Heute wird er 90 Jahre alt, sein Markenzeichen sind sein Lachen und seine ewige Freundlichkeit und Liebe, und doch bahnt sich um ihn ein Drama an: Die Anhänger des XIV. Dalai Lama bangen um seine Wiedergeburt, und damit den Fortbestand dieses Pfeilers ihrer Kultur und Traditionen. „Hat die Welt den Dalai Lama vergessen?“ fragt nun aber ein Buch, das in Hessen entstand, und das aus guten Gründen: Rund 50 Mal hat Seine Heiligkeit in den vergangenen Jahrzehnten das Bundesland Hessen besucht – so oft, wie kaum ein anderes Land. Dort hält ihm ein Freundeskreis um Ex-Ministerpräsident Roland Koch (CDU) die Treue. Und Koch betont: „Die Mission darf nicht enden.“

Erinnerung an die Besuche des Dalai Lama in Hessen und seine großen Vorlesungen im Wiesbadener Kurpark. Fotos aus dem Buch "Hat die Welt den Dalai Lama vergessen?" - Foto: gik
Erinnerung an die Besuche des Dalai Lama in Hessen und seine großen Vorlesungen im Wiesbadener Kurpark. Fotos aus dem Buch „Hat die Welt den Dalai Lama vergessen?“ – Foto: gik

Es ist Juli 2005, und 18.000 Menschen sind in den Kurpark nach Wiesbaden gekommen, um einem Mann zuzuhören. Der kleine Mann in der dunkelrot-orangenen Robe lächelt, winkt und strahlt. Und er gestikuliert, man möge sich setzen: „Denken Sie nicht, dass ich etwas Besonderes wäre“, sagt der Mann, der sich selbst als einfachen Mönch beschreibt, und der doch so viel mehr ist: Friedensnobelpreisträger, Friedensstifter, und vor allem das religiöse Oberhaupt von rund 7 Millionen Tibetern.

Der freundliche ältere Herr lacht viel und lächelt fast permanent, er predigt „den Wert der Freundlichkeit“ und mahnt vor der einseitigen „Konzentration auf das Ich“ und auf materielle Werte – und die Menge lauscht andächtig und gebannt. „Er ist nicht aufgesetzt-freundlich, sondern eine Persönlichkeit, die Menschen extrem zugewandt ist, und die Menschen in sich aufnimmt“, sagt Roland Koch, bis 2010 Ministerpräsident des Landes Hessen – und warnt: „Die Gefahr, dass der Dalai Lama vergessen wird, ist groß.“

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Der Dalai Lama und Hessen – eine besondere Freundschaft

Im Nachbarland Hessen hat man eine besondere Beziehung zu dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter: Mehr als 50 Mal besuchte der Dalai Lama Hessen, „wir waren für ihn ein wichtiger Anlaufpunkt in der Welt“, sagt Koch. Der Dalai Lama hielt Reden im Hessischen Landtag, besuchte den Hessenpark und schlenderte durch den Klostergarten in Seligenstadt. Er hielt Vorlesungen in Universitäten, erhielt Ehrendoktorwürden und segnete das Tibethaus in Frankfurt – nur eines von drei weltweit, die seine Heiligkeit persönlich segnete.

Seine Heiligkeit, der Dalai Lama, in einer Videobotschaft zu seiner Nachfolge kurz vor seinem 90. Geburtstag. - Screenshot: gik
Seine Heiligkeit, der Dalai Lama, in einer Videobotschaft zu seiner Nachfolge kurz vor seinem 90. Geburtstag. – Screenshot: gik

Und immer wieder traf er Roland Koch zu Gesprächen, oft in aller Frühe am Frankfurter Flughafen, wenn der Dalai Lama auf dem Weg in die Welt einen Zwischenstopp einlegte. 1987 trafen sich Roland Koch und der Dalai Lama zum ersten Mal, Koch war damals noch ein kleiner Politiker der Jungen Union. 2004 besuchte Roland Koch, inzwischen Ministerpräsident von Hessen, den Dalai Lama in seinem indischen Exil in Dharamsala, 2007 gründeten Mitreisende in Kochs Delegation den Verein „Freunde für einen Freund“ – einen Unterstützerverein für den Dalai Lama.

Der Mann, der für das autoritäre Regime in China Sprengstoff ist – Roland Koch lud ihn immer wieder ein, egal wie vehement China protestierte. 2005 ehrte er den Freund aus dem fernen Osten gar mit dem Hessischen Friedenspreis, immer wieder mahnte Koch öffentlich und laut Beachtung für das Schicksal Tibets an, auch in Zeiten, in denen das politische Berlin es nicht wagte, den Dalai Lama zu empfangen. Eine Freundschaft zu China dürfe „nicht den Preis haben, dass eine friedliche Kultur untergeht“, warnte Koch hingegen 2015 beim Besuch des Dalai Lama zu dessen 80. Geburtstag in Wiesbaden.

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Große Sorgen: Hat die Welt den Dalai Lama vergessen?

Jetzt, zum 90. Geburtstag des Dalai Lama, machen sie sich hier in Wiesbaden große Sorgen um das Oberhaupt der Tibeter und den Fortbestand der Institution des Dalai Lama. „Hat die Welt den Dalai Lama vergessen?“ fragt der Titel eines Buches, das der ehemalige Chefredakteur des Wiesbadener Kuriers, Stefan Schröder, im Auftrag des Freundeskreises für den Dalai Lama geschrieben hat. Schröder hat zahllose Anekdoten rund um die Reisen des Dalai Lama in Hessen gesammelt, er erinnert an persönliche Begegnungen, an Reisen und Preise, an den großen Zauber des kleinen Mönches aus Tibet – und an den anhaltenden „kulturellen Genozid“ an den Tibetern.

Kämpfen gegen das Vergessen des Dalai Lama an (von links): Sondergesandter Kelsang Gyaltsen, Ex-Ministerpräsident Roland Koch, Frank Auth, Vorsitzender von "Freunde für einen Freund" und Buchautor Stefan Schröder. - Foto: gik
Kämpfen gegen das Vergessen des Dalai Lama an (von links): Sondergesandter Kelsang Gyaltsen, Ex-Ministerpräsident Roland Koch, Frank Auth, Vorsitzender von „Freunde für einen Freund“ und Buchautor Stefan Schröder. – Foto: gik

Denn das Schicksal der Tibeter ist lange schon von anderen Krisen in den Hintergrund gedrängt worden. 1951 besetzte das mächtige Nachbarland China das kleine Tibet, 1959 kam es zum Aufstand der Tibeter – in der Folge musste der Mann fliehen, der damals auch das weltliche Oberhaupt der Tibeter war: Tenzin Gyatso, 1935 als Sohn einer Bauernfamilie geboren, und im Alter von zwei Jahren als XIV. Reinkarnation des Dalai Lama anerkannt, mit fünf Jahren inthronisiert. Seit seiner Flucht aus China lebt der Dalai Lama im indischen Exil in Dharamsala, Jahrzehnte lang warb er für eine Autonomie der Tibeter unter chinesischer Herrschaft – vergeblich, und oft dafür kritisiert, dass er nicht die volle Unabhängigkeit forderte.

Denn die Tibeter werden seit Jahrzehnten brutal unterdrückt, sie dürfen ihre Sprache nicht sprechen, ihre kulturellen Merkmale werden für Touristen verramscht. Und nun nimmt China auch noch für sich in Anspruch, den nächsten Dalai Lama zu bestimmen, jemanden einzusetzen, der eine Marionette der kommunistischen Partei wäre, treu gegenüber China. Es gehe „um das Überleben eines ganzen Volkes“, sagt Kelsang Gyaltsen, langjähriger Sondergesandter des Dalai Lama in Europa. Für Tibeter sei es „völlig unverständlich“, dass eine kommunistische Partei das religiöse Oberhaupt einer Glaubensgruppe bestimmen wolle, sagt Gyaltsen: „Die große Mehrheit der Tibeter wird einen chinesischen Dalai Lama niemals akzeptieren.“

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China will nächsten Dalai Lama selbst bestimmen

Nur: China ficht das nicht an, was also wird aus Seiner Heiligkeit und den Tibetern, wenn der XIV. Dalai Lama stirbt? Am Mittwoch vor seinem Geburtstag äußerte sich Seine Heiligkeit selbst zu der Frage: Ja, er sei bereit zur Wiedergeburt, die Institution des Dalai Lama werde fortbestehen, sagte Seine Heiligkeit in der ersten Videobotschaft seit langer Zeit. Und unterstriche explizit: Einzig die von ihm gegründete gemeinnützige Organisation Gaden Phodrang Trust in Dharamsala verfüge über die Autorität, den nächsten Dalai Lama zu suchen und zu erkennen. Das darf man getrost als Kampfansage gegenüber China verstehen.

Buchvorstellung in Wiesbaden mit Autor Stefan Schröder, Ex-MP Roland Koch, dem Sondergesandten Kelsang Gyaltsen und Frank Auth (von links). - Foto: gik
Buchvorstellung in Wiesbaden mit Autor Stefan Schröder, Ex-MP Roland Koch, dem Sondergesandten Kelsang Gyaltsen und Frank Auth (von links). – Foto: gik

Gyaltsen zeigte sich nicht überrascht: „Solange Zeit und Raum bestehen, so lange es das Universum gibt, so lange will ich immer wiedergeboren werden, um das Leid der Lebewesen zu lindern“ – so laute das tägliche Gebet des Dalai Lama, berichtete er gegenüber der Internetzeitung Mainz&. Daraus schöpfe der Dalai Lama seine Kraft und seine Hoffnung – Hoffnung, die sein unterdrücktes Volk der Tibeter so bitter nötig hat.

„Nur die bewaffneten Konflikte finden jeden Abend Erwähnung in den Nachrichten“, schreibt Frank Auth, Vorsitzender des Vereins „Freunde für einen Freund“ in seinem Vorwort zu Schröders Buch: „Ist es das, was wir wollen?“ Warum, fragt sich Auth, „hat das einzige Volk, das weltweit seit 70 Jahren gewaltfrei Widerstand leistet gegen eine Besetzung seines Landes und eine Verdrängung ihrer kulturellen Identität  – warum findet dieses Volk immer weniger Gehör in der Öffentlichkeit?“ Mit dem neuen Buch wolle der Verein daran erinnern, „dass es einen Menschen gibt, der seit vielen Jahrzehnten für Gewaltfreiheit einstehe, für das friedliche Miteinander aller Menschen.

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Buch voller Anekdoten: Weiße Schals, Scherze, Berührungen

„Wenn man ihm begegnet, dann spürt man, dass er dieses Mitgefühl wirklich lebt und ausstrahlt“, sagt Auth, und tatsächlich ist das Buch aus Hessen voller kleiner Anekdoten und Geschichten darüber, wie der kleine Mönch andere Menschen bezaubert. Da ist der frühere Personenschützer, der berichtet, er habe noch heute zu Hause zahlreiche weiße Schals und Bändchen von den Besuchen Seiner Heiligkeit in einer Vitrine bei sich zu Hause. „Er war ganz anders als andere“, berichtet Joachim Zimmermann, „er war immer freundlich, hatte immer einen Scherz auf den Lippen.“

Bei einer Autofahrt hielt der Dalai Lama die ganze Zeit die Hand seines Sohnes fest,. berichtet Personenschützer Zimmermann – obwohl der am Steuer saß. „Gott sein dank war es ein Automatik“, erinnert er sich schmunzelnd. Überhaupt der Körperkontakt: Händchen haltend, so präsentierte sich der Dalai Lama auch mit Kochs Nachfolger, Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und dessen Frau bei seinen Besuchen in Hessen. Stets nahm der Dalai Lama Körperkontakt zu seiner Umgebung auf, die Hand auf dem Arm , die Finger fest haltend. „Er ist sehr neckisch“, berichtet Gyalsten: „Er fasst Menschen an, zieht sie am Bart, streicht ihnen über den Kopf. Das ist seine Art, sein Umgang mit anderen.“

„Es ist ein Stück Oral History“, sagt Autor Schröder, der gut ein Jahr lang den vielen Geschichten rund um den Dalai Lama nachspürte, und sie auf gut 200 Seiten präsentiert. Doch Schröder vergisst niemals, worum es dabei geht: „Die Unterdrückungsmethoden des chinesischen Regimes innerhalb Tibets werden filigraner und autoritärer“, schreibt er: „Wer innerhalb Chinas für Tibet aufsteht, riskiert Leib und Leben. Wer sich außerhalb des Landes mit dem Dalai Lama und seinem Volk solidarisiert, ist sofort mit subtilen oder brachialen Repressionen konfrontiert.“

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Die Reinkarnation des Dalai Lama – ein Politikum

Bei einem weiteren Besuch in Hessen plauderte er mit einer jungen Frau über ihre Reisen und sagte unvermittelt: „Da sind wir uns vielleicht begegnet – vor 600 Jahren.“ Die Reinkarnation sei „in erster Linie ein Akt des Glaubens“, betonte Gyaltsen nun in Wiesbaden, das habe nichts mit Regierungen und nichts mit Politik zu tun. Nur dass es das heute eben doch ist, das weiß auch der Gesandte Seiner Heiligkeit ganz genau. Der Dalai Lama habe einmal gesagt, bevor sich die Chinesen mit seiner Reinkarnation beschäftigten, sollten sie doch erst einmal die von Mao Tse Tung finden, berichtet Gyaltsen, und betont: „Es wird darauf ankommen, ob die restliche Welt einen chinesischen Dalai Lama anerkennt oder nicht.“

Der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) im Interview mit RTL und Mainz&. - Foto: gik
Der frühere hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) im Interview mit RTL und Mainz&. – Foto: gik

Es gibt ein prominentes Beispiel: Als der Panchen Lama, ein weiteres hohes religiöses Oberhaupt der Tibeter starb, ließ die chinesische Regierung dessen als Reinkarnation anerkannten Nachfolger verschwinden, das war vor 30 Jahren. Der von China ernannte „Panchen Lama“ hingegen wird bis heute weder von den Tibetern selbst, noch vom Rest der Welt anerkannt. „Die Kalkulation des chinesischen Regimes wird auch beim Dalai Lama nicht aufgehen“, hofft Gyaltsen, und betont: Wenn die Welt es Ernst meine mit der Religionsfreiheit – „Hier können sie ein Zeichen setzen.“

„Die Mission darf nicht enden“, fordert auch Roland Koch in seinem Nachwort zu Schröders Buch, denn eines habe er von Tensin Gyatso gelernt: Resignation und Aufgabe sei keine Option, „im Kreislauf der Geschichte der Menschen verliert nur der, der aufgibt.“  Er habe „nie jemanden erlebt, der tiefgründig optimistischer ist als er“, sagte Koch in einem Interview gegenüber Mainz& und dem TV-Sender RTL – das müsse man vielleicht auch, „um diese Last tragen zu können, die auf seinen Schultern liegt.“

Der Dalai Lama habe immer ein großes Interesse an anderen Kulturen gehabt, eine ungeheure Neugier, „in unser Leben einzudringen, das habe ich sehr praktisch erlebt“, erzählte Koch. Und ja, er habe auch selbst etwas von dem Dalai Lama mitgenommen: Ein Stück Gelassenheit und die Fähigkeit, in längeren Perspektiven zu denken – und einen ganz besonderen Eindruck von seiner Aura: „Immer, wenn er irgendwo erschien,– man mag es glauben oder nicht – wurde die Welt dort, wo er war, ein Stück friedlicher, ruhiger, faszinierender.“

Info& auf Mainz&: Das Buch „Hat die Welt den Dalai Lama vergessen – Ein Rückblick auf 40 Jahre Freundschaft in Hessen und was sie bewegt hat“ ist im Herder Verlag erschienen und kostet 28,- Euro. Wenn Ihr mögt, könnt Ihr das Buch über diesen Link hier bei Amazon kaufen, dann erhält Mainz& eine klitzekleine Provision (Affiliate Link).

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