Sie galten angeblich als vorbildlich, die Stadt Mainz gewann sogar den Deutschen Fahrradpreis dafür – doch tatsächlich sind sie offenbar rechtswidrig: Die Fahrrad-Piktogrammketten auf den Straßen von Mainz. 2016 hatte die damalige Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) zunächst in der Mainzer Oberstadt solche Ketten mit Fahrrad-Piktogrammen mitten auf der Straße anbringen lassen, nun aber teilte der Landesbetrieb Mobilität der Stadt Koblenz mit: Die Piktogramme verstießen gegen die Straßenverkehrsordnung – und müssten entfernt werden. Eine große Pilotstudie stellte zudem fest: Die Zahl der Radunfälle stiegen im Mischverkehr deutlich an.

Fahrradpiktogramme in Kette auf der Göttelmannstraße in Mainz. - Foto: gik
Fahrradpiktogramme in Kette auf der Göttelmannstraße in Mainz. – Foto: gik

Die Straßenverkehrsordnung lässt Radfahrern bereits seit 1997 die Wahl, ob sie den Radweg oder die Fahrbahn gemeinsam mit den Autos nutzen wollen, weil viele Autofahrer und Radfahrer das aber nicht wissen, griff die Stadt Mainz 2016 zu einem scheinbar einfachen Mittel: Entlang der Goldgrube und der Göttelmannstraße pinselte das Verkehrsdezernat Fahrrad-Piktogramme auf die Straße, um zu signalisieren: Hier ist die Radwegepflicht aufgehoben, Radfahrer dürfen die Fahrbahn gleichberechtigt mit benutzen.

Die Strecke von 2,5 Kilometern Länge wurde mit einer ganzen „Piktogrammkette“ versehen – 2017 bekam Mainz dafür sogar den Deutschen Fahrradpreis: Mit der bis zu diesem Zeitpunkt bundesweit einmaligen Piktogrammkette werde ein klares Signal gesetzt, dass das Fahrrad auf der Fahrbahn erwünscht sei, lobte die Jury: Das sei eine kreative und einfache Maßnahme, für Klarheit im Straßenverkehr zu sorgen und Konflikten vorzubeugen – Mainz habe damit eine auch auf andere Städte übertragbare Lösung vorgelegt. Das geschah auch, so etwa in Koblenz.

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Piktogrammketten verstoßen gegen Straßenverkehrsordnung

Dumm nur: Die hochgelobten Piktogrammketten sind eigentlich rechtswidrig – sie sind nämlich in der Straßenverkehrsordnung nicht vorgesehen. Der Grund dafür: Die Piktogramme könnten Autofahrer verwirren und Radfahrer dazu verleiten anzunehmen, es handele sich um eine eigene Fahrradstraße – entsprechend könnten Unaufmerksamkeit und Unfälle steigen. Der Landesbetrieb Mobilität in Rheinland-Pfalz hat nun die Stadt Koblenz aufgefordert, die Piktogramme wieder zu entfernen: „Sie sind klar rechtswidrig und müssen weg“, sagte Gerd Weisel vom Landesbetrieb Mobilität den Nachrichten SWR Aktuell: Es bestehe die Gefahr, dass die Piktogramme mit anderen Verkehrszeichen verwechselt würden.

Gerd Weisel vom Landesbetrieb Mobilität im SWR-Bericht. - Screenshot: gik
Gerd Weisel vom Landesbetrieb Mobilität im SWR-Bericht. – Screenshot: gik

Weisel bestätigte den SWR-Nachrichten zudem, das gelte nicht nur für die Piktogramme in Koblenz – sondern auch für entsprechende Ketten in anderen Städten, etwa in Mainz. Eine Änderung der Straßenverkehrsordnung müsse durch den Bund geregelt werden, allerdings wurden dem Bericht zufolge in anderen Bundesländern bereits Sonderregelungen für die Piktogramme getroffen, etwa in Nordrhein-Westfalen – nicht jedoch in Rheinland-Pfalz.

Der Hintergrund: Die Koblenzer Piktogrammketten waren Teil eines auf fünf Jahre angelegten Modellversuchs der Universitäten Wuppertal und Dresden, das Forschungsprojekt „Radfahren bei beengten Verhältnissen – Wirkung von Piktogrammen und Hinweisschildern auf Fahrverhalten und Verkehrssicherheit wurde vom Bundesverkehrsministerium mit Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans 2020 gefördert. Auch die Studie verweist dabei auf „fehlende Rechtssicherheit“ der Maßnahme, der Abschlussbericht wurde im Juni 2021 vorgelegt.

Studie: mehr Radunfälle nach Einführung der Piktogramme

Im Ergebnis nutzten nach Einführung der Piktogramme tatsächlich mehr Radfahrer die Fahrbahn als vorher, auch sorgten die Piktogramme offenbar für mehr Klarheit im Verkehr, wer welche Route nutzen darf. Das Sicherheitsgefühl stieg hingegen vor allem bei Autofahrern und Fußgängern an, deren Gehwege jetzt weniger von Radfahrfern benutzt wurden. 20 Strecken in 15 Kommunen waren für die Studie für Vorher-/Nachher-Untersuchungen sowie für Erhebungen im Bestand ausgewählt worden – darunter auch die Göttelmannstraße in Mainz.

Die Piktogramme verleiteten Radfahrer dazu, mittig auf ihnen zu fahren - und führten zu mehr Radunfällen im Mischverkehr. - Foto: gik
Die Piktogramme verleiteten Radfahrer dazu, mittig auf ihnen zu fahren – und führten zu mehr Radunfällen im Mischverkehr. – Foto: gik

Die Radfahrenden in Mainz gaben in Sachen Sicherheit dabei lediglich eine Note von 2,5 bis 3 im Schnitt, das heißt, sie fühlten sich „wenig sicher“ oder maximal „Mittelmäßig sicher“. Vor allem das Interagieren mit den Autos wurde „als signifikant unangenehm“ eingeschätzt – und 40 Prozent der Radfahrer benutzten weiter den kombinierten Geh-Radweg, anstatt der Fahrbahn. Insgesamt berichteten der Studie zufolge etwa jede 13. befragte Person, sie habe in den letzten drei Jahren auf der Untersuchungsstrecke bereits einen Unfall oder Beinahe-Unfall mit Radbeteiligung erlebt.

Das größte Problem, so musste die Studie denn auch selbst einräumen: Die Zahl der Unfälle mit Radfahrern stieg nach Einführung der Piktogrammketten an, und zwar sowohl auf freien Strecken, als auch an Kreuzungen. „Der Anteil der Unfälle im Längsverkehr (an der freien Strecke von allen Untersuchungsstrecken) und von Überschreiten-Unfällen (an Knotenpunkten von Strecken mit Radwegen) nahm mit der Maßnahmenumsetzung hingegen zu“, heißt es wörtlich.

Einer der Gründe womöglich: Die Piktogramme verleiteten manche Fahrradfahrer offenbar dazu, sich mitten auf den Piktogrammen zu bewegen – und damit mitten auf der Straße zu fahren. Umgekehrt reduzierte sich die Unfallhäufigkeit erheblich, wenn parallel zur Straße ein echter Radweg verlief. Untersuchungen des ADFC-Fahrradklimaindexes bestätigen das seit Jahren. Beim Landesbetrieb Mobilität verweist man im SWR-Bericht denn auch darauf, dass der Bund nach der Studie die Straßenverkehrsordnung eben gerade nicht geändert habe – wegen der Studienergebnisse. Nun müssten die Piktogramme deshalb wieder entfernt werden – das würde dann genauso auch für die Landeshauptstadt Mainz gelten.

Info& auf Mainz&: Den ganzen Filmbericht von SWR Aktuell findet Ihr hier im Internet – unbedingt den Film selbst ansehen! Unseren ausführlichen Bericht zum Thema Deutscher Fahrradpreis für Piktogrammkette in Mainz findet Ihr hier bei Mainz&. Den gesamten Abschlussbericht zur Forschungsstudie Fahrrad-Piktogramme könnt Ihr Euch hier im Internet als pdf herunterladen. Achtung: Es gibt zu der Studie einen „Kurzbericht“, der die von uns zitierten Passagen zum Unfallgeschehen NICHT enthält – fündig wird man in der Langfassung, die sehr genaue Aufschlüsselungen zum Unfallgeschehen enthält. Der alte Link hat leider trotz Check nicht funktioniert, wir haben den neuen Link zur Seite der Uni Wuppertal jetzt ergänzt.