme findet Ihr hier bei Mainz&.