Im April hatte er es angekündigt, nun ist es soweit: Der Mainzer Arzt Gerhard Trabert bricht auf zur Flüchtlings-Rettungs-Mission im Mittelmeer. Am Donnerstag fliegt Trabert nach Lampedusa, jener Insel südlich von Italien im Mittelmeer, die durch ihre Flüchtlingslager unrühmliche Berühmtheit erlangt hat. Wofür Lampedusa nichts kann – es ist die EU, die ihre Flüchtlingspolitik auf Abschreckung umgestellt hat. Daraus erwuchs das Projekt der „Sea Watch“, seit Juni rettet der Kutter auf privater Mission Boote in Seenot. Mainz& hat Trabert vor seinem Abflug getroffen.

Gerhard Trabert und Nele Kleinehanding mit Sea Watch Zubehör - Foto gik
Bereit für den Abflug: Gerhard Trabert und Nele Kleinehanding – Foto: gik

„Genug gesprochen“, sagt Gerhard Trabert ruhig, aber entschieden, „es wird Zeit zu handeln und im Einsatz zu sein.“ Der Mann weiß, was er tut, Trabert war schon bei Katastrophen in aller Welt im Einsatz, in Mainz ist er als „Obdachosenarzt“ bekannt, weil er eine medizinische Ambulanz für obdachlose Menschen betreibt.

Trabert kennt sich aus mit Not und Leid, und doch, sagt er, gewöhnt man sich nie daran. Professionelle Distanz sei wichtig, um im Notfall auch wirklich handlungsfähig zu sein, erzählt er. Die Emotionen auf Distanz halten – das wird auch auf der Sea Watch wichtig sein. Neun Mann stark ist die Crew des Kutters, den der Brandeburger Harald Höppner gemeinsam mit drei weiteren Familien 2014 kaufte und für die Flüchtlingsrettung umbauen ließ.

- Werbung -
Werben auf Mainz&

Trabert lernte Höppner und die Sea Watch auf einer Exkursion mit seinen Studenten im Februar in Hamburg kennen – Trabert ist auch Professor im Fachbereich Sozialwesen an der Hochschule Rhein-Main in Wiesbaden, der früheren FH. Vier seiner Studentinnen begleiten ihn nun zum Sea Watch-Einsatz, oder genauer: werden in den kommenden Tagen nach Lampedusa fliegen. Dort werden sie das Basislager der Sea Watch verstärken, Medikamente besorgen, notwendiges Material. Auch das Schiff putzen und für die Crew kochen werde man, sagte Nele Kleinehanding, eine der Studentinnen: „Wir sind uns für nichts zu schade.“

Foto Sea Watch - Foto Sea Watch
Die Sea Watch – Foto: Sea Watch

Warum aber will sie nach Lampedusa? „Ich bin privilegiert, komme aus einem sicheren Land“, sagt Kleinehanding. Wäre sie woanders geboren, vielleicht würde dann auch sie jetzt in einem Flüchtlingsboot nach Europa sitzen und auf Freiheit und eine bessere Zukunft hoffen. Ihre Hilfe sei sicher nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, sagt sie, „trotzdem möchte ich etwas tun, nicht nur hier sitzen und drüber reden.“

„Wir wollen dieser Ohnmacht, die uns immer wieder vermittelt wird, entgegen treten“, sagt auch Trabert: „Man könnte sehr viel mehr Boote retten, wenn man wollte.“ Trabert will, und so sagte er Ja, als ihn Höppner im April fragte, ob er, Trabert, der medizinische Koordinator der Sea Watch werden wolle. Seither organisiert Trabert Medikamente und Rettungswesten, gehen Transporte nach Lampedusa. Trabert steht in engem Kontakt mit der Crew, drei Einsätze hat die Sea Watch schon hinter sich.

Sea Watch Beiboot auf dem Weg zum Einsatz - Foto Sea Watch
Mit dem Beiboot geht’s zum Flüchtlingsschiff – Foto: Sea Watch

Der alte Kutter kreuzt in einem Dreieck zwischen Lampedusa, Libyen und Tunesien und hält Ausschau nach Flüchtlingsbooten in Not. Sechs Einsätze hatte die Sea Watch gleich beim zweiten Turn, rettete mehr als 600 Flüchtlinge in vierzehn Tagen. Beim dritten Turn waren es über 100 Menschen, sie dümpelten in einem Schlauchboot auf dem Meer, das bereits Luft verlor, berichtet Trabert: „Das Boot sank schon…“ Was Menschen erlebt haben müssten, um zu so einer Reise bereit zu sein, so ihr Leben zu wagen…

Selbst Flüchtlinge an Bord nehmen kann die Sea Watch nicht, mit 20 Metern Länge ist sie einfach zu klein. Stattdessen wird ein Beiboot ausgeschickt, das die Situation auf dem Flüchtlingsboot erkundet, Trinkwasser und Rettungswesten verteilt. Befürchtungen, die Flüchtlinge würden ins Wasser springen und zur Sea Watch schwimmen, hätten sich nicht bewahrheitet, sagt Trabert: „Die allermeisten können nämlich gar nicht schwimmen.“

Auch Rettungsinseln hat die Sea Watch an Bord, die medizinische Ausstattung ist gerade aufgestockt worden, um im Notfall auch bei Geburten helfen zu können – auf den Booten gebe es viele schwangere Frauen, sagt Trabert. Der Kutter ist dann so lange vor Ort, bis ein Rettungsschiff eintrifft.

Rettungsinseln der Sea Watch - Foto Sea Watch
Rettungsinseln der Sea Watch – Foto: Sea Watch

Denn die Sea Watch meldet die Boote „nur“ an die Koordinierungsstelle für Seenotrettung in Rom (MRCC), von dort wird die Rettung eingeleitet. Die Zusammenarbeit mit der italienischen Küstenwache sei nach anfänglichem Misstrauen inzwischen gut, sagt Trabert: „Die finden es interessant, dass wir Ärzte an Bord haben.“ Einen engen Kontakt gebe es zu zwei Schiffen von Ärzte ohne Grenzen sowie zur Organisation „Watch the Med“ – Beobachtet das Mittelmeer. Das Leid der Menschen, es bewegt.

Harald Höppner wiederum war jener Mann, der im April mit einer spontanen Schweigeminute für Aufsehen in der Talkshow von Günther Jauch sorgte. Als Höppner das Projekt Sea Watch ins Leben rief, war die EU-Seenotrettungsaktion „Mare Nostrum“ gerade eingestellt worden. „Einen Skandal“ nennt das Trabert, „jeder hat gewusst, dass da jetzt Menschen sterben werden.“ Mehr als 150.000 Flüchtlinge wurden durch die EU-Mission gerettet, wie viele seither gestorben sind, weiß niemand. Die Folgemission „Triton“ sei viel zu stark beschränkt kritisiert Trabert, der Einsatz gegen Schlepper der falsche Ansatz: „Es ist ja nicht die Lösung des Problems, das zu kriminalisieren.“

Das Ziel der Sea Watch ist denn nicht nur, Menschen zu retten, sondern auch Aufmerksamkeit für das Problem des Tods im Mittelmeer wecken. „Wir wollen erreichen, dass die EU wieder ein humanes Rettungskonzept bekommt“, sagt Trabert. Mare Nostrum müsse reaktiviert werden, legale Wege der Einwanderung nach Europa geschaffen werden, Motto „Fähren statt Fronten.“ Und die Sea Watch will auch dokumentieren, wie lange die Küstenwache braucht, um zur Rettung vor Ort zu sein. In der Vergangenheit habe es wiederholt den Eindruck gegeben, „dass man sich nicht gerade beeilt“, sagt Trabert.

Trabert mit Medikamenten für Sea Watch in Hamburg - Foto privat
Trabert bei der Lieferung von Medikamenten für die Sea Watch in Hamburg – Foto: privat

„Wir haben allen Stellen ganz klar kommuniziert, wer wir sind und was wir wollen“, betont der Mainzer Arzt, auch habe man Rechtsanwälte mit Kenntnis in Seerecht vor Ort – ein Vorfall, wie damals, als die Helfer der Cap Anamur als Schlepper verhaftet wurden, soll sich nicht wiederholen. Ihr erinnert Euch: Elias Bierdel hatte davon einen beeindruckenden Bericht auf dem Open Ohr abgegeben. In Malta übrigens, sei es unmöglich gewesen, für die Sea Watch einen Liegeplatz zu bekommen, sagt Trabert: „In Lampedusa war die Sea Watch hingegen sofort willkommen.“

Trabert wird nun erst einmal vierzehn Tage lang mit der Sea Watch unterwegs sein, länger sei bei dem Stress auf dem engen Schiff nicht machbar. Am 17. August will Trabert, wenn alles klappt, wiederkommen – und am 18. August direkt von seinen Erfahrungen berichten. Eigentlich, sagte Kleinehanding noch, dürfe es solche Einsätze gar nicht geben, nur – bis das der Fall sei, „solange können wir nicht warten.“ Wenn die Rettung über die EU endlich wieder funktioniere, sagte Trabert noch, „dann sind wir gerne wieder weg.“

Info& auf Mainz&: Mehr über Gerhard Trabert und den Beginn der Sea Watch-Mission könnt Ihr im Mainz&-Artikel Trabert hilft bei Flüchtlingsrettung lesen. Die Sea watch findet Ihr im Internet genau hier, Traberts Verein Armut und Gesundheit hier. Der Sea Watch könnt Ihr auch auf Twitter folgen, sie twittert unter @seawatchcrew.

HINTERLASSEN SIE EINEN KOMMENTAR

Bitte geben Sie Ihren Kommentar ein!
Bitte geben Sie hier Ihren Namen ein