„Zum Grundrezept echter Mainzer Saalfassenacht gehören drei Zutaten: Kokolores, Kalauer, Konfetti. Dem fertigen (Narren-)Gericht fehlt natürlich noch die Hauptspeise, der politische Vortrag. Auch 2019 haben Kalauer-Kanonen ihren festen Platz im Programm von „Mainz bleibt Mainz““ – schreibt Mainz&-Leser Marco Silbernagel. Marco war zum ersten Mal 2018 live bei der berühmten Mainzer Fernsehsitzung dabei, in diesem Jahr haben wir ihn als Spezialkorrespondenten für Mainz& engagiert – und ihn gebeten, sich einmal die Sparte Kokolores aus dem Blickwinkel des Fastnachtsfans anzusehen. Hier sein Bericht von der Närrischen Generalprobe vergangenen Mittwoch.

Alexander Leber bringt als „Polizist“ wieder echten Meenzer Kokolores auf die Bühne bei „Mainz bleibt Mainz“ 2019. – Foto: gik

Unvergessen – die Stars der Mainzer Kokolores-Riege wie Rudi Zörns, Willi Görsch/Egon Häusler, Norbert Roth, Hildegard Bachmann. Oder ein Herbert Bonewitz, der urwüchsigen Mainzer Kokolores-Quatsch mit scharfzüngiger politischer Kritik in Figuren wie „Prinz Bibi“ zu verbinden wusste. Auch im 2019er Programm von „Mainz bleibt Mainz“ darf der Kokolores nicht fehlen, so sind Alexander Leber erneut mit seiner Figur „Der Polizist“ dabei, Jürgen Wiesmann berichtet in seiner Paraderolle als „Ernst Lustig“, was für ein „Partymuffel“ er doch ist. Die Kreativ-Chaoten Martin Heininger und Christian Schier sind seit Jahren die junge Abordnung des Quatsches. In der aktuellen Kampagne provozieren sie mit ihrer Mainzer Ausgabe von Apples „Schiri“ jede Menge Schenkelklopfer. Und quer durch die Sitzung bekommt Multitalent Schier, wie 2017, wieder Michael Emrich zur Seite – die beiden kritteln erneut als „Die zwei Alten“ in schöner Waldorf-Statler-Muppets-Tradition aus der Loge übers Programm.

Die Tatort-Titelmusik kündigt es an: Urkomisch, wie Alexander Leber als „Polizist“ vornehmlich in der Mainzer Altstadt Diebe zur Strecke bringt. Die ja auch als „Fachkräfte für spontanen Eigentumswechsel“ bekannt sind. Überhaupt ist er „nicht korrupt, nur moralisch sehr flexibel“. Unfälle gibt es in seinem Dienst selbstredend auch, so etwa den per Schuss verwundeten Radfahrer: „Ei, uff Deim Fahrrad-Trikot steht jo aach ‚Reebok’!“ Hier blitzt sie auf, die hohe Kunst der Vortragsschreibenden: die naheliegenden, aber selten entdeckten Sprach-Schätze zu heben, die das Publikum bei Laune halten.

- Werbung -
Werben auf Mainz&
In Hochform: Jürgen Wiesmann als „Partymuffel“ Ernst Lustig. – Foto: gik

Ernst Lustig – die Frau Babbisch der 2000er Jahre

Hut ab für Hutträger Jürgen Wiesmann. Auch hier: Konstanz ist die hohe Kunst der ernst-lustigen Figuren. Wo der Narr dem Volke aufs Maul schaut, ist der Kokolores-Vortrag die Satire auf alles Menschlich-Allzumenschliche – denn jeder kennt die Situationen: ob wiederkehrender Ehestreit, missglückte Urlaubsreise oder der samstägliche Besuch in einem schwedischen Möbelhaus. Und der Kokolores sammelt unser aller Lebenserfahrungen ein und wirft sie uns wie Konfetti geballt zurück in unsere Augen und Ohren. So auch MCC-Präsident Jürgen Wiesmann, der in der 2019er Kampagne unbestritten in Hochform als „Ernst Lustig“ ist – denn wortgewaltig erklärt er, warum er ein „Partymuffel“ ist.

Und in schöner Tradition klassischer Kokoloresbeiträge schaukelt sich der Vortragende mit dem Vortrag dramaturgisch in immer neue Kalauer-Höhen – vor allem, wenn es um die Grillorgien des heutigen deutschen Mannes geht: „Weber-Grill, ich will de Preis gar net wisse,/ ich hätt’ mei Bausparvertrag wahrscheinlich ufflöse müsse“, lästert Wiesmann: „Da langt en Tausender net für das ganz’ Sortiment,/ aber dann Würstscher vom Lidl – für 99 Cent!“

Kokolores trifft Anarcho-Fassenacht

Volle Spielfreude, hohe Kokolores-Kunst: Martin Heininger und Christian Schier. – Foto: gik

Martin Heininger und Christian Schier schaffen den Spagat seit Jahren: Kräftiger Kokolores auf höchstem Niveau, ansteckende Anarcho-Fassenacht – dieses Mal mit der Mainzer Version von Siri, angeliefert von Ver-Äppel: Nach der Umstellung der Spracheinstellungen reagiert „Schiri“ auf Meenzerisch: „Guude!“ Und aufs Stichwort kommen gleich auch Schiris Kaufempfehlungen: „Kunden, die sich für Blähungen interessierten, interessieren sich auch für reißfeste Unterhosen, Feinstaubfilter und kauften im Internet den Ratgeber ‚Hilfe, im hab’ im Fahrstuhl einer stehe lasse’.“

Markenzeichen bei Heininger-Schier auch in diesem Jahr: Die musikalischen Abwandlungen bekannter Songs in der Meenzer Übersetzung: Kaum hat sich das Publikum versehen, wird aus „Ein Bett im Kornfeld“ die Schiri-Version „Wenn Mett im Zahn hängt“.  Und Schiri kann auch Kokolores, denn: Was ist die Weiterentwicklung von Buchstaben-Suppe? „De Wört(h)er-See!“ Was sich niemals ändert: Die Auszeichnung des Publikums für Kokolores-Redner ist das lautstark intonierte „Uiuiui“ – Heininger und Schier ernten es auch 2019 zuhauf. Zum Abschluss, nach der Mainzer Version von „Bella Ciao“ („Nach 15 Schoppe sinn mer blau, blau, blau“) die wohlverdiente Zugabe für das Anarcho-Duo mit ihrem größten Hit: „Du schaffst beim Hähnchengrill von Drais“.

Mainz&-Sonderkorrespondent Marco Silbernagel bei „Mainz bleibt Mainz“ 2018. – Foto: gik

Annäherung zum politischen Vortrag

Das 2019er Programm von „Mainz bleibt Mainz“ zeigt deutlich, dass sich der politische Vortrag und die Kokolores-Fraktion (wieder) annähern: Ob marodes Rathaus, Diesel-Skandal (Leber), die „Feinstaubkontrolleure“ der Schnorreswackler oder ihre Persiflage auf die überbordenden Paketdienste – nur mit Quatsch schafft es auch in diesem Jahr kein Kokolores-Vortrag auf die närrische Rostra. Wie Sitzungspräsident Andreas Schmitt bei der Pressekonferenz nach der Generalprobe zu „Mainz bleibt Mainz“ am Mittwoch treffend sagte: „Dass sich der politische und der Kokolores-Vortrag annähern, ist kein neues Phänomen: Ich erinnere gerne an Rolf Braun, der wie kaum ein anderer Kokolores und politisch-literarische Fassenacht in Vorträgen wie zum Beispiel ‚Der Müllmann‘ verbunden hat.“ Mit seinem Messdiener gelingt Andreas Schmitt selbst jedes Jahr genau das: Kokolores und Polit-Kritik gekonnt zu verschmelzen.

Info& auf Mainz&: Marco Silbernagel schrieb schon 2018 für Mainz& über die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“, für den eingefleischten Fastnachtsfan das „Hochamt“ der Mainzer Fastnacht. Seinen Bericht „Wie ein Meenzer zum ersten Mal die Fernsehfastnacht erlebt“, lest Ihr hier. Wie die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ 2019 insgesamt so wird, lest Ihr hier bei Mainz&.

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein