Einen Tag nach dem Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts zu Dieselfahrverboten in deutschen Städten hat die Diskussion über das Problem Verkehr erst so richtig begonnen. Während der Großteil der Politik gebetsmühlenartig betonte, Diesel-Fahrverbote ließen sich noch vermeiden, sprach der Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, von einer „schallenden Ohrfeige für mehrjährigen Rechtsbruch“ und versprach: „Diesel-Fahrverbote kommen noch in diesem Jahr in hochbelasteten Städten für alle Diesel bis einschließlich Euro 4.“ Auch die ÖDP unterstrich, mit dem Leipziger Urteil seien Diesel-Fahrverbote kein „Kann“ mehr, sondern ein „Muss“ – und warf der Mainzer Stadtspitze „Realitätsverlust“ vor. Tatsächlich werten Experten das Leipziger Urteil lediglich als Anfang einer grundlegenden Verkehrswende: Nicht nur Diesel-Fahrzeuge, auch Benziner würden damit künftig Fahrverbote drohen, Deutschland müsse sich grundlegend neu orientieren.
Tatsächlich hatten die Leipziger Richter in ihrem Urteilsspruch – das nun endlich auf der Homepage einsehbar war – explizit auch Benzinmotoren erwähnt: Der Beklagte habe „ein ganzjähriges Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart in Betracht zu ziehen“, heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts. Das verpflichtete Städte mit hohen Stickoxidüberschreitungen, genau diese „so kurz wie möglich“ zu halten, und wenn dazu Fahrverbote die einzige wirksame Möglichkeit sei, „sind diese in Betracht zu ziehen“, heißt es weiter.
„Fahrverbote sind nun ein Muss, kein Kann“
Damit aber gebe das Gericht der DUH in vollem Umfang Recht, die derzeit Fahrverbote gegen Städte einklage – auch gegen Mainz, betonte der Mainzer ÖDP-Chef Claudius Moseler, der hinzufügte, er sei „fassungslos“ ob der Reaktion von Oberbürgermeister Ebling (SPD) auf das Gerichtsurteil: Wie könne man denn immer noch propagieren, ein Fahrverbot könne für Mainz verhindert werden, kritisierte Moseler. Nach diesem Gerichtsurteil seien Fahrverbote „kein „Kann“ sondern ein „Muss“, wenn die Einhaltung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte kurzfristig nicht anders erreicht werden könne – „und genau das ist in Mainz seit Jahren der Fall“, sagte Moseler.
Der von der EU festgelegte Jahresgrenzwert von 40 Mykrogramm pro Kubikmeter werde in Mainz nach wie vor deutlich überschritten. Daran habe auch die Mainzelbahn bislang nichts geändert und eine echte Verkehrswende für unsere Stadt ziehe die Stadtspitze erst gar nicht in Betracht, kritisierte Moseler: „Eblings Vorschläge sind nur halbherziges Flickwerk.“
Mainz überschreitet seit Jahren den Grenzwert von 40 Mykrogramm pro Kubikmeter Luft deutlich, 2017 waren die Werte allerdings von zuletzt 52 Mykrogramm in der Parcusstraße auf 48 Mykrogramm gesunken. Fachleute sehen darin allerdings keine Entlastung: Die Werte seien „konstant hoch“, die leichte Absenkung der Messwerte im Jahr 2017 „bewerten wir im Moment noch sehr vorsichtig“, sagte Michael Weißenmayer, zuständiger Leiter für Luftreinhaltung und Messsysteme beim Landesamt für Umwelt in Mainz Anfang Februar gegenüber Mainz&: „Wir führen die Senkungen vor allem auf meteorologische Effekte zurück.“
Experten: Baustelle Bahnhofstraße ließ womöglich Messwerte sinken
Im Sommer 2017 hatte es enorm viel geregnet, das Wasser sorgte für eine Gereinigte und damit bessere Luft – ein Effekt, der sich bei trockenem Wetter sofort wieder verflüchtigen würde. Dass die Stickoxid-Werte in der Parcusstraße um fünf Mykrogramm gesunken waren, führen die Experten des Landesamtes auf eine andere Ursache zurück: Die monatelange Großbaustelle in der Bahnhofstraße könne dafür gesorgt haben, analysierten sie, weil die den hier sonst ausgesprochen starken Busverkehr stark reduziert habe. „Wir können uns schon vorstellen, dass der Busverkehr zwei Gramm Absenkung ausmachen kann, können das aber erst zu einem späteren Zeitpunkt bestätigen“, sagte Weißenmeyer.
Bei der Stadt Mainz heißt es dagegen immer wieder, die Mainzelbahn habe zur Absenkung der Werte beigetragen, Experten halten das aber für unwahrscheinlich: Die Mainzelbahn fahre erst seit viel zu kurzer Zeit, das könne die Senkung noch nicht bewirkt haben. „Der Verkehrsbereich hat seit 1990 eine Erhöhung der Emissionen zu verzeichnen“, sagte die rheinland-pfälzische Umweltministerin Ulrike Höfken (SPD), und das gelte selbst für Städte wie Mainz, die auf Fahrradverkehr und saubere Verkehrsmittel wie Straßenbahnen setzten.
Die bisherigen Maßnahmen seien weitgehend wirkungslos geblieben, sagte auch Axel Welge, Hauptreferent beim Deutschen Städtetag, auf demselben Symposium: Umweltzonen, dynamische Verkehrssteuerung und Parkraummanagement sowie die Förderung von ÖPNV und Radverkehr seien Maßnahmen, die jetzt schon in den Luftreinhalteplänen der Kommunen stünden, sagt Welge. Genützt habe es bislang wenig.
Übergangsfristen eröffnen Städten Handlungsspielräume
Mögliche Maßnahmen für die Städte, Dieselfahrverbote noch abzuwenden, seien etwa Lkw-Durchfahrtsverbote oder die grundlegende Förderung der Elektromobilität. Der Haken dabei: Die meisten Maßnahmen wirken nicht schnell genug. „Die Richter wollen sehen, dass schnell Bewegung reinkommt“, sagt Welge. Eine Möglichkeit, die Gerichte zu beeindrucken sei deshalb die Nachrüstung aller kommunaler Fahrzeugflotten. Elektroautos aber müsse man auch erst einmal bekommen, derzeit liefere kein einziger deutscher Hersteller Elektrobusse, sagte Mang. Taxen wiederum dürfe der Staat nicht die Nutzung emissionsfreier Fahrzeuge vorschreiben, Lkw-Durchfahrtverbote wiederum scheiterten oft daran, dass es schlicht keine geeignete Ausweichstrecke gebe.
„Jeder weiß, dass die streckenbezogenen Dieselfahrverbote rechtens sein werden“, sagte auch die Referentin für Immissionsschutz im Hessischen Umweltministerium, Marita Mang, auf eben jenem Symposium – und die Städte hätten kaum eine wirksame Maßnahme, Fahrverbote abzuwenden. Wirklich helfen würde nach Einschätzung von Mang und Welge eine Hardware-Nachrüstung der stinkenden Dieselfahrzeuge durch die Automobilindustrie. Noch immer aber scheut sich die Bundespolitik, wirksamen Druck auf die Autoindustrie auszuüben. Bliebe als schnellste Maßnahme die Einführung einer blauen Plakette für dreckige Dieselfahrzeuge. „Dafür bräuchten wir erst einmal eine Bundesregierung“, seufzte Mang.
Lichtblick für die betroffenen Städte: Das Leipziger Gericht verfügte auch Übergangsfristen. Stuttgart etwa dürfe in einem ersten Schritt sofort nur ältere Fahrzeuge (etwa bis zur Abgasnorm Euro 4) aussperren. „Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dürfen Euro-5-Fahrzeuge jedenfalls nicht vor dem 1. September 2019 mit Verkehrsverboten belegt werden“, heißt es weiter. Auf dieses Zeitfenster setzen die Städte nun ihre Hoffnung – in Mainz hat das Verwaltungsgericht sein Urteil in Sachen Diesel-Fahrverbote nur aufgeschoben, bis das Leipziger Urteil getroffen wurde. Nun rechnet die Stadt mit einem Richterspruch im Sommer – und kündigte deshalb eilends am Dienstag an, den Luftreinhalteplan erneut überarbeiten und die Dieselbusflotte bereits bis Ende 2018 auf Euro 6-Norm-Standard hieven zu wollen. Der Wettlauf um das Beeindrucken der Richter hat begonnen.
ÖDP und Freie Wähler: Handeln statt Klagen, Realität akzeptieren
Dem OB werde vielleicht schon im Sommer keine Wahl mehr bleiben, ob er Fahrverbote für Mainz ausspreche oder nicht, unkte daher Moseler. „Statt weiter die Augen vor der Realität zu verschließen und stur die Hände in den Schoß zu legen, ist es an der Zeit, Mainz auf das vorzubereiten, was nun unausweichlich kommt“, forderte er. Auch die Freien Wähler warfen Ebling „Wehleidigkeit“ und „Klagen“ vor: „Anstatt klare Ansagen zu machen, zeigt Ebling immer wieder wehleidig auf den Bund“, kritisierte FWG-Fraktionschef Kurt Mehler. Mit dieser „Larmoyanz“ sei den Mainzern aber nicht geholfen, nun seien Taten gefragt. Immer wieder habe der Stadtrat mit der Mehrheit der Ampel-Koalition Anträger der Opposition für einen Masterplan Mobilität, für den Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Autos und zur Installierung von E-Tankstellen im Stadtgebiet abgelehnt und abgeschmettert. Auch den ÖPNV hätte die Stadt längst attraktiver machen können, alle solche Vorschläge seien aber immer wieder „als überflüssig abgetan oder auf die lange Bank geschoben“ worden, kritisierte Mehler: „So funktioniert die Problembewältigung sicher nicht, es wird Zeit, endlich einmal auch in Mainz einen Anfang zu machen.“
Die SPD betonte, man habe ja schon in den vergangenen Jahren Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffe wie die Einführung einer Umweltzone, die Mainzelbahn oder die kommende Umstellung des ÖPNV auf Brennstoffzellenbusse unternommen. Nun gelte es, weitere Maßnahmen umzusetzen, etwa die Citybahn oder auch Konzepte zur Elektromobilität, sagte die SPD-Verkehrsexpertin Christine Pohl. „Mit diesen und anderen Maßnahmen hoffen wir, die Grenzwerte für saubere Luft zukünftig auch ohne Fahrverbote in Mainz einhalten zu können“, fügte sie hinzu.
Auch die CDU-Opposition verwies darauf, dass in Mainz schon viel geschehen sei, um die Situation zu verbessern, man spreche sich deshalb „klar gegen Fahrverbote aus“, sagte CDU-Verkehrsexperte Thomas Gerster. Nützen wird das der Politik nichts: Fahrverbote, sagte ein Experte noch, „verhängen nicht die Politiker – sondern die Gerichte.“
Experten: Dieselautos sofort mit Hardware umrüsten, Busse auf E-Mobilität umstellen
Die Experten vom Landesumweltamt sehen hingegen durchaus Handlungsoptionen, allerdings der eher drastischen Art: „Wir sehen ein Minderungspotenzial von 20 Mykrogramm bei den Stickoxiden“, sagte Weißenmeyer: „Wenn wir sofort den Verkehr abstellen würden.“ Das sei natürlich keine realistische Option, sagte der Experte weiter, zeige aber die Dimension. Eine dauerhafte Senkung der Werte könne nur gelingen, indem man Autos mit Katalysatoren und Harnstoffreinigern ausstatte. Auch eine Umstellung der Busflotte auf Elektroantriebe würde sich sofort auswirken: „Das würden sie an den Messwerten sofort sehen“, sagte Weißenmeyer: In der Mainzer Parcusstraße ließen sich damit die Stickoxidwerte um etwa zehn Mykrogramm senken.
Die DUH übrigens wertete das Leipziger Urteil als großen Erfolg für die Bürger im Land und ihre Gesundheit: „Heute ist ein großer Tag für ,Saubere Luft‘ in Deutschland“, sagte Resch. Bundeskanzlerin Angela Merkel müsse sich nun „endlich aus dem Würgegriff der Autokonzerne befreien und eine Politik für die unter Dieselabgasgift leidenden Menschen und die neun Millionen betrogenen Käufer von Euro 5+6 Diesel-Pkw machen.“ Resch betonte zudem, die „kluge und mutige Entscheidung der Richter schafft auch Klarheit für die betroffenen Diesel-Fahrer. Sie können nun die Rückabwicklung des Kaufvertrags oder aber die technische Nachrüstung ihres Fahrzeugs mit einer technisch funktionierenden Abgasreinigung zu allen Jahreszeiten einfordern.“