Ihr Markenzeichen: ihre schwarzen Locken. Dazu die unverkennbare, leicht raue Stimme und der Klartext in reinstem Meenzer Dialekt: keine Frage, das kann nur Helga Naß sein. Gefühlt ganz Mainz kennt die Kultwirtin, deren Schänke an der Mombacher Straße wohl die letzte echte Bierkneipe ist. Die älteste inzwischen sowieso: Am Samstag feierte Helga 4 x 11 Jahre Jubiläum, und halb Mainz gab sich die Ehre.
„Das hier war die älteste Fahrschule von Mainz, die Fahrschule Berg, und eine Aral Tanke war hier“, sagt Helga Naß, und zeigt auf ihre Stube. Es begann im Jahr 1980, da übernahm die junge Einzelhandelskauffrau eine rudimentäre Trinkhalle. „Zwei Autoreifen und ein Holzbrett waren eine Bank, drei Reifen und ein Brett ein Tisch“, erinnert sich Helga. Heute ist die Stube holzgetäfelt, an der Wand hängen Holzschnitte von Mainz, hinter der Theke prangt eine stattliche Anzahl von Whisky- und Schnapsflaschen. „Das ist die exklusivste Auswahl von Whisky und Bränden, die de in Meenz kriegen kannst“, betont Helga.
Wer hierher kommt, sollte besser Meenzerisch verstehen, die Wirtin babbelt, wie ihr „der Schnabel gewachsen ist“. Klartext gibt’s hier zum Bier und zum Schnitzel, die Karte ist genauso bodenständig wie die Wirtin selbst: Helga Naß ist gebürtige Mainzerin, aufgewachsen in Gonsenheim, wo sie in die Gleisbergschule ging. Der Vater hatte ein Unternehmen für Automaten wie Flipper, Musikbox oder Unterhaltungsgeräte, eigentlich sollte Töchterchen Helga die Firma mal weiterführen. Doch als der Vater starb, führte Tochter Helga bereits seit 1,5 Jahren die Trinkhalle an der Mombacher Straße – und blieb.
Aus der Trinkhalle in der Garage wurde eine Kult-Gaststätte
Bestimmt 15 Mal habe sie in den vergangenen 44 Jahren umgebaut, erzählt Helga beim Besuch von Mainz&. Zuletzt baute sie in der Corona-Pandemie um. „Als andere auf der faulen Haut saßen“, grummelt sie, „ich hab‘ richtig Geld in die Hand genommen.“ Neue Toiletten gab es damals, und einen neuen Biergarten, der im Innenhof zwischen der Gaststätte und den Nachbarhäusern liegt. „Ich fühle mich hier wohl“, sagt Helga, „hier hängt mein Herz drin.“
Das Gelände ist ein wahres Relikt Mainzer Nicht-Stadt-Entwicklung in einer Zeit, in der eigentlich noch jede kleinste Baulücke in Mainz zu neuem Wohnraum umgebaut wird. „Bomben und Römer“, sagt Helga knapp zur Begründung, warum sie und ihre Kneipe überhaupt noch da sind: Die Mombacher Straße und ihre Gaststätte liegen gleich im Rücken des Mainzer Hauptbahnhofs, im Zweiten Weltkrieg wurden hier massenhaft Bomben der Alliierten abgeworfen. Und Römerfunde habe es in der Nachbarschaft auch schon gegeben, verrät Helga – das Gelände wäre für Investoren wohl ein ziemliches Risiko.
44 Jahre feiert Helga deshalb nun an diesem Samstag, und natürlich ist das närrische Jubiläum kein Zufall: Die Wirtin mit den schwarzen Locken ist eingefleischte Fastnachterin. Wohl an die zehn Mal war sie schon in der Fernsehsitzung von „Mainz bleibt Mainz“, und wurde da natürlich auch vom Sitzungspräsidenten begrüßt. „Bei Helga“ geben sich Garden und Fastnachtsvereine die Biergläser in die Hand, hier wird das Programm des Jugendmaskenzugs verkündet, und 2024 adelten sie die Alternativfastnachter der Meenzer Drecksäck mit einem prominenten Auftritt von Wirtin und Kneipe im Eröffnungsfilm.
„Star of Fame“ von Heinz Meller, Gautschbrief, Lied von Stefan Mross
Wobei „adelt“ nun wirklich das falsche Wort für die Kultkneipe ist: „Bei Helga“ ist womöglich die letzte wirklich demokratische Kneipe, wo der Unternehmer im Anzug neben dem Handwerker sitzt. „Wenn de Gassekehrer und der Bankdirektor nebeneinander stehen, da hat die Chemie immer gestimmt“, sagt Helga. Karten spielen, nach dem Sport ein Bierchen zischen oder einfach im Sommer draußen abhängen, bei Helga trifft sich die Nachbarschaft ebenso wie die Schüler der BBS am Hartenberg oder die After Work-Ausspanner vom SWR.
Die Öffnungszeiten? Eher unkonventionell. Offen ist, wenn Helga da ist. „Wenn Du Dich draußen hinhockst, ist der Biergarten eröffnet“, sagt Helga. Livemusik gibt es hin und wieder auch, Rick Cheyenne spielt gerne und regelmäßig hier, in der Fastnachtszeit kommt auch mal eine Guggemusik-Kapelle vorbei. Mit Meenzer Humor werde hier agiert, sagt Helga trocken. An der Wand hängt ein „Star of Fame“, den schenkte ihr einmal Bohnebeutel-Chef Heinz Meller. Auf den Simsen unter der Decke stehen alte Bierkrüge und Teller mit Wappen alter Mainzer Brauereien
An der Johannisnacht und an der Fastnacht trinkt Mainz ein Bier an dem Ausschankwagen von Helga, der steht immer in der Ludwigsstraße, Ecke Weißliliengasse, seit Jahrzehnten. An Weihnachten schenkt sie Glühwein auf dem Schillerplatz, direkt am Schillerdenkmal aus, der Glühwein kommt vom Weingut der Stadt Mainz, von dem sie auch ihren Wein bezieht. „In eine Kneipe gehört Bier und e Woi“, sagt Helga fest.
2017 widerfuhr ihr eine besondere Ehre: Helga Naß wurde so richtig nass gemacht. „Ich bin die einzige Mainzer Wirtin, die gegautscht worden ist“, sagt sie stolz – es war ein klares Zeichen dafür, wie wichtig die Institution Helga für die Stadt ist. 2018 lud sie Schlagersänger Stefan Mross in seine Sendung ein, „als Mainzer Original“, wie Helga stolz sagt. Mross sang sogar ein Lied auf sie, der Text hängt bei Helga hoch oben an der Wand.
Wie alt sie ist, verrät die resolute Wirtin übrigens nicht. „Näää“, sagt sie, das sage sie nicht. „Das schreibste aber nicht“, ist ihr Lieblingssatz in unserem Interview: Viel will sie über sich nicht verraten. „Mein Hobby ist die Kneip‘ und meine Feste“, sagt sie nur. Wie lange sie noch weiter machen will? „Bis 111″, sagt sie nur. Hat sie jemals darüber nachgedacht, etwas anderes zu machen? Helga guckt nur irritiert, mit der Frage kann sie so gar nichts anfangen. “ Wenn de nach 44 Jahren nicht angekommen bist“, sagt sie nur, „dann haste wirklich was falsch gemacht.“
Info& auf Mainz&: Das Jubiläum „44 Jahre bei Helga“ wird am Samstag, den 27. April 2024 ab 15.00 Uhr gefeiert. Natürlich „Bei Helga“ in der Mombacher Straße 37.