Schlitzohr, Versöhner, Mahner und Büchernarr – wenn am Pfingstmontag Karl Kardinal Lehmann als Bischof von Mainz in den Ruhestand tritt, dann geht eine Ära zuende. Für die Mainzer ist es ein trauriger Tag: sie verlieren einen ganz besonderen Oberhirten, einen Bischof, der zu Mainz passte wie kaum ein anderer. Lehmann war volksnah, aber nie anbiedernd, liberal, aber nie beliebig. Er ging schon mal zu den 05-ern ins Stadion – mit Fanschal natürlich -, und trug an Fastnacht mit Stolz die Narrenkappe. „Karlchen“ Lehmann haben die Mainzer ihn liebevoll genannt – am Pfingstmontag wird noch einmal groß gefeiert mit Pontifikalamt und Festakt.

Lehmann mit Narrenkappe vor Mainzer Dom 2004 - Foto Bistum Mainz
Lehmann mit Narrenkappe vor Mainzer Dom 2004 – Foto: Bistum Mainz

Das Jubiläum könnte nicht Mainzerischer sein: 33 Jahre lang leitete Karl Lehmann als Bischof die Geschicke des Bistums Mainz,das von Worms bis Offenbach, und von Gießen bis Darmstadt reicht. Am Pfingstmontag wird Lehmann 80. Jahre alt, dann scheiden selbst Bischöfe der katholischen Kirche endgültig aus dem Amt. Der Papst wird wohl Lehmanns Rücktrittsgesuch stattgeben – die endgültige Bekanntgabe erfolgt erst im Festgottesdienst im Dom.

Liberaler Kirchenmann, nie beliebig

Die Mainzer wussten, was sie an Lehmann hatten: Ein „liberaler Kirchenmann“ wurde er oft genannt, Lehmann selbst mochte das Wort gar nicht – zu beliebig schien ihm die Vokabel. Nach allen Seiten offen war der Bischof sicher nicht, er stand fest auf den humanistischen und katholischen Werten. Doch in Zeiten, in denen kirchliche Hardliner wie etwa der Fuldaer Bischof Johannes Dyba die Debatte bestimmten, war der Diplomat und Versöhner Lehmann ein Lichtblick für viele Katholiken.

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Am 3. Juni 1983 wurde Lehmann vom Mainzer Domkapitel zum Bischof von Mainz gewählt. Der gebürtige Badener aus Sigmaringen war da seit 1971 als Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Universität Freiburg tätig. Lehmann verließ Freiburg und die Uni nur ungern, doch Mainz wurde ihm bald zur neuen Heimat. Er habe den Dienst in Mainz „gerne und auch mit viel Freude ausgeübt“, sagte er nun vor seinem Abschied, auch danach will Lehmann in Mainz wohnen bleiben.

Lehmann beim Jubiläum 1000 Jahre Mainzer Dom 2009 - Foto Bistum Mainz
Lehmann beim Jubiläum 1000 Jahre Mainzer Dom 2009 – Foto: Bistum Mainz

Tief geprägt vom Zweiten Vatikanischen Konzil

Es war das Zweite Vatikanische Konzil, das den jungen Priester Karl Lehmann zutiefst prägte. Vor Kurzem erst schwärmte er noch einmal von der Offenheit und dem Aufbruch jener Zeit. Lehmann, am 16. Mai 1936 in Sigmaringen als Sohn eines Volksschullehrers geboren, studierte ab 1957 Theologie und Philosophie in Rom, das Konzil erlebte er an der Seite des berühmten deutschen Konzilstheologen Karl Rahner. 1968 wurde Lehmann Theologieprofessor in Mainz, von 1971 an lehrte er als Professor für Dogmatik und Ökumenische Theologie an der Universität Freiburg.

Unter Lehmann wurde das frühere Erzbistum Mainz wieder zum Zentrum katholischer Führung in Deutschland: 1987 wurde er zum Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz gewählt, 21 Jahre lang lenkte Lehmann die Geschicke der deutschen Bischöfe im schwierigen Spagat mit einem zunehmend konservativen Papst in Rom. Besonders die Frage der Schwangerenkonfliktberatung – vom Papst verboten, von den Deutschen vehement verteidigt – riss einen tiefen Graben zwischen deutscher Kirche und Rom.

Eintreten für Toleranz, Büchernarr, Schriften per Hand

Lehmanns standhaftes Eintreten für die Interessen der deutschen Bischöfe galt lange als Grund, warum der Papst ihm lange den Kardinalsrang verwehrte. Als Papst Johannes Paul II. ihn 2001 dennoch ernannte, kam das als handfeste Überraschung – und die Mainzer jubilierten. Schnell hatten sie ihren Bischof schätzen gelernt, denn Lehmann trat in seinen Predigten immer wieder für Toleranz, Gemeinsinn und Solidarität mit den Schwachen ein, sprach sich gegen die Verfolgung von Ausländern und Homosexuellen aus.

Das passte gut zum weltoffenen Mainz, so wie Lehmanns Büchervernarrtheit gut in die Stadt Gutenbergs passte. „Kardinal Lehmann lässt gerne das Lot seiner Neugier in die Tiefen seiner Bibliothek und seiner persönlichen Erfahrungen herab“, sagte Barbara Nichtweiß, Leiterin der Abteilung Publikationen im Bischöflichen Ordinariat bei Lehmanns letzter Pressekonferenz vor seinem Abschied. 100.000 Bücher soll der Bischof besitzen, nächtelang schreibe er an Beiträgen, verriet sie.

PK Lehmann 80. Geburtstag - Barbara Nichtweiß zeigt Manuskripte Lehmanns - Foto Bistum Mainz
Barbara Nichtweiß zeigt Manuskripte Lehmanns – handgeschrieben – Foto: Bistum Mainz

Und Nichtweiß präsentierte der staunenden Presse einen Stapel handgeschriebener Blätter, Entwürfe Lehmanns für seine Schriften. Der Bischof schrieb tatsächlich noch mit der Hand – und er schrieb, ganz der Professor, gerne über theologische und philosophische Themen, auch über die ganz großen Fragen. Seine erste Dissertation schrieb er über die „Seinsfrage im Denken Martin Heideggers“, eine „Verrücktheit“, wie er einmal selbst schmunzelnd sagte.

Goldenes Schlitzohr und Wider den Tierischen Ernst

Überhaupt gehörte Lehmann zu den Kirchenfürsten, die seinen Humor trotz aller Herausforderungen nie verlor. 2002 wurde er mit dem „Goldenen Schlitzohr“ ausgezeichnet, 2005 mit dem „Orden wider den tierischen Ernst“. Bei der Verleihung in Aachen machte der Kardinal in der Bütt Furore und prägte den Ausspruch: „Wer die Hintertreppen des Vatikan kennt, überlebt auch den Aachener Karneval.“ Auch in die Mainzer Fastnacht hat Lehmann längst Eingang gefunden, oft rühmten die Narren aus der Bütt seine standhaft-liberalen Haltungen. Und natürlich setzt jedes Jahr Fastnachter Andreas Schmitt mit seinem „Obermessdiener“ Lehmann ein verbales Denkmal, ein Zeichen der tiefen Verehrung in Mainz.

Lehmann beim PG zu seinem 80. Geburtstag am 4. Mai 2016 - Foto Bistum Mainz
Lehmann am 4. Mai 2016 beim Pressegespräch zu seinem 80. Geburtstag – Foto: Bistum Mainz

Lehmanns Einsetzen für die Zulassung von Frauen als Diakoninnen und sein Verständnis für Kirchenvolksbegehren machten ihn zum Hoffnungsträger der Reformer, Lehmann aber war das eigentlich nie. „Nachdenken“, sagte er einmal, „hat die Kirche noch nie verboten“, aber ihre Autorität, die dürfe man nicht in Frage stellen.

Verteidiger Benedikts XVI. und der „lange Atem“

Als 2005 der Deutsche Ratzinger zum Papst gewählt wurde – Lehmanns erste Papstwahl als Kardinal – überraschte er mit einer vehementen Verteidigung des konservativen Benedikt XVI. Ob er ihn selbst mitgewählt hat, hat er nie verraten. Auch im Streit um das Ökumenische Abendmahl zwischen Katholiken und Protestanten Anfang der 2000er Jahre hielt sich Lehmann zurück und lehnte – für viele erstaunlich – das gemeinsame Abendmahl strikt ab.

Lehmann betonte, er verstehe die Leute nicht, die solche Veränderungen aus Ungeduld erzwingen wollten. „Die Kirchen haben gewaltige Niederlagen erlitten, wenn sie zu viel wollten“, sagte er nun. Die Kirche sei nicht länger Volkskirche, damit aber verbinde sich auch eine Chance: Statt aufwändigem Schlachtschiff könne sie wendiger sein, schneller reagieren. Was die Entwicklung der Kirche angehe – er messe da „mit langem Atem“. Und Hoffnung gebe es immer, gerade in Gestalt vieler junger Frauen, sagte Lehmann noch: „Unter der Asche ist auch viel Feuer, man muss nur den Mut haben, das auch anzusprechen und zu wecken.“

Lehmann und seine drei neuen Bücher beim PG am 4.5.2016 - Foto Bistum Mainz
Lehmann und seine drei Neuerscheinungen zum 80. Geburtstag – Foto: Bistum Mainz

Nur acht Tage später verkündete Papst Franziskus, er wolle die Öffnung des Diakonenamtes für Frauen prüfen lassen – es ist wie ein Abschiedsgeschenk für Lehmann, den Mann mit dem langen Atem. Und so macht den Mainzern eines Mut: Lehmanns Nachfolger wird nicht von einem konservativen Papst Benedikt ernannt – sondern vom reformfreudigen Papst Franziskus.

Info& auf Mainz&: Zum 80. Geburtstag und zum Abschied gibt es an Pfingstmontag, den 16. Mai 2016, einen großen Pontifikalgottesdienst im Mainzer Dom um 10.00 Uhr. Lehmann selbst wird in dem Gottesdienst noch einmal predigen, es gibt Grußworte aller hohen Kirchenvertreter in Deutschland. Um 13.00 Uhr folgt ein Festakt mit Spitzen aus Politik und Gesellschaft in der Rheingoldhalle, Festredner ist EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD).

Sondersendungen im Fernsehen: Der Festgottesdienst wird vom SWR-Fernsehen live übertragen, der Festakt vom SWR, vom hr sowie vom Fernsehsender Phoienix ebenfalls live. Die Mainzer können Gottesdienst und Festakt aber auch auf dem Liebfrauenplatz verfolgen – dort wird beides auf einer großen Leinwand übertragen. Auch den Gottesdienst kann man hier mitfeiern, Empfang der Heiligen Kommunion inklusive. Der SWR sendet zwischen Gottesdienst und Festakt – von 11.30 bis 13.00 Uhr also – noch die Sondersendung „Ein Halleluja für den Kardinal – Karl Kardinal Lehmann wird 80 Jahre“ und ab 18.45 Uhr „Unser Bischof Karl – Kardinal Lehmann wird 80.“ Bereits an Pfingstsonntag läuft um 18.45 Uhr das Porträt „Kardinal Lehmann – Gottesmann und Menschenfreund“ im SWR-Fernsehen.

Neue Bücher: Zum 80. Geburtstag und zum Abschied sind noch einmal drei neue Bücher von Karl Kardinal Lehmann erschienen: In dem Buch „Was im Wandel bleibt – Christsein in der Kirche heute“ finden sich die Hirtenworte des Mainzer Bischofs aus den vergangenen dreizehn Jahren. Dieser Band ist die Fortsetzung des Buches „Frei vor Gott. Glauben in öffentlicher Verantwortung“ aus dem Jahr 2003, das 21 Hirtenworte Lehmanns enthielt. Buch zwei, „Auslotungen. Lebensgestaltung aus dem Glauben heute“, ist ein Sammelband mit verschiedenen, zu unterschiedlichen Gelegenheiten entstandenen Texten Lehmanns, unter anderem mit Grundsatzreferaten von Lehmann als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz.

Band drei ist ein Gesprächsband, in dem Lehmann gemeinsam mit dem früheren ZDF-Intendanten Markus Schächter auf sein Leben zurückschaut, eine „biographisch akzentuierte Bilanz der vergangenen Jahrzehnte.“ Der passende Titel: „Mit langem Atem.“ Alle drei Bücher sind im Freiburger Herder-Verlag erschienen.

 

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