Jedes Mal ist es das gleiche Bild in Deutschland: Kaum ist das Wasser halbwegs weg, stehen Politiker in Gummistiefeln medienwirksam und mit betretenen Mienen vor den Schäden und versprechen Hilfe vom Staat – das war jetzt nach den Starkregen-Unwettern so, und erst Recht im Jahr 2021 nach der Flutkatastrophe im Ahrtal. Dabei könnte Deutschland längst ein wirksames und auch noch günstiges Versicherungssystem gegen solche Elementarschäden haben – wie im Nachbarland Frankreich, sagt nun das Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz (ZEV), und fragt provokativ: Will Deutschland Gummistiefel oder Versicherungsschutz?

In Gummistiefeln und mit Versprechungen ins Katastrophengebiet: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besucht gemeinsam mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) kurz nach der Flutkatastrophe das Ahrtal. - Foto: gik
In Gummistiefeln und mit Versprechungen ins Katastrophengebiet: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besucht gemeinsam mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) kurz nach der Flutkatastrophe das Ahrtal. – Foto: gik

Die Forderung kommt so verlässlich wie im Sommerloch das Ungeheuer von Loch Ness – und ist genauso ungreifbar und unsichtbar: Der Ruf nach einer Pflicht zur  Elementarschadensversicherung. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) erhob sie nach der Flutkatastrophe im Ahrtal, Innenminister Michael Ebling (SPD) forderte sie jetzt gerade wieder nach den Starkregen-Verwüstungen in der Südpfalz und an der Mosel. Auch der Opferbeauftragte des Landes, Detlef Placzek, sprach sich just am Mittwoch für die Einführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden aus und begrüßte, „dass die Ministerpräsidenten der Länder und der Bundeskanzler darüber beraten wollen.“

Dumm nur: Im April 2023 hatte sich ausgerechnet Rheinland-Pfalz zunächst einer Initiative der beiden Nachbar-Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg im Bundesrat für eine eben solche Pflichtversicherung verweigert. Während es im ebenfalls stark von Fluten 2021 geschädigten Nordrhein-Westfalen sowie in BaWü hieß, Abwarten auf das nächste Schadensereignis sei „keine Option“, schaue Rheinland-Pfalz „trotz der Flutkatastrophe wieder einmal vom Spielfeldrand aus zu“, schimpfte damals der Obmann der CDU-Landtagsfraktion im Ausschuss für Verbraucherschutz im Mainzer Landtag, Tobias Vogt.

- Werbung -
Werben auf Mainz&

Frankreich: Solidarisches und billiges Versicherungssystem

Dabei lägen alle Lösungsvorschläge auf dem Tisch, die CDU habe schon im Januar 2022 eine verbindliche Opt-Out-Regelung für Elementarschäden in den Landtag eingebracht., klagte Vogt. Geschehen sei indes – nichts: „Rheinland-Pfalz legt die Hände in den Schoß, statt Lösungen zu entwickeln, wie die Menschen bei uns effektiver geschützt werden können.“ Tatsächlich hatte damals Bundes-Justizminister Marco Buschmann (FDP) eine Lösung blockiert, und der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) schloss sich dem an: Er habe Bedenken, was eine eigene Landesregel angehe, sagte Mertin, man wolle erst einmal abwarten, wie die Bundesregierung „über weitere Schritte entscheide.“

Werbung
Die Flutkatastrophe im Ahrtal bei Schuld am Morgen des 15. Juli 2021. - Video: SWR, Screenshot: gik
Die Flutkatastrophe im Ahrtal bei Schuld am Morgen des 15. Juli 2021. – Video: SWR, Screenshot: gik

Die Bundesregierung entschied gar nichts, nun schwemmten die nächsten Unwetter erneut Menschen in Rheinland-Pfalz und dem Saarland Keller und Häuser voll, fluteten Straßen und richteten massive Schäden an. Buschmann hatte seine Ablehnung damit begründet, man könne „in einer Zeit höchster finanzieller Belastungen“ private Haushalte nicht noch mehr belasten – nun kritisiert das Zentrum für Europäischen Verbraucherschutz (ZEV)  in Kehl diese Haltung mit deutlichen Worten.

Deutschland könne längst ein tragfähiges Versicherungssystem haben, das den Menschen wirksam helfe – und dem Staat auch noch Milliarden spare, teilte das ZEV nun mit. Das Zentrum gehört zu einem Netzwerk von Verbraucherschutzzentren, die 2002 von der Europäischen Kommissen und den Mitgliedstaaten gegründet wurde. Jedes EU-Land sowie Island, Norwegen und das Vereinigte Königreich verfügt über sein eigenes Europäisches Verbraucherzentrum, das 1993 gegründete ZEV ist das einzig binationale Zentrum in dem Netzwerk und für Deutschland und Frankreich gemeinsam zuständig.

In Deutschland „Gummistiefelmoment“, in Frankreich schnelle Hilfe

Grundlage für die aktuelle Kritik ist eine Studie, die das französische System der Elementarschadensversicherung gründlich durchleuchtet, und zum Ergebnis kommt: In Frankreich funktioniere seit Jahrzehnten ein solidarisches System, bei dem niemand ausgeschlossen werde und in das alle einzahlten. Im Gegensatz dazu, sind in Deutschland noch immer nur etwa die Hälfte aller Hausbesitzer gegen Schäden durch Naturkatastrophen überhaupt versichert – oft, weil sie es gar nicht können.

Altenahr an der mittleren Ahr nach Flut: Horrende Schäden, kaum Versicherungsschutz. - Foto: gik
Altenahr an der mittleren Ahr nach Flut: Horrende Schäden, kaum Versicherungsschutz. – Foto: gik

„In Deutschland gibt es keine direkte oder indirekte Versicherungspflicht“, rügen die Verbraucherschützer in ihrem Bericht: „Ob man überhaupt ein Versicherungsunternehmen findet, das eine Police anbietet, und wie hoch die Prämien ausfallen, hängt davon ab, wo man wohnt. Das Haus steht in der Rheinebene? Da gibt es regelmäßig Erdbeben und Hochwasser? Pech gehabt. Die Versicherungsprämie fällt dementsprechend so hoch aus, dass man sich die Sache lieber zweimal überlegt und sich vielleicht zunächst damit begnügt, keine Wertgegenstände im Keller zu lagern.“

Doch der nächste Regen komme bestimmt, der Klimawandel kenne keine Staatsgrenzen, und immer häufiger kämpften beide Länder mit Hochwasser oder Überschwemmungen.   In Deutschland laufe das dann so, konstatiert das Zentrum für Verbraucherschutz: „Das Hochwasser ist da und schon geht der immer gleiche Reigen wieder los: Politikerinnen und Politiker ziehen ihre Gummistiefel an, reisen in die Hochwassergebiete und versprechen den Bürgerinnen und Bürgern vor Ort, dass der deutsche Staat sie nicht im Stich lassen wird.“ In solchen „Gummistiefelmomenten“ werde viel von Solidarität geredet, doch die lasse dann im Nachhinein oft auf sich warten.

Werbung

In Frankreich hingegen gebe es seit 1982 „ein ganzheitliches System zur Absicherung gegen Elementarschäden, welches erstaunlich günstig ist und gut funktioniert“, so die Autoren der Studie. In jeder Hausrat- und Gebäudeversicherung sei automatisch eine Elementarschadenversicherung enthalten, das kostet pro Haushalt nicht mehr als durchschnittlich 26 Euro im Jahr. Eigentümern stehe es zudem frei, die eigene Immobilie zu versichern oder eben nicht. Das System schütze 98 Prozent der Haushalte und entlaste die Staatsausgaben um ein Vielfaches.

Frankreich: 98 Prozent geschützt, Beiträge günstig

„Das Geheimnis lautet: solidarisch statt risikobasiert, Prävention und ein starker Rückversicherer“, erklärt die Studie. Fundament des Systems zum Schutz vor Elementarschäden (régime catastrophe naturelle, sog. „CatNat-System“) bilde in Frankreich das Prinzip der nationalen Solidarität: „Es hat Verfassungsrang und ergibt sich unmittelbar aus der Präambel der französischen Verfassung von 1946. In Absatz 12 heißt es: ‚Die Nation verkündet die Solidarität und Gleichheit aller Franzosen vor den Lasten, die aus nationalen Katastrophen resultieren‘.“ Daraus ergebe sich das Postulat, demzufolge die Risiken auf die Schultern aller Versicherten verteilt würden – und zwar unabhängig von der Wahrscheinlichkeit, selbst den Naturgefahren ausgesetzt zu sein.

Frankreich: 98 Prozent Versicherungsabdeckung, bezahlbare Prämi9en, schnelle Entschädigung. Der Ort: Ste. Chely du Tarn. - Foto: gik
Frankreich: 98 Prozent Versicherungsabdeckung, bezahlbare Prämi9en, schnelle Entschädigung. Der Ort: Ste. Chely du Tarn. – Foto: gik

In Frankreich sei zudem eine bestehende Hausrat- und Gebäudeversicherung die Grundlage für den Kauf einer Immobilie oder auch nur für den Abschluss eines Mietvertrages über Wohnraum. Das Ergebnis: eine Versicherungsdichte von etwa 98 Prozent aller privaten Haushalte und Unternehmen, und das „ohne dass die Bürgerinnen und Bürger gesetzlich zum Abschluss einer Elementarschadenversicherung verpflichtet werden“, betont die Studie. Denn es stehe zwar jedem Bürger Frankreichs frei, sein Gebäude nicht zu versichern, schließe er aber eine Gebäudeversicherung ab, sei die Elementarschadenversicherung ein verpflichtender Teil davon.

Der Beitrag werde nach einem einheitlichen, gesetzlich festgelegten Satz bestimmt, der 12 Prozent der gesamten Versicherungsprämie für die Gebäude- und Hausratsversicherung und und 6 Prozent der Beiträge für Diebstahl und Feuer bei Kfz- Versicherungen betrage. Der große Vorteil: Eine teure individualisierte Risikobewertung werde nicht benötigt, was die Versicherungsprämien erheblich senke. Es gebe weder die Einteilung nach Risiko-Zonen wie in Deutschland noch Kündigungen nach einem Schadensfall: Gerade Letzteres sei „in Frankreich undenkbar“.

In Deutschland: Hausbesitzer können aus Versicherung herausfallen

Zudem könnten in Deutschland Versicherte aus ihrer Elementarschadensversicherung sogar herausfallen, warnen die Verbraucherschützer – wenn nämlich die Versicherer die Einschätzung der Risikozonen einfach ändern. „Selbst Bürger, die sich ursprünglich gegen Elementarschäden versichert hatten, können plötzlich ohne Versicherungsschutz dastehen und diesen neu und teurer abschließen müssen“, heißt es: „Dies unabhängig davon ob Sie überhaupt einen Schaden erlitten haben. Entscheidend und ist nur, dass der Versicherer das Risiko nun anders einschätzt, als er dies in der Vergangenheit tat.“

Vergleich Staatsausgaben für Elementarschäden in Frankreich (links) und Deutschland (rechts).- Quelle ZEV
Vergleich Staatsausgaben für Elementarschäden in Frankreich (links) und Deutschland (rechts).- Quelle ZEV

Zudem regelt das französische System auch mit genauen und kurzen Fristen den Ablauf der Entschädigungszahlungen: Von der Meldung beim Versicherer bis zur Auszahlung der Entschädigung sieht der französische Staat ganze drei Monate vor. Und dabei spart das französische Solidaritätssystem dem Staat auch noch sehr viel Geld: Seit seine Einführung 1982 habe der französische Staat das Elementarschadensystem nur ein einziges Mal als Garantiegeber bezuschussen müssen, und zwar mit 263 Millionen Euro im September 2000.

Der deutsche Staat musste hingegen allein 2021 für die Ahrtal-Katastrophe bis zu 30 Milliarden Euro aufbringen – für eine einzige Überschwemmung. Vor diesem Hintergrund mutet die Argumentation der Liberalen ausgesprochen seltsam an, ist es doch gerade Bundesfinanzminister Lindner (FDP), der massiv auf Einsparungen und einen ausgeglichenen Haushalt drängt. In Deutschland blockiert die Versicherungswirtschaft massiv eine Versicherungspflicht, in Frankreich hingegen freut sie sich über staatliche Garantien und einen starken Rückversicherer als Absicherung – und das System unterstützt zudem die Aufstellung von Plänen zur Prävention von vorhersehbaren Naturgefahren.

„Am Ende sowieso wieder Gummistiefel und Steuergelder“

Die Versicherungswirtschaft sträube sich „seit Jahren“ gegen die Pflichtversicherung, kritisiert Wortberg, offenbar leisteten „die Lobbyisten der Versicherungswirtschaft in der Politik ganze Arbeit“, klagte etwa im Juli 2021 Michael Wortberg, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz in Mainz, im Gespräch mit Mainz&. Obwohl die Versicherer 9immer wieder behaupteten, es könne sich jeder problemlos gegen Elementarschäden versichern, sehe die Wahrheit anders aus.

Trümmerberge in der Innenstadt von Ahrweiler am 20. Juli 2021. - Foto: gik
Trümmerberge in der Innenstadt von Ahrweiler am 20. Juli 2021. – Foto: gik

Im Herbst 2020 hatte die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz bei einem Marktcheck 53 Versicherungen in Sachen Elementarschadensversicherung angeschrieben nur 35 antworteten überhaupt. 51 Prozent derer, die antworteten, boten selbst für Gebäude ohne größeres Risiko für elementare Schäden nicht standardmäßig an. Das Ergebnis: Zum Zeitpunkt der Flutkatastrophe im Ahrtal hatten nur ganze 37 Prozent der privaten Gebäude in Rheinland-Pfalz eine Elementarschadensversicherung. Eine Pflichtversicherung gibt es in Deutschland bis heute nicht.

„Es darf durchaus davon ausgegangen werden, dass auch in der Bundesrepublik ein weiter Teil der Bevölkerung einen solidarischen Ansatz zu schätzen weiß“, konstatiert die Studie des Zentrums für Europäischen Verbraucherschutz mit deutlich ironischem Unterton. Und auch wenn die Beiträge in Frankreich im kommenden wohl von den durchschnittlich 26 Euro auf dann 42 Euro im Jahr stiegen – das sei immer noch moderat. In Deutschland hingegen, „traut sich in manche Gebiete gar kein Versicherer mehr, woanders sind die Prämien unbezahlbar. Und am Ende gibt es sowieso wieder Gummistiefel und Steuergelder.“

Info& auf Mainz&: Mehr zur gescheiterten Bundesrat-Initiative für eine Elementarschadenspflichtversicherung im April 2023 lest Ihr hier bei Mainz&. Die ganze Studie des Zentrums für Europäischen Verbraucherschutz mit allen Zahlen, Analysen und Fakten findet ihr hier im Internet.