Seine Werke sind legendär, sein Stil unverwechselbar: Klaus Wilinski ist der „Zeichner von Mainz“. Seit fast 40 Jahren zeichnet der Mann mit spitzer Feder und Schalk im Nacken das aktuelle Geschehen in der Landeshauptstadt Mainz, und hält dabei vor allem der Politik, aber auch der Fastnacht den Spiegel vor. 18 Jahre lang zeichnete er auch die Entwürfe für die Motivwagen im Mainzer Rosenmontagszug, arbeitet seit 1987 für Zeitungen, gibt seinen eigenen Kalender heraus. Nun präsentiert Wilinski seine Lieblingskarikaturen in der Mainzer Kunst Galerie, Mainz& hat ihn zum Interview zwischen seinen Werken getroffen.

„Himmel, Arsch und Zwirn“, heißt der Titel der kleinen Ausstellung, und das ist kein Zufall: Klaus Wilinski ist einer, der Klartext redet. Wohl niemand hat einen so klaren, unverstellten Blick auf das politische Geschehen der vergangenen 40 Jahre in Mainz wie der Mann, der genau diese Geschichte mit spitzer Feder glossiert und karikiert. Wer mit ihm redet, merkt: Hier steht ein wacher Geist, der mit viel Klugheit und Witz auf das Agieren von Politikern, Fastnachtern und anderen Gestalten blickt, und bei aller Kritik nie den guten Geist im Weine vergisst – wie beim Kartenspiel Reblaus.
Seit 1985 ist Klaus Wilinski nun freier Grafiker und Zeichner, 27 Jahre lang war er der Hauskarikaturist der Mainzer Rhein-Zeitung – mit ihr wurden seine gezeichneten Glossen Kult. Nicht alles, was Wilinski zeichnete, konnte erscheinen – legendär sind Skandale, die sich rund um die katholische Kirche und die Fastnacht rankten. Die „Nonne im Nacktscanner“ war so eine Episode, damals nahm Wilinski mit seiner Zeichnung gleich zwei aktuelle Themen in einem aufs Korn: Die Debatte um Scanner an Flughäfen und sexuelle Verwirrungen in der katholischen Kirche.
Zeichner der Narrenfreiheit, Streiter für das freie Wort
Oft genug sind seine Zeichnungen ihrer Zeit weit voraus – etwa die „Narrenfreiheit“, die mehr und mehr hinter einer Mauer aus Security verschwindet: Wilinski zeichnete das schon vor zehn Jahren. Oder neu erblühende Hakenkreuze im Blumenkasten des ehrbaren Bürgers, gezeichnet im Jahr 1988 und erschienen in der Mainzer Rhein-Zeitung. Und bereits 2014 machte sich Wilinski zeichnerisch einen Reim auf die Anordnung von Tempo 30 auf der Rheinallee, damals noch „nur“ bei Nacht…

Was ihn antreibt, woher er seine Ideen bekommt – Mainz&-Chefin Gisela Kirschstein hat mit dem 71 Jahre alten Zeichner und Humoristen gesprochen. Und da sich beide von der gemeinsamen Zeit bei der Mainzer Rhein-Zeitung kennen, wurde sich geduzt – alles andere würde auch zum „klaus“ nicht passen.
Mainz&: Klaus, „Himmel, Arsch und Zwirn“ – und was ist denn das für eine Ausstellung?
Klaus: Es ist eine Zeitreise von 1987 bis heute, also bis zum 17. Mai 2025. Es gibt jede Woche eine Karikatur, 27 Jahre lang für die Mainzer Rhein-Zeitung – das sind noch die alten schwarz-weiß Zeichnungen, das wurde früher so gemacht. Später gab es nachkolorierte und heute farbige. Mit dabei sind auch ein paar Originalzeichnungen von den Motivwagen, die ich 18 Jahre lang für den Mainzer Carneval-Verein gezeichnet habe. Da sind auch zwei dabei, die nie veröffentlich wurden, weil es einen Riesenskandal gab: „Sex auf Teufel komm raus“, war die eine – da hat der Rainer Laub Schnappatmung gekriegt.
Zeitreise durch 40 Jahre Mainzer Politik-Geschichten
Der Hintergrund: Damals gab es eine Professorin an der Uni, die glaubte, sie ist vom Teufel besessen. Und es gab einen Weihbischof, Dr. Franziskus Eisenbach, der hat einen großen Exorzismus durchgeführt. Jetzt fragt sich der Mainzer natürlich: kleiner Exorzismus, großer Exorzismus – was passiert bei einem großen…? Konnte man zwei Wochen später in der Zeitung lesen: Sie hat ihn wegen sexueller Belästigung angezeigt.

Mainz&: Ich erinnere mich an diese Geschichte, das war im Jahr 2000 und ein Riesenskandal. „Die Mainzer Bistumsleitung bestritt den Exorzismus, räumte allerdings ‚Heilungs- und Befreiungsgebete‘ ein“, heißt es heute bei Wikipedia. Die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelte sogar, hat das Verfahren aber 2001 wegen „mangelnden Tatverdachts“ eingestellt. Nun ja. Eisenbach musste immerhin 2002 auf sein Amt als Weihbischof verzichten und starb 2024 mit 81 Jahren. Und was war die andere Geschichte?
Klaus: Das war „die Nonne im Nacktscanner“ – das war so nie zu sehen. Der Wagen wurde zwar so gebaut, aber dann war ich beim Südwestfunk, dort haben wir die Motivwagen vorgestellt – und dann rief der Wagenbauer Dieter Wenger an und sagte: Eben war jemand mit einer einstweiligen Verfügung da – wir müssen die Nonne abkleben. Ich frage mich ja: Warum lässt man auch solche Leute in die Wagenhalle? Mein Kollege Jacques Till in Düsseldorf sagt: Ich mache meine Sachen nicht öffentlich, erst am Rosenmontag geht das raus – dann können die Leute Kritik üben, so viel sie wollen.

„Eigentlich bin ich Hyperrealist – ich muss mir gar nichts ausdenken“
Mainz&: Was motiviert Dich, wie kommst Du auf Deine Ideen?
Klaus: „Ich muss mir ja nichts ausdenken, ich gucke mir nur der Stadtrat an. Und so ein Blödsinn, der da manchmal verzapft wird – den muss man einfach nur zeichnen. Bestes Beispiel: „Gerster mit Erster“. Das war damals, als Johannes Gerster nach seinem gescheiterten Wahlkampf nach Jerusalem umzog. Wie das dann aussieht? Er reitet mit dem Esel voraus, und seine Frau schleppt den ganzen Hausrat hinter sich her – und genauso war’s auch. Ich muss mir die Sachen nicht ausdenken, das ist Tatsache. Eigentlich bin ich ein Hyperrealist.
Mainz&: Das heißt, Du siehst sofort Bilder in Deinem Kopf?

Klaus: Ja, genau, wie hier beim Römerschiff. Da gab es eine Frau Dr. Pferdehirt, die beharrte darauf, dass dieses Schiff ein Patrouillenschiff ist. Und Gerd Rupprecht sagte: Frau Doktor Pferdehirt, Ihr Patrouillenschiff ist kein Patrouillenschiff, sondern ein Boot für Dienstreisen! Jetzt steht der Mainzer davor und denkt sich: von den drei Brocken, die da rumliegen, können die das ablesen?
Mainz&: Und Du hast daraus eine Loriot-Szene in der Badewanne gemacht, Ente inklusive – herrlich! Und die Geschichte mit den Wildschweinen? Das war 2005, da kamen die nachts über den Rhein geschwommen…
Klaus: Wildschweine können gut schwimmen, und die können von Wiesbaden nach Mainz über den Rhein kommen. Und da hab‘ ich mir gedacht, wenn das so weiter geht, dann kommen die bald mit dem Auto her, sitzen auf der Bank, gehen spazieren.
Bedrohte Narrenfreiheit & Tempo 30 auf der Rheinallee
Mainz&: Und 2014 hast Du Dir bereits einen Reim auf Tempo 30 auf der Rheinallee gemacht…
Klaus: Ja, das war damals unter Katrin Eder, da galt Tempo 30 bei Nacht. Aber wer die Mainzer kennt, wenn da ein Junggesellenabschied gefeiert wird, dann sieht das so aus – vollgekifft, vollgesoffen, aber Hauptsache, sie fahren 30.

Oder hier die „Narrenfreiheit“: Beim Rosenmontag ist mittlerweile so viel Security, und die kostet so viel Geld, dass immer weniger für die Motivwagen übrig war. Und dann fragt man sich: was machen wir denn da? Das ist doch völliger Irrsinn!
Mainz&: Das Irre ist ja: Das ist von 2015, das ist zehn Jahre her! Und sieh Dir an, wie wir heute über Sicherheit an Rosenmontag diskutieren, und wie die Kosten noch einmal explodiert sind!
Klaus (schmunzelt): Ja, man nennt mich auch den Seher von Mainz. Eine meiner Lieblingskarikaturen ist hier: das Rathaus. Es will den Mainzern doch gefallen, bietet sein Herz an – aber der Mainzer sagt: „Ich liebe Dich nicht, Arne. Du bist alt, hässlich und denkmalgeschützt. Das mit uns muss ich mir noch mal überlegen.“ Das ist tragisch, aber Tragik und Komik liegen ja immer eng zusammen.
Schon als Schüler zeichnete Wilinski, studierte an der FH
Mainz&: Wie bist Du überhaupt dazu gekommen, Karikaturen zu zeichnen?`
Klaus: Das hast Du bestimmt in deiner Schulzeit auch erlebt: Es gibt immer einen, der an der Tafel den Lehrer malt, oder irgendetwas anderes Witziges. Und diese Leute sind meist keine besonders guten Schüler, aber sie sind in der Klasse beliebt, weil sie immer irgendeinen Blödsinn machen können – und so einer war ich auch. Das ging dann erst mit Schülerzeichnungen los, dann gab es Studentenzeitungen, für die ich gearbeitet habe. Dann habe ich mal in Rüsselsheim fürs Echo gearbeitet, weil ich mit zwei Redakteuren zusammengewohnt habe, und so entwickelte sich das langsam.

Dann kam die Rhein-Zeitung überraschend nach Mainz, das war alles hoch geheim. Da stand eines Tages der Kulturredakteur mit hochgeschlagenem Mantel bei uns im Atelier und flüsterte: „Kannst Du Karikaturen zeichnen…?“ Klar, hab ich gesagt, mach ich gerne, für wen..?“ – „Pscht!!!“ Das kam mir vor wie ind er Sesamstraße: „Willst Du ein A kaufen..??“
So fing das an, und dann war Samstag, und die erste Karikatur war in der Zeitung – das war damals die Chemiekatastrophe von Sandoz, mit den toten Fischen im Rhein. Das war 1987. Da war dann die Diskussion, könnten wir Fische entwickeln, die sowohl Säure- wie auch Hitze- und Laugen-beständig sind, und ich dachte nur: Wie krank muss denn ein Kopf sein? Ihr macht das Wasser kaputt, und sucht dann Fische, die da drin leben können? Das ist doch völlig verdrehte Welt. Und das ist eigentlich meine Welt: das Verdrehte, das Absurde, das Übertriebene.

2.500 Karikaturen in knapp 40 Jahren: Ein Fall fürs Stadtarchiv
Mainz&: Sind Dir jemals die Ideen ausgeblieben? Nicht wirklich, oder?
Klaus: Bei unserem Stadtrat? So lange der so funktioniert, werden mir die Ideen nicht ausgehen. Guck Dir doch mal an, was da jetzt passiert: Hebesatz Grundsteuer B. Kurt Merkator wollte die als Wirtschaftsdezernent schon mal anheben, da habe ich eine Karikatur gemacht, wo er mit zwei Hamstern experimentiert, die er in einen Kasten reinsteckt und Strom dranhält – dann fliegen die oben raus. Und der eine Hamster ist die IHK und der andere ist die Handwerkskammer. Da war klar: das könnte so nicht funktionieren.

Jetzt haben wir dasselbe Thema wieder: das Geld ist weg, die Grundsteuer B wird erhöht – und das heißt: Der Mietpreis wird sich noch mal erhöhen hier in Mainz. Und ich weiß nicht, was das für eine Politik ist, wenn Du hier in der Stadt nur noch die reichen Leute hast, und alle anderen außerhalb sind. Guck Dir doch mal unsere Innenstadt an: die verarmt doch! Wenn ich die Große Bleiche sehe, dieser völlig verrottete Block des alten Hotels, irre. In New York sprechen sie von der „Broken Windows Theorie“: Wenn etwas kaputt ist, muss es sofort repariert werden, sonst zieht es die Nachbarschaft mit runter.
Mainz&: Wie viele Karikaturen hast Du eigentlich schon gezeichnet?
Klaus: Insgesamt 2.500 Stück, und die Originale gehen alle an die Stadt Mainz ins Stadtarchiv. Einmal im Jahr kommen die vorbei und holen die ab, die 52 Karikaturen des Jahres. Die scannen die ein und verschlagworten die. Wir haben keine Kinder, also habe ich gesagt: Da gibt’s nichts zu vererben, die kriegt die Stadt. Ich bin ja ein Kind dieser Stadt, zwar in Nackenheim geboren, aber bin hier in die Schule gegangen – mit der Eisenbahn immer nach Mainz gefahren. Danach Studiums an der Fachhochschule, ein Jahr als Art Director in einem Verlag, und danach habe ich noch einmal angefahren zu studieren – bei Hermann von Saalfeld, das war damals der Zeichenpapst hier in Mainz.
Dann kam ein Auftrag von der Bahn, ich sollte für die Zeichnungen machen, da hat der von Saalfeld gesagt: Mach doch ein Urlaubssemester, das Geld würde ich mitnehmen – das war 1987, und seitdem bin ich quasi im Urlaubssemester. Ich bin jetzt 71 Jahre alt und bin wahrscheinlich einer der ältesten Studenten in Mainz.
Mainz&: Lieber Klaus, ich danke sehr für das Gespräch!
Info& auf Mainz&: Die Ausstellung „Himmel, Arsch und Zwirn“ von und mit Klaus Wilinski ist noch bis zum 28. Juni 2025 in der Mainzer Kunst Galerie, Weihergarten 11 in der Mainzer Altstadt zu sehen, Infos hier im Internet. Die Galerie ist immer nur samstags geöffnet, von 11.00 Uhr bis 16.00 Uhr – und am 14. Juni 2025 bei der Mainzer Museumsnacht. Und klar, da darf eine kleine Fotogalerie nicht fehlen! Bittesehr: