Die Mainzer Johannes Gutenberg-Universität wird in diesem Jahr 70 Jahre alt und feiert ihre Wieder-Gründung nach dem Zweiten Weltkrieg. Am 15. Mai 1946 nahm die nun nach dem Buchdruckerfinder Johannes Gutenberg benannte Hochschule in einer ehemaligen Luftwaffenkaserne ihren Lehrbetrieb auf. Zum 70. Geburtstag sprach Mainz& mit Uni-Präsident Georg Krausch über Exzellenz, Historie, verfallende Nachkriegsgebäude, Bologna-Reform, künftige Kooperationen und rheinhessischen Rotwein.

Eingang Uni Mainz
Die Mainzer Johannes-Gutenberg-Univeristät wurde vor 70 Jahren wieder gegründet – in einer ehemaligen Kaserne, heute das Forum – Foto: gik

Krausch ist seit dem 1. April 2007 Präsident der JoGu, der Physiker gehört zu den modernen Vertretern des Wissenschafts-Managers. Die JoGu ist eigentlich eine der alten Universitäten in Deutschland: Gegründet 1477 von Kurfürst Adolf II. von Nassau, wurde die Hochschule jedoch 1798 durch die Franzosen aufgelöst – und 1946 ironischerweise durch die Franzosen wiedergegründet. 70 Jahre danach ist die JoGu mit rund 33.000 Studierenden die größte Universität in Rheinland-Pfalz und gehört zu den 20 besten in Deutschland.

Doch der Uni Campus oberhalb der Innenstadt hat durchaus Probleme – vor allem mit maroden Bauten aus den 1960er Jahren. Viel zu tun also auch für den neuen rheinland-pfälzischen Wissenschaftsminister Konrad Wolf, der heute im Mainzer Landtag vereidigt wird – Wolf war bisher Präsident der Hochschule Kaiserslautern.

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Frage: Herr Krausch, die Mainzer Universität feiert ihren 70. Geburtstag – und im März mussten Sie den Bücherturm der Universitätsbibliothek sperren. Wie schlimm steht es um die Bausubstanz an der Universität Mainz?

Krausch: Das haben wir uns auch nicht gewünscht. Die Feuerwehr hatte die Schließung des Bücherturms für den Publikumsverkehr für erforderlich gehalten, da eine weitere Nottreppe fehlte. Der Landesbetrieb Liegenschafts- und Baubetreuung hat die Treppe dann in Windeseile errichtet, nach vierzehn Tagen war der Bücherturm wieder offen.

Leer stehende Chemiebarracke in Campusmitte Uni Mainz - Foto Kirschstein
Handlungsbedarf: Leer stehende Chemiebarracke in der Mitte des Campus der Uni Mainz – Foto: gik

Frage: Ist das ein Symptom für die marode und veraltete Gebäudestruktur, die ja zu einem Gutteil aus den 1960er Jahren der Uni stammt?

Krausch: Unsere Gebäudestruktur ist sehr vielfältig, die Uni ist ja stetig gewachsen Und es wäre unfair zu sagen, das Land hätte sich in den letzten zehn Jahren nicht angestrengt: es wurden mehr als 500 Millionen Euro in Neubauten investiert, viele Probleme sind so gelöst worden. Aber in der Tat bleibt die Herausforderung, mit dem restlichen Bestand umzugehen, insbesondere mit den vielen Altbauten, die wie der Bücherturm aktuellen Anforderungen an Hochschulbauten nicht mehr entsprechen.

Frage: Sie haben in einer Diskussion zum Jubiläum gesagt, wir verrammeln jetzt leer stehende Gebäude im Erdgeschoss, solche Anblicke drückten schon auf die Stimmung auf dem Campus.

Krausch: Es ist in der Tat so, dass die Mittel für Bauinvestitionen nicht mehr im erforderlichen Umfang zur Verfügung stehen, wohl wegen der Schuldenbremse. Das führt auch dazu, dass Gebäude, die nicht mehr genutzt werden, erst mal nicht abgerissen werden – wie zum Beispiel die alte Chemie in der Campusmitte. Typischerweise werden die Fenster im Erdgeschoss mit Holz verplankt, um Vandalismus vorzubeugen. Solche Gebäude werden dann auch gerne mit Graffiti besprüht. Das gibt dem Campus in der Tat ein unschönes Flair. Uns wäre da ein schöner Platz mit Wiese natürlich lieber. Aber es wird ja weiter gebaut: derzeit zum Beispiel das Biomedizinische Forschungszentrum, ein Neubau für die Biologie, das Paul-Klein-Zentrum für Immunologie, durch den LBB und in wachsendem Maße durch die Universität selbst.

Marodes Philosophicum Uni Mainz - Foto Kirschstein
Marode, mit Asbest verseucht: das Philosophicum, Heimat der Geisteswissenschaftler auf dem Campus der Uni Mainz – Foto: gik

Frage: Es gibt aber auch noch eine Reihe von Baustellen….

Krausch: Richtig, dazu gehört sicher das Philosophicum, auch das Hochhaus der früheren Naturwissenschaftlichen Fakultät oder die Zentralbibliothek. Die Bibliothek beispielsweise ist von 1964, aus den verschiedensten Gründen wäre da ein Neubau notwendig – eine moderne Bibliothek ist ganz anders ausgelegt und muss heute auch eine Vielfalt unterschiedlicher studentischer Arbeitsplätze bieten. Die Mitte des Campus wäre dafür der richtige Ort, und wenn man jetzt in die konkrete Planung ginge, wäre eine neue Zentralbibliothek zum 75. Geburtstag nicht unrealistisch.

Frage: Wo und wofür steht die Uni Mainz im 70. Jahr nach ihrer Neugründung?

Krausch: Bei der letzten Exzellenzinitiative war Mainz unter den letzten 16 von 110 Universitäten, die sich um die Krone der sogenannten ‚Eliteuni‘ bewerben durften. Dass wir so weit gekommen sind, hätten viele gar nicht erwartet. Wir sind eine Volluniversität, die das gesamte Spektrum von der Ägyptologie bis zur Zahnmedizin abdeckt. Und trotzdem haben wir Exzellenzschwerpunkte in der Kern- und Teilchenphysik, in der Materialforschung und in der Medizin gebildet, da haben wir Spitzenforschung auf dem Niveau von Harvard und Stanford. Nur dass die zehnmal so viel Geld haben wie wir.

Stark sind wir auch in den Sozial- und Kulturwissenschaften, den alten Kulturen und der Medienforschung. Und ein Alleinstellungsmerkmal ist sicherlich, dass uns die Lehre genauso wichtig ist wie die Forschung. Neben dem Exzellenzkolleg für die Forschung haben wir auch ein Exzellenzkolleg für die Lehre, und neben dem Dies Academicus den Dies Legendi, an dem innovative Lehrkonzepte vorgestellt, diskutiert und ausgezeichnet werden.

Uni Mainz - Neues Gebäude für PoWi
Schicker Neubau: Gebäude der Politikwissenschaftler und Publizisten auf dem Campus der Uni Mainz – Foto: gik

Frage: Die Uni ist ja mit 33.000 Studierenden sehr groß, geht das Wachstum weiter?

Krausch: Ich denke nicht, dass wir noch eine ernsthafte Zunahme an Studierenden haben werden, das gibt die Demografie nicht her. Und wie sinnhaft es ist, dass noch ein größerer Prozentsatz eines Jahrgangs ein Hochschulstudium absolviert, wird zu diskutieren sein – wir sind jetzt bereits bei über 50 Prozent.

Frage: Die letzte große Umwälzung war ja die Bologna-Reform, einer Ihrer Vorgänger sagte kürzlich, da seien viele Fehler gemacht worden.

Krausch: Ich glaube, dass die Reform in manchen Bereichen nötig war, ob sie flächendeckend nötig war, kann man diskutieren. Wir haben die Reform vielleicht auch mit etwas zu viel deutscher Gründlichkeit umgesetzt. Wir hatten ja vor einigen Jahren die Studentenproteste mit Besetzung der Alten Mensa. Wir haben daraufhin noch einmal alle Bachelor-Studiengänge hinterfragt unter starker Einbeziehung der Studierenden. Defizite wurden erkannt und sind behoben worden, wir versuchen zudem seit Jahren, wieder mehr studentische Freiheit zu ermöglichen. Ich glaube aber auch, dass wir einem großen Teil der Studierenden mit einem etwas verschulteren Studium entgegen kommen. Und ich glaube, dass die Zufriedenheit der Studierenden jetzt nicht wesentlich anders ist als vor zehn Jahren.

Frage: Aber bleiben nicht in den neuen, verschulten Lehrplänen freie Entfaltung und Persönlichkeitsentfaltung auf der Strecke?

Universitätsbibliothek Uni Mainz - Foto Kirschstein
Eine neue Universitätsbibliothek steht ganz oben auf der Wunschliste von Unipräsident Kausch – Foto: gik

Krausch: Ich finde, das schwer zu sagen. Es bilden doch die gleichen Professoren im Prinzip die gleich intelligenten Studenten aus wie früher, ich glaube da nicht an die große Veränderung. Dass wir vielleicht noch mehr Angebote machen müssen für die Kreativität, dass wir ermuntern müssen, über den Tellerrand zu schauen, das mag sein, da reden wir aber auch viel darüber. Es wird auch nicht gleich bestraft, wenn man über die Regelstudienzeit hinaus geht, ich habe damals auch nebenher Theater gespielt…

Frage: Genau das ist die Frage: Kann man das heute noch?

Krausch: Ja, warum denn nicht? Wir haben erfolgreiche Theater- und Musical-Gruppen. Wir haben ein Collegium Musicum mit 180 Sängern und 80 Instrumentalisten – die Studenten beweisen doch, dass es geht. Das Collegium Musicum ist heute größer als vor fünf Jahren, die haben keine Probleme, Nachwuchs zu finden. Als Wissenschaftler teile ich den derzeit sehr beliebten Anti-Bologna-Zeitgeist nicht ohne solide Überprüfung.

Frage: Sie haben kürzlich eine Kooperation mit den Universitäten Frankfurt und Darmstadt gegründet – liegt da die Zukunft?

Krausch: Definitiv. Bei endlichen Ressourcen wird der Konkurrenzkampf wachsen, da stellt man sich immer besser im Team auf als alleine. Mit Frankfurt und Darmstadt haben wir zwei Partner in einem anderen Bundesland, das klingt zunächst mal schwierig, ist es aber auch wieder nicht. Wären die Goethe-Universität und die Mainzer Universität in einem Bundesland, würden wir konkurrieren um das Geld des gleichen Landes – das brauchen wir so nicht. Die Darmstädter sind eine exzellente Technische Universität unter den Top 5 in Deutschland. Wir haben einfach den Eindruck, dass wir uns an vielen Bereichen gut komplementär ergänzen können und stärker werden, wenn wir gemeinsam auftreten.

Porträt Georg Krausch Präsident Uni Mainz - Foto Kirschstein
Mit großen Plänen in die Zukunft: Georg Krausch, Präsident der Uni Mainz – Foto: gik

Frage: Was konkret kann das bringen?

Krausch: Nehmen Sie Berlin oder München, dort haben sie bzw. zwei große Universitäten. Wenn man dort zu einem bestimmten Thema einen Forschungsverbund schaffen will, um Drittmittel einzuwerben, dann schauen sich die Kollegen mit großer Selbstverständlichkeit in den drei Universitäten um, wo die besten Kollegen sitzen und bilden daraus einen Forschungsverbund. Wenn ich das nur innerhalb der Uni Mainz machen kann, ist der Pool an möglichen Leuten kleiner. Wenn ich gleichzeitig nach Frankfurt und Darmstadt schauen darf, dann habe ich genau dieselben Bedingungen wie an den großen Standorten.

Auch in der Lehre ergänzen wir uns gut, gerade in den kleinen und kleinsten Fächern in den Geisteswissenschaften. Zum Beispiel in der Afrikanistik: Da haben wir und Frankfurt jeweils nur eine Professur. Wenn wir uns abstimmen, kann der eine einen Linguisten und der andere einen Literaturwissenschaftler einstellen, und beide zusammen könnten einen Studiengang stemmen, den einer allein gar nicht könnte.

Frage: Also ein Studiengang, in dem man gleichzeitig in Frankfurt und Mainz studiert?

Krausch: Wir haben auch Studiengänge gemeinsam mit Partneruniversitäten in Frankreich, Polen oder Kanada, dann wird man doch auch über den Rhein hinweg gemeinsam einen Studiengang hinkriegen. Das kann heißen, ein Semester hier und eines dort. Das kann angesichts der Nähe auch heißen, dass sich Dozenten mal in die S-Bahn setzen. Oder dass man die modernen Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen und Blended Learning Angebote machen und das eine oder andere zuspielen vom anderen Standort. Wir können damit Studienangebote ermöglichen, die wir uns alleine nicht leisten könnten. Da gibt es viel zu gewinnen.

Fest vor dem Theater - Foto gik
Wissenschaft in der Stadt – die Bande zwischen Uni und Stadt sind enger geworden – Foto: gik

Oder nehmen Sie das Thema Double Carrier: Wir wollen jemanden einstellen, und der Lebenspartner braucht auch einen Arbeitsplatz. Natürlich ist es besser, wenn wir das vernetzt machen und das ganze Rhein-Main-Gebiet als potenziellen Arbeitgeber nehmen. Auch bei Rechenzentren geht die Tendenz zu größeren Clustern, auch da ist man im Team leistungsfähiger als alleine. Die Liste könnte noch fortgesetzt werden.

Frage: Was macht Ihnen besonders Spaß an dieser Mainzer Uni in dieser Stadt?

Krausch: Die Mainzer Art zu leben und miteinander umzugehen, eine sehr unkomplizierte, herzliche, positive und offene Art. Das kommt mir sehr entgegen in meinem Beruf. Darin kann ich mich gut wiederfinden. Probleme werden hier, wenn es geht, in einfachen Wegen gelöst, nicht so formal und kompliziert.

Frage: Und Sie haben gesagt, der Rotwein ist besser geworden…

Krausch: Das ist in der Tat eine Beobachtung. Nicht, dass ich das wissenschaftlich verfolgt hätte – aber ich wäre vor 30 Jahren nicht auf die Idee gekommen, einen Rotwein aus Rheinhessen zu trinken. Ich hätte eher einen Italiener oder Franzosen bevorzugt. Heute weiß ich, dass sich da einen Menge getan hat, Quantität ab- und Qualität abgebaut wurde, gerade was den Rotwein angeht – der Riesling war ja immer schon gut. So dass man heute sagen kann, man kann exzellente, gehaltvolle Rotweine aus Rheinhessen trinken. Das war für mich eine positive Überraschung als ich vor neun Jahren wieder zurück in diese Gegend kam.

Herr Krausch, wir danken ganz herzlich für dieses Gespräch!

Info& auf Mainz&: Die Uni Mainz feiert ihr Jubiläum mit einem Feuerwerk an Veranstaltungen – mehr zur JoGu und ihren Events findet Ihr unter www.uni-mainz.de und www.70jahre.uni-mainz.de.

 

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