Vor der Flutkatastrophe waren sie viele, und sie waren begehrt: 18 Campingplätze gab es einmal entlang der Ahr und ihren Nebenflüssen, doch bis heute sind davon lediglich vier wieder in Betrieb. Im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags berichteten nun zwei Besitzer von ihrem Frust: Von Chaos direkt nach der Flut und abgetauchten staatlichen Stellen bis hin zu Blockaden für den Wiederaufbau bis heute. Die Freien Wähler kritisierten: In NRW stehe der Campingplatz am Oberlauf der Ahr wieder – 600 Meter weiter, in Rheinland-Pfalz, herrscht hingegen Mondlandschaft statt Camping.

Trümmerlandschaft in Kreuzberg an der Ahr wenige Tage nach der Flutkatastrophe. - Foto: gik
Trümmerlandschaft in Kreuzberg an der Ahr wenige Tage nach der Flutkatastrophe. – Foto: gik

Am Morgen des 20. Juli 2021 türmen sich auf dem Campingplatz Stahlhütte an der oberen Ahr ungeheure Müllmengen, Berge aus Schutt, gemischt aus Holz, Müll, Stahl. Vor sechs Tagen hat hier die Flutwelle an der Ahr den Campingplatz komplett überflutet, Wohnwagen weggerissen und ein Trümmerfeld hinterlassen. Der Campingplatz in Dorsel war der erste Ort, an dem die Katastrophe deutlich wurde: Hier mussten schon am Nachmittag des 14. Juli 2021 als erstes Menschen per Hubschrauber aus den Fluten gerettet werden, hier starben die ersten sechs von insgesamt 134 Menschen der Flutnacht.

Mario Frings sitzt an diesem Freitag, dem 18. November 2022, im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtags zur Aufklärung der Verantwortung für die Flutkatastrophe. Frings ist der Besitzer des Campingplatzes Stahlhütte, er ist bereits zum zweiten Mal hier: Im Mai musste er bereits zu den Evakuierungsmaßnahmen auf seinem Campingplatz in Dorsel Stellung nehmen. Der 45-Jährige ist kein guter Redner, er berichtet nur stockend von den Geschehnissen am 14. Juli, betont aber wieder und wieder, wie er ab 16.30 Uhr zwei Runden über den bereits gefluteten Campingplatz drehte, um die Menschen zu warnen.

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An diesem Freitag im November ist Frings geladen, um von der Zeit nach der Katastrophe zu berichten, den Aufräumarbeiten, der Hilfe, und ob sie denn kam. Frings wirkt dieses Mal deutlich ausgeruhter und sortierter, aber was er von der Tagen nach der Flut zu berichten hat, ist erschütternd: „Die Hilfe, die Krisenbewältigung, das war leider wie Tag und Nacht“, sagt Frings. Tag und Nacht – das sind in diesem Fall die beiden Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz.

Campingplatz in NRW: Seit April wieder in Betrieb

Campingplatz Fringsmühle in Ahrdorf im Herbst 2022: Wiederhergestellt, in Betrieb. - Foto: Schupp
Campingplatz Fringsmühle in Ahrdorf im Herbst 2022: Wiederhergestellt, in Betrieb. – Foto: Schupp

Frings betrieb nämlich bis zur Flutkatastrophe am 14. Juli 2021 am Oberlauf der Ahr gleich zwei Campingplätze: Den Campingplatz „Stahlhütte“ in Dorsel, das in Rheinland-Pfalz liegt – und gerade einmal 600 Meter entfernt den Campingplatz Fringsmühle in Ahrdorf, das bereits in Nordrhein-Westfalen liegt. „In Rheinland-Pfalz habe ich lange Zeit überhaupt keinen gesehen“, berichtet Frings, „ich wusste nicht, was ich darf und was nicht.“

Der Campingplatzbetreiber zeigt dem Ausschuss Fotos seiner beiden Plätze, sie zeigen einen frisch hergestellten und herausgeputzten Campingplatz in Ahrdorf: Hier stehen ordentliche Holzhütten auf sauberen Grasparzellen, frisch angelegte Wege, Wasser-Infrastruktur und zahlreiche Wohnwägen. Die Fotos von Dorsel zeigen ein Brachland mit Pfützen und verwilderten Wiesen.

 

„In Nordrhein-Westfalen war das alles ziemlich unproblematisch“, berichtet Frings dem Ausschuss: Trotz der Katastrophe und dem großen Schaden auch an seinem Campingplatz in Ahrdorf sei schon zwei Tage später die Blankenheimer Bürgermeisterin Jennifer Meuren vor Ort gewesen. „Sie fragte sofort: wie kann ich helfen“, berichtet Frings. Die Gemeinde habe ihm sofort gesagt, wo er den Schutt zur Entsorgung hinfahren könne, man habe ihm Flächen zur Verfügung gestellt und Feldwege, auf denen er provisorisch alles ablagern konnte.

Campingplatzbetreiber Mario Frings am 18. November 2022 im Mainzer Landtag. - Foto: gik
Campingplatzbetreiber Mario Frings am 18. November 2022 im Mainzer Landtag. – Foto: gik

„Allein in Ahrdorf sind fast 1.500 Tonnen Schutt auf den rund drei Hektar zusammengekommen“, berichtet Frings. Die Berge an Müll, die die Flut hinterließ, seien ordentlich getrennt worden nach Steinen, Blech und Holz, den Grünschnitt habe er in NRW verbrennen dürfen, „das waren unvorstellbare Massen“, sagt er. Die Mengen an herausgerissenen Betonsteinen hätten sie geschreddert und als Unterbau für die neuen Wege wiederverwendet.

In Dorsel steht Frings genauso vor dem Nichts, auch hier liegen Berge von Schutt auf seinem Gelände – aber Hilfe habe er keine bekommen, berichtet er. In Dorsel habe man ihm keine Flächen zur Entsorgung zur Verfügung gestellt, auch flussabwärts in Müsch und dann in Antweiler habe man ihm, nicht helfen wollen. „Ich hatte wilde Anrufe von den Bürgermeistern, ich solle selber gucken, wo ich meinen Müll hinbringe“, berichtet Frings. In Dorsel habe der Bürgermeister gar den Zuständigen gemeldet: „Dorsel hat kein Problem mit dem Hochwasser, Dorsel liegt auf dem Berg.“

 

Sein Campingplatz, der aber nun mal zur Gemeinde Dorsel gehöre, sei komplett vergessen worden, klagt Frings. Torsten Schupp bestätigte das dem Ausschuss. Der 52 Jahre alte Friseur ist Stadtrat in Koblenz, am 20. Juli 2021 fährt er an die Ahr, um zu sehen, wo er helfen kann, ein Bekannter schickt ihn nach Ahrdorf und Dorsel. „Als ich da ankam, war da – nichts“, berichtete Schupp nun dem Untersuchungsausschuss.

In Dorsel: Staatliche Hilfe – Fehlanzeige

Campingplatz Stahlhütte in Dorsel nach der Flut: Große Mengen Grünschnitts. - Foto: Frings
Campingplatz Stahlhütte in Dorsel nach der Flut: Große Mengen Grünschnitts. – Foto: Frings

Schupp greift zum Handy, ruft einen Bekannten beim Technischen Hilfswerk (THW) an, ob er Hilfe schicken könne, Klar, habe der gesagt, er stehe schließlich mit 100 Helfern am Nürburgring und warte auf den Einsatz. Doch die Hilfe kommt nicht, der Einsatz kann nicht stattfinden – nach NRW dürfen die Helfer nicht ausrücken zum Helfen. Am 21. Juli fahren sie mittags nach Dorsel zum Campingplatz Stahlhütte, die Polizei habe an dem Tag den Platz erst zum Räumen freigegeben, berichtet Schupp – vorher sei dort noch nach Vermissten gesucht worden.

„Um 14.15 Uhr kam tatsächlich das THW mit schwerem Gerät, und wir freuten uns, weil wir dachten, wir kriegen Unterstützung“, berichtet Schupp dem Ausschuss weiter. Doch weit gefehlt: „Die hatten aber nur den Auftrag, nach Menschen zu suchen“, wunderte sich Schupp – dabei habe die Polizei doch gerade erst den Platz freigegeben. Staatliche Hilfe beim Aufräumen habe es in den ersten Tagen hingegen überhaupt keine gegeben, berichtet der Stadtrat weiter: Kein Essen, keine Strom-Generatoren – „seitens staatlicher Einrichtungen war Fehlanzeige.“

 

Stattdessen kamen freiwillige Helfer, gut 250 Freiwillige aus dem ganzen Bundesgebiet, sogar aus den Nachbarländern Belgien und Holland. „Die kamen mit Lkw und Baggern“, berichtet Schupp. Auch erst selbst habe Hilferufe über seine Netzwerke gestartet, ein Freund brachte ein großes Stromaggregat und sponsorte den Diesel dazu, einen ganzen Monat lang. „Ohne die Hilfe dieser unzähligen Menschen dort würde es wohl heute noch so aussehen, wie einen Tag nach der Flut“, betont Schupp.

„Chaos und Unfähigkeit bei der Katastrophenbewältigung“

Der Koblenzer Stadtrat Torsten Schupp beim Interview vergangenen Freitag im Mainzer Landtag. - Foto: gik
Der Koblenzer Stadtrat Torsten Schupp beim Interview vergangenen Freitag im Mainzer Landtag. – Foto: gik

Von rheinland-pfälzischer Seite hingegen habe es keinerlei Kommunikation und keinerlei Hilfe gegeben, im Gegenteil: „Wir hatten jeden einzelnen Stellplatz händisch geräumt und allen Schutt schön ordentlich sortiert“, berichtet Schupp: „Plastik zu Plastik, Grünschnitt zu Grünschnitt, Holz zu Holz. Doch dann kam irgendwann das THW – und die haben alle Haufen, die wir vorher getrennt hatten, wieder zusammengeschoben.“

Die großen Mengen Grünschnitt wollten sie verbrennen, NRW habe das auch genehmigt, und sogar die Feuerwehr aus Blankenheim geschickt, die den Haufen kontrolliert abbrennen sollte, berichtet Schupp weiter: „Das Ergebnis war, dass die Feuerwehr aus Rheinland-Pfalz kam, und das löschte, weil: Hier wird nichts verbrannt.“ Auch Schupp bestätigte, die Campingplatz-Leute seien in Dorsel, Müsch und Antweiler „verscheucht“ worden bei der Suche nach Müllabladeplätzen. „Ich weiß eigentlich nicht, was schlimmer ist“, sagte er noch: „Die eigentliche Flut – oder das Chaos und die Unfähigkeit der Behörden bei der Katastrophenbewältigung.“

 

Dazu kommt: Bis heute ist der Campingplatz Stahlhütte in Dorsel nicht in Betrieb, nicht einmal mit dem Wiederaufbau konnte Frings bisher beginnen. Erst Anfang März 2022, ein halbes Jahr nach der Flut, sei ihm vom Kreis Ahrweiler mitgeteilt worden, dass sein Campingplatz Bestandsschutz genieße, berichtete Frings. Die Auflage für einen Wiederaufbau sei aber, „dass ich ein Betreiberkonzept erstelle“, sagte der Platzbetreiber weiter – das müsse auch eine ständige Beobachtung der Wetterlage beinhalten sowie rechtzeitige Räumkonzepte bei einer drohenden Überflutung.

Zwei Betreiberkonzepte abgelehnt, Begründung: unklar

Campingplatz Stahlhütte in Dorsel heute, mehr als ein Jahr nach der Flut: Mondlandschaft statt Camping. - Fotos: Schupp
Campingplatz Stahlhütte in Dorsel heute, mehr als ein Jahr nach der Flut: Mondlandschaft statt Camping. – Fotos: Schupp

Wie das Konzept aber aussehen müsse, wer es erstellen solle – dazu habe er überhaupt keine Auskunft erhalten,. berichtete Frings weiter. Er habe dann „spaßeshalber“ selbst mal ein Konzept geschrieben, das sei dann abgelehnt worden mit dem Vermerk: „Wenden Sie sich an den TÜV.“ Das habe er auch getan – doch auch dieses Konzept sei abgelehnt worden, vor Kurzem erst, also mehr als ein Jahr nach der Flut. In Ahrdorf hingegen legte Frings bereits im August 2021 den neuen Campingplatz an – und konnte ihn Mitte April 2022 wiedereröffnen.

Frings ist nicht der einzige, der sich mit seinem Campingplatz auf rheinland-pfälzischer Seite unerwünscht fühlt: Christoph Zerwas leitete bis zur Flutkatastrophe den Campingplatz „Viktoria Station“ in Kreuzberg. Der Campingplatz an der Ahr mit spektakulärem Blick auf die Burg Are gehörte mit etwa 350 Plätzen zu den größten im Tal – bis heute kann Zerwas den Platz nicht wieder betreiben. „Ich habe bis heute keine Betriebsgenehmigung“, berichtete Zerwas am Rande des Untersuchungsausschusses gegenüber Mainz&.

 

Dabei gehöre ihm das Grundstück in Erbpacht, noch für die nächsten 30 Jahre, er selbst sei die dritte Generation der Campingplatzbetreiber-Familie. Eine Zukunft sieht er derzeit nicht – Zerwas muss sein Geld derzeit in einem anderen Job verdienen. „Ich kann lediglich eine ‚Duldung‘ beantragen, aber auf dieser Grundlage werde ich kein Geld investieren“, sagt er frustriert.

„Camper – braucht die das Ahrtal nicht?“

Campingplatzbetreiber Christoph Zerwas am 18.11.2022 vor dem U-Ausschuss. - Foto: gik
Campingplatzbetreiber Christoph Zerwas am 18.11.2022 vor dem U-Ausschuss. – Foto: gik

Und dabei brauche das Ahrtal doch so dringend Gäste, habe die Landesregierung eigens die Kampagne „We AHR open“ gestartet, heißt es im Helfer-Forum für den Campingplatz „Viktoria Station“ auf Facebook: „Da fragt man sich als Camper: Gäste, sind das nur Hotel-/Pensionsgäste und Wohnmobilisten, die mit ihren autarken Fahrzeugen auf jedem Parkplatz stehen können?“ Was sei denn „mit den Campern, die Wasser, Strom, Ver-/Entsorgungsmöglichkeiten, WCs und Duschen benötigen, die braucht das Ahrtal nicht?“

Die Helfergruppe hatte sich direkt nach der Flutkatastrophe gebildet, wochenlang halfen sie beim Aufräumen und Wiederherstellen, bis heute sind viele von ihnen vor Ort immer wieder aktiv und helfen mit Tatkraft und Spenden. Alle Vorarbeiten für einen Wiederaufbau seien erledigt, berichten Mitglieder der Gruppe – aber für den Aufbau gebe es seit Monaten weiter keine Genehmigung, nicht einmal Ansagen.

 

Für die Campingplätze gebe es bis heute „keinen Plan, keine Unterstützung, kein Engagement und keine zuverlässigen Übergangsregelungen, die einen wirtschaftlichen Neuanfang ermöglichen“, heißt es in einem Facebook-Post vom 22. Oktober 2022. So sehe die Realität für die Campingplatzbetreiber am Ahrufer bis heute, fünfzehn Monate nach der Flutkatastrophe, aus: „We ahr NOT open“, heißt es anklagend aus der Helfergruppe, von denen auch einige Mitglieder im September bei einem Helferempfang in der Mainzer Staatskanzlei geehrt wurden.

Campingplätze: „We ahr NOT open“

Protestplakat wegen der immer noch geschlossenen Campingplätze an der Ahr. - Grafik: Helfercampen via Facebook
Protestplakat wegen der immer noch geschlossenen Campingplätze an der Ahr. – Grafik: Helfercampen via Facebook

Das Ahrtal brauche dringend Touristen – aber die Campingplätze wüssten noch immer nicht, wie es mit ihren Existenzen weitergehe, klagen die Helfer: „Campingplätze als Gastgeber, Wirtschaftsfaktor und Arbeitgeber braucht das „neue“ Ahrtal nicht?“

„An einen Wiederaufbau beziehungsweise eine Wiederinbetriebnahme auf den rheinland-pfälzischen Campingplätzen ist leider mehrheitlich noch nicht zu denken“, kritisierte auch Stephan Wefelscheid, Obmann der Freien Wähler im Untersuchungsausschuss. Es waren die Freien Wähler, die das Thema auf die Tagesordnung gebracht hatten. Er habe wissen wollen, wie die Lage bei der Katastrophenbewältigung in den ersten Tagen und Wochen nach der Flutkatastrophe war, begründete Wefelscheid seinen Antrag: „Konnten die gebotenen Arbeiten schnell und effektiv durchgeführt werden oder hemmte hier das vielzitierte ‚Bürokratie-Monster‘?“

Stephan Wefelscheid, Obmann der Freien Wähler, im U-Ausschuss auf der Terrasse des Mainzer Landtags. - Foto: Freie Wähler
Stephan Wefelscheid, Obmann der Freien Wähler, im U-Ausschuss auf der Terrasse des Mainzer Landtags. – Foto: Freie Wähler

„Für mich ist es unverständlich, dass sich in Rheinland-Pfalz auch auf den anderen Campingplätzen an der Ahr und ihren Seitentälern seit der Flutkatastrophe so wenig getan hat“, kritisierte Wefelscheid. Im Nachbarbundesland Nordrhein-Westfalen sei der Betrieb hingegen längst wieder angelaufen. „Dabei stellt das Thema Camping einen wichtigen Faktor für den Tourismus im Ahrtal dar“, betonte Wefelscheid, doch nur vier der 18 Camping- und Wohnmobilplätze an der Ahr seien aktuell wiedereröffnet.

„Was hätten Sie sich denn gewünscht?“ wurde Torsten Schupp im Untersuchungsausschuss vom Obmann der AfD, Michael Frisch, gefragt. „Dass die Bundeswehr mit Bergepanzern kommt, dass das THW hilft, die Wohnmobile zu entsorgen“, antwortete Schupp wie aus der Pistole geschossen, „kurz: Ich hätte mir gewünscht, dass Hilfe kommt – aber wir wurden komplett allein gelassen.“ Ob er „die Wahrnehmung hatte, dass Sie von staatlichen Stellen im Stich gelassen werden“, wollte Frisch noch wissen. Antwort Schupp: „Ja.“

Info& auf Mainz&: Alle Berichte, Enthüllungen und Hintergründe zur Flutkatastrophe im Ahrtal findet Ihr hier in unserem großen Ahrflut-Dossier.