Vor der Rheingoldhalle: Einige Dutzend Landwirten mit Grabkerzen und Traktoren. Innen: Einige Tausend Vertreter von Wirtschaft, Handwerk und Gesellschaft. Die Themen: Dieselben. „Der Frust ist groß, und er steigt immer mehr an“, sagte der Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen, Hans-Jörg Friese: „Ich habe das Gefühl: Es hört mir keiner zu, gelinde gesagt: Ich fühle mich verascht.“ Der Adressat: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) – und dem klingelten die Ohren.

Traktoren-Protest vor der Rheingoldhalle in Mainz: "Gemeinsam gegen den Ampelsalat" - das war das übergreifende Motto des Abends. - Foto: gik
Traktoren-Protest vor der Rheingoldhalle in Mainz: „Gemeinsam gegen den Ampelsalat“ – das war das übergreifende Motto des Abends. – Foto: gik

Der Jahresempfang der Deutschen Wirtschaft in Mainz ist der größte seiner Art in Deutschland: Jedes Jahr im Januar laden Vertreter von Wirtschaftsverbänden und Kammern zum Jahresauftakt nach Mainz. Inzwischen sind es 15 Kammern und Institutionen des Mittelstandes, von den Ärzten über die Psychologen bis hin zu Pflege, Handwerk und mittelständischer Wirtschaft. „Demokratie braucht Dialog, deshalb sind wir heute Abend hier“, betonte zum Auftakt des 23. Jahresempfangs Marcus Walden, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) Rheinhessen.

Mainz und Rheinhessen stünden für Gastfreundschaft und Weltoffenheit, „das zeichnet unser Bundesland und unsere Wirtschaft aus“, betonte Walden, und zitierte auch gleich noch Louis Pasteur: „Es steckt mehr Philosophie in einer Flasche Wein, als in allen Büchern dieser Welt.“ Das galt natürlich dem studierten Philosophen und früheren Kinderbuchautor Robert Habeck, heute Bundeswirtschaftsminister von den Grünen.

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„Es fehlt das Vertrauen in die Politik: Dialog suchen, Zuhören!“

Und dem hohen Gast aus Berlin schrieb der IHK-Präsident auch gleich etwas zum Zuhören ins Stammbuch: „Viele unserer Betriebe wissen nicht, wie es weiter gehen soll: Inflation, Energie- und Rohstoffkosten belasten die Bilanzen“, warnte Walden. Dazu kämen Lieferschwierigkeiten, lähmende Bürokratie und Arbeitskräftemangel – vor allem aber „fehlt das Vertrauen, dass Entscheidungen der Politik Bestand haben“, kritisierte Walden: Deshalb werde immer weniger investiert.

Um Miteinander, kritischen Dialog und Kompromissfähigkeit ging es beim Jahresempfang der Wirtschaft in Mainz viel - vor und in der Rheingoldhalle. - Foto: gik
Um Miteinander, kritischen Dialog und Kompromissfähigkeit ging es beim Jahresempfang der Wirtschaft in Mainz viel – vor und in der Rheingoldhalle. – Foto: gik

Deutschland fehle Innovationstempo und ein klares Bekenntnis zum Standort, die Politik mache den Unternehmen seitenlange Vorschriften noch zu den kleinsten Nichtigkeiten – wie etwa die Temperatur in Betriebstoiletten. Und gerade hätten die Netzbetreiber zum Jahreswechsel die Entgelte einfach verdoppelt, das bedeute leicht mehrere Hunderttausend Euro an Mehrkosten für einen Mittelständler, rechnete Walden vor: „Vertrauensbildende Maßnahmen sehen anders aus.“ Und riet dem Bundeswirtschaftsminister: „Herr Habeck, Sie haben es mit in der Hand, das Vertrauen in den Standort Deutschland wieder zu stärken – gerade jetzt ist es entscheidend, den kritischen Dialog zu suchen, und einfach mal zuzuhören.“

Doch gehört fühlten sich an diesem Abend viele eben gerade nicht. Da waren die Landwirte vor der Tür, mit rund 50 Traktoren in die Mainzer Innenstadt zur Rheingoldhalle gekommen waren, um ihrem Unmut über die Politik Luft zu machen. Mit Traktoren und Grabkerzen standen sie Spalier, um den Besuchern des Jahresempfangs ihre Sorgen nahe zu bringen. „Es ändert sich nix“, klagte ein Vertreter der Landwirte auf der Kundgebung am Rheinufer: „Wir stehen hier, wir sind gesprächsbereit!“

Handwerkspräsident: „Habe das Gefühl: Mir hört keiner zu“

Die Politik aber habe weiter „keine Konzepte, keine Lösungen, wir drehen uns im Kreis“, klagte der Landwirt, und kritisierte: Die Politik habe „Angst, sich unters Volk zu mischen, wer aber Angst vor dem Volk hat, sollte seine Regierungsfähigkeit in Frage stellen!“ Das galt Habeck, der einen Spaziergang mit den Landwirten am Rheinufer zum Gespräch im Vorfeld abgelehnt hatte, aber es galt auch der Landesregierung und Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD); die sich bislang auf keiner Kundgebung der Landwirte hatte blicken lassen.

Traktoren mit Protestbannern vor der Rheingoldhalle in Mainz. - Foto: gik
Traktoren mit Protestbannern vor der Rheingoldhalle in Mainz. – Foto: gik

Doch Dreyer wurde auch in der Rheingoldhalle mit den Problemen konfrontiert: „Ich bin jetzt 20 Jahre dabei, und ich habe das Gefühl: Es hört mir keiner zu“, sagte der Präsident der Handwerkskammer Rheinhessen, Hans-Jörg Friese, auf offener Bühne: „Gelinde gesagt: Ich fühle mich verascht.“ Noch nie hätten ihn so viele Handwerker vor dem Jahresempfang angesprochen, und von ihren Problemen gesprochen, das Hauptproblem sei auch hier die Bürokratie. „Der Frust ist groß, und er steigt immer mehr an“, klagte Friese – und bekam dafür rauschenden Beifall vom Publikum.

Ministerpräsidentin Dreyer reagierte betroffen: „Es tut mir ganz herzlich Leid, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie nicht Ernst genommen werden“, sagte Dreyer: „Wir nehmen als Landesregierung für uns in Anspruch, dass wir mit allen intensiv im Gespräch sind. Wir nehmen das auch Ernst, auch in ihrer Beschwerdeführung.“ Deutschland sei zu kompliziert gestrickt, „wir müssen einfacher werden“, räumte Dreyer ein – Ansätze zu Lösungen nannte sie nicht.

Habeck beschwört Siegeswillen, Handeln und kritischen Dialog

Habeck selbst beschwor in seiner Rede Zusammenhalt, unternehmerisches Handeln und kritischen Dialog – und das Ringen um den Sieg: „Will man nicht verlieren, oder will man gewinnen? Das ist die Frage, die über diesem Land hängt“, betonte Habeck: „Wählen wir die, die aus lauter Angst, Fehler zu machen, nichts getan haben – oder die, die mit mutigen Schritten und allen Konsequenzen und Risiken voran gehen?“

Bundeswirtschaftsministr Robert Habeck (Grüne) bei seiner Rede auf dem Jahresempfang der Wirtschaft in Mainz. - Foto: gik
Bundeswirtschaftsministr Robert Habeck (Grüne) bei seiner Rede auf dem Jahresempfang der Wirtschaft in Mainz. – Foto: gik

Die Stärken Deutschlands seien die Prinzipien der „Kooperation, Weltoffenheit und Kompromissfähigkeit“, das habe das Land stärker gemacht, unterstrich Habeck: „Kompromiss-Demokratie  – was ist daran schlecht?“ Debatten dürften nicht immer als politisches Versagen interpretiert werden, sondern sollten als Lernprozess und Zuhören gesehen werden, appellierte er, und bekam dafür viel Beifall aus dem Saal – erst Recht als sich Habeck gegen „die Engstirnigkeit eines falschen Nationalismus der Abschottung und Ausgrenzung“ aussprach.

Überall blühten Nationalismus und rechter Populismus, Deutschland aber gehöre „ins Herz von Europa, ein Ausstieg, ein Dexit, wäre das letzte, was wir brauchen“, mahnte Habeck. Würden alle derzeit rund 12 Millionen Arbeitnehmer mit Migrationshintergrund aus Deutschland deportiert, „die Wirtschaft würde zusammenbrechen“, konstatierte Habeck trocken mit Blick auf jüngst bekannt gewordene Deportations-Planspiele von rechtsextremen Kreisen: „Es wäre das Ende der weltoffenen Demokratie, die wir in den vergangenen Jahrzehnten aufgebaut haben.“

Habeck: „Das haben wir schön selbst versemmelt“

Und dann räumte der Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler noch ein, der permanente Streit in der Regierung habe kein Vertrauen geschaffen. „Wenn eine Regierung sich nicht eins ist, wie soll sie dann eins mit der Bevölkerung sein“, sagte Habeck: „Das haben wir schön selber versemmelt.“ Mehr sagte Habeck indes zu den Konflikten und dem Frust im Land nicht, äußerte sich weder zu den ständig steigenden Energiepreisen – noch zum Protest der Landwirte.

Auch der rheinhessische Weinbaupräsident Jens Göhring protestierte mit seinem Traktor vor der Rheingoldhalle in Mainz. - Foto: gik
Auch der rheinhessische Weinbaupräsident Jens Göhring protestierte mit seinem Traktor vor der Rheingoldhalle in Mainz. – Foto: gik

Die Landwirte hatten dem Bundesminister aus Berlin dann doch noch bei einem Treffen einen Forderungskatalog übergeben können. Sie fordern weiter die vollständige Rücknahme der Kürzungen im Agrarbereich. Die Leistungen beim Agrardiesel seien ja keine Subvention, sondern „eine Steuerrückerstattung“ für die Tatsache, dass Landwirte eben zumeist mit ihren Traktoren keine öffentliche Straßen benutzten, erklärte Jens Göhring, Weinbaupräsident von Rheinhessen, im Gespräch mit Mainz&, das Ihr hier auf Facebook ansehen könnt: Eine elektrische Alternative gebe es bei den großen Maschinen nicht, die Einbußen der Landwirtschaft gingen immer weiter – viele überlegten inzwischen, ob sie aufgäben.

Die Kürzungen würden „einen Einkommensrückgang von 5 bis 10 Prozent in hart getroffen Gebieten bedeuten“, hieß es denn auch in dem Forderungspapier, dies sei „in der derzeitigen Situation, mit stark steigenden Preisen, nicht abbildbar und beeinträchtigt die deutsche Landwirtschaft zu stark.“

Landwirte: „Sind keine Unmenschen oder Irrläufer“

Deutsche Landwirte stellten die sichersten Lebensmittel der Welt her, und die Landwirtschaft sei die einzige Branche, die ihre Sektorziele zur CO2-Einsparung erfüllt habe. „Die Deutsche Landwirtschaft ist systemrelevant, und stellt wertvolle, ausreichend verfügbar und sichere Lebensmittel her. Es muss im Interesse der Bevölkerung sein, eine leistungsfähige Landwirtschaft auf Dauer zu erhalten“, heißt es weiter.

Bauernprotest mit Grabkerzen und Traktoren vor der Tür der Rheingoldhalle: Angst vor "No Future".. - Foto: gik
Bauernprotest mit Grabkerzen und Traktoren vor der Tür der Rheingoldhalle: Angst vor „No Future“.. – Foto: gik

Die Landwirte forderten auch weniger Ideologie und mehr Pragmatismus, gleiche Bedingungen für Landwirte in ganz Europa, die Einführung einer Herkunftskennzeichnung zum Vorteil der deutschen Landwirtschaft sowie einen Einklang zwischen Landschaftsschutz-, Naturschutz – und Vogelschutzgebiete mit der Kulturlandschaft. „Prinzipiell fordern fast alle Parteien eine kleinteilige Landwirtschaft – dies muss sich dann auch in den Zukunftschancen niederschlagen“, heißt es weiter.

„Es war erstaunlich, wie eisig das Klima anfangs war“, sagte Thilo Ruzycki von der Vereinigung „Landwirtschaft verbindet“ (LSV RLP). In der Halle, das Gespräch mit Robert Habeck und Malu Dreyer sei dann aber sehr entspannt gewesen: „Man konnte sich ganz normal mit ihnen unterhalten, jeder konnte seine Probleme schildern – aber auf einen Nenner sind wir nicht gekommen“, berichtete Ruzycki gegenüber Mainz&. Lösungen habe die Politik erneut nicht präsentiert, man habe versucht, die Landwirte auf eine Zeit der auskömmlichen Preise zu vertrösten.

„Wir sind zu Kompromissen bereit, aber wir lassen uns nicht mit Versprechen abspeisen“, betonte Ruzycki weiter. Die Landwirte aber hätten das Interesse der Medien wecken, und ihre Anliegen in die Öffentlichkeit tragen können – und ein Stück weit auch in die Politik: „Es dürfte jetzt auch beim Minister angekommen sein, dass wir keine Unmenschen und keine rechten Irrläufer sind, sondern einfach nur Probleme aufzeigen, die da sind.“

Info& auf Mainz&: Mehr zu den Forderungen der Landwirte lest Ihr auch hier bei Mainz&.