Nach dem Bruch der Ampel in Berlin folgt nun der nächste Paukenschlag – und dieses Mal wurden die Mainzer eiskalt erwischt: Bundesverkehrsminister Volker Wissing kündigte am Donnerstag an, er wolle entgegen der übrigen FDP-Kollegen im Amt bleiben – und aus der FDP austreten. Das sei „eine persönliche Entscheidung, ich möchte mir selbst treu bleiben“, betonte Wissing – und kritisierte FDP-Parteichef Christian Lindner. Damit geht der Architekt der Ampel von Bord, die FDP in Rheinland-Pfalz verliert völlig überraschend auch ihren Landesvorsitzenden. In Mainz reagiert man mit Bedauern.
Am Mittwochabend hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach einem Treffen des Koalitionsausschusses Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) aus der Regierung geworfen – die Berliner Ampel ist damit gescheitert. Scholz hatte danach in einer brutalen Generalabrechnung Lindner Egoismus und Verantwortungslosigkeit vorgeworfen, unklar war jedoch zunächst, was aus den übrigen drei FDP-Ministern in der Regierung werden würde. Am Abend dann teilte die FDP mit, auch Justizminister Marco Buschmann, Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger und Verkehrsminister Volker Wissing würden Bundespräsident Frank Walter Steinmeier um ihre Entlassung bitten.
Auffällig war jedoch: Bei Lindners Statement zum Aus der Ampelkoalition fehlte Wissing, der Verkehrsminister hatte wenige Tage zuvor in einem großen Gastbeitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausführlich erklärt, es sei ein Rückzug aus der Ampel-Koalition „wäre respektlos“. Pluralismus sei „ein Segen“ für eine Gesellschaft, „es ist fatal, wenn demokratische Parteien die Übernahme von Verantwortung verweigern, nur weil sie nicht allein entscheiden können“, schrieb Wissing in dem Beitrag, der auch auf der Internetseite der FDP veröffentlicht wurde. „Koalitionen sind nicht einfach. Regieren ist nicht einfach. Demokratie ist nicht einfach. Wir tragen die Verantwortung dafür, dass es gemeinsam gelingt“, betonte Wissing zudem.
Wissing will Verkehrsminister bleiben und tritt aus FDP aus
Am Donnerstagfrüh dann der Paukenschlag: In einer Pressekonferenz in Berlin gab Wissing bekannt, er werde als Verkehrsminister im Amt bleiben – und aus der FDP austreten. Nach dem Rauswurf von Finanzminister Lindner habe Kanzler Scholz ihn am Mittwochabend gefragt, ober er bereit sei, sein Amt als Verkehrsminister „unter den neuen Bedingungen fortzuführen“, sagte Wissing. Er habe darüber nachgedacht – und dann zugestimmt. „Ich möchte mit dieser Entscheidung keine Belastung für meine Partei sein, und habe deshalb heute meinen Austritt aus der FDP mitgeteilt“, sagte Wissing weiter.
Er distanziere sich damit „nicht von den Grundwerten meiner Partei und möchte nicht in eine andere Partei eintreten“, betonte der Pfälzer weiter. Das sei „eine persönliche Entscheidung, ich möchte mir selbst treu bleiben“, sagte er zur Erläuterung – und verband das mit deutlicher Kritik an seinem bisherigen Parteichef Lindner: „Ich bin der Auffassung, diese Regierung hätte mehr Chancen gehabt hätte, wenn man von Anfang an gemeinsamer und stärker an ihrem Erfolg gearbeitet hätte“, sagte Wissing.
Mit Wissing geht nicht irgendein Liberaler: Der Rechtsanwalt aus Landau in der Pfalz war nichts weniger als der Architekt der Ampel. Der gebürtige Pfälzer war 1998 in die FDP eingetreten, im Januar 2004 zog er in den Bundestag ein – als Nachrücker für die tödlich verunglückte FDP-Abgeordnete Marita Sehn. In Berlin machte sich Wissing einen Namen als Finanzexperte, wurde im März 2010 finanzpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und 2011 Fraktionsvize. 2013 erlebte Wissing mit,, wie die FDP an der 5-Prozent-Hürde scheiterte und aus dem Bundestag flog, der Jurist wechselte zurück in seine Kanzlei – und nach Rheinland-Pfalz.
Wissing führte die FDP in den Mainzer Landtag – und in die Ampel
In Mainz führte er 2016 die Liberalen mit 6,3 Prozent zurück in den Landtag von Rheinland-Pfalz – 2011 war die FDP auch hier aus dem Parlament geflogen. Abner mehr noch: Gemeinsam mit SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer schmiedete Wissing die erste Ampel-Koalition auf Landesebene, und verhalf der FDP damit zur ersten Regierungsbeteiligung seit 2014 in einem Bundesland. Wissing machte nie einen Hehl daraus, dass er das Modell Ampel auch als Blaupause für den Bund sah – mit diesem Bündnis könne die FDP zurück an die Macht kommen, so sein Kalkül.
Seine Strategie stieß allerdings von Anfang an auf tiefe Skepsis bei FDP-Parteichef Christian Lindner, doch 2017 ließ der die Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition im Bund platzen – und machte der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) scharfe Vorwürfe. Damals fiel auch der legendäre Satz, „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“ Wissing stand damals an Lindners Seite und berichtete danach immer wieder davon, wie sehr Merkel die FDP habe „über den Tisch ziehen“ wollen – die Wut des Rheinland-Pfälzers war enorm.
Doch der Bruch mit der CDU als natürlichem Koalitionspartner der FDP eröffnete für Wissing die Möglichkeit, auch in Berlin einer Ampel den Weg zu bereiten. Argumentieren konnte Wissing mit seiner eigenen Erfahrung: Bis zur Landtagswahl im März 2021 war Wissing als Minister für Wirtschaft, Weinbau und Verkehr sowie als stellvertretender Ministerpräsident gemeinsam mit Dreyer die treibenden Kraft hinter der Mainzer Ampel – nach der Bundestagwahl 2021 schaffte er es, auch seine Bundespartei samt ihrem Chef Lindner von der Koalitionsvariante zu überzeugen.
Wissings Erfolg: Ampel und Deutschlandticket
Die Bildung der Berliner Ampel-Koalition im Dezember 2021 war Wissings größter Erfolg, es war Wissing, der das legendäre Ampel-Selfie mit den Grünen postete – nachdem FDP und Grüne überraschend an der SPD vorbei zu einer ersten Einigung gekommen waren. Als Bundesverkehrsminister stürzte sich Wissing in die Arbeit: Er verpasste der Deutschen Bahn ein umfangreiches Sanierungs- und Bauprogramm, legte ein Programm zur Brückensanierung auf, und lockerte damit jahrelange Bremsen im Verkehrssektor.
Sein größter Coup aber wurde das Deutschlandticket: Schon in Mainz hatte Wissing von einem Fahrschein über alle Grenzen von Verkehrsverbünden hinweg geträumt – in Berlin setzte er es nun um. Ein Fahrschein für alle, und das auch noch zu einem Schnäppchenpreis – für Wissing war das die Erfüllung eines Traumes. Doch die Berliner Ampel unterschied sich massiv vom Regieren in Mainz: Statt Regieren in Eintracht und Konsens wie in Mainz, herrschten in Berlin ständiger Streit und öffentliche Auseinandersetzungen – und offenbar war Wissing damit höchst unzufrieden.
Er habe seit zehn Jahren Erfahrung in einer Ampel-Koalition und sei „mit vielen Dingen nicht einverstanden gewesen“, betonte Wissing am Donnerstag vor – allem habe ihn gestört, „wie man kontroverse Positionen öffentlich streitig ausgetragen hat, anstatt Brücken zu bauen“, kritisierte Wissing öffentlich – das ging gegen seinen bisherigen Parteichef Lindner. „Brücken bauen ist ein Dienst an der Gesellschaft“, betonte Wissing. Es brauche in einer Demokratie unterschiedliche Positionen, „ansonsten haben wir keinen Pluralismus, aber es muss Kompromissbereitschaft zu geben, um an Lösungen für die Bürger zu arbeiten, das ist für mich der Sinn von Politik“, fügte er hinzu.
Tiefe Entfremdung zwischen Wissing und Lindner
Wie tief der Riss zwischen Wissing und seiner Partei ist, zeigte sich auch im eigenen Ministerium: alle drei Staatssekretäre Wissings baten am Donnerstag um ihre Entlassung, an der Seite des Chefs wollte keiner von ihnen offenbar weiter arbeiten. Wissings Statement zeigt auch: Sein Verbleib im Amt und vor allem der Austritt aus der Partei, die Wissing so lange mit geführt hat, muss das Ergebnis einer bereits seit Längerem sich entwickelnden Entfremdung zwischen Lindner und Wissing sein – und das, obwohl Wissing noch bis 2022 Lindners Generalsekretär war.
In Mainz wurden die Liberalen von der Entwicklung vollkommen überrascht – die FDP Rheinland-Pfalz verliert damit auch urplötzlich ihren Parteivorsitzenden. „Den Parteiaustritt von Dr. Volker Wissing bedauern wir, respektieren aber seine Entscheidung“, teilten Wissings zwei Stellvertreterinnen Carina Konrad sowie Wirtschaftsministerin Daniela Schmitt in einem gemeinsamen Statement auf Social Media mit. Das Land und die Freien Demokraten hätten Wissing „viel zu verdanken“, die FDP Rheinland-Pfalz sei aber „weiterhin in guten Händen“ – man übernehme „gemeinsam Verantwortung für unser Land und unsere Partei.“
Deutlicher wurde der Mainzer Parteivize David Dietz, der für die Mainzer FDP als Bundestagskandidat antritt: „Mit einer so verrückten Sache habe ich nicht gerechnet“, bekannte Dietz am Donnerstag im Gespräch mit Mainz&. Er kenne Wissing seit vielen Jahren und schätze ihn als intellektuellen, klugen Kopf. „Ich glaube ihm seine Begründung zu 100 Prozent, das hat tatsächlich mit Ethos und Verantwortungsgefühl zu tun“, betonte Dietz. Dass Scholz Wissing gebeten hatte, als Minister im Amt zu bleiben, wertete Dietz als „Versuch, einen Spaltpilz in die Partei zu tragen.“
Liberalen in Rheinland-Pfalz sehen Chance für Neuanfang
„Wir sind äußerst überrascht und hoffen, dass wir irgendwann mal mehr über die Gründe erfahren“, sagte auch die Mainzer FDP-Chefin Susanne Glahn: „Wir respektieren seine Entscheidung und wünschen ihm alles Gute.“ Wissing habe immer gefordert, weniger öffentlich zu streiten, und mehr über Inhalte zu reden, insofern sei seine Entscheidung vom Donnerstag „konsequent“, sagte Glahn weiter. Der Streit habe „der Politik und der Partei nicht genutzt, das hat eher die falschen Kräfte unterstützt“, sagte sie weiter.
Die FDP in Mainz bereite sich nun aber auf den Wahlkampf vor, man habe zwei starke Frauen als Landesvize. Personelle Veränderungen würden zudem auch „immer die Chance, auf eine positive Veränderung“ bieten, sagte Glahn weiter. Die FDP sei „weiblicher geworden, die Themen sind andere geworden“ – und das mangelnde Wirtschaftswachstum in Deutschland zeige ja, dass das Vertrauen in die Politik fehle. „Lieber jetzt schnell eine entscheidungsfähige Regierung, die Handeln kann und Vertrauen schafft, anstatt diesen Rumgezerre-Stillstand-Modus“, betonte Glahn.
Ähnlich äußerten sich auch die Jungen Liberalen: „Wir bedauern den Austritt Wissings, doch wir blicken jetzt in die Zukunft“, sagte JuLi-Landeschef Florian Pernak. Die Jungen Liberalen sähen nun die Chance, mit einer neuen Landesführung die Weichen für kommende Herausforderungen zu stellen. „Ein neuer Landesvorsitz muss sowohl die Anliegen der Jugend ernst nehmen als auch einen modernen, zukunftsorientierten Kurs einschlagen“, forderte Pernak.
Man erwarte „keine Turbulenzen in der Landespartei“, die FDP Rheinland-Pfalz bleibe „auch ohne Wissing handlungsfähig und stark“, betonte Pernak zudem – jetzt sei aber „der richtige Zeitpunkt, um notwendige innerparteiliche Reformen mutig anzugehen und die Partei weiterzuentwickeln.“ Man erwarte, dass die neue Parteiführung „notwendige Reformen und die Stabilität im Land entschlossen vorantreibt.“
CDU: „Unwürdiges Schauspiel“ – Wissing als Verräter beschimpft
CDU-Generalsekretär Jo Steiniger sprach hingegen von einem „unwürdigen Schauspiel“ in Berlin. „Volker Wissing wirft seine Überzeugungen über Bord“, kritisierte Steiniger: „Eben noch war er Landesvorsitzender der FDP in Rheinland-Pfalz, jetzt tritt er aus der Partei aus – in Sachen Charakterschwäche stehen sich Olaf Scholz und Volker Wissing offensichtlich in nichts nach: Beide stehen sich selbst und dem eigenen Machterhalt am nächsten.“ Während Wissings FDP-Ministerkollegen Haltung wahrten, „bleibt Volker Wissing das Trojanische Pferd in der Regierung“, schimpfte Steiniger weiter: „Titel und Dienstwagen sind ihm offenbar wichtiger als Rückgrat zu zeigen.“
Am frühen Nachmittag kam dann die nächste Wendung: Wissing soll nun neben dem Verkehrsministerium auch das Justizressort übernehmen – in der rot-grünen Minderheitsregierung übernimmt der Ex-FDP-Mann damit also auch noch erweiterte Verantwortung. IN dne sozialen Netzwerken waren die Meinungen zu Wissings Handeln indes geteilt: Während ihm viele Kommentatoren Haltung, Mut und Konsequenz attestierten, beschimpften ihn andere als „Judas“ und „Verräter“:
Dietz sprach sich derweil für schnellere Neuwahlen und eine umgehende Vertrauensfrage durch den Kanzler aus: „Diese Variante, bis zum 15. Januar zu warten, davon halte ich nichts“, kritisierte der Mainzer Liberale: „Das Gewürge war lang genug, die Vertrauensfrage zu stellen, das geht früher – und wir brauchen so schnell wie möglich Neuwahlen.“ Die Herausforderungen nicht nur für Deutschland, sondern auch international seien „so gigantisch, für das Land wäre das klüger“, fügte er hinzu.
Info& auf Mainz&: Mehr zum Bruch der Berliner Ampel könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen, wie die Parteien in Mainz darauf reagiert haben, lest Ihr hier bei Mainz&.