Es war ein unfassbarer Tag, der 27. Februar 1945, der Tag, an dem das goldene Mainz in einem Feuersturm versank. Binnen 13 Minuten warfen Bomber der britisch Airforce rund 1.500 Tonnen Bomben über der Stadt ab, was nicht gesprengt wurde, versank in einem Flammensturm, der über die Stadt fegte. „Es hat die ganze Nacht gebrannt, das war wie der Brand von Rom“, erinnert sich Franz Bullmann, der das Inferno als Elfjähriger erlebte – und seine Erinnerungen mit Mainz& teilte. Am Freitag gedachte Mainz dieser Zerstörung vor 70 Jahren, mit zahlreichen Veranstaltungen – und Einträgen im Internet.
Im Grunde gab es am Freitag kein anderes Thema in Mainz, gefühlt jedenfalls nicht. Es gab die offizielle Gedenkfeier am Morgen in der Ruine von St. Christoph, und um 16.30 Uhr läuteten die Kirchenglocken der Mainzer Innenstadt, genau zu dem Zeitpunkt, als Mainz vor 70 Jahren in Trümmer und Feuer versank. „Ich war Brot holen mit meinem Bruder, vier Jahre jünger, wir waren bei einer Bäckerei im Kirschgarten“, erinnerte sich Frank Bullmann in einem Gespräch mit Mainz&: „Wir hatten Mühe, es bis zur Weintorstraße zu schaffen, wo wir wohnten – es fielen ja schon Bomben.“
Das Grauen von vor 70 Jahren, es war auch wichtigstes Thema bei Facebook und auf Twitter. Die „Allgemeine Zeitung“ ließ auf Twitter ihre Leser nacherleben, was geschah: Den Aufbruch der britischen Flieger, ihren Befehl, Mainz dem Erdboden gleichzumachen – die bewohnten Gebiete wie die Eisenbahnanlagen. Der Angriff, er traf vor allem das Stadtgebiet Mainz, 80 Prozent der Innenstadt war nach der Viertelstunde für immer zerstört.
Das Grausame dieses Tages aber war auch: Es hatte schon am Mittag Voralarme gegeben, weil Flieger über den Westen Deutschlands zu Angriffen Richtung Leipzig flogen und wiederkehrten. „Über Mittag Luftwarnung, Alarm, Luftwarnung, Alarm, Luftwarnung“, schrieb Adam Gottron, Studienrat am Mainzer Gymnasium und später Musikwissenschaftler und Ehrenbürger der Stadt, 1995 in einer Erinnerung.
„Man glaubte, für den Tag erlöst zu sein“, schrieb Gottron, dessen Erinnerung wir auf dieser Seite von Regionalgeschichte.net gefunden haben: „Da, gegen 4 Uhr, erneut Sirenengeheul. Während noch die Leute in die Domtürme springen, fallen schon die ersten Bomben. Man fühlte, es wird ernst.“
Und wie es ernst wurde. „Wir waren im Keller, die Frauen haben Kerzen angesteckt und gebetet“, erzählt Franz Bullmann. Er selbst lag in einem Durchbruch zu den Nachbarkellern, genau unter einem kleinen Gässchen. „Das hat ganz schön gerummst, die Druckluft von Bomben hat mich richtig vom Boden gehoben“, erzählt der heute 81-Jährige: „Unser Haus wurde von Brandbomben getroffen, brannte lichterloh, das war ein einziges Chaos nach dem Bombardement. Rundherum stand nichts mehr, da war alles platt. Die Menschen sind rumgeirrt, wie verrückt. Und alles hat gebrannt.“
Gottron erlebte den Angriff in einem der Domtürme, und ausgerechnet der Dom überlebte das Inferno wie durch ein Wunder. „Die Erde bebte, der Turm schwankte, Einschläge dröhnten in nächster Nähe, das Brummen der Flieger war deutlich zu hören“, schrieb Gottron: „Ich stieg im Turm etwas empor, um Ausblick zu gewinnen, aber etwas wie ein dichter grau-brauner Nebel verdeckte die Sicht nach allen Seiten. Ununterbrochen dröhnten die Explosionen. Ringsum begannen Brände aufzulodern.“
„Das Schlimmste war auf der Großen Bleiche“, berichtet Bullmann, denn dort stand das große Kino, und das war gerade aus, als die Bomben fielen. Die auf die Straße rennenden Menschen hatten keine Chance, denn die Große Bleiche war mit einem Holzpflaster ausgelegt. „Das Holzpflaster, überteert, hat natürlich lichterloh in Flammen gestanden, da sind viele verbrannt“, weiß Bullmann.
Nur die Kleider am Leib, das war alles, was die Familie noch besaß. Durch die brennende Stadt schlugen sich die Bullmanns zur Zitadelle durch, dort im Bunker lebten sie erste einmal einige Tage. Der Vater war 1944 krank aus dem Krieg gekommen, 1945 arbeitete er als Schlosser bei der Straßenbahn, in einer Halle in Finthen. An jenem 27. Februar habe der Vater in Finthen gestanden „und sah, dass die ganze Stadt brennt“, berichtet Bullmann.
Es muss ein unfassbarer Anblick gewesen sein. „Meine Oma ist 90 Jahre alt und hat das alles miterlebt. Sie kann auch heute nach so vielen Jahren kaum darüber sprechen“, schrieb eine Userin auf Facebook in der Gruppe „Mainzer Stadtgeschichte 1945-1955“. Viele der Älteren zucken noch heute zusammen bei Sirenenalarm und sogar bei Gewittern, das Grauen von damals erschütterte die Menschen tief. „Wir starren dem Nichts ins Angesicht“, schrieb Gottron, „jeden Augenblick kann alles aus sein. Ausgelöscht ist jeder Gedanke, selbst das Gebet der Frauen hat aufgehört.“
Danach standen die Mainzer vor einer Trümmerwüste, und suchten verzweifelt nach einem Ort zum Leben. „Die Oma wohnte in der Rochusstraße“, berichtet Bullmann, wie es mit seiner Familie weiter ging, „da haben wir zu fünft in einem Zimmer gehaust.“ Erst 1947 bekam die Familie wieder eine eigene Wohnung, in der Leibnizstraße 52, der schöne Altbau ist bis heute erhalten. Franz Bullmann ging von 1947 bei einem Maurer in die Lehre. „Wir haben die alten Mauern eingerissen, Backsteine geputzt und wieder verwendet“, berichtete er: „Wir haben dann Mainz wieder aufgebaut.“
Und die Amerikaner waren inzwischen in Mainz eingezogen, am 21. März 1945 hatten sie Hechtsheim erreicht. Im Wienerwald am Hauptbahnhof habe es ein Casino für die Amerikaner gegeben, erinnert sich Bullmann: „Wir haben mit Blechbüchsen vor der Tür gestanden, und die Amis haben ihre Essensreste in die Büchse gekippt.“ So schlugen sie sich durch, die Mainzer, und mit den Amerikanern, berichtet Bullmann verschmitzt, „mit denen hab ich gleich Geschäfte gemacht.“
Vorbei war die Gefahr damit aber noch nicht, Bullmann und seine Freunde kletterten am Südbahnhof auf Kohlezüge und klauten Kohle, schmissen sie von den Zügen herunter, um sie danach aufzusammeln. „Kurz vor der Notbrücke (im Süden) sind wir ‚runtergesprungen“, erinnert sich Bullmann – und eines Tages, „da wurde ein Schulfreund von mir dabei erschossen, durch den Hals.“ Es waren harte Zeiten in Mainz, wie auch anderswo.
„Dein Gesicht ist voller Narben, manche tun Dir heut‘ noch weh“, singt der Mainzer Kabarettist Lars Reichow in seiner Mainz-Hymne, die Ihr hier anhören könnt: „Auferstanden aus Ruinen, stehst Du stolz am Vater Rhein.“ Ja, so ist es heute, im Jahr 2015. Es hat lange gedauert bis hierher. An diesem Freitag aber hat Mainz getrauert – um die wunderschöne Stadt, die es einmal war.