In der Debatte um die Klärschlammverbrennungsanlage in Mainz lädt die Stadt Mainz heute, am Mittwochabend um 18.00 Uhr, zur Einwohnerversammlung in die Eintrachthalle in Mombach. Man will „informieren und miteinander reden“ – das dürfte auch nötig sein. Denn die Mombacher Ortsvorsteherin gab vergangene Woche im Stadtrat eine persönliche Erklärung ab – ein Plädoyer der Mombacher gegen die Anlage. Doch der Stadtvorstand will weiter bauen – während das Umweltministerium von Rheinland-Pfalz Alternativmethoden wie die Vererdung anpreist und fördert.
„Ein ganzer Stadtteil ist geschlossen gegen die Anlage“, sagte Eleonore Lossen-Geißler, Mombacher Ortsvorsteherin und SPD-Stadträtin in einer persönlichen Erklärung am 20. Mai im Stadtrat. Zuvor hatte die Stadtverwaltung Fragen vor allem der Linken zu dem Projekt beantwortet. Dann war das Thema eigentlich durch – doch dann holte Lossen-Geißler mit nüchterner Stimme zu einer Erklärung an.
Lossen-Geißler: Keine Phosphat-Rückgewinnung mehr
„Das Projekt stellt sich heute anders dar“, betonte die SPD-Politikerin, das gelte vor allem für die Phosphatverwertung: Nun sei nämlich kein eigenes Phosphor-Rückgewinnungsverfahren mehr geplant, damit sei aber seinerzeit bei den ersten Plänen für die Anlage geworben worden. Dazu werde zwei Drittel des Klärschlamms von außerhalb von Mainz kommen, das sei „ökologisch gesehen doch sehr fraglich“, führte Lossen-Geißler an. Auch zur Wirtschaftlichkeit gebe es „sehr unterschiedliche Betrachtungsweisen.“ Und die Skeptiker, betonte sie weiter, seien „sehr vernünftige Menschen“ – das muss man heutzutage offenbar dazu sagen.
„Durch die Anlage wird fast alles konterkariert, was wir seit vielen Jahren versuchen, für Mombach zu erreichen“, sagte Lossen-Geißler weiter, das gelte vor allem für das Image des Vororts. Es sei doch „folgrichtig, nicht an einem Jahre alten Beschluss festzuhalten, der unter anderen Bedingungen gefasst wurde“, beschwor die Mombacherin ihre Kollegen, der Stadtrat müsse über das Projekt neu beschließen. „Das wäre auch eine Chance, gegen die Politikverdrossenheit vorzugehen“, appellierte Lossen-Geißler: „Bitte überlegen Sie in den Fraktionen, ob Sie das Thema nicht doch noch mal aufgreifen wollen.“
Stadtvorstand: Keine gangbare Alternative
Die Chancen dürften nicht gut stehen: Im Stadtrat regte sich außer der Linken praktisch nichts. Und schon am 5. Mai hatten die Reagierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP in einer dürren Mitteilung dem Stadtvorstand den Rücken gestärkt. Der Stadtvorstand wiederum hatte am 5. Mai in seiner Sitzung beschlossen, das umstrittene Projekt nun doch zu realisieren. Man habe Alternativen zu der Anlage intensiv geprüft, auch mit Gutachtern, sagte Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD), was Ihr hier nachlesen könnt. Die Alternativen würden aber von den Mitgesellschaftern der geplanten Anlage nicht mitgetragen. Deshalb sei der Stadtvorstand jetzt zum Ergebnis gekommen, “auf der Basis der Beschlüsse von 2010 die Anlage am Zentralklärwerk zu realisieren.”
Auf dem Gelände des Mainzer Zentralklärwerks im Mombach direkt an der Autobahn 643 soll nun eine neue Klärschlammverbrennungsanlage entstehen. Die Stadt will damit ihren eigenen Klärschlamm entsorgen, der bisher unter anderem nach Hessen transportiert und dort in Anlagen verbrannt wurde. Die Mainzer Anlage soll für 37.500 Tonnen Klärschlamm pro Jahr ausgelegt sein, was bedeutet, dass sie nun aber Klärschlamm von außen braucht. Der soll aus Ingelheim und Kaiserslautern kommen – dort sitzen die Partner der Mainzer Anlage.
Eder: 20 Lkw pro Tag, stabile Müllgebühren
20 LKW pro Tag sollen das laut Umweltdezernentin Katrin Eder (Grüne) sein. Die grüne Dezernentin fühlt sich bei dem Projekt sichtlich unwohl, verteidigt aber das Vorhaben, das einst ihr Amtsvorgänger Wolfgang Reichel (CDU) 2008 auf den Weg brachte. „Die Emissionen liegen im Unbedenklichkeitsbereich“, betont Eder, das habe eine renommierte Studie ergeben. Auch sei die Anlage emissionstechnisch von der Genehmigungsbehörde SGD Süd bereits genehmigt. Und Eder argumentiert mit den Müllgebühren: Durch neue gesetzliche Änderungen drohten in Zukunft die Kosten für die Klärschlammentsorgung deutlich zu steigen, mit der neuen Anlage könne man die Kosten hingegen stabil halten.
Ebling betonte, Alternativen zu dem Projekt habe man ja geprüft, auch intensiv beraten – sie seien aber alle nicht realisierbar. Es gebe einfach keine gangbare Variante, behauptete Ebling. Bei einem Ausstieg aus dem Projekt drohten hingegen Ansprüche der Partner in Höhe eines „zweistelligen Millionenbetrages.“ Zudem hatte der Stadtrat 2010 den Bau der Anlage beschlossen – mit übergroßer Mehrheit. Auch Stadträte aus Mombach stimmten damals dafür. Einen neuen Stadtratsbeschluss nannte Ebling unnötig.
Kosten für das Projekt inzwischen von Stadt korrigiert
Die Bürgerinitiative „Kein Klärschlamm für Mainz“ betont hingegen, die Grundlagen der Entscheidung von 2010 seien „offenbar längst überholt“ und fordert ebenfalls, der seither neu gewählte Stadtrat müsse neu entscheiden. Als Grund sieht die BI vor allem die Kosten: Das Projekt sei noch im August 2013 von Dezernentin Eder mit Kosten von 30 Millionen Euro “beworben worden.“ Jetzt solle die Anlage schon bei 42 Millionen Euro liegen – das sei eine Steigerung von 40 Prozent in nur eineinhalb Jahren.
Eder korrigierte die von ihr in der Pressekonferenz vom 5. Mai genannte Summe von 42 Millionen Euro inzwischen. Die Kosten lägen „unverändert bei 36,4 Millionen Euro“ und stiegen nicht an. Als Grund für die Kostensteigerungen hatte der Stadtvorstand am 5. Mai noch die allgemeine Preisinflation angegeben.
Umweltministerium preist Alternativen wie Vererdung an
Doch gibt es wirklich keine Alternativen? Das Mainzer Umweltministerium verschickte just in diesen Tagen eine spannende Pressemitteilung, darin lobt die grüne Umweltministerin Ulrike Höfken in höchsten Tönen ein innovatives Projekt: Im Ruwertal bei Mandern wird Klärschlamm künftig in einer Klärschlamm-Vererdungsanlage behandelt. Dabei entziehen – laut Umweltministerium – Schilfpflanzen dem Schlamm Wasser und nutzen dessen Nährstoffe zum Wachstum. Zusätzlich werde die Masse des Klärschlamms durch biologische Prozesse reduziert.
Das Filtratwasser werde wiederum der Kläranlage zur Behandlung zugeführt. Übrig bleibt Klärschlammerde, die nach acht bis zwölf Jahren nach den gesetzlichen Bestimmungen weiter verwertet werden kann. Diese Methode komme zudem „ohne chemische Hilfsmittel aus und ist gerade für den ländlichen Raum eine wirtschaftliche, umweltfreundliche und nachhaltige Lösung“, sagte Ministerin Höfken, die übrigens für die neue Anlage selbst beim Spatenstich mit anpackte.
Ministerium: Modernste Technik, kostengünstig – und mit Phosphor-Nutzung
Klärschlämme wiederum seien oftmals mit Schwermetallen und organischen Schadstoffen belastet, die sich in Böden und Gewässern langfristig anreichern und die Lebensmittelerzeugung belasten könnten, so die Ministerin weiter. Dazu seien bei der mit modernster Technik gesteuerten Vererdungsanglage die Betriebskosten „im Vergleich zur herkömmlichen Klärschlammbehandlung gering“. Da dann auch weniger Klärschlamm zu entsorgen sei, trage die neue Anlage „auch dazu bei, dass die Abgabenbelastung der Bürger nicht weiter steigt“, betonte die Ministerin weiter.
Wir fassen also mal zusammen: Bei einer Vererdungsanlage werden Schilfpflanzen prakisch zur Reinigung des Wassers eingesetzt, die Masse des Schlamms wird durch Bakterien reduziert – und im Übrigen „der im Klärschlamm enthaltene Phosphor für die spätere Nutzung“ gespeichert. Das Ganze ist offenbar deutlich billiger als die herkömmliche Entsorgung des Klärschlamms, kommt ohne Chemikalien aus und ist damit auch noch nachhaltig und umweltverträglich(er).
Umweltministerium will Strategie der Klärschlammentsorgung weiter entwickeln
Natürlich bleiben da Fragen offen, die wir hier und heute leider nicht beantworten können, etwa: Was passiert mit dem Phosphor? Wo wird die Klärschlammerde gelagert, bis sie – 12 Jahre später! – wiederverwendet werden kann? Und natürlich sind auch die Kosten mit Vorsicht zu genießen: Die Anlage in Mandern wird vom Umweltministerium mit 525.000 Euro gefördert, das seien „mehr als 70 Prozent“, heißt es in der Mitteilung. Dazu ist die Anlage aber nur für bis zu 4500 Kubikmeter Schlamm pro Jahr ausgelegt – das Mainzer Zentralklärwerk produziert pro Jahr allein etwa 6.000 Tonnen Klärschlamm. Möglich also, dass eine Vererdungsanlage für Mainz nicht infrage käme.
Dennoch ist ein weiterer Zusatz in der Pressemitteilung interessant: Vor dem Hintergrund der anstehenden Novellierung der Klärschlammverordnung des Bundes, so Ministerin Höfken weiter, „wollen wir für Rheinland-Pfalz die Strategie für eine umweltverträgliche und wirtschaftliche Verwertung von Klärschlamm fortentwickeln.“ Und zu einer umweltverträglichen und wirtschaftlichen Zukunftsstrategie zählt die Ministerin die Vererdungsanlage – nicht aber die herkömmliche Verbrennung. In Rheinland-Pfalz wird bisher gut 70 Prozent des Klärschlamms als Dünger in der Landwirtschaft genutzt. Bundesweit wird hintgegen mehr als die Hälfte des Klärschlamms thermisch entsorgt – wie ja auch der Mainzer Schlamm.
Umweltministerium: Phosphor-Recycling in Zukunft hohe Bedeutung
Das Mainzer Umweltministerium führte indes im November 2014 eine Tagung zu alternativen Entsorgungsmöglichkeiten von Klärschlamm durch – und unterstrich dabei die besondere Bedeutung, die künftig dem Recycling des im Klärschlamm enthaltenen Phosphors zukomme: „Die weltweiten Phosphorvorräte werden knapp, dabei ist eine ertragreiche Landwirtschaft auf hochwertige Phosphatdünger angewiesen“, betonte Ministerin Höfken dabei laut einer Mitteilung ihres Hauses, die Ihr hier nachlesen könnt. Technische Möglichkeiten für die Rückgewinnung des wertvollen Stoffes aus Klärschlamm gebe es bereits.
Im Übrigen, so die Ministerin weiter, unterstütze die Landesregierung die Kommunen jährlich mit rund zwei Millionen Euro beim Bau von Klärschlamm-Faulungsanlagen sowie bei Maßnahmen zur Entwässerung des Schlamms.
Unser Fazit daraus: Wir hätten da mal noch ein paar Fragen… Etwa, ob es nicht tatsächlich doch modernere, sinnvollere und sparsamere Anlagen zur Klärschlammentsorgung gibt – für die es von Landesseite vielleicht sogar Geld gäbe. Vielleicht fragt das morgen Abend ja mal jemand 😉 Übrigens haben wir dann noch eine Meldung gefunden, das Bundesumweltministerium fördere innovative Verfahren zur Energie- und Phosphatgewinnung aus Klärschlamm – nämlich hier. Da draußen hat ein intensives Nachdenken in Sachen Klärschlamm-Verwertung begonnen. Mainz sollte aufpassen, nicht auf ein veraltetes Technik-Pferd zu setzen – und das war jetzt unser Kommentar dazu.
Info& auf Mainz&: Einwohnerversammlung zur geplanten Klärschlammverbrennungsanlage am Mittwoch, den 27. Mai um 18.00 Uhr in der Mombacher Eintrachthalle. Vorgestellt werden sollen dabei auch noch mal alle Fakten zur geplanten Klärschlammverbrennungsanlage. Alle Details zum Stadtvorstandsbeschluss könnt Ihr noch einmal in diesem Mainz&-Artikel nachlesen. Die Vorträge der Fachtagung zur Zukunft der Klärschlammverwertung in Rheinland-Pfalz vom 12. November 2014 findet Ihr hier.