Der 27. Januar ist traditionell der Tag des Gedenkens an den Holocaust, der Tag, an dem sich Deutschland erinnert, zurückblickt, mahnt. Im rheinland-pfälzischen Landtag mahnte am Sonntag eindringlich die Holocaust-Überlebende Henriette Kretz, die Erinnerung wach zu halten, Verantwortung für die Demokratie zu übernehmen, nie zu vergessen. Und Kretz, die selbst als Kind zu den „Untermenschen“ gezählt wurde, warnte, die Elemente, die einen Völkermord ermöglichten, seien noch immer da: Hass, Ausgrenzung, Vorurteile, religiöser oder politischer Fanatismus, das alles sei ideales Futter für diktatorische Regime. Wie sehr sich so eine Ideologie von Untermenschentum und der Überhöhung des eigenen Volkes in die Gehirne von Menschen graben kann, und was sie dort bewirkt, das zeigte am Sonntag aber auch noch eine andere, beeindruckende Theaterperformance in den Mainzer Kammerspielen: „Alte Kämpferinnen“ präsentierte authentische Texte von Frauen, die der NSDAP-Ideologie verfielen – mit Haut und Haaren. Die Journalistin Marion Mück-Raab hat sich die Aufführung angesehen, hier ihr Bericht.

Kämpferinnen für den Nationalsozialismus – so sahen sich viele Frauen in der NS-Zeit. Das Theaterstück „Alte Kämpferinnen“ zeigt nun die beklemmende Schein-Realität der Nazi-Ideologie. – Foto: Frauenbüro Mainz

Die Vorstellung ist beeindruckend, aber irgendwann gegen Ende will man sich am liebsten die Ohren zuhalten. Was man da hört, schon seit über einer Stunde, das ist einfach nicht mehr auszuhalten, es ist schlimm. Politisch unerträglich. „Das war wirklich harter Tobak“, kommentiert auch Historiker Hans Berkessel vom Mainzer Verein für Sozialgeschichte die Theatercollage, die Claudia Wehner von den Mainzer Kammerspielen zusammen mit 19 Schauspielerinnen auf die Bühne gebracht hat. Die Frauen boten Ausschnitte aus Selbstbeschreibungen von Nazi-Frauen, die vor 1933 in die NSDAP eingetreten waren, den sogenannten Alten Kämpferinnen.

Die Texte zu „Alte Kämpferinnen“ stammen aus der Sammlung des amerikanischen Soziologen Theodore Abel. Abel, seinerzeit Professor an der New Yorker Columbia-Universität, rief im Frühjahr 1934 langjährige Parteimitglieder der NSDAP zu einem Wettbewerb auf: In Aufsätzen sollten sie erzählen, warum sie vor 1933 der Partei beigetreten waren. Es winkten Preisgelder in Höhe von 400 Mark. Dieser Wettbewerb war aber nur ein Vorwand, Abel hatte ein ausschließlich wissenschaftliches Interesse an den Einsendungen, er wollte die Mentalität der Parteigänger erforschen – was keiner wusste. Fast 700 NSDAP-Mitglieder folgten Abels Aufruf, darunter auch Frauen. 36 dieser Einsendungen sind in der Abel-Sammlung erhalten. Die älteste Schreiberin war 73 Jahre alt, die jüngste gerade 17, die Frauen stammten aus allen Gesellschaftsschichten. Sie waren berufstätig oder Hausfrau, verheiratet oder geschieden, kinderlos oder alleinerziehend. Siebzehn dieser Texte sind für die Theatercollage ausgewählt worden.

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Siebzehn Frauen stehen auf der Bühne. Die alten Kämpferinnen. Es sind junge und alte, elegante oder auch ärmlich gekleidete Frauen. Die eine sitzt am Klavier, die andere an einer Nähmaschine. Eine junge Frau kämmt eine Puppe, eine ältere wickelt Verbandsmaterial auf. Wieder eine andere kümmert sich um ihr Baby im Kinderwagen, ihr gegenüber tippt eine Frau auf der Schreibmaschine. „Es sollte wie ein Ölgemälde der Gesellschaft aussehen, das unterschiedliche Frauen zeigt“, so beschreibt Claudia Wehner das Bühnenbild. Und dann geht es los: Zwei Schauspielerinnen führen das Publikum durch diese Collage, die Frauen werden namentlich aufgerufen und erzählen, warum sie die NSDAP unterstützen.

„Deutschland hat schon als Kind meine ganze, tiefe Liebe gegolten“, wird eine Hilde Boehm-Stoltz zitiert, sie wurde 1894 geboren. „Schon in jungen Jahren setzte ich mir das Ziel: Wir müssen helfen! Es ward mir Beruf um die deutsche Seele zu werben, meine ganzen Kräfte setzte ich ein, um das Deutsche heraus zu schälen.“ Um das Deutsche geht es auch Agnes Mosler Sturm, sie ist 42 Jahre alt, als sie schreibt: „Ein großes, gutes und starkes Volk reckte sich mutig auf, seinem einzigen gottgegebenen Führer und Erretter – Adolf Hitler – zu folgen und mit ihm zu kämpfen für Deutschlands Ehre, Deutschlands Glück und Deutschlands Freiheit!“

Die glühende Verehrung Adolf Hitlers zieht sich durch alle Texte: „Da aber schlug für mich die glückliche Stunde, in der ich mich einreihte in die Gefolgschaft der Besten unserer Zeit, unseres jubelnden Herzens sei es gerufen! Unser Führer! Ich danke dir Gott, dass du mir den Führer gabst!“ Das schrieb eine Marianne Meinecke. „Wir wollen das deutsche Volk aus seinem Dornröschenschlaf wecken und dazu ist auch die Frau berufen. Meine Kinder sollen einmal nicht sagen, Mutter wo hast du gestanden, als Deutschland der Ruin drohte.“ Diese Worte stammen von der damals 38-jährigen Helene Radtke. Und sie rauben einem fast den Atem: „Mutter, wo hast du gestanden?“ Das haben doch die 68-er ihre Eltern gefragt.

Was in den Köpfen dieser Frauen vorging, mit welchem Fanatismus sie die Ideologie der Nationalsozialisten vertraten und verteidigten, darüber geben die Aufsätze aus der Abel-Sammlung Aufschluss. Und so unspektakulär ihre Lebensberichte auch sind, was die Frauen erzählen, ist beklemmend. Und zugleich paradox: Ihren Einsatz für die Nationalsozialisten scheinen sie als einen Schritt der Emanzipation zu begreifen. In nicht wenigen Texten wird die Geringschätzung, mit der sie sich als Frauen im Nazi-Deutschland auseinanderzusetzen haben, sehr deutlich: „Mein Vater las abends immer seine Zeitung und wollte ich dasselbe auch immer tun. Meine Spezialität waren die Berichte des Reichstags, ich wollte immer wissen, was im Lande vorging. Mein Vater meinte, das passe für ein Mädchen nicht und solle ich lieber nähen und flicken.“

Und eine Frau erzählt in ihrem Aufsatz, wie sie sich als junges Mädchen verkleiden musste, um an einer politischen Versammlung teilzunehmen: „Eine Mitschülerin und ich verkleideten uns, sie zog einen Anzug von ihrem Bruder an, versteckte das Haar und setzte sich eine große Brille auf; ich zog mir einen Trainingsanzug an und setzte mir gleichfalls eine Brille auf und versteckte das Haar unter der Mütze. So gingen wir eben als Sportjungen ungefährdet hin.“ Auch der Wunsch, wie ein Mann kämpfen zu können, flackert immer mal wieder auf: „Als 1914 der Krieg ausbrach, war ich 18 Jahre alt. Ich liebte mein Vaterland und meine Heimat unbeschreiblich. Und als ich so manchen Krieger ins Feld ziehen sah, wurde in mir der Wunsch wach: „Ach wäre ich doch auch ein Junge und könnte für unseren Heimatboden kämpfen.“

Der Hass auf alles Jüdische, „den jüdischen Ungeist“, wie ein roter Faden zieht er sich durch die Einlassungen der frühen Nazifrauen. Deutschland muss „gereinigt und geläutert werden“. „Es lohnt sich wieder, Weib zu sein.“ Denn: „Wir dürfen wieder ein Geschlecht von Männern heranziehen, denen wir von Selbstzucht, Stolz von Ehrlichkeit und Reinheit sprechen können.“ 75 Minuten. Ohne Pause. Immer wieder Deutschland. Deutschland. Es wird immer intensiver. Und unangenehmer. Und am Ende stehen alle zusammen in einer Reihe und reden und reden und reden. Und man will nur noch, dass das aufhört.

Und das war auch so beabsichtigt. Claudia Wehner wollte schließlich keine Nazi-Propaganda auf die Bühne bringen. Sie freut sich, dass der Zuspruch so groß und die Kammerspiele bis auf den letzten Platz besetzt sind. Die Initiative für das ungewöhnliche Projekt kam von Eva Weickart, der Frauenbeauftragten der Stadt Mainz. Sie stolperte im Internet über die Abel-Sammlung, dann stieß sie auf die Doktorarbeit der Historikerin Katja Kosubek. Sie hat die 36 Einsendungen der Alten Kämpferinnen erstmals vollständig erfasst und aufgearbeitet. „Wir hatten schnell die Idee, da zusammen etwas zu machen“, sagt Claudia Wehner. Aber es war wie so oft: Auch wenn die Idee gut ist – es ist kein Geld da. Claudia Wehner schrieb daraufhin rund fünfzig Schauspielerinnen an, alles „Frauen, die ich aus jahrelanger Zusammenarbeit gut kenne.“

Die Frage: Waren die Frauen bereit, bei diesem Projekt mitzuarbeiten? Ein Projekt, bei dem niemand etwas verdient. Claudia Wehner bekam sofort zwanzig Zusagen. Auch die Technik, die Maske, die Bühnenbildnerin – alle arbeiteten für den guten Zweck. Den guten Zweck des Erinnerns. „Was wir da zusammen in so kurzer Zeit auf die Beine gestellt haben, macht mich stolz,“ strahlt Claudia Wehner. Und auch die Mainzer Frauenbeauftragte Eva Weickart ist vollends zufrieden: „Keine Frau gewinnt, wenn sie sich von den Nazis vereinnahmen lässt. Sie können alle nur verlieren. Das haben diese Zeugnisse wieder deutlich gemacht.“ Claudia Wehner würde mit dieser Theatercollage am liebsten eine kleine Tournee durch alle Mainzer Schulen machen. Doch so viel unbezahltes Engagement können sich die Schauspielerinnen nicht leisten. So bleibt vorerst nur die Hoffnung, dass sich doch noch Möglichkeiten finden, das Projekt finanziell zu fördern und weiterzuführen.

Info& auf Mainz&: Wenn Ihr Euch beeilt: Heute Abend, am Montag, den 28. Januar 2019,  hält die Historikerin Katja Kosubek einen Vortrag über Frauen in der NSDAP vor 1933. Ort und Zeit: 18.30 Uhr, Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz, Flachsmarktstraße 36. Kosubek berichtet über die Selbstbeschreibungen der alten Nazi-Kämpferinnen und ihre Erforschung der Abel-Sammlung. Diese könnt Ihr aber auch selbst einsehen, die Texte sind digitalisiert beim Amerikanischen Hoover Institut im Internet zu finden – genau hier.

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