Vergangenes Jahr setzte das ZDF ja eher auf Traditionelles und viel klassisches Korsett – in diesem Jahr zeigt der SWR, wie man Tradition und Schwung miteinander vereinen kann: „Mainz bleibt Mainz“ 2017 ist rasant, gespickt mit Höhepunkten, spielt mit der Tradition – und bietet Mainzer Fernsehfastnacht vom Feinsten. Absolute Höhepunkte: Die politischen Redner. AfD, Rechtspopulisten, Erdogan und Trump – sie alle bekommen heute Abend gewaltig etwas auf die Ohren. Die Mainzer Narren reden Klartext – und das Publikum der Generalprobe dankte es mit stehenden Ovationen. Allen voran: Hans-Peter Betz als „Guddi Gutenberg“ und Andreas Schmitt als „Obermessdiener“.
Es ist wieder einmal Oberfastnachter Andreas Schmitt, der es auf den Punkt bringt: „Das freie Wort des Narren hat eine Stimme“, sagt der Sitzungspräsident von „Mainz bleibt Mainz“. Und selten haben die Mainzer Narren so gewaltig das Wort erhoben gegen braune Gefahren, Möchtegern-Diktatoren und unfähige, verlogene Herren auf der anderen Seite des Ozeans. Das fängt schon mit Protokoller Erhard Grom an: Der Altmeister, der mit seinem schwungvollen Jahresrückblick den Till verdrängte, steckt AfD-Chefin Frauke Petry unter eine schalldichte Burka und inthronisiert kurzerhand Donald Duck als US-Präsidenten: Die Ente sei weder verlogen noch aggressiv oder beleidigend, dazu sympathischer, lustiger und kein „notgeiler alter Säckel“…
Grom kam bei der närrischen Generalprobe am Mittwochabend auch auf der Fernsehbühne im Schloss richtig gut an, seine spritzige Jahresbilanz in gekonnten Reimen bekam schon nach zwei Minuten den ersten donnernden Zwischenapplaus. Grom seziert auch die Affäre um Mainz 05-Präsident Harald Strutz, die Mautpläne von Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und schafft es sogar, Angela Merkels „Wir schaffen das“ als roten Faden durch seinen Vortrag zu ziehen – Hut ab! Standing Ovations für den Altmeister, den Sitzungspräsident Schmitt als „treffsicheren Fachmann aus der Championsleague“ verabschiedet. Grom lässt den „Till“ nicht vergessen, der Sitzung aber tut er gut.
Die wird zu Beginn von Thorsten Ranzenberger mit seinem Schwellkoppträger-Lied ordentlich angeheizt, doch danach brechen die SWR-Verantwortlichen gleich mal das strenge Korsett auf: Nach Grom kommt nicht – Tusch! Narhallamarsch! – der nächste Redner in die Bütt, sondern es kommen zwei grantelnde Alte aus der Komiteeter-Loge ins Spiel: Michael Emrich und Christian Schier geben herrlich-närrisch zwei meckernde Alte à la Muppet-Show, die darüber lästern, dass viel zu wenig Musik in der Sendung ist und dass vor allem die Frauen fehlen… Emrich und Schier dürfen insgesamt drei Mal „dazwischenfahren“, die Einlagen lockern die Sendung gehörig auf – und dürften, wenn es nach uns geht, gerne noch deutlich bissiger werden. Bonewitziger sozusagen….
„Es ist ein Ansatz, ein Versuch“, sagte nach der Sitzung SWR-Redakteur Günther Dudek, der aber im Saal gut angekommen sei. „Die Running Gags sind eine Chance für uns für die Zukunft“, befand gar der Präsident des Mainzer Carneval Clubs (MCC), Horst Seitz: „Man muss experimentieren, und wir haben’s jetzt mal gemacht.“ Seitz merkte natürlich nach der Sitzung auch noch an, er wäre „ein miserabler Präsident, wenn ich jetzt nicht zum Ausdruck bringen würde, dass mir der Till gefehlt hat“ – die Symbolfigur auf der Reichstagskuppel muss in diesem Jahr pausieren, weil der SWR Grom den Vorzug gab. Aber auch Seitz bescheinigte „Mainz bleibt Mainz“, eine „runde, flüssige, flotte Sache ohne Längen“ zu sein.
Der Kritik an der fehlenden Musik helfen dazu prompt die Schnorreswackler ab: Die Gesangstruppe aus Gonsenheim darf einmal ein kurzes Mainz-Medley anstimmen und dann als „Kellner“ aus dem Saal ein Potpourri schmettern – eine super Auflockerung des Sendungsablaufs. Denn bei dem reihen sich in diesem Jahr Redner nahtlos an Redner, oft ohne Zwischennummer: Alexander Leber, Hans-Peter Betz und Jürgen Wiesmann kommen in direkter Folge hintereinander, die Sendungsmacher erlauben dem Zuschauer im Kampf gegen Wegzapper und Umschalter kein Luftholen. Alexander Leber liefert dabei als „Polizist“ einen wunderschönen Meenzer Kokolores-Vortrag ab, vergisst auch nicht, die „500 Staus in Mainz“ zu glossieren und erntet verdient „Uiuiui“s in Reihe.
Jürgen Wiesmann allerdings war am Mittwoch der Leidtragende der Redner-Häufung: Trotz gewohnten hochwertigem Kokolores zündete „Ernst Lustig“ nicht wie gewohnt im Saal und wurde – völlig ungewohnt – zur Stimmungsflaute. Am Freitag soll das ein Trick ändern: Fastnachtsikone Margit Sponheimer, eigentlich nur als Ehrengast im Saal, muss mit ihrem „Am Rosenmontag bin ich geboren“ vom Saal aus die Stimmung retten.
Denn es sind die politischen Redner, denen das Publikum zu Füßen liegt: Lars Reichow, Hans-Peter Betz und Andreas Schmitt werden mit donnerndem Applaus und stehenden Ovationen teils schon mitten (!) in ihren Vorträgen für hoch-politischen Klartext belohnt. Da nennt Lars Reichow den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke eine „Mickimaus-Ausgabe von Goebbels“ und meint, „dem geistig obdachlosen Höcke ist eine einstündige Nazirede herausgerutscht.“ Erdogan demoliere auf dem Rücken des türkischen Volkes die Demokratie, und der „Alp-Trump“ in den USA hat „Hochstapelei im Endstadium mit Dünnpfiff in 140 Zeichen.“
Bei „Guddi Gutenberg“ alias Betz ist Trump ein „Arsch mit Ohren“, ein Rassist und Lügner, und die AfD „die Bremsspur in der Unterhose Deutschlands“. In seinem letzten Vortrag als „Guddi Gutenberg“ teilt Betz in alle Richtungen aus, spießt „grüne Träumereien“ ebenso auf wie den Brexit. Unfassbar, dass dies die letzte Rede des „Guddi“ gewesen sein soll – die Fastnacht verliert einen der ganz großen politischen Redner. Doch Betz betont, er wolle nicht warten, bis er als Alter aus der Bütt getragen werde, und will Platz machen für Nachfolger – zukünftig will er höchstens in anderen närrischen Rollen auf der Bühne stehen.
Welche Qualität der „Guddi“ hat, beweist er nicht nur im Verlaufe des gesamten Vortrags, sondern auch mit seinem Schlusswort: „Lassen Sie uns weiterhin bedrängten Menschen helfen“, sagte Betz, denn „wenn alle bereit wären, nur halb so viel zu teilen wie auf Facebook, dann gäbe es kein Elend auf der Welt.“ Und schließlich lebe Europa seit 72 Jahren in Frieden und Freiheit, „das sollten wir uns nicht kaputt machen lassen“, mahnt der „Guddi“, „weder von braunen populistischen Kanalratten noch von strenggläubigen Dattelbaumschüttlern mit Detonationshintergrund.“
Der Saal dankt mit donnernden Ovationen dem Narren für die klaren Worte – und das erlebt auch eine Stunde später Andreas Schmitt: Dessen „Obermessdiener“ kommt in diesem Jahr de facto als politischer Vortrag daher und schreibt Erdogan ins Stammbuch: „Wer die Wahrheit Lüge nennt, ist ein Verbrecher“, sagt Schmitt: „Das sag ich so laut, wie ich nur kann,/ Du Pinocchio vom Bosporus, und jetzt zeig mich an.“
Aber es geht bei weitem nicht nur ernst zu bei „Mainz bleibt Mainz“: Detlev Schönauer seziert als Bio-Lehrer erneut deutsche Sprache und gesellschaftliche Fauxpas‘, und Andy Ost spielt sich großartig durch die Hitparade – eine super Rückkehr des Profi-Musikers auf die Fernsehbühne. Ein absolutes Highlight sind dazu natürlich Thomas Becker und Frank Brunswig mit ihren grandiosen „Trumps aus der Pfalz“ – eine Parodie auf den US-Präsidenten und zugleich eine Hommage an die legendären „Tramps aus de Palz.“ Danach zaubert die TSV-Schott-Showtanzgruppe „Fantasy“ geniale Ballett-Bilder auf die Schloss-Bühne, grandiose Farbspiele aus der Welt der Götter Griechenlands, verbunden mit toller Akrobatik. Bloß nicht auf die Toilette gehen!
Nur: Wann denn dann? Tatsächlich lässt dieses Jahr „Mainz bleibt Mainz“ den Zuschauer an den Bildschirmen kleben, das prophezeien wir hier einfach mal – wenn es so wird, wie bei der närrischen Generalprobe. Für den furiosen Schlussakkord aber sorgen erneut Christian Schier und Martin Heininger: Das Comedy-Duo brilliert mit einer Fastnachtsposse zum Thema „Der Zug fällt aus“ und ihrem ganz eigenen Mix aus skurriler Narretei und grandiosen Musik-Verschnitten. Danach sinkt der Zuschauer matt in den Sessel, wenn die Mainzer Hofsänger mit ihrem Medley zum großen Finale überleiten.
Die Längen in der Sendung wird’s dann wohl eher durch ein anderes Zwischenspiel geben: Wenn Sitzungspräsident Schmitt die Ehrengäste im Saal begrüßt. Von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) über CDU-Landeschefin Julia Klöckner reicht die Palette, an Bundesprominenz kommen Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) und Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU), auf Seiten der SPD traut sich Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles in den Saal. So wenig Bundesprominenz war im Jahr einer Bundestagswahl noch nie bei „Mainz bleibt Mainz“… AfD-Landeschef Uwe Junge kann sich hingegen nicht nur auf scharfe AfD-Witze gefasst machen: Bei der Generalprobe wurde bei Nennung seines Namens im Saal feste gebuht.
Die Begrüßung der Ehrengäste jedenfalls kann am Freitag unmöglich so unterhaltsam ausfallen wie am Mittwoch: Sitzungspräsident Schmitt hatte sich nämlich eine junge Studentin aus Jugenheim ausgeguckt, die bei jeder Promi-Nennung aufstand und freundlich in den Saal winkte. So wurde Franziska, die in Innsbruck studiert, und die Schmitt schlicht in einer Kneipe kennenlernte, zum überraschenden Star von „Mainz bleibt Mainz“… Großartig.
Info& auf Mainz&: Die 62. Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ wird am Freitagabend, dem 24. Februar, ab 20.15 Uhr live aus dem Kurfürstlichen Schloss in Mainz übertragen, und zwar in der ARD. Wie „Mainz bleibt Mainz“ 2016 im ZDF war, könnt Ihr hier noch einmal nachlesen. Ihr wollt schon mal schauen, wie sich die „Trumps vun de Palz“ anhören, oder wie’s „Heile Gänsje“ als „In the Ghetto“ klingt? Bitteschön: Hier im neuen Youtube-Kanal von Mainz&!
Und hier der gesamte Ablauf von „Mainz bleibt Mainz“ in Bildern: