Da hat sich einer auf Facebook aber so richtig Luft gemacht: „Frechheit. Ein Totalversagen. Der größte anzunehmende Unfall. Purer Dilletantismus. Eine Kapitulation!“ So schimpfte Felix Maximilian Leidecker, Kreischef der Jungen Union Mainz, gestern auf Facebook. Und er war nicht der Einzige: „So ein Mist“, schimpften andere Facebook-User, „und das alles wegen einer Bahn, die ich nie fahren werde!“ Die Wut galt der Mainzelbahn-Baustelle auf der Saarstraße, denn die macht die Kreuzung an der Arbeitsagentur gerade zum Nadelöhr. Das Ergebnis: Riesenstaus mit Wartezeiten von bis zu 40 Minuten.
„Gestern war wirklich Ausnahmezustand“, räumt Marc André Glöckner, Sprecher der Mainzer Verkehrsgesellschaft (MVG), auf Mainz&-Anfrage ein. Dass die Autofahrer sauer sind, kann er gut verstehen, schließlich wird der Verkehr zurzeit nur mit einer Spur pro Fahrtrichtung über die Kreuzung geführt. Der Grund: die MVG muss auf der Kreuzung eine neue Weiche für die Mainzelbahn zum Lerchenberg einbauen.
MVG bittet um Verständnis: keine Alternativen
„Uns war bewusst, dass das nicht problemlos geht“, sagt Glöckner: „Ich bitte um Verständnis, wir müssen dort unten die Weiche einbauen, es gibt keine Alternativen.“ Die MVG habe diese Arbeiten aber bewusst in die Sommerferien gelegt, weil das nun einmal die verkehrsärmste Zeit sei. Davon merkt man in Mainz derzeit allerdings wenig: Irgendwie scheint das Sommer-Verkehrsloch noch nicht eingetreten zu sein, scheinen viele Mainzer (noch?) gar nicht in die Ferien entschwunden zu sein. Entsprechend sauer waren die Reaktionen auf die Mega-Baustelle.
„Der Verkehr in und um Mainz ist schlicht und ergreifend eine Frechheit“, schimpft JU-Mann Leidecker und spricht von „Umerziehungsmaßnahme auf dem Rücken der Bevölkerung.“ In Mainz folge derzeit „Baustelle auf Baustelle: Planlos, Konzeptlos. Ideenlos“, wetterte er. Mainz& hatte ja vor einigen Tagen schon genau deshalb ein Interview mit Verkehrsdezernentin Katrin Eder (Grüne) geführt, und die hatte sich entschuldigt, die Stadt versuche schon, die Baustellen zu koordinieren.
Rheinallee: „Sehe immer nur Baumaschinen, aber nie Arbeiter“
Doch den Eindruck haben viele Mainzer zurzeit gerade nicht: Die Saarstraße lahm gelegt, die Auffahrt Finthen am Autobahnring gesperrt, die Gaustraße dicht und auf der Rheinallee seit Wochen eine Dauerbaustelle am Fischtorplatz. „Seit gefühlten Ewigkeiten eine Dauerbaustelle“, schrieb ein Kommentator auf Facebook: „Witzigerweise sehe ich immer nur Baumaschinen – aber keine Arbeiter.“ Keine Frage – Mainz ist genervt.
„Einen Plan kann ich cniht erkennen“, sagte auch Leidecker im direkten Gespräch mit Mainz&: Er wünsche sich mehr Koordination und mehr Weitsicht, eine Art Masterplan bei der Baustellen-Planung. Auch die CDU im Mainzer Stadtrat sprach von „chaotischen Zuständen“ und forderte die Verwaltung auf, Zeitpläne unbedingt einzuhalten und für Strecken mit nur einer Fahrbahn Alternativrouten anzuzeigen.
Die Baustellen seien abgestimmt mit der Stadt, versichert auch Glöckner, und auch die Mainzelbahn selbst habe einen sehr engen Zeitplan. 2015 sei nun einmal das entscheidende Baujahr für die 9,2 Kilometer lange Strecke vom Mainzer Hauptbahnhof auf den Lerchenberg. „Es ist das Jahr mit den stärksten Belastungen“, sagt Glöckner entschuldigend.
Schiersteiner Brücke sorgte für Baustellen-Stau
Und der MVG-Sprecher benutzt dasselbe Argument wie Eder: Wegen der Schiersteiner Brücke seien im Februar und März alle Baustellen auf Stopp gesetzt worden. „Wir haben damals gesagt, dass die Verschiebung Auswirkungen haben wird“, erinnert Glöckner, nun erlebe Mainz die Auswirkungen. Deshalb seien etwa Baumaßnahmen an der Rampe zur Uni vier bis fünf Wochen nach hinten verschoben worden, nun ballten sich die Baustellen.
Kritik gibt es aber auch an dem Bau der Straßenbahntrasse generell – Leidecker etwa hält das Projekt „für die größte Steuerverschwendung, die diese Stadt jemals gesehen hat.“ Ein Kommentator seines Eintrags auf Facebook äußerte hingegen Neid: „Dass Mainz das Straßenbahnnetz ausweitet und dafür erhebliche Mittel von Landes- und Bundesseite bekommt, halte ich für clever“, schrieb der frühere Wiesbadener Stadtverordnete Karsten Koch (CDU). Es sei „der größte infrastrukturpolitische Fehler“ in Wiesbaden gewesen, die Stadtbahn „auf dem Altar der Koalitionsvereinbarung mit der FDP zu opfern.“
Straßenbahnen gelten als besonders umweltfreundliches Verkehrsmittel, weil sie auf einen Schlag deutlich mehr Passagiere transportieren können als Busse. 1,1 Millionen zusätzliche Fahrgäste soll die neue Linie pro Jahr befördern, es profitieren vor allem Bretzenheim, Marienborn und der Lerchenberg. Die Stadtwerke verweisen auf die steigende Nutzung des Nahverkehrs, die Zahl der Fahrgäste nahm zwischen 2001 und 2012 um 17 Prozentpunkte zu, 23,34 Prozent der Fahrgäste 2012 waren Studierende – Tendenz steigend.
Baustelle Alicenbrücke: „Hand und Fuß“
Leidecker kritisierte aber auch, ob es denn wirklich sein müsse, dass man gleichzeitig noch eine Baustelle an den Schienen auf der Alicenbrücke eröffne, dort müssen die Gleise erneuert werden, weil die Bahnen in der Kurve aufsetzen – und dass „genau während die Saarstraße ohnehin ein Nadelöhr ist?“
„Das hat alles Hand und Fuß“, sagt dazu Glöckner, das sei tatsächlich genau so geplant. „Würden wir das hintereinander machen, würde man an zwei unterschiedlichen Zeiten und Stellen nacheinander im Stau stehen – und das würde länger dauern.“ Also, so die MVG-Logik, wenn die Strecke schon an einer Stelle einspurig ist, dann kann man das an Stelle 2 gleich auch machen – und hat wenigstens nur für eine Zeit die Behinderungen.
Baufirmen müssen Straßen sauber halten
Und was war mit den verdreckten Straßen durch die Baufahrzeuge in Marienborn, die der dortige Ortsvorsteher Claudius Moseler (ÖDP) gerade monierte? Verschmutzungen seien nicht gewollt und nicht vorgesehen, sagt Glöckner, „unsere ausführenden Baufirmen sind angehalten, die Straßen sauber zu halten.“ Geschehe das nicht, „schimpfen wir auch selbst mit den Firmen“, sagt er, dafür sei aber wichtig, von Verschmutzungen schnell zu erfahren, damit man auch reagieren könne.
Und was Moselers Kritik angeht: Die MVG habe alle vier Wochen regelmäßige Treffen mit den Ortsvorstehern von Bretzenheim, Marienborn und dem Lerchenberg, auf denen über alle anstehenden Arbeiten informiert würden. Und die Ortsvorsteher könnten dann auch Fragen oder Kritik anbringen, sagt Glöckner. Tja, Lokalpolitiker kommunizieren manchmal eben lieber über Pressemitteilungen 😉
Saarstraße: Ampelschaltung verbessern, Busse zur Not umleiten
Was aber die Saarstraße angeht, da werde geprüft, was Hilfe verspreche: Die Stadt habe signalisiert, dass die Ampelschaltungen angepasst würden, sagte Glöckner. Und offenbar seien viele Autofahrer heute schon anders gefahren, es sei am Morgen „eine deutliche Entspannung“ zu spüren gewesen.
Für die Busse gibt es nun ebenfalls einen Notfallplan: Dauert der Stau länger als 30 Minuten, sollen die Linien Linie 54 und 55 vom Kisselberg aus durch Hartenberg-Münchfeld ausweichen, die Linien 58 und 68 hingegen ab Kisselberg über den Uni-Campus fahren. „Damit reagieren wir aktuell“, betont Glöckner, und verspricht: „Natürlich beeilen wir uns, wir trödeln nicht.“ Die einspurige Verkehrsführung auf der Saarstraße wird es leider noch bis Anfang September geben…
Info& auf Mainz&: Mehr zum Projekt Mainzelbahn findet Ihr auf www.mvg-mainzelbahn.de, oder aber in dem Mainz&-Artikel „Drei Jahre Baustelle für die Mainzelbahn“. Das Facebook-Profil von Leidecker mit den Kommentaren könnt Ihr hier einsehen, soweit Ihr mit Leidecker befreundet seid.