Seit anderthalb Jahren gibt es in Hessen ein Schülerticket, mit dem 365-Euro-Ticket können Schüler in Hessen zu diesem Preis Busse und Bahnen nutzen, und das im ganzen Land das ganze Jahr über. Das Ticket gilt als großer Erfolg, nach Angaben des hessischen Verkehrsministers Tarek Al-Wazir (Grüne) stiegen die Umsatzzahlen durch das Schülerticket landesweit um 60 Prozent, in manchen Landkreisen sogar um bis zu 240 Prozent. „Wer ein Flatrate-Ticket in der Tasche hat, der nutzt es auch“, sagt Al-Wazir. Das interessierte den Mainzer Gymnasiasten Jakob Hüncher, er machte das 365-Euro-Ticket zum Thema seines Praktikums beim Mainzer Landtagsabgeordneten Gerd Schreiner (CDU). Hüncher stellte eine Anfrage beim Mainzer Verkehrsministerium, seine Forderung: Auch Rheinland-Pfalz sollte ein solches Ticket einführen – zumal es in Mainz ja gilt. Doch leider nur für hessische Schüler….

Nicht nur Wiesbadener Busse fahren in Mainz – hessische Schüler können auch die Busse in Mainz mit ihrem 365-Euro-Ticket nutzen – Dank Schülerticket. – Foto: gik

Jakob Hüncher ist 17 Jahre alt, der Schüler geht in die 11. Klasse des Mainzer Rabanus-Maurus-Gymnasiums – und gelegentlich schaut er neidisch nach Hessen. Dort nämlich gibt es seit anderthalb Jahren das sogenannte Schülerticket, das Nahverkehrsticket gilt für nur 365 Euro in ganz Hessen. „In meinem Umfeld nutzen das viele“, sagt Hüncher. Tatsache ist: wer seinen Wohnsitz in Hessen hat, kann ein Schülerticket für 365 Euro erwerben – und das gilt auch für den angrenzenden Verkehrsbereich der Mainzer Mobilität in Mainz. Schüler aus Hessen, die Mainzer Schulen besuchen, dürfen damit viel billiger als die Mainzer Schüler Bus und Bahn fahren.

„Meine Kollegen nutzen das intensiv“, erzählt Hüncher im Gespräch mit Mainz&. Da werde mal am Wochenende nach Frankfurt gefahren, zu Freunden nach Darmstadt, zu Verwandten. „Man hat ja schon ein Streben nach Mobilität, man will mal wegfahren“, sagt Hüncher. Er selbst sei in einer Austauschorganisation aktiv, die Treffen finden mal in Koblenz mal in Nordhessen statt. „Ein normales Zugticket kostet mich da 60 Euro“, sagt der 17-Jährige – viel Geld für einen Schüler.

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Viel Geld kosten in Rheinland-Pfalz auch die Monatstickets für Schüler im ÖPNV, 530 Euro zahlte Hüncher zuletzt 2017. Ein Schüler-Monatsticket kostet bei der Mainzer Mobilität derzeit 64,90 Euro im Monat – macht 778,80 Euro im Jahr.  In Hessen dagegen fahren die Schüler seit Einführung des „Schülertickets“ für einen Euro pro Tag das ganze Jahr über Bus und Bahn – in Mainz wird das durchaus neidvoll betrachtet. Hüncher wollte deshalb nun von der rheinland-pfälzischen Landesregierung wissen: Wäre ein solches Schülerticket nicht auch für Rheinland-Pfalz sinnvoll?

Der Busverkehr zwischen Mainz und Wiesbaden ist eng verflochten, deshalb gilt das hessische Schülerticket auch in Mainz. – Foto: gik

Im Januar absolvierte Hüncher ein Schülerpraktikum beim CDU-Landtagsabgeordneten Gerd Schreiner, der stellte ihm die Aufgabe: Welches Projekt möchtest Du während deines Praktikums durchführen? Er habe dann mit Klassenkameraden geredet, da sei die Sprache auf das 365-Euro-Ticket gekommen – Hüncher beschloss, das zu seinem Projekt zu machen, recherchierte, sammelte Daten. Mit Schreiners Hilfe stellte er eine offizielle Kleine Anfrage im Mainzer Landtag.

Nun kam die Antwort aus dem Mainzer Verkehrsministerium, und dort hieß es: Ein Schülerticket sei landesweit nur möglich, „wenn der Landtag diese Mittel in voller Höhe zusätzlich zu den jetzigen Mitteln zur Verfügung stellt.“ Rund 53 Millionen Euro gebe das Land jetzt schon den Nahverkehrsverbänden für verbilligte Schülertickets, weitere 125 Millionen Euro koste der kostenlose Schülerverkehr bis zur Oberstufe. Ein Schülerticket werde Rheinland-Pfalz 60 Millionen Euro kosten, davon könne man „vorsichtig ausgehen.“

Im Übrigen zeigte sich Staatssekretär Andy Becht in seiner Antwort ausgesprochen skeptisch: Die „Effekte einer Tarifreduzierung“ seien „verkehrspolitisch relativ gering“, der Mehrverkauf an Tickets doch nur ein „Einmaleffekt“. Zudem hätten „zahlreiche Versuche seit den 1970er Jahren gezeigt“, dass Preisreduzierungen im ÖPNV „zwar für Mitnahmeeffekte sorgen“, der echte Effekt, Autoverkehr zu verringern, „aber kaum eintritt.“ Wichtiger erscheine der Landesregierung, dass der Leistungsumfang des ÖPNV attraktiv genug sei.

 

Die Antwort sei doch „eine echte Kontrahaltung“, findet Hüncher, „man geht der Argumentation doch aus dem Weg.“ Das Ministerium benutze in seiner Antwort „häufig den Konjunktiv, man hat sich mit dem Thema gar nicht richtig beschäftigt“, findet der 17-Jährige. Die Antwort mit dem Einmaleffekt verstehe er zudem nicht – Mainz& fragte daraufhin noch einmal im Ministerium nach: Dort hieß es, Hessen habe ja nur „einmalig“ eine so hohe Menge von neuen Tickets verkauft, weil das ja das erste Mal sei. Ob sich der Effekt in den Jahren danach  verstetige, wisse man ja noch gar nicht. „Also ich kenne niemanden, der das 365-Euro-Ticket zurückgegeben hat“, sagt Hüncher.

Aus der Bilanz des hessischen Verkehrsministeriums zu ein Jahr Schülerticket in Hessen. – Grafik: Hessisches Verkehrsministerium, Screenshot gik

Laut Hessischem Verkehrsministerium wurden nach Einführung des Schülertickets zum 1. August 2017 im ersten Jahr landesweit 60 Prozent mehr Monatstickets verkauft, insgesamt 407.000. In manchen Landkreisen gerade in ländlichen Regionen Hessens gab es gar Steigerungen von 229 Prozent (Waldeck-Frankenberg) oder 244 Prozent (Hersfeld-Rotenburg). Gerade im ländlichen Raum sei das Ticket attraktiv, betont Hessen. Selbst im Rhein-Main-Gebiet verzeichnete der RMV 40 Prozent mehr verkaufte Schülertickets, das Rezept funktioniere sehr gut, schwärmte RMV-Geschäftsführer Knut Ringat: „Unsere Fahrgäste wollen einfache und preisgünstige Tarifangebote.“ Nun wolle man über weitere Flatrate-Angebote nachdenken, im Gespräch ist ein 365-Euro-Ticket für alle. Derzeit prüft Hessen ein 365-Euro-Seniorenticket.

Jeder vierte Schüler in Hessen gab zudem an, seither häufiger mit Bus und Bahn unterwegs zu sein, etwa fünf Prozent hätten gar ihr Auto deswegen abgeschafft. Auch Jakob Hüncher sagt, für ihn wäre das Ticket „ein Argument, mir kein Auto anzuschaffen.“ Er fahre ohnehin viel mit dem Fahrrad.  „Das Schülerticket erhöht Mobilität“, bilanziert Schreiner, „die Leute steigen um, es ist ein echter Beitrag zur Mobilitätswende.“ Die stärksten Effekte würden beim Schülerticket gerade auf dem Land erzielt, „das ist auch für ein Flächenland wie Rheinland-Pfalz spannend“, findet er.

Zur Finanzierung des Angebots greift allerdings das Land Hessen tief in die Tasche: Bis zu 20 Millionen Euro stellt Hessen für die Finanzierung des Schülertickets bereit. In Rheinland-Pfalz argumentiert das FDP-geführte Verkehrsministerium, wenn man die Gegebenheiten auf Rheinland-Pfalz übertrage werde das Schülerticket bei uns 60 Millionen Euro kosten, davon könne man „vorsichtig ausgehen.“ Hessen habe sehr viel weniger ländliche Strukturen, die Preise dort seien von vorne herein geringer gewesen und Rheinland-Pfalz habe weitere Wege für Schüler

Der Landtagsabgeordnete Gerd Schreiner fordert eine Debatte über die Einführung eines 365-Euro-Schülertickets auch in Rheinland-Pfalz. – Foto: gik

Das Verkehrsministerium „sucht offenbar das Haar in der Suppe“, kritisiert hingegen Schreiner: „Man sucht nach Argumentationen es nicht zu wollen.“ Die 60 Millionen Euro seien „nicht gerechnet, sondern gegriffen“, kritisiert Schreiner: „Das ist eine Horrorzahl, um den Parlament Angst vor dieser Entscheidung zu machen.“ Nach Schreiners Berechnungen könnten in Rheinland-Pfalz vielleicht sogar nur 13 Millionen Euro zur Finanzierung eines Schülertickets ausreichen. Bei so hohen Steigerungen der Fahrgastzahlen, „würden die Kosten durch den Mehrumsatz aufgefangen“, glaubt Schreiner. Mit einem Mehrabsatz von 200 Prozent könne schließlich auch das ÖPNV-Angebot verbesserwerden, das nutzte dann letztlich allen.

Dazu sei das Schülerticket doch „eine klassische, zielgenau, familienfördernde Maßnahme“, betont Schreiner. Für eine Familie sei es einfach „ein Riesenunterschied“, ob sie drei Monatsticket oder drei mal 365 Euro zahle, rechnet Schreiner vor, der selbst Familienvater ist. Mit dem Schülerticket würden Familien direkt und zielgerichtet unterstützt, „es verpufft nichts, es kommt genau da an, wo es hinsoll“, betont er, „das ist doch genau das, was wir wollen.“

 

Dazu ist Schreiner mit seiner Forderung nach einem 365-Euro-Ticket auch beileibe nicht allein: Schon im April 2018 hatte sich die Grüne Jugend Rheinland-Pfalz für ein Ein-Euro-Ticket für Schüler und Azubis ausgesprochen. Angesichts der Probleme mit Dieselfahrverboten „erwarten wir von der Landesregierung eine Innovationsoffensive in den ÖPNV“, hieß es in dem Beschluss der Grünen Jugend: „Wir fordern die Landesregierung auf, mit den Verkehrsverbünden über ein Schülerticket für Rheinland-Pfalz zu verhandeln.“ Das Schülerticket sei ein einfaches Mittel, Busse und Bahnen für Schüler attraktiver zu gestalten. Und zufriedene Bus- und Bahnfahrer von heute, so die Jugendorganisation weiter, seien „die Klimaschützer von heute und von morgen.“

Und auch die Mainzer SPD sprach sich just am Freitagabend auf ihrem Parteitag zur Vorstellung des Kommunalwahlprogramms für ein 365-Euro-Ticket aus. Der Fraktionschef der SPD im Mainzer Landtag sagte auf Anfrage von Mainz&, die SPD könne sich die Erprobung in Modellregionen vorstellen – je eine in einer Stadt und auf dem Land. Für Schüler Hüncher sind das alles keine befriedigenden Antworten: „Nein, das befriedigt mich nicht“, sagte er im Mainz&-Gespräch, er wolle da noch mal nachhaken. „In Mainz gilt das Schülerticket ja schon, Dank Hessen“, sagt Hüncher, „ich würde mir wünschen, dass da mal ernsthaft drüber nachgedacht wird.“

Info& auf Mainz&: Die hessische Bilanz zu ein Jahr Schülerticket aus dem August 2018 könnt Ihr hier nachlesen, allgemeine Infos dazu gibt es hier. Neuere Zahlen gibt es leider noch nicht, wir haben aber im hessischen Verkehrsministerium nachgefragt, dort hat man uns versichert, der Erfolg des Tickets halte an. Nach ersten Informationen des RMV seien die Zahlen auch im zweiten Jahr des Schülertickets weiter gestiegen, teilte ein Sprecher des hessischen Verkehrsministeriums mit.

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