UPDATE& – Traurige Nachricht kurz vor Weihnachten: Monsignore Klaus Mayer ist tot. Der ehemalige Pfarrer von St. Stephan starb am Freitag mit 99 Jahren. Mayer war der „Vater der Chagall-Fenster“ und machte damit die St. Stephanskirche in Mainz zu einer weltweit einmaligen Friedenskirche. Nach dem Zweiten Weltkrieg überredete Mayer den jüdischen Maler Marc Chagall dazu, Fenster für die Mainzer Kirche St. Stephan in seinem unverwechselbaren Blau zu gestalten – es wurde ein weltweit einmaliges Kunstwerk: Das blaue Wunder von Mainz.

Monsignore Klaus Mayer, der Vater der Chagall Fenster und ehemaliger Pfarrer von St. Stephan in Mainz, ist tot. - Foto: Bistum Mainz
Monsignore Klaus Mayer, der Vater der Chagall Fenster und ehemaliger Pfarrer von St. Stephan in Mainz, ist tot. – Foto: Bistum Mainz

Um 14.00 Uhr läuteten die Glocken von St. Stephan in Mainz, und verkündeten eine traurige Nachricht: Einer der prägendsten Persönlichkeiten der Mainzer Stadtgeschichte ist tot. „Monsignore Klaus Mayer ist am Freitag, 16. Dezember, im Alter von 99 Jahren in
Mainz verstorben“, teilte das Bistum Mainz am Freitagmittag mit. 26 Jahre lang hatte Klaus Mayer die Pfarrei St. Stephan in Mainz geleitet, im Juli 1950 war er durch den Mainzer Bischof Albert Stohr zum Priester geweiht worden.

Geboren wurde Klaus Mayer am 24. Februar 1923 in Darmstadt als Sohn eines jüdischen Kaufmanns, seinen Dienst als Pfarrer von St. Stephan trat er im Jahr 1965 an – da war Mainz noch immer stark von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs gezeichnet. Das galt auch für St. Stephan: die kleine gotische Hallenkirche aus dem 13. Jahrhundert hatte im Krieg Glocken, Westturm, Langhaus und Chor verloren – ebenso die großen Kirchenfenster.

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Marc Chagall: neun blaue Fenster für St. Stephan

Mayer bekam zwei Bücher über die Werke des französischen Malers Marc Chagall in die Finger – und war sofort elektrisiert: Nur er komme für die neuen Fenster der Kirche infrage, beschloss der Priester, es war eine wahrhaft „dreister“ Beschluss. Chagall, selbst Jude, hatte beschlossen, nie wieder wolle er nach dem Holocaust und den Verbrechen der Nazis für Deutschland arbeiten.

Monsignore Klaus Mayer in St. Stephan vor den blauen Chagall-Fenstern. - Foto: Bistum Mainz
Monsignore Klaus Mayer in St. Stephan vor den blauen Chagall-Fenstern. – Foto: Bistum Mainz

Doch Mayer wagte dennoch das schier Unmögliche: 1973 schrieb er einen Brief an den damals bereits 86 Jahre alten Chagall, und schilderte ihm seine Vision: blaue Chagall-Fenster für St. Stephan, aber mehr noch – ein Zeichen deutsch-jüdischer Versöhnung sollten die Fenster werden, und zudem eine Hommage an Gutenberg, dessen ersten Bibeldruck Chagall in Glas verewigen sollte.

Die Antwort kam aus Chagalls Glaskunstatelier in Reims: „Haben Sie es eilig?“ Mayer hatte nicht. Fünfeinhalb Jahre, 54 Besuche und zahlloser Briefe bedurfte es für die Vollendung dessen, was Mayer selbst später einmal „das blaue Wunder“ nannte. Im Dezember 1976 begann Chagall, an dem ersten Fenster für St. Stephan zu arbeiten, insgesamt neun Fenster schuf er für die deutsche Kirche – es wurde sein größtes zusammenhängendes Glaskunstwerk an einem Ort, fast 180 Quadratmeter groß.

 

Weltweit größtes Glas-Kunstwerk von Chagall mit 28 Fenstern

Am 23. September 1978 wurde das erste Chagall-Fenster mit der „Vision vom Gott der Väter“ St. Stephan übergeben, das letzte der neu Fenster nur wenige Monate vor Chagalls Tod im März 1985. Chagall selbst hat seine blauen Fenster in Mainz nie persönlich gesehen, doch seine Frau Wawa kam mehrmals nach Mainz. Nach Chagalls Tod vollendete sein Schüler und Freund Charles Marq das Ensemble der blauen Fenster in St. Stephan.

Blaue Fenster von Chagall-Schüler Charles Marq in St. Stephan. - Foto: gik
Blaue Fenster von Chagall-Schüler Charles Marq in St. Stephan. – Foto: gik

Marq schuf zum Teil nach Original-Skizzen von Chagall 19 weitere Kirchenfenster – eine Fläche von 213 Quadratmetern, die bis zum Jahr 2000 fertig wurden. Marq’s Fenster sind bewusst schlichter gehalten, sie sollen hinführen zum großen Werk Chagalls, zu seinen Visionen. Damit wurde ein weltweit einmaliges Ensemble von 28 blauen Fenstern vollendet das den Kirchenraum in ein unirdisches, mystisches Licht taucht – es sind die einzigen Kirchenfenster, die Chagall je in Deutschland schuf.

Nur zwei Tage nach dem Einbau des ersten Fensters hielt Klaus Mayer seine erste Meditation zu den Kirchenfenstern in St. Stephan. „Schon beim ersten Blick auf die Chagall-Fenster in Jerusalem und Zürich war mir klar, dass die Fenster ‚Bibel pur‘ sind, und dass in ihnen eine große Chance liegt, die Bibel zu verkünden, so wie es mir in meinem Pfarrerberuf aufgegeben ist“, erzählte Mayer einmal. Mit den Meditationen habe er die Möglichkeit, „Menschen zu erreichen, die wir sonst in der Kirche nicht erreichen. Das ist eine beglückende Aufgabe, die mir zugedacht worden ist, und die ich mir nicht ausgesucht habe. Solange ich noch krabbeln kann, muss ich das tun.“

 

Mayer machte St. Stephan zur Friedenskirche, Ort der Versöhnung

Und das tat er: Bis ins höchste Alter hielt Mayer seine Meditationen zu den Chagall-Fenstern, auch nach seinem Ausscheiden aus dem Amt als Pfarrer von St. Stephan im Jahr 1991. Die Verkündung der Friedensbotschaft war und blieb sein größtes Anliegen -. und sein Lebenswerk. Es lag auch in seiner eigenen Biographie begründet: Als „Mischling ersten Grades“, wie die Nationalsozialisten Menschen mit halbjüdischer Abstammung wie Mayer nannten, schwebte der junge Mann nach der Machtergreifung durch die Nazis in ständiger Lebensgefahr.

Chagall-Fenster in St. Stephan in dem typischen, unverwechselbaren Blau: Verkündung der Bibel, Botschaften des Friedens. - Foto: gik
Chagall-Fenster in St. Stephan in dem typischen, unverwechselbaren Blau: Verkündung der Bibel, Botschaften des Friedens. – Foto: gik

Als das Gymnasium in Ettal durch die Nationalsozialisten aufgelöst wurde, holte Mayer 1942 die Reifeprüfung am damaligen Adam Karillon-Gymnasium in Mainz (heute Rabanus Maurus-Gymnasium) nach. Doch auch hier lebte Mayer in ständiger Angst, verhaftet und in ein Konzentrationslager deportiert zu werden. Er tauchte unter als Hilfsarbeiter in einer Holzhandlung. „Nur Dank Gottes und der Hilfe meiner Mutter habe ich diese Schreckensjahre in Deutschland überlebt“, schrieb Mayer in seiner 2007 erschienenen Autobiographie „Wie ich überlebte. Die Jahre 1933 bis 1945“.

Der Wiederaufbau von St. Stephan war Mayer deshalb ein Herzensanliegen, dazu gehörte auch die Außenrestaurierung der „nur notdürftig zusammengeflickten“ Kirche, die insgesamt 28 Jahre dauerte. „Heute darf St. Stephan wieder Friedenskirche sein, für die deutsch-französische Freundschaft, für die Völkerverständigung und die jüdisch-christliche
Verbundenheit“, sagte Mayer im Jahr 2018 in seiner eigenen Predigt zu seinem 95. Geburtstag, und fügte hinzu: „Wer hätte das damals gedacht? Niemand. Dank sei Gott!“

Die Kirche St. Stephan erhebt sich oberhalb der Mainzer Altstadt. - Foto: gik
Die Kirche St. Stephan erhebt sich oberhalb der Mainzer Altstadt. – Foto: gik

Die Mainzer verehrten ihn bereits zu seinen Lebzeiten, vielfach wurde Mayer für sein Lebenswerk ausgezeichnet, darunter mit dem Bundesverdienstkreuz, der Gutenberg-Büste und dem Ehrenring der Stadt Mainz. 2005 wurde Mayer zum Ehrenbürger der Stadt Mainz ernannt, 1985 verlieh ihm Papst Johannes Paul II. den päpstlichen Titel Monsignore. 2018 gab es sogar eine Weihnachtsbriefmarke mit einem Motiv der Mainzer Chagall-Fenster.

Nun ist Monsignore Mayer im Alter von 99 Jahren gestorben – am 24. Februar 2023 wäre er 100 Jahre alt geworden. „Mein Leben ist gefügt, geführt, begleitet und gesegnet von Gott“, sagte Mayer im Jahr 2018 auch – und schloss seine Predigt mit einem eindringlichen Appell: „Seid dankbar für den Frieden und betet für seine Erhaltung.“

Bürgermeister Beck: Hochachtung vor Lebensleitung

„Wir trauern um den Mainzer Ehrenbürger Monsignore Klaus Mayer“, sagte Bürgermeister Günter Beck (Grüne) am Nachmittag in Mainz: „Sein Anliegen war es immer, die Kirche zu öffnen, das Miteinander zu leben und das Wort Gottes im Leben der Menschen zu verankern.“ Monsignore Klaus Mayer habe sich „Zeit seines Lebens der Aufgabe gewidmet, die Menschen zusammenzubringen, Verbindungen zu schaffen und Brücken zu bauen, auch dort, wo das erfolgreiche Bauen dieser Brücken noch so unwahrscheinlich schien.“

Monsignore Klaus Mayer am Rednerpult im Mainzer Stadtrat im Jahr 2010. - Foto: Bistum Mainz
Monsignore Klaus Mayer am Rednerpult im Mainzer Stadtrat im Jahr 2010. – Foto: Bistum Mainz

Mayer sei deshalb „ein Vorbild des Miteinanders in unserer Zeit, die uns beim Blick in die Nachrichten so oft als Zeit des Gegeneinanders erscheint“, betonte Beck. Mainz habe ihm viel zu verdanken: „Monsignore Mayer hat Einzigartiges und Bleibendes für Mainz geschaffen und geleistet“, würdigte Beck den Verstorbenen: „Monsignore Mayer hat es mit seinem leisen und dennoch nachdrücklichen Engagement ermöglicht, dass Mainz dieses einzigartige Kunstwerk erhalten hat, und St. Stephan zu einem Symbol der jüdisch-christlichen Versöhnung mit großer Ausstrahlungskraft geworden ist.“

Mayer habe sich in vielerlei Hinsicht für die Versöhnung zwischen Deutschen und Franzosen, Deutschen und Russen und zwischen Christen und Juden eingesetzt, so beck weiter – das sei „gerade vor dem Hintergrund unserer Geschichte von außerordentlicher Bedeutung für die Stadt Mainz“, so der Bürgermeister, der kommissarisch auch das Amt des Oberbürgermeisters ausübt, weiter: „Sein Wirken für die Aussöhnung und die Freundschaft der Völker hat etwas möglich gemacht, das unerreichbar schien und dessen Kraft in St. Stephan nicht nur wir, sondern jedes Jahr Tausende Besucher spüren.“ Die Stadt Mainz verabschiede sich „mit großer Trauer und in Hochachtung vor seiner Lebensleistung“, fügte Beck hinzu: „Wir werden ihn sehr vermissen.“

Info& auf Mainz&: Für Monsignore Klau Mayer plant das Bistum Mainz derzeit ein Requiem, ein Termin steht aber noch nicht fest. In St. Stephan ist seit Freitagmittag ein Kondolenzbuch ausgelegt. Informationen dazu gibt es wahrscheinlich hier auf der Internetseite des Bistums Mainz.