Nach unserem Bericht über Proteste von Zollhafen-Anwohnern gegen die Liegeplätze von Binnenschiffern direkt vor ihren Fenstern, erreichte uns eine Welle von Reaktionen, viele davon aus der Szene der Binnenschiffer selbst. „Wir fühlen uns in Mainz nicht mehr willkommen“, schrieb eine Binnenschifferin, und das bedauere man sehr: Auch Binnenschiffer hätten soziale Bedürfnisse und dringende Notwendigkeiten, müssten an Land gehen, wollten ihre Familien sehen. Doch entlang des Rheins gebe es kaum noch Liegeplätze für Binnenschiffer, er komme kaum noch an Land, klagte ein Schiffer. Anlass genug für Mainz&, hinzuhören und nachzufragen. Und dabei erfuhren wir: Die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung plant einen erheblichen Zuwachs an Liegeplätzen für Binnenschiffer entlang des Rheins, ganz konkret in den kommenden Jahren. Die Anwohner im Zollhafen und in der Mainzer Neustadt äußern unterdessen große Sympathie für die Belange der Binnenschiffer, wollen ihren Protest aber fortsetzen: Am Mittwochnachmittag war eine Menschenkette entlang des Rheinufers an der Mainzer Neustadt geplant.
„Hier geht es wieder mal um Unkenntnis und Ignoranz“, kommentierte Jürgen Firmbach unseren Mainz&-Bericht von einer Anwohnerversammlung in der Mainzer Neustadt. Dort protestieren Bewohner der neuen Zollhafen-Gebäude, aber auch Anwohner der Taunusstraße gegen Liegeplätze von Binnenschiffern: Sieben Anleger sollen entlang der Südmole des ehemaligen Zollhafens entstehen, einige keine zehn Meter des neu errichtete Wohngebäudes „Rheinkai 500“ entfernt. Dazu soll entlang des grünen Rheinufers der Mainzer Neustadt weitere Liegeplätze sowie ein Absetzplatz für Autos entstehen – genau vor der Grünanlage zwischen Zollhafen und Feldbergplatz. Für die Anwohner ein No-Go, sie kritisieren, die Liegeplätze seien ihnen beim Kauf der Wohnungen nicht bekannt gewesen, auch in der Taunusstraße heißt es, das sei nicht bekannt gewesen. Die Anwohner fordern, Alternativen zu prüfen, und die Liegeplätze nicht vor dem am dichtest besiedelten Teil des Mainzer Rheinufers einzurichten.
Für die Binnenschiffer sind die Liegeplätze indes eine dringende Notwendigkeit, zumal es sich um eine Reaktivierung bereits früherer Plätze handelt. Entsprechend emotional waren die Reaktionen, die uns erreichten: So schimpfte Firmbach über die „Ignoranz der Anwohner, dass auf den Schiffen MENSCHEN leben und arbeiten“, die aber auf viele Dinge des alltäglichen Lebens verzichten müssten: Einkaufen, Personalwechsel oder einfach mal am Wochenende zum Essen zu gehen, sei nur noch an wenigen Plätzen am Rhein möglich, „nicht zu vergessen, den Landkontakt herzustellen in Bezug auf medizinische Notwendigkeiten oder gar Notfälle“, schreibt Firmbach mit einem Gruß von seinem Schiff weiter: „Allein der Gang zu einer Apotheke oder zum Arzt, schon einfach wegen einer Erkältung, ist selten noch möglich.“
„Die Plätze sind für uns extrem wichtig“, sagt auch Marcus Schneidler, der gerade mit seiner MS Calypso von Holland aus den Rhein hinauffährt. Seit 33 Jahren fährt der gebürtige Gernsheimer mit dem Schiff auf Rhein, Main und Donau, transportiert Tierfutter, Getreide, Aluminium oder Stahl. Sein Problem: Entlang des Rheins gibt es kaum noch Liegeplätze für sein Schiff, Schneidler kommt kaum noch an Land.
„Auf dem Rhein können wir so gut wie nicht mehr anlegen“, berichtete Schneidler Mainz& am Telefon, „es gibt einen extremen Liegeplatzmangel, das ist noch schlimmer als die Rastplätze bei Lkws.“ Spätestens alle zwei Wochen muss Schneidler sein Schiff am Ufer festmachen und sein Auto absetzen, er muss einkaufen gehen, Besorgungen erledigen und neues Personal an Bord nehmen. „Ich würde auch gerne mal meine Familie entgegen nehmen“, sagt der Schiffer, „das ist auf dem Rhein montan nicht möglich.“
Zwar können Binnenschiffer überall dort Anker werfen, wo sie anhalten wollen, doch Liegeplätze an Ufern oder Kaimauern seien noch einmal etwas anderes, erklärt Michael Jeske vom Binnenschifferforum hilft e.V. aus Lampertheim: Wer nachts in Ruhe schlafen wolle, müsse an Land festmachen, beim Ankern hingegen müsse immer eine Bordwache abgestellt werden. Auch um zum Arzt zu kommen oder einfach mal was Essen zu gehen, brauche es „in vernünftigen Abständen Anlegestellen und Absetzplätze für Kraftfahrzeuge“, sagt Jeske.
Und genau diese Anlegeplätze seien in den vergangenen Jahren immer weniger geworden, sagt auch Schneidler: Ludwigshafen, Speyer überall fielen Plätze weg. Bingen strich vor zehn Jahren wegen der Landesgartenschau die Liegeplätze am Rheinufer. In Köln gab es im Frühjahr massiven Ärger, weil die Stadt Liegeplätze an der Kaimauer nach Beschädigungen sperrte, da veranstalteten die Binnenschiffer gar eine Demonstration mit lautem Hupen auf dem Rhein. Die Binnenschiffer würden „aus den Städten vertrieben“, klagt Jeske, die Anzahl der Liegeplätze am Rhein befinde sich inzwischen „auf einem historisch niedrigen Niveau“, gerade entlang des Mittelrheins.
Bei der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung (WSV) ist das Problem bekannt: „Wir planen weitere Schiffsliegestellen“, kündigt Florian Krekel von der WSV des Bundes im Gespräch mit Mainz& an: Eine Liegestelle in Niederlahnstein sei geplant, eine weitere im St. Goarer Stadtteil Fellen. Auch die Reede in Koblenz werde ertüchtigt, ebenso die in Bad Salzig, bei Mülheim-Kärlich sowie im Hafen von Brohl sollen weitere Stellen entstehen. Noch in diesem Jahr sollen drei Liegeplätze in Bingen samt Autoabsetzplatz fertig werden, weitere Plätze sind in Wiesbaden-Schierstein geplant.
„Unser Ziel ist es, im Abstand von etwa 35 Kilometern Liegeplätze anzubieten“, betont Krekel, „wir haben das schon vor Jahren für notwendig gehalten.“ Mangels personeller Kapazitäten sei die WSV aber „bisher nur sehr langsam voran gekommen“, räumt er ein. Der Rhein sei eine Binnenwasserstraße mit hoher wirtschaftlicher Bedeutung, „eine Hauptverkehrsstraße“, betont Schneidler. Die Binnenschifffahrt sorge „direkt oder indirekt dafür, dass Häuser gebaut werden können (Sand, Kies, Zement), Straßen gebaut werden können, Brot auf den Tisch kommt (Getreidetransporte!!), Strom aus der Steckdose kommt (Kohle, noch, Biomasse), Autos fahren können und Heizungen laufen (Tankschiff), dass Produkte der modernen Chemie (Baustoffe, Medikamente, Düngemittel, Kunststoffe etc.etc.) entstehen können“, erklärt Firmbach .
Man müsse den Menschen, die auf ihm arbeiteten „die gleichen Rechte zugestehen, wie denen an Land“, fordert Jeske: „Wir können den Rhein nicht allein als Naherholungsgebiet und Fotokulisse sehen.“ Und eine weitere Binnenschifferin, Karin Scheubner, schreibt in ihrem Mainz&-Kommentar: „Wir haben früher oft in Mainz Wochenende gehalten, die Kinder abgeholt, sonntags wieder zurückgebracht, samstags shopping gegangen, Museen besucht, Weinfeste usw. mitgefeiert.“ Die Mainzer hätten ihr Schiff und seine Bewohner immer „äußerst interessant und beneidenswert gefunden“, sagt Scheubner, und fügt traurig hinzu, das sei offenbar vorbei: „Wir fühlen uns nicht mehr willkommen.“ Ein Fluss ohne Schiffe, fügte sie noch hinzu, „ist ein toter Fluss.“
Info& auf Mainz&: Unseren Bericht über den Protest der Anwohner am Mainzer Zollhafen und in der Taunusstraße könnt Ihr hier noch einmal nachlesen – samt der zahlreichen Kommentare darunter.