2018 war das Annus Horribilis der Mainzer in Sachen Fluglärm – das Fluglärm-Horrorjahr: In keinem Jahr zuvor, so schien es, dröhnten öfter und lauter Flieger über die Landeshauptstadt und über die angrenzenden rheinhessischen Gebiete in Richtung Frankfurter Flughafen wie 2018. Nun zeigen Auswertungen des Umwelt- und Nachbarschaftshauses Frankfurt: es stimmt. Der Landeanflug aus Richtung Westen stieg 2018 von 24 Prozent auf satte 46,7 Prozent – eine glatte Verdoppelung. Derweil kommen die Ansätze zur Senkung des Fluglärms nicht voran.
25 Prozent, das ist die magische Zahl, die bislang für die Menge der Anflüge an den Frankfurter Flughafen aus Richtung Westen galt. Weil in Deutschland die Hauptwindrichtung bislang Westwind war, landete der weit überwiegende Teil der Flieger aus Richtung Osten – gegen den Wind. „Im langjährigen Mittel wird in Frankfurt zu 75 Prozent West- und zu 25 Prozent Ostbetrieb geflogen“, heißt es noch heute bei der Deutschen Flugsicherung (DFS). Tatsächlich betrug 2017 die Menge der Anflüge aus Richtung Westen 24 Prozent, 2015 waren es etwa 27 Prozent, 2016 auch mal 30 Prozent.
Doch 2018 änderte sich das grundlegend: Von Januar bis Dezember landeten aus Richtung Osten auf den drei Landebahnen am Frankfurter Flughafen nur noch 53,2 Prozent – aber 46,7 Prozent aus Richtung Westen. Als Grund nennt die DFS auf Anfrage von Mainz& „rein meteorologische Gründe“: Die Wahl der Betriebsrichtung sei abhängig von Boden- und Höhenwind sowie zusätzlich von Pilotenrückmeldungen, teilte die Flugsicherung mit. Die Betriebsrichtung werde so gewählt, dass Flugzeuge möglichst gegen den Wind starten und landen könnten.
Und da habe es 2018 eben laut Institut für Klimaforschung „eine sehr stabile Großwetterlage“ gegeben, die zum Anstieg des Ostbetriebs am Frankfurter Flughafen geführt habe. Damit verlagerte sich auch ein Großteil des Anflugverkehrs weit ins Rheinhessische und bis nach Bad Kreuznach, wie Karten des Deutschen Fluglärmdienstes DFLD zeigen – im Raum zwischen Mainz und Bingen wurde es deutlich lauter als in den Jahren zuvor. Das gefühlte Dauer-Dröhnen über den Köpfen der Mainzer – es hatte ganz reale Ursachen. Dazu zeigen die Daten des Umwelt- und Nachbarschaftshauses auch: Besonders laut ist es kurz nach 5.00 Uhr am Morgen, wenn die ersten Flieger auf dem Weg nach Frankfurt über die Häuser dröhnen.
Derweil kommen Bemühungen, die Region aktiv von Lärm zu entlasten, praktisch nicht voran. Zwar teilt die Deutsche Flugsicherung auf Anfrage mit, die Anflughöhe sei heute über Mainz 70 Meter höher als früher – das aber trifft nur auf moderne Flugzeuge zu, die mit dem Ground Based Augmentation System (GBAS) ausgerüstet sind. Diese Flugzeuge können statt mit 3 Grad Anflugwinkel mit einem Winkel von 3,2 Grad auf die Landebahnen anfliegen, seit März 2017 ist das möglich – vorgeschrieben ist es nicht.
Der höhere Anflugwinkel ermögliche deutlich leisere Abflüge, betont die DFS, und muss doch selbst anmerken: „Leider haben noch nicht alle Airlines die für dieses Verfahren notwendige und teure Cockpittechnik an Bord“ – so sagte es Klaus-Dieter Scheurle, CEO der DFS im Jahr 2017. GBAS würde zudem noch steilere Abflugwinkel erlauben, das Anflugverfahren „Steeper Approach“ erlaubt gar einen Anflug aus 2.400 Metern Höhe mit einem Winkel von 4,49 Grad.
„Steeper Approach“ wurde bereits im Oktober 2013 am Frankfurter Flughafen mit Testflügen erprobt, das Umwelthaus in Frankfurt maß dabei deutlich weniger Lärm am Boden. Das werde durch „teils erhebliche Höhengewinne erreicht“, heißt es bei der Fraport, die vor allem im Umfeld von elf Kilometern Entfernung zum Flughafen spürbar seien. Möglich sei eine Reduzierung von bis zu 6 Dezibel. Eine Einführung des Systems ist indes auch sechs Jahre danach nicht in Sicht: „Technisch wären diese Anflüge machbar“, doch das Anflugverfahren liege „noch weit abseits üblicher Verfahren“, eine Planungsgrundlage gebe es deshalb nicht, so die DFS. Stattdessen senkte die DFS gerade den Gegenanflug um rund 1.000 Fuß ab – der Grund: die massiv gestiegenen Flugbewegungen am Himmel über Deutschland.
Und auch bei einem anderen Instrument geht es nicht voran: Während es am Amsterdamer Flughafen Schiphol klare Anweisungen für die Piloten gibt, das Fahrwerk nicht zu früh auszufahren, heißt es bei der DFS nur, das Ausfahren des Fahrwerks liege „in der Verantwortung der Piloten“. Die fahren die Räder oft schon über Mainz oder sogar früher aus, was eine erhebliche Verstärkung des Fluglärms bedeute, klagen Fluglärm-Gegner – Abhilfe: nicht in Sicht.
Einzig das Wetter kann so Abhilfe bringen: 2019 sank nach bisherigem Stand die Zahl der Anflüge aus Richtung Westen wieder auf rund 25 Prozent. Doch die Aussichten für die Zukunft sind für lärmgeplagte Mainzer trübe: Gerade kündigte Flughafenbetreiber Fraport an, seine Kapazitäten pro Stunde deutlich ausbauen zu wollen. Durch die Inbetriebnahme des Flugsteiges G am Terminal 3 wolle man den Stundeneckwert von aktuell 104 Flugbewegungen auf 108 zum Sommer 2021 steigern – und Ende 2023 noch darüber hinaus. Die Zahlen nannten Fraport-Vertreter nun auf einer Sitzung der Fluglärmkommission – und die zeigte sich empört: Es gehe nicht an, dass Fraport die Kapazitäten immer weiter steigere, der Lärmschutz aber keineswegs sicher gestellt werde, kritisierte die Kommission.
Fraport ficht das nicht an: Bis zu 125 Flugbewegungen pro Stunde wolle man „in den nächsten 5 bis 10 Jahren“ erreichen, sagten Fraport-Vertreter auf der Sitzung – das entspricht 701.000 Flugbewegungen pro Jahr. Die Zahl ist kein Zufall, der Wert entspricht dem im Planfeststellungsverfahren für den Frankfurter Flughafen festgelegten Oberwert. Zum Vergleich: 2018 wurden in Frankfurt rund 512.000 Flugbewegungen abgewickelt, fast 200.000 Bewegungen mehr wären eine erhebliche Steigerung. Mit dem Bau des Terminal 3 peilt Fraport genau diesen Wert an: Ende 2023 soll mit der Inbetriebnahme des ganzen Terminals 3 der Stundeneckwert auf 110 Flüge steigen.
Bereits 2018 habe die Nachfrage nach Start- und Landerechten deutlich über dem aktuellen Eckwert von 104 Flügen pro Stunde gelegen, betonten die Fraport-Vertreter. Fast jede zehnte Anfrage habe zeitlich nicht wunschgemäß bedient werden können. Für 2019 werde ein weiteres Wachstum von ein bis zwei Prozent erwartet, die Kunden forderten eine deutliche Kapazitätserhöhung und bessere Qualität, teilte das Unternehmen der Fluglärmkommission mit.
Fluglärmanalysten weisen indes darauf hin, dass die derzeitigen Steigerungen fast ausschließlich aus dem Bereich der Billigflieger kommen: So habe es im April 2019 insgesamt 295.800 Passagiere mehr gegeben als im April 2018, ein Anstieg um 5,15 Prozent, rechnete der Fluglärmexperte Wolfgang Heubner gerade in seiner monatlichen Auswertung vor. Alleine durch die Billigfluglinien Ryanair, Wizzair, SundAir und Easyet seien 268.120 Passagiere mehr gekommen, das seien 90 Prozent des Gesamtanstiegs. Ohne Billigflieger hätte der Flughafen hingegen in den ersten vier Monaten ein Minus von 1,77 Prozent bei den Passagierzahlen eingefahren, betont Heubner: „Auch im April zeigt es sich, dass die Steigerungen bei den Passagieren und bei den Flugbewegungen mehrheitlich nur über die Billigflieger erfolgt.“
Und die Politik? Seitdem die Stadt Mainz die Klage gegen den Flughafenausbau 2017 verlor, ist von einem spürbaren Kampf gegen den Fluglärm und den weiteren Ausbau des Rhein-Main-Airports kaum mehr etwas zu spüren. Die Stadt ist weiterhin in der Fluglärmkommission und in der Initiative Zukunft Rhein-Main vertreten, regemäßig wird eine Reduzierung des Lärms gefordert – eine aktive Rolle der Stadt Mainz in Sachen Fluglärm gab es zuletzt nicht mehr. Initiativen oder Anfragen kamen von den Bundestagsabgeordneten Tabea Rößner (Grüne) oder Ursula Groden-Kranich (CDU). mit den Fluglärminitiativen aus Mainz traf sich zuletzt Ministerpräsidentin Malu Dreyer und Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne).
Die ÖDP stellte in der letzten Sitzung des Mainzer Stadtrats vor der Kommunalwahl Mitte April einen Antrag, den Kampf gegen den Fluglärm wieder aufzunehmen und dafür aktiv Gespräche mit Landesregierung, Bundestag und Bundesregierung zu suchen. Außerdem forderte die ÖFDP, den Fluglärm durch die Lärmobergrenzen pro Jahr um 0,4 Dezibel abzusenken und ein echtes Nachtflugverbot zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr einzufordern. Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP erstellte dazu flugs einen Änderungsantrag – und in dem hieß es nur noch, man „unterstütze“ die Verwaltung „in ihrem Bestreben, Unterstützung für eine Lärmminderung und ein echtes Nachtflugverbot zu erreichen“ und alle „sinnvollen juristischen und politischen Möglichkeiten“ zu ergreifen. Eine Mehrheit fand – der Antrag der Ampel.
Info& auf Mainz&: Die Freien Wähler laden für Dienstag, den 21. Mai 2019 um 19.00 Uhr zur Podiumsdiskussion „Flughafen Erweiterung mit Terminal 3 – Ausbau auf 100 Mio. Passagiere – Was erwartet Mainz? Was kann Mainz aushalten? Ist das für Mainz eine wirtschaftliche Zukunft?“ Im Erbacher Hof diskutieren dann der Spitzenkandidat der Freien Wähler, Erwin Stufler, der CDU-OB-Kandidat Nino Haase (unabhängig) sowie Dietrich Elsner, Koordinator der Bürgerinitiativen gegen Fluglärm in Mainz und Rheinhessen und Hannelore Feicht von den Montagsdemos am Frankfurter Flughafen. Infos dazu hier im Internet. Die Auswertungen des Umwelt- und Nachbarschaftshauses zu den Flugbewegungen am Frankfurter Flughafen seit 2012 mit vielen detaillierten Grafiken findet Ihr hier im Internet.