War der „Traubenklau“ in Rheinhessen vielleicht gar kein Verbrechen – sondern ein Versehen in der Hektik der Weinlese? Beim Deutschen Weininstitut (DWI) vermutet man genau das: „Es kommt immer mal wieder vor, dass sich Mitarbeiter im Weinberg irren, und den falschen abernten“, sagt DWI-Sprecher Ernst Büscher im Gespräch mit Mainz&. Grund könnte die aktuell laufende Weinlese sein, denn die bringe den Weingütern viel Stress: Um die Trauben gesund in die Keller zu bringen, werde Tag und Nacht gearbeitet. Den Verbrauchern winkt dafür ein exzellenter Jahrgang.

Anfang September hatten Unbekannte in Weinbergen bei Gundheim im südlichen Rheinhessen auf rund 8.000 Quadratmetern Weinbergen nahezu sämtliche erntebereite Trauben der Rebsorten Riesling und Sauvignon Blanc abgeerntet – nur: Es waren Weinberge, die ihnen nicht gehörten. Entdeckt worden sei der Traubenklau erst, als die Besitzer selbst ihre Weinberge ernten wollten, zwei unabhängigen Winzern sei ein erheblicher wirtschaftlicher Schaden in Höhe von mehreren tausend Euro entstanden, so die Polizei in Worms.
Die Täter seien „professionell und mit erheblichem logistischen Aufwand“ vorgegangen, so die Polizei weiter, es müsse „mindestens ein größeres Fahrzeug oder mehrere Transportmittel“ zum Einsatz gekommen sein. Im Deutschen Weininstitut in Bodenheim bei Mainz ließ das aufhorchen: „Für 8000 Quadratmeter Weinberg braucht man ungefähr 250 Arbeitskraftstunden von Hand – oder zwei Stunden mit dem Vollernter“, sagt DWI-Sprecher Ernst Büscher im Gespräch mit Mainz&. Und das lege nahe: Der vermeintliche Diebstahl könne auch ein versehen gewesen sein.
DWI: „Traubenklau“ womöglich Irrtum – Turbo-Lese sorgt für Hektik
Denn: Es komme immer mal wieder vor, dass sich ein Mitarbeiter eines Weinguts im Weinberg irre – und den falschen ansteuere. „Es kommt schon mal vor, dass sich ein Vollernter verfährt, vor allem, wenn nachts gearbeitet wird“, erklärte Büscher: „Das ist natürlich die absolute Ausnahme, aber es kann eben vorkommen.“ Oft seien die Personen mit den Vollerntern Lohnunternehmer oder ortsfremde Mitarbeiter, den richtigen Weinberg vor Ort zu finden, sei oft gar nicht so einfach, weiß Büscher aus Erfahrung: Die Weinberge seien ja meist weder markiert noch mit den Namen der Weingütern versehen.

„Wir haben eine Turbo-Lese“, erklärte Büscher weiter, in den Weinbergen werde derzeit Tag und Nacht gearbeitet, die Hektik sei da oft groß. Grund seien vor allem die jüngsten Regenfälle: Bis Ende Juni sei es sehr trocken in den Weinbergen gewesen, die Regeperiode im Juli sei für die Weintrauben dann genau rechtzeitig gekommen. „Das hat den Reben die Kraft gegeben, Saft zu bilden“, erklärt Büscher. Danach folgte im August noch einmal eine richtig warme Phase mit intensiver Sonnenperiode und wenig Krankheiten, das Ergebnis: eine perfekte Traubenentwicklung ohne Fäulnis, oder Sonnenbrand.
„So gesunde Trauben gab’s selten“, schwärmt Büscher, das Verhältnis zwischen Säue und feinen Fruchtsäuren sei perfekt. Und genau das habe den Winzern jetzt die Turbo-Lese beschert: „Die Winzer müssen jetzt raus, weil ‚warm und feucht‘ einfach eine schlechte Kombination ist“, erklärt der Experte: Der Gesundheitszustand der Trauben drohte durch die Regenfälle Schaden zu nehmen. „Gesundheit geht gerade vor dem letzten Grad Oechsle“, sagte Büscher, die Winzer versuchten gerade, die Trauben möglichst gesund – und auch möglichst kühl in den Keller zu bekommen.
Exzellenter Weinjahrgang 2025 erwartet, Weinüberfluss im Keller
Denn gleichzeitig mit der hohen Feuchtigkeit blieb es relativ warm, das aber ist schlecht für den Most: „Wenn der bei 25 Grad in den Keller kommt, ist die Gefahr groß, dass er sofort anfängt zu gären“, sagt Büscher. Eigentlich wolle man aber die Trauben im Keller „noch ein bisschen stehen lassen, damit sich der Saft ein bisschen klärt und das Trübe absetzt – dann gibt es eine reintönige Gärung und Weine, die klarer im Geschmack sind.“ Also werde in vielen Weingütern gerade auch nachts gelesen – und da falle ein Vollernter im Weinberg gar nicht groß auf.

Wie schnell die diesjährige Lese absolviert wird, zeigen ein paar einfache Fakten: In früheren Jahrzehnten wurde Riesling in Kerngebieten wie dem Rheingau oder an der Mosel erst ab Oktober überhaupt geerntet. „Jetzt ist Mitte September, und wir sind mit der Lese fast schon durch“, sagt Büscher – das sei ungewöhnlich früh. „In Rheinhessen hängt noch ein bisschen Riesling und Silvaner, das war’s aber auch“, berichtet der DWI-Sprecher. Selbst Trauben für Große Gewächse bei Rotweinen seien bereits geerntet worden. „Im Oktober werden vielleicht noch ein paar Spezialitäten gelesen, aber mehr nicht“, weiß Büscher.
Die Verbraucher könnten sich denn auch auf einen sehr guten Jahrgang freuen: „Wir haben aktuell Mostgewichte wie 2003 und 2018“, berichtet Büscher mit Bezug auf zwei Jahrhundertjahrgänge, und betont: „Es gibt viel Wein fürs Geld.“ Denn aktuell herrscht Weinüberschuss, weil der Weinabsatz gesunken ist, die Branche klagt über Absatzprobleme – in nicht wenigen Weingütern liegt gar noch Wein vom, Vorjahr in den Kellern. Deswegen fällt es Büscher auch schwer, an einen Traubenklau in Gundheim zu glauben: „Es macht derzeit eigentlich keinen Sinn, sich zusätzlich Wein in den Keller zu legen – jeder ist ja froh, wenn er seinen Keller leer kriegt.“ Und auf den betroffenen Flächen kämen locker 7.000 bis 8.000 Liter Wein zusammen.
Info& auf Mainz&: Mehr zum „Traubenklau“ in Gundheim bei Worms könnt Ihr noch einmal hier bei Mainz& nachlesen.