Am Mittwoch wird sich ja der Mainzer Stadtrat erneut mit der geplanten Klärschlammverbrennungsanlage in Mombach beschäftigen, von der die Stadtspitze behauptet, sie sei de facto alternativlos. Am Montag erreichte Mainz& ein Schreiben eines Wiesbadener Anwalts, der im Auftrag der Bürgerinitiative (BI) gegen den Klärschlamm in Mombach die Verträge der Stadt Mainz unter die Lupe nahm. Sein Fazit: das Argument der Regressforderungen ist „unzutreffend und unseriös“ – die Anlage sei höchstwahrscheinlich unwirtschaftlich und drohe vielmehr, ein Millionengrab für den Steuerzahler zu werden.
Das mussten wir uns natürlich genauer ansehen, und haben das anwaltliche Schreiben intensiv unter die Lupe genommen. Marcel Séché, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, sollte für die BI prüfen, ob die Argumentation der Stadtspitze zutreffen kann. Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) und Umweltdezernentin Katrin Eder (Grüne) hatten ja am 5. Mai verkündet, die geplante Klärschlammverbrennungsanlage müsse gebaut werden, weil alternative Lösungen nicht von den Mitgesellschaftern mitgetragen würden – die zudem mit Regressforderungen drohten. Von sieben Millionen Euro war kurz darauf die Rede.
Berufung auf Regressforderungen „unzutreffend und unseriös“
Diese „Berufung auf ‚hohe Regressforderungen‘ ist in dieser Kürze unzutreffend und unseriös“, heißt es dagegen in dem Gutachten von Fachanwalt Séché: Es sei weder zwangsläufig noch sicher, dass die Mitgesellschafter überhaupt Regressforderungen stellen würden, fraglich ob sie dies überhaupt könnten – und im Übrigen sei die völlig überdimensionierte Anlage selbst eine viel größere Kostengefahr als ein Ausstieg aus dem Projekt. So weit die Kurzfassung.
Die Stadt will ja neben dem Zentralklärwerk in Mombach eine Klärschlammverbrennungsanlage für rund 37.000 Tonnen Schlamm pro Jahr bauen und argumentiert, damit könnten die Müllgebühren angesichts sich ändernder Entsorgungsvorschriften stabil gehalten und zudem die Ökobilanz für Mainz verbessert werden. Der Stadtrat beschloss 2010 deshalb die Gründung der Thermischen Verwertungsgesellschaft zum Bau der Anlage. Mainz selbst produziert aber pro Jahr nur 6.000 Tonnen Klärschlamm, den Rest sollen die Gesellschafter Kaiserslautern und zu einem sehr kleinen Teil der Abwasserverband „Untere Selz“ beitragen.
Klärschlammmengen aus Kaiserslautern „keineswegs sicher“
Dem Anwalt kommt das offenbar spanisch vor: In den ihm vorliegenden Unterlagen seien keine Lieferverpflichtungen festgelegt, die Anlieferungsmengen deshalb „keineswegs sicher.“ Wenn aber Mainz mit seinen 200.000 Einwohner pro Jahr 6.000 Tonnen Schlamm anliefere, müsse Kaiserslautern den Rest bringen – entsprechend seiner Gesellschafteranteile 28.950 Tonnen. Das aber entspreche einer Einwohnerzahl von 965.000 Einwohnern – Kaiserslautern hat aber nur knapp 100.000 Einwohner. Nötig wäre aber das Zehnfache – oder auch „ein Viertel der Bevölkerung von Rheinland-Pfalz“, wie der Anwalt vorrechnet. Rheinland-Pfalz hat derzeit ziemlich genau vier Millionen Einwohner.
Kaiserslautern allein kann diese Menge Klärschlamm also gar nicht liefern. Woher also kommt der Rest? Das Schreckgespenst des Klärschlammtourismus der BI ist also auf einmal ein ziemlich reales Szenario. Mehr noch: Müsste Schlamm von Dritten angekauft werden, müsste diesen marktübliche Preise angeboten werden, so der Anwalt weiter – und die seien möglicherweise niedriger als die Beträge, die zur Deckung der Investitionskosten und der laufenden Kosten notwendig seien.
Wirtschaftlichkeitsberechnung von 2010 „unzutreffend und überholt
Damit sind wir beim Knackpunkt des anwaltlichen Schreibens: Es gebe „viele Anhaltspunkte dafür“, dass die Wirtschaftlichkeitsberechnung von 2010 „auf unzutreffenden und zwischenzeitlich überholten Annahmen beruht“, schreibt Séché. Einen Verlust, den die Anlage machte, müsste aber zu 68 Prozent von Mainz, dem Hauptgesellschafter, getragen werden – der aber müsse diese Mehrkosten „über höhere Beträge und Gebühren auf die Bürger abwälzen“, warnt der Anwalt. Das aber wäre genau das Gegenteil dessen, was die Stadt verspricht, nämlich niedrige und stabile Müllgebühren durch die Verbrennungsanlage.
Mehr noch: Die Mainzer würden im Extremfall billige Klärschlammverwertung anderer Gemeinden mit ihren Gebühren subventionieren…. Und noch schlimmer: Gerichtsurteilen zufolge dürfen „Kosten, die auf Fehlplanungen zurückzuführen sind“ nicht auf Gebühren und Beiträge abgewälzt werden, warnt der Anwalt – Mainz müsste das Defizit aus Haushaltsmitteln bezahlen… Diese Erfahrung, so warnt der Anwalt weiter, hätten übrigens „zahlreiche Betreiber von Müllverbrennungsanlagen zwischen 1993 und 2005 bereits machen müssen.“
Andere Verwertungsanlage womöglich mit demselben Vertrag machbar
Was die Regressforderungen angeht – da muss der Anwalt ein wenig spekulieren. Grund dafür: dem Fachmann lag nur ein Entwurf des Gesellschaftervertrags der 2011 gegründeten Thermischen Verwertungsgesellschaft vor, nicht aber der endgültige Vertrag. Allerdings ist kaum zu erwarten, dass aus dem Entwurf dann ein vollkommen anderer Vertrag wurde – ganz ausschließen können wir es aber auch nicht. Dem werden wir natürlich aber in jedem Fall noch mal nachgehen.
In dem Entwurf aber steht als Zweck der Gesellschaft nicht etwa die Planung, Errichtung und Betrieb einer Klärschlammverbrennungsanlage – sondern nur „die Verwertung von Klärschlamm und die Stromerzeugung zur Versorgung des Zentralklärwerks Mainz“. Damit aber, so der Fachanwalt, „spricht einiges dafür, dass eine Verwertung von Klärschlamm in anderen Anlagen und eine anderweitige Stromerzeugung den Gesellschaftszweck ebenso erfüllen würde, dies also ohne Änderung des Gesellschaftsvertrages möglich wäre.“
Im Klartext: Mainz könnte auch eine ganz andere Anlage bauen, das würde den Zweck ebenso erfüllen – ein Umstieg auf ein klügeres, moderneres und vor allem wirtschaftlicheres Verfahren oder auch einfach nur eine kleinere Anlage wäre demnach anstandslos möglich. Ebling aber hatte am 5. Mai gesagt, die Alternativen zur geplanten Anlage würden von den Mitgesellschaftern „nicht mitgetragen.“ Warum eigentlich nicht? fragen wir uns – und welche Alternativen wurden da eigentlich geprüft? Zu beidem machte Ebling keine Angaben.
Planungskosten deutlich geringer als dauerhafte Subventionierung
Selbst im Fall eines kompletten Ausstiegs aus dem Bau der Anlage, so der Gutachter weiter, müssten nicht zwingend Schadensersatzpflichten ausgelöst werden – nämlich dann nicht, wenn Mainz „aus wichtigem Grund kündigen würde.“ Ein wichtiger Grund wäre aber auch, „dass sich die Geschäftsgrundlage derart geändert hat, dass ein Festhalten am Vertrag nicht mehr zumutbar ist“ – etwa weil kein wirtschaftlicher Anlagenbetrieb mehr möglich ist. Mainz könnte also, so das Gutachten, den Vertrag auch kündigen, wenn die Stadt ein Millionengrab befürchten müsse.
Die entscheidende Frage sei nämlich nicht, so der Anwalt, welche Kosten bei einem sofortigen Ausstieg anfielen – sondern ob der wirtschaftliche Schaden bei einer Fortsetzung des Projektes nicht viel größer wäre. Und da stünden derzeitige Planungskosten von angeblich einer Million Euro Kostensteigerungen beim Bau von 11 bis 17 Millionen Euro gegenüber – Dezernentin Eder hatte nämlich im Mai die neuesten Kosten für den Bau der Anlage erst auf 42 Millionen Euro beziffert, sich dann aber auf 36 Millionen Euro korrigiert. Im Vergleich zu den 2010 ursprünglich anvisierten Kosten von 25 Millionen Euro wären das 17 Millionen Euro oder 11 Millionen Euro mehr – in jedem Fall mehr als eine Million Euro.
Ökobilanz: teurere Müllgebühren für weniger Lkw-Abgase in Hessen
Am Ende gibt der Anwalt dann auch noch der Grünen Eder einen Seitenhieb wegen des Argumentes der Ökobilanz mit, das wir Euch nicht vorenthalten wollen: Die positive Ökobilanz beruhe offenbar vor allem darauf, dass für Ingelheim und Kaiserslautern die hohen Entfernungen für die Entsorgung ihres Klärschlamms im Osten der Republik wegfielen.
Für Mainz aber, dessen Klärschlamm meist im hessischen Großkrotzenburg entsorgt wird, könne die neue Anlage „ökobilanziell nur nachteilig sein“ – denn sie laufe daraus hinaus, einer teureren Entsorgung den Vorzug zu geben. Wer so argumentiere, so Séché weiter, mache sich gleichzeitig dafür stark, „dass die Mainzer Bürger höhere Gebühren und Beiträge bezahlen, damit in Hessen weniger Lkw-Abgase emittiert werden.“
Der Mainz&-Kommentar: Das ist eine ziemliche Ohrfeige für die Stadt, ihre Argumente werden in dem Schreiben Stück für Stück entkräftet, und zwar gründlich. Selbst wenn der endgültige Gesellschaftervertrag etwas anders lauten sollte als der Entwurf – es bleibt die Tatsache, dass hier offenbar eine viel zu große Anlage geplant wurde, deren Wirtschaftlichkeit mehr als fragwürdig ist.
37.000 Tonnen Klärschlamm – das ist horrend viel. Woher soll der ganze Schlamm denn kommen? Dass dann keine Lkw aus dem wenige Meter entfernten Hessen nach Mainz fahren, stattdessen aber Klärschlamm aus dem rheinland-pfälzischen Hinterland ist völlig unlogisch. Die jetzt der Öffentlichkeit vorliegenden Daten werfen jedenfalls deutlich mehr Fragen auf, als dass sie Antworten geben.
Die angebliche Gebührenstabilität erscheint mehr als fragwürdig angesichts der Kosten für das Projekt. Und dass eine Umplanung wegen der Mitgesellschafter unmöglich sein soll, erschließt sich nicht. Die Keule der „Regressforderungen“ zu schwingen, bezeichnet der Fachanwalt zu Recht als „unseriös“ weil viel zu pauschal. Die Stadt muss dringend auf den Tisch legen, welche Alternativen sie geprüft hat, und warum die Partner die nicht wollen sollten.
Auch das Kohlekraftwerk auf der Ingelheimer Aue wurde am Ende gekippt – von den damals entstandenen Planungskosten spricht heute kein Mensch mehr. Stattdessen herrscht allerorts Erleichterung, dass das Kraftwerk mit der veralteten Energieform nie gebaut wurde. Die Klärschlammverbrennungsanlage schickt sich an, ein ebensolcher Dinosaurier zu werden. Und so bleibt bei uns vor allem ein Satz des Anwalts hängen: Es wäre „geradezu fahrlässig, die Klärschlammverbrennungsanlage zu errichten, ohne die Wirtschaftlichkeit der Anlage noch einmal überprüft zu haben.“
Info& auf Mainz&: Am Mittwoch muss sich der Stadtrat übrigens mit gleich vier Anträgen zum Thema Klärschlammverbrennungsanlage beschäftigen, darunter ein Antrag, der fraktionsübergreifend von fünf Stadträten gestellt wurde. Baris Baglan und Martina Kracht (beide SPD), die Mombacher Ortsvorsteherin Eleonore Lossen-Geißler (auch SPD) sowie der Freie Wähler Kurt Mehler und der CDU-Stadtrat Christian Moerchel fordern den Stopp aller Planungen und des Baus der Anlage. Das dürfte spannend werden.